NRW: Erfolgreicher Kampf gegen Obdachlosigkeit

Bastian Pütter (BoDo)

In den 70er Jahren war Obdachlosigkeit auch in Nordrhein Westfalen ein Massenphänomen. Dank vieler Initiativen hat sich das geändert.

Die Zahlen sind auch nach Jahrzehnten noch erschreckend: 1975 waren in NRW 86.144 allein lebende Menschen obdachlos. Dazu kamen noch einmal 6. 561 Personen, die in Familien lebten. Mehr als jeder Tausendste war damals ohne eigene Wohnung, lebte in Notunterkünften und Obdachlosensiedlungen, die oft am Rand der Städte lagen. Schon die Adresse im Ausweis zu haben, war ein Stigma, das die Arbeits- und Wohnungssuche fast unmöglich machte.

Heute, fast 40 Jahre später, hat sich die Situation verändert. 16.000 Menschen sind heute in NRW ohne Wohnung. Ein Rückgang von über 80 Prozent. Niemals nach dem zweiten Weltkrieg war die Zahl der Obdachlosen so gering wie heute.

 Eine beispiellose Erfolgsgeschichte, an der zahlreiche Initiativen, freie Träger, die Kirchen, das Land und die Städte ihren Anteil haben. Und es ist eine nordrhein-westfälische Erfolgsgeschichte, denn während bundesweit die Obdachlosenzahlen in den vergangenen Jahren wieder gestiegen sind, sinken sie in NRW weiter.

Thomas Specht, der Geschäftsführer  der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) kennt die Gründe: „NRW hat im Vergleich zu den meisten anderen Bundesländern immer  in den sozialen Wohnungsbau investiert und macht im Bereich der Prävention alles richtig. In vielen Ländern gibt es heute ein Netz an Beratungs- und Hilfestellen für Obdachlose oder von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen. In NRW ist dieses Netz besonