Eindrücke, Bilder und Notizen aus den post-Assad Syrien. Von unserem Gastautor Thomas von der Osten-Sacken.
16. Januar: Das ehemalige Palästinenserviertel (Lager ist der falsche Begriff) Jarmouk bei Damaskus, das wie viele andere Vororte, die wir heute besichtigt haben, von der syrischen Armee zerbomt und ausgehungert wurde, weil die Bewohner sich 2011 den Protesten gegen Assad angeschlossen hatten.
Soviel zur Solidarität Assads, Irans und der Hizbollah mit Palästina.
Einige Menschen leben noch hier inmitten der Trümner, andere Viertel sind völlig leer. Ein Gang durch Yarmouk ist, als liefe man durch die Kulissen eines Films über das Leben nach dem 3. Weltkrieg.
Aber trotzdem wird man zum Tee eingeladen und sitzt auf zerbrochenen Stühlen umgeben von streunenden Hunden.
Mindestens ein Drittel von Damaskus besteht aus solchen Ruinen, andere Viertel sehen allerdings noch schlimmer aus. Auf Jarmouk wurden nur wenige barrel bombs und immerhin kein Giftgas geworfen.
Fahrt durch Jobair, einen der vielen vielen völlig zerstörten Vororte von Damaskus. All diese Orte sind heute menschenleer, teils vermint und die ehemaligen Bewohner wurden in „Deals“ mit der Opposition nach Idlib umgesiedelt, wo sie seit 2015 oder 16 in Flüchtlingslagern leben.
Ungefähr 40% des größeren Stadtgebiets der syrischen Hauptstadt sehen so aus. Man sieht auch, welche verheerende Wirkung barrel bombs hatten.
Ein paar Kilometer entfernt fand 2013 der größte der vielen Giftgasangriffe mit über 1500 Toten statt.
17. Januar: Freitag abend in Bab Touma, dem Christenviertel in der Altstadt, wo sich Kneipe an Alkshop reiht.
Das nächtliche Leben in der Altstadt, egal ob im muslimischen oder christlichen Viertel pulsiert wie eh und je und um Mitternacht sind die Straßen noch immer voll.
Eine recht kleine Zahl – vor allem verglichen mit der Präsenz von Polizei und Geheimdienst früher – von bärtigen Milizionären mit Kalshnikow und umgehängtem Plastikbage ist auch als Sicherheitskräfte präsent.
Verglichen mit Bagdad 2003 wirkt es bisher so, als hätte sich der Alltag der Menschen bislang nicht groß geändert – was wir auch immer wieder hören – außer, und das kann niemand genug betonen, jetzt eben Assad und seine Diktatur weg ist.
Ich hätte nie geglaubt, dass man nachts völlig unproblematisch auch durch die dunkelsten Altstadtgassen laufen kann, ohne ein mulmiges Gefühl zu haben.
In den letzten dreißig Jahren im Nahen Osten lernte ich das Fürchten vor Jihadisten und radikalen Islamisten. Man ging ihnen aus dem Weg, sie schauten einen auf der Straße meist gar nicht oder grimmig an und es war klar: Man steht sich feindlich gegenüber und sammelt Informationen über all die unbeschreiblichen Verbrechen, die sie egal ob unter der Fahne von Al Qaida, des IS oder anderer begingen.
Umso verrückter, was man dieser Tage in Syrien erlebt. Genau solche Typen grüßen freundlich mit „Welcome to Syria“, schütteln einem die Hand, bitten um ein gemeinsames Photo. Das mulmige Gefühl von früher ist immer da und ich hätte nie gedacht, wie gestern in der Stadtverwaltung in Jabroud, mal ohne Angst mit drei solchen mit Kalashnikows bewaffneten Guards in einem Raum zu sitzen und einfach Tee zu trinken.
Die kommen von Al Qaida, warnt eine innere Stimme, der Organisation, die mir im Irak vor 20 Jahren sofort die Kehle durchgeschnitten hätte!
Das ist zu irre, um irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Aber es ist trotzdem Realität.
Und was zeigen sie uns in Jabroud als erstes? Ihre Kirche, eine der schönsten und ältestens Syriens, sagen sie. Zusammen mit Maalula und Sednaya gehöre man zum aramäischen Kerngebiet. Während wir die Kirche besichtigen beginnt der Gottesdienst und sie füllt sich langsam. Zwei Jungs läuten die Glocken noch mit der Hand, der Priester bereitet sich auf die Messe vor.
Auch das ist Realität in diesem neuen Syrien. Ok, man musste schon immer mit vielen Widersprüchen umgehen können, um im Nahen Osten nicht irre zu werden, aber dies alles stellt einen vor neue Herausforderungen.
19. Januar: Oft habe ich schon den Vergleich mit Iran 1979 gelesen, weil ja nun auch in Syrien Islamisten an der Macht seien.
Nach ein paar Tagen hier denke ich über einen großen Unterschied nach, der mir signifikant scheint.
Iran war (leider) auch insofern eine Revolution, als es um dauernde Massenmobilisierung- und aufhetzung ging, um Aufmärsche und ähnliches. Khomenei und die seinen versuchten, diese Dynamik maximal anzuheizen, hetzten gegen innere und äußere Feinde und versuchten so schnell und radikal wie möglich, auch gegen Widerstände, ihre Agenda umzusetzen.
Davon ist hier nichts zu sehen oder spüren. Im Gegenteil ist die absolute Dominanz von Alltag und Normalität eher fast schon verblüffend. Alles geht seinen für Syrien typisch chaotischen Gang, nur a den neuen Fahnen und dem Fehlen von Assads Konterfei und den Geheimdienst Leuten mit Sonnenbrille, merkt man, wenn man in Damaskus herumläuft, dass hier etwas ganz grundlegendes passiert ist.
Wenn HTS irgend eine versteckt islamisch-revolutionäre Agenda verfolgen sollte, dann ist die bislang in der Tat noch sehr versteckt und je länger sie warten, je schwieriger wird es sie gegen diese Normalität durchzusetzen. Man hat den Eindruck, nach Jahren der Unterdrückung, von Krieg und Elend möchten die Menschen hier mehrheitlich einfach dies: ein ganz normales Leben führen, möglichst ohne viel Ideologie und „große Führer“.
Auch deshalb scheint der Vergleich mit Iran 1979 so wenig erhellend zu sein. (Es gibt noch viele andere Gründe, unter anderem den, dass man, anders als damals, inzwischen recht gut weiß, in welches Elend islamistische Regimes und Regierungen Menschen bislang geführt haben.)
Angenehm ist, dass man in Syrien, ebenso wenig wie in vielen anderen Ländern in der Region, mit Menschen keine lästigen Diskussionen über die Notwendigkeit von Diplomatie mit den Mullahs führen muss. Ganz im Gegenteil: Dass die weg gehören, ist so etwas wie Konsens.
In den Worten eines syrischen Bekannten, mit dem wir gestern Sadnaya besichtigten: „Assad is finish. Now it’s time to finish the Mullahs and Putin.“
Was man by the way hier recht oft so oder ähnlich hört: „Thank you Israel for killing Hassan Nasrallah and weakening Hizbollah. This is the main reason why Assad is finished now.“
Und wo es geht, wird die Islamische Republik gedemütigt. So wie mit dieser Einreisebestimmung. Was kann für sie schlimmer sein, als gemeinsam mit Israelis geblacklistet zu sein.
Ja, die idiotische Regelung gegen Israelis bleibt bestehen offiziell herrscht ja auch weiter Kriegszustand), neu aber ist, dass das Reiseverbot für syrische Juden nach Israel aufgehoben wurde. (Da es offiziell noch neun Juden in Syrien gibt, ist das natürlich eher symbolisch. Einst lebten hier über 200.000)
Und zur Einreisebestimmung: Seit vier Tagen kann jede/r aus der EU als Tourist nach Syrien reisen.
Der Text erschien bereits in der Jungle World