Die gestrige Stichwahl hat gezeigt, dass nun drei Parteien in Nordrhein-Westfalen auf Augenhöhe zueinander sind. Sicher, vor zwei Wochen zeigte die CDU trotz großer Verluste, dass sie die stärkste Partei im Land sind. Die Grünen sind die großen Aufsteiger der Wahl, die Sozialdemokraten die Verlierer, denen der Zusammenbruch allerdings erspart blieb.
Wie seit 21 Jahren konnte die SPD den Posten des Oberbürgermeisters in Dortmund nur nach einem harten Kampf sichern. Thomas Westphal ersparte durch seinen Sieg der Partei verheerende Kommentare. Eine Niederlage in Dortmund, der Stadt, die Herbert Wehner einst als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ bezeichnete, wäre als Symbol für den Niedergang gewertet worden. So bitter die Niederlagen der SPD in Düsseldorf, Mülheim und dem Kreis Recklinghausen auch sind, sie haben weniger Symbolkraft und werden fast schon durch die Siege in Hamm und Mönchengladbach ausgeglichen.
Aachen, Bonn, Wuppertal und Köln – von Kandidaten der Grünen oder mit grüner Unterstützung eroberten gestern mehrere Chefsessel in nordrhein-westfälischen Großstädten. In Bonn und Aachen wundert das wenig: Große Unis, viele Studenten und viel öffentliches Geld sind der Garant für ein grünes Lebensgefühl. Dass die Grünen nicht auch Münster erobern konnten, eine Stadt, auf die all das auch zutrifft, zeigt, dass auch bei ihnen die Bäume nicht in den Himmel wachsen.
Stark auf dem Land ist die CDU, aber Siege in Düsseldorf, Mülheim und Oberhausen zeigen, dass die Partei auch in Städten punkten kann. Vor allem in solchen, in denen es echte Probleme gibt die darauf warten, gelöst zu werden.
Zumindest zurzeit gibt es in NRW nicht zwei sondern drei große Parteien. Aber die Zeiten, in der Parteien ihre Größe dauerhaft halten können, sind schon lange vorbei. Die Ausschläge nach oben wie nach unten werden größer und so sind Wahlen stärker als je zuvor eine Momentaufnahme. In Zeiten wirtschaftlicher Umbrüche können auch die Karten in der Politik schnell neu gemischt werden.
Mein Eindruck von der Wahl ist durch viele wechsel oder beinahe wechsel auf kommunaler ebene geprägt.
Viele Bürger wollen Veränderung und wählten die jeweilige Opposition und gerne jüngere Kandidaten.
Zu dem scheinen häufig die Personen wichtiger als die Parteien gewesen zu sein.
Das ist eine gute Entwicklung, auch wenn nicht zu erwarten ist, das die Erwartungen sich mehrheitlich erfüllen werden.
Aber an den Parteibasen rumort es gewaltig auch wenn das noch nicht reicht die jeweiligen Machtkartelle in den Landes- und Bundeszentralen zu gefährden
Vielleicht entsteht hier eine Chance für die SPD wieder zu erstarken, auch wenn ich das aus ideologischen Gründen für unwahrscheinlich halte, ist es doch der Versuch der erstmal zählt.
Und vielleicht ganz unten an der Basis keimen könnte.
Beide große Parteien CDU, und SPD haben in ihren jeweiligen Stammgebieten deutlich Federn gelassen, eine Zeichen das weder die klassische linke noch rechte Klientel mit der Politik ihrer Präferenzparteien zufrieden ist.
Das hat in manchen Großstädten zum Sieg der Grünen geführt, bei denen für mich der Beweis noch aussteht, das sie eine Regierung im Interesse aller stellen könnten.
Weil zu viele Opportunismen und darauf beruhende unrealistische Rücksichtnahmen und Widersprüche gegenüber der wählenden Klientel immer noch die Partei bestimmt, ganz abgesehen von einer viel zu linken Bundespartei.
Immerhin kann man dieses Wahlergebnis durchaus als Klatsche gegen das großkoalitionäre Gesamtklima verstehen, .auch wenn die Polarisierung an vielen Orten noch in Schuldzuweisungen der jeweiligen Gegenseite verharrt.
Ich bin aus Erfahrung eher pessimistisch eingestellt,was den Erfolg bezogen auf einen gelingenden Aufbruch angeht. Dafür stehen reale Gegebenheiten, idealistische Vorstellungen, und bevorzugte Methoden zu sehr im Gegensatz zu den Zielen, ohne das dies eingesehen würde.
Aber die Wähler haben angefangen zu suchen.
Mit dem Gegensatz zur Politik der Parteieliten ergibt sich daraus wahrscheinlich eine ungemütliche Instabilität, bis ein neuer Marsch durch die Institutionen auch diese Parteieliten ersetzt.
Erst dann wird sich abzeichnen wohin die Reise gehen wird.
Der Grund, warum Münster weiterhin einen schwarzen Bürgermeister hat, lässt sich recht schnell mit einem Blick auf die Landkarte erkennen. Zur Stadt Münster gehört noch reichlich umliegendes ländliches Münsterland. Im Stadtbezirk Mitte ist die Wahl 57% zu 43% zu Gunsten des Grünen Kandidaten ausgefallen.
Die umliegenden Dörfer bzw. Stadtbezirke, die 57% der Wahlberechtigten stellen, sind alle zu Gunsten des CDU-Kandidaten ausgegangen. Mit einer Ausnahme mit jeweils mehr als 60%.
Nachzulesen hier: https://wahlen.citeq.de/ergebnisse-1/20200913/05515000/html5/Buergermeisterstichwahl_NRW_38_Uebersicht_ortst.html
In Aachen ist die Kernstadt deutlich dominanter und stellt 63% der Wahlberechtigten, wobei hier aber auch die kleineren, ländlicher geprägten Bezirke mehrheitlich grün gewählt haben. Ich stecke jetzt nicht so in der Aachener Lokalpolitik, aber der Abstand ist schon sehr deutlich, weswegen ich da noch weitere Gründe jenseits der demographischen vermute: https://wahlen.regioit.de/1/km2020/05334002/html5/Buergermeisterstichwahl_NRW_85_Uebersicht_ortst.html
Und das Stadtgebiet von Bonn umfasst quasi keinen Speckgürtel, sondern besteht im Wesentlichen aus urbanem Raum. Ländlich geprägtere Siedlungsstrukturen finden sich hier nur jenseits der Stadtgrenze. Und innerhalb Bonns ist nur der Stadtbezirk mit den wenigsten Wahlberechtigten an die CDU gegangen: http://wahlen.bonn.de/wahlen/KW2020/05314000/html5/Buergermeisterstichwahl_NRW_55_Uebersicht_ortst.html
Persönlichkeitswahlen……..
Ich gebe zu bedenken, ob nicht vornehmlich bei OB/BM Wahlen, mehr denn je, weil naheliegend, die Persönlichkeit des Kandidaten, der Kandidaten, der Kandidatin von größerem Gewicht für die Wahlentscheidung sein könnte als dessen/deren Parteizugehörigkeit.
Es gibt m.E. Indizien, die dafür sprechen, 'mal darüber nachzudenken.
Ich werte es jedenfalls sehr positiv -der Sache wegen und meinem Vorstellung von bürgerschaftlicher Selbstverwaltung wegen-, wenn z.B. in einer CDU-Hochburg eine Grüne gewählt, in einer SPD-Hochburg ein CDUler oder in…….eine sog. Parteilose.
"Gut so", wenn es so sein sollte und "noch besser", wenn das zum Regelfall würde, meine ich.
@ el-emka:
In AC haben die Grünen 1985 oder 86 zur Kommunalwahl eine Kampagne gestartet (sinngemäß): Erster Wohnsitz Aachen. Damals haben sich tausende Studenten umgemeldet mit Erstwohnsitz AC, woraufhin im Frankenberger Viertel für die damalige Zeit sagenhafte Werte (ich meine 37%) erreicht wurden. Viele der damaligen Studenten sind in AC geblieben, haben die Arbeiterbevölkerung aus den schönen Altbauwohnungen verdrängt. Also genau die Gentrifizierung betrieben, die sie jetzt beklagen und nach und nach die Innenstadt erobert. Gerne wurde auch in den Neubaugebieten Eigetum geschaffen. Heute in dritter Generation hat sich die Klientel naturgemäß vergrößert, was zu dem bekannten Ergebnis führte.