Musikjournalismus ist ein verkommenes Gewerbe, etwa so seriös wie Reiseblätter und Autobeilagen der Tageszeitungen. In den gängigen Musik- und Szeneblättern ist es üblich, bei Anzeigenschaltungen auch nette Beiträge zu liefern und für die Aufnahme einer Band auf die CD-Beilage abzukassieren.
Bei dem in diesem Blog völlig überlobten Boris Gott liegt der Fall anders. Die Kollegen mögen ihn einfach, ich auch. Dabei kommt ein wenig zu kurz, dass es noch andere Musik in der Gegend gibt, von anderen Musikern gemacht. Gregor McEwan ist so einer, der kommt aus Haltern, lebt derzeit in Berlin und macht wunderbare Folkmusik. Gerade stellte er sein Debütalbum „Houses and Homes“ vor. Heute Abend spielt er im Bam Boomerang in Dortmund. Den Termin zu verpassen, wäre dumm.
Um auch die eigene Verkommenheit gleich zu enthüllen: Ich habe Gregor McEwan nicht entdeckt – er hat mich adoptiert, vor einigen Jahren. Da war er das Hirn der erquicklichen Britpopband Helter Skelter. Ich hatte ein Konzert besucht, was auffiel, weil ich der einzige zahlende Gast war. Er kriegte raus, dass ich „irgendwas mit Medien“ machte, und schon war ich Pressewart, Berater, Manager oder so etwas bei den Jungs. Was genau, habe ich bis heute nicht rausbekommen. Was uns nicht davon abhielt, manch schönes Ding zu drehen. So lieferte Helter Skelter den offiziellen Song der Ruhrolympiade 2004. Das brachte zwei laue Konzerte unter Abwesenheit der Sportjugend, dafür in Anwesenheit mäßig interessierter Funktionäre, und die Kohle für eine wunderschöne EP. Gregor McEwan, damals noch Hagen Siems, bekam ein Jahr lang Geld aus dem Sozialfonds der EU, das er als Künstlerstipendium nutzte. Wie üblich, waren die Eltern irritiert. Doch schnell war klar, dass aus dem Typen nix Ordentliches mehr werden könnte. Die Band spielte noch eine Zeit, war gern gesehener Gast etwa im legendären Dortmunder Cosmotopia. Vor zwei Jahren war Schluss. Maik wurde Polizist, Tim Lehrer, Patrick Sozialarbeiter, Peter ging wieder arbeiten und Hagen nach Neukölln.
Seither kenne ich den Mann nicht mehr wieder. Zwischen jugendlicher Frisch- und Forschheit und folkigem Songwriterleben liegen gerade mal 24 Monate und 500 Kilometer. Sorgte man sich früher darum, den Kumpel vom Stadtspiegel zu einem netten Artikel zu überreden, rauschen jetzt Besprechungen rein, die aufhorchen lassen. Gregor McEwan wird gelobt, durchweg, und bejubelt, stellenweise. Die NDR-Jugendwelle ist ebenso dabei wie das Schweizer Fernsehen SF2. Dessen Magazin „Music night“ kürt den Erstling des Exil-Ruhris gleich zur CD der Woche, neben dem neuen Ding von Rihanna. Da muss was dran sein.
Da ist was dran. McEwan hat eine ziemlich perfekt gebaute CD hingelegt, bei der auch das Beiwerk stimmt. Man kann sich nicht sattsehen an dem zurückhaltend mysteriösen Artwork von OlgaUwaga, einer Designerin, die gerade auf Island lebt. Tiere, Typen und Fabelwesen bevölkern das Booklet von „Houses and Homes“, das sie im Übrigen mit handgeschriebenen Lyrics füllt.
Die zwölf Tracks, keiner davon auf Hit gedrängt, jeder eigenständig, hören sich flüssig durch. Im Pressetext steht was vom Herbst, ich höre Melancholie, lausche kleinen Geschichten, auch über die Heimat am Rande des Ruhrgebiets. Das ist alles nicht die gute alte „Junge mit Gitarre“-Tour, das ist viel feiner komponiert, arrangiert und zusammen gefügt. Richtig war die Entscheidung, im Studio Gesang und Gitarre zusammen aufzunehmen. Das bringt Dynamik, hält die Songs im Fluss und sorgt fast für die Liveatmosphäre eines kleinen Clubs. Gregor McEwans schwarzer Silberling klingt deshalb anders als Max Mutzke, bei dessen „Can´t Wait Until Tonight“ allein an der Hook bis zu 22 Musikprofis rumgeschraubt haben, um den Künstler anschließend als authentisch zu verkaufen. Rezensenten von „Houses and Homes“ stürzen sich unisono in Vergleiche mit Damien Rice und Ryan Adams, nicht den schlechtesten Verbündeten im Geiste. Pubertärere Geister oder bekennende Romantiker unter den Kritikern kommen dann noch auf Rilke, man ahnt es, dieses Gedicht mit dem Haus, das sich keiner mehr baut.
