Nach einer Vergewaltigung können Frauen die Spuren der Tat anonym sichern lassen. Wie viele Frauen später den Täter anzeigen, ist jedoch unbekannt.
Es sind nicht viele Frauen in Bochum, die das Angebot, nach einer Vergewaltigung die Spu-ren anonym sichern zu lassen, 2017 wahr-nehmen. Aber für jede dieser fünf Frauen war es wichtig, da ist sich Regina Czajka sicher. Czajka ist Gleichstellungsbeauftrage der Stadt Bochum. Ihr Büro liegt im historischen Rat-haus der Stadt, einem Backsteingebäude aus den 20er Jahren. „Wir wollen“, sagt Czajka, „dass Frauen die Wahl haben, ob sie direkt nach einer Vergewaltigung Anzeige stellen oder erst einmal die Spuren sichern lassen und sich dann in Ruhe entscheiden, was sie tun.“
Czajka kennt viele Gründe, warum Frauen nicht sofort zur Polizei gehen und Anzeige erstatten: „Viele sind traumatisiert, empfinden Scham, versuchen das Erlebte zu verdrängen“. Die MeToo-Kampagne und Gesetzesverschärfungen hätten dazu beigetragen, dass Frauen sich bewusst sind, dass sie ein Verbrechensopfer wurden. „Aber manche Frauen brauchen einfach Zeit, bis sie sich sagen: „Mir ist Unrecht geschehen. Ich gehe zur Polizei.“
2001 begann das Land Nordrhein-Westfalen mit ersten Modellen, Frauen eine anonyme Spurensicherung zu ermöglichen. Ab 2012 wurde daraus ein landesweites Programm. Städte, Beratungsstellen und die Polizei arbeiteten eng zusammen, aber es gab ein Problem: „Die Polizei ist gesetzlich verpflichtet jeder Straftat nachzugehen“, sagt die Frauen-beauftragte. “Die Polizei stieg aus dem Programm aus. 2017 wurde es neu aufgelegt. Mit 7000 Euro im Jahr fördert das Land seitdem die anonyme Spurensicherung in Bochum und 22 weiteren Städten und Kreisen.
Gibt es in vielen dieser Städte nur einen Ansprechpartner, bei dem die Frauen die Spuren sichern lassen können, ist die Ruhrgebietsstadt breit aufgestellt: Acht Krankenhäuser nehmen an dem Programm teil und wurden durch das städtische Frauenbüro qualifiziert. Vom Pförtner, dem die Frauen oft zuerst begegnen, bis zu den Ärztinnen in der Ambulanz müssen alle wissen, was zu tun ist, wenn eine Frau anonym die Spuren einer Vergewaltigung sichern lassen möchte.
Die Stadt hat die Kliniken mit Beweissicherungssets versorgt. In ihnen ist vom sterilen Wattestab bis zum Umschlag mit der Adresse des für Bochum zuständigen gerichtsmedizinischen Instituts in Essen alles enthalten, was nötig ist, um Spuren gerichtsfest zu sichern.
Nordrhein-Westfalen gehört im Bereich der anonymen Spurensicherung zu den füh-renden Ländern in Deutschland. Aber auch das Ministerium für Gleichstellung weiß nicht, wie viele Frauen sich später entscheiden, Anzeige zu erstatten. Das soll sich nun ändern: „In diesem Jahr wird dazu eine Erhebung durchgeführt, um die praktische Relevanz anonymer Spurensicherung für die Ermittlungsbehörden zu eruieren.“
Ohnehin soll das Thema Vergewaltigung näher untersucht werden. Bald wird erstmals in Nordrhein-Westfalen eine Dunkelfeldstudie zu Gewalt gegen Mädchen, Frauen, Jungen und Männer durchgeführt. Die Befragung soll Ergebnisse über Gewaltkriminalität unabhängig vom Anzeigeverhalten der Opfer oder späteren Strafverfahren liefern und das Sicherheitsempfinden im Land erfassen.
Solche Zahlen sind wichtig, denn beim Thema Vergewaltigung gibt es immer noch viele Mythen, sagt Vanessa Bell, Referentin Häusliche und sexualisierte Gewalt bei der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes: „Betroffene Frauen müssen befürchten, dass ihnen nicht geglaubt wird und durch sogenanntes „victim blaming“ die Schuld fälschlicherweise bei der Betroffenen gesucht wird.“
Bell fordert ein flächendeckendes Angebot zur anonymen Spurensicherung und dass die Beweise bis zu 20 Jahre gerichtsfest gelagert werden. „Die „anonyme Spurensicherung“ kann dazu beitragen, dass mehr Frauen sich schließlich doch gegen dieses Vergehen wehren und die Tat anzeigen. Sie ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen sexualisierte Gewalt.“
Vor Gericht wartet allerdings auf viele Frauen eine Enttäuschung. Nach Angaben von Terre des Femmes endet nur jeder zehnte Vergewaltigungsprozess mit einer Verurteilung.
Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag