Noch mehr Zwangsbehandlungen?

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Neben dem Einsatz von Staatstrojanern und der Fernsehübetragung von Gerichtsurteilen hat der Bundestag gestern auch eine Änderung des Gesetzes beschlossen, dass die Zwangsbehandlung von Personen regelt, die unter Betreuung stehen. Es gibt nun die Möglichkeit, auch Menschen zwangsweise zu behandeln, die nicht in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht sind. Das klingt zunächst nach einer Ausweitung der Möglichkeit, Freiheitsrechte einzuschränken. So wird das auch von Kritikern gesehen, etwa hier von Martin Lindheimer vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener. Angesichts der langen Geschichte von Entrechtung, Bevormundung, Freiheitsberaubung und sogar Massenmord an psychisch Kranken sind die Stimmen, die das Recht auf Selbstbestimmung hochhalten wichtig und richtig.

Allerdings muss man auch dagegenhalten, dass nach mehreren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes die Regelungen für Zwangsbehandlungen im Jahr 2013 bereits deutlich klarer gefasst wurden. Ohnehin waren auch bis dahin solche Maßnahmen nur unter ganz bestimmten Bedingungen zulässig, diese Bedingungen waren aber zu schwammig formuliert. Zusammenfassend kann man sagen, dass nach der aktuellen Fassung eine Behandlung gegen den Willen nur unter folgenden Bedingungen möglich ist:

Wenn der Betroffene psychisch krank ist und aufgrund dieser Erkrankung die Gefahr besteht, dass er “sich selbst tötet oder erheblichen Gesundheitlichen Schaden zufügt” bzw. ein solcher Schaden nur mittels ärztlicher Maßnahmen abgewendet werden kann, die der Betroffene “auf Grund einer psychischen Krankheit […] nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann”

Die Maßnahme gerichtlich genehmigt wird

Zuvor versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen,

Der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann und

Der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

Wichtig sind die fett gedruckten Worte, denn dies bedeutet, dass niemand behandelt werden darf, nur weil er auch psychisch krank ist. Wenn also jemand sowieso Operationen ablehnt, und dies auch bereits vor oder unabhängig von seiner psychischen Erkankung so gesehen hat, darf man ihn nicht gegen seinen Willen behandeln. Denn der Mensch hat ja auch eine Meinung, die möglicherweise gar nicht von der Erkrankung beeinflusst ist. Umgekehrt aber, wenn etwa ein Mensch mit einer Psychose denkt, der Arzt wäre ein Alien, dass ihm bei der OP einen Chip installieren will (eigentlich aber außerhalb der Psychose durchaus gerne behandelt werden würde), ist die Zwangsbehandlung möglich. Aber eben auch nur, wenn nachgewiesen ist, dass man alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, den Patienten versucht hat, über die Folgen aufzuklären und wenn die Behandlung überhaupt Aussicht auf Erfolg hat.

So weit, so gut. Wozu dann das neue Gesetz (dies ist der Entwurf)? Das Problem ist, dass es Fälle geben kann, in denen die Vorraussetzung für eine Unterbrinung in einer geschlossenen Psychiatrie nicht vorliegen, wohl aber die für eine Zwangsbehandlung. Und bislang ist diese Unterbringung eine zwingende formale Voraussetzung gewesen. Eine Unterbringung (also das Festhalten gegen den Willen in einer Einrichtung) ist ja nur dann überhaupt möglich, wenn der Betroffene vorhat, diese Einrichtung zu verlassen. In dem Moment, wo jemand freiwillig in Behandlung ist, gibt es keine Voraussetzung für eine Unterbringung. Das gilt, so seltsam das klingt, auch dann, wenn derjenige einfach nicht in der Lage ist, die Klinik zu verlassen. Wer nicht versucht, wegzugehen, kann juristisch gesehen auch nicht daran gehindert werden. In dem Fall, der zu dieser Gesetztesänderung geführt hat, war die Betroffene durch ihre körperliche Erkrankung so geschwächt, dass sie die Klinik gar nicht verlassen konnte. Daher sah das Gericht auch keine Vorraussetzung für eine Unterbringung. Ohne Unterbringung war aber auch keine Behandlung möglich, die sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung ablehnte.

Andere Fälle könnten zum Beispiel demente Menschen betreffen. Ein alter Mensch stürzt, bricht sich die Hüfte und lehnt, weil er einfach nicht mehr versteht, worum es geht, die Behandlung ab. Derjenige ist vielleicht im häuslichen Umfeld gut führbar, war eigentlich noch mobil, es hätte gar keinen Grund gegeben, ihn in die Psychiatrie zu bringen. Nun hat er Schmerzen von der Hüfte und könnte eigentlich gut behandelt werden. Aber ohne die Unterbringung kann der Betreuer diese Behandlung nicht anordnen und für die Unterbringung gibt es keinen Grund.

Diese Fälle werden mit der Novelle abgedeckt. Die Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung bleiben streng. Der Wille des Betreuten wird sogar noch gestärkt, weil auch eine stärkere Berücksichtigung einer etwaigen Patientenverfügung ergänzt wird. Aber die unsinnige Kopplung an die Unterbringung wurde gestrichen.

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Helmut Junge
Helmut Junge
7 Jahre zuvor

"Wenn der Betroffene psychisch krank ist und aufgrund dieser Erkrankung die Gefahr besteht, dass er “sich selbst tötet oder erheblichen Gesundheitlichen Schaden zufügt” bzw. ein solcher Schaden nur mittels ärztlicher Maßnahmen abgewendet werden kann, die der Betroffene “auf Grund einer psychischen Krankheit […] nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann”
Und wie ist dieser "erhebliche gesundheitliche Schaden" definiert?
Also, ich konstruiere mal, daß ein psychich Kranker gerne trinkt, oder gerne raucht. Reicht das aus ihn gegen seinen Willen zu behandeln? Oder stellt sich diese Frage gar nicht, weil es in solchen Kliniken eh keine Zigaretten und keinen Alkohol gibt? Oder ist diese Frage komplett falsch gestellt?
Ich bin als Laie sowieso mißtrauisch gegenüber jeden Zwang. Wer entscheidet eigentlich über solche Fälle? Gibt es nicht auch gesunde Menschen in psychatrischen Kliniken, die unglaubliche Hürden überwinden mußten, um da jemals wieder herauszukommen? Und, und, und.

Dietmar Rottmann
Dietmar Rottmann
7 Jahre zuvor

Ich frage mich ja, wie ist die Versorgung (insbesondere die pflegerische) von solch zweifacherkrankten Menschen sichergestellt?
Ist angedacht pflegerische, psychiatrische Konsile einzuführen? Wer kommt für die Kosten auf?
Werden die Patienten dann "blutig" in die Psychiatrie verlegt?
Hier die gleiche Frage: Wie ist die konsilarische Mitversorgung und deren Finanzierung?
So sinnvoll die neue Regelung auch sein mag, hier gibt es Regelungsbedarf.

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