McEwan hat ein kleines Album herausgebracht, aber die Songs entfalten immer mehr Größe und Zauber, je öfter man hinein hört. Dann entdeckt man sinnvoll sparsam eingesetzt Mandoline, Flügelhorn, ein zurückhaltendes Cello, den zärtlich starken Gesang von Tess Wiley. Klänge aus dem Ruhrgebiet, der großen Sammlung von Richard Ortmann entstammend, zurückhaltend, fast ambienthaft eingesetzt, runden die Stücke ab. Offensichtlich haben sich Künstler und Produzent bestens verstanden. Verantwortlich für die Produktion zeichnet der Hamburger Dinesh Ketelsen, den man ansonsten mit Niels Frevert, Nationalgalerie und Birgit Minichmayr in Verbindung bringt.
So wie die Lieder aufgenommen werden, entstehen sie auch, möglichst am Stück. Kaum hat der Songwriter eine Phrase im Kopf, ein paar Lyrics, setzt er sich an die Gitarre, schläft zur Not noch mal drüber und entscheidet dann am Morgen: Muss er die Arbeit des Abends mühselig rekonstruieren, hat die Idee verloren, wochenlanges Grübeln über Strophe, Bridge, Refrain is seine Sache nicht. Da macht er sich vorab zum Verbündeten der Hörer. Er möchte ihnen keine Sachen zumuten, denen man die Geburtsmühen anhört. Leise funkeln sollen seine Herbstbabys. November Sun. Neukölln, dort vermutet man eher Kirmes-Gangsta-Rap oder arabeske Hochzeitslieder mit Migrationshintergrund. Die zwölf Songs des Debüts sind dann auch eher unterwegs entstanden, am Strand, beim Rumhängen nach Gigs oder noch in der alten Heimat am Ruhrpottrand. Das passt zur Folkmusik. Wovon singt der Typ? Vom Abschied nehmen, vom Reisen und dem Versuch anzukommen. Es ist ein doppelter Abschied, der von Jugend und Kleinstadt gleichzeitig, ein Coming-Of-Age-Album im Rückblick quasi.
Wenn Gregor McEwan über den Alltag singt, in „Pigeon Breeders Club“ etwa, dann ist das kein Bashing, sondern noch immer verstörte Wehmut, die aus den Zeilen spricht. Das Album ist fast symmetrisch. In der Mitte, Titel sieben, „Change is Happening When I´m almost gone“ findet es sein Thema, kommt fast zum Stillstand, als solle der Moment nie vergehen, nimmt anschließend in „A Part of You“ Fahrt auf, um im wüsten Geschrammel der Stromgitarre zu enden. Die darf ausklingen, sekundenlang, wird nur ganz langsam ausgefadet. Der Reisende Gregor McEwans ist soweit gekommen, im folgenden „Drinking Burgundy“ an einen schwedischen See, dass er ironisch zurückschauen kann. Diese Generation ist mit Oasis groß geworden, da zitiert man schon mal mit dem Glas Burgunder in der Hand am Lagerfeuer „Wonderwall“. Auch Gregor McEwan steht halt auf den Schultern der Riesen, zumindest hockt er dort mit seiner Gitarre.
Gregor McEwan „Houses and Homes“ Ludwig/Indigo, VÖ: 12.11.2010
Live in Dortmund: heute, 16.11.2010, 20 Uhr, Bam Boomerang, Kuckelke 20.
Mensch, mensch, Herr Kaysh, differenziert-liebervoller kann man ja wohl kaum der Verkommenheit in die Parade schreiben und gehörig Lust auf Live-Musik machen – und zugleich weitere Wehmut entfachen, weil der mehr als geneigte Leser für den besungenen Gig leider nicht abkömmlich ist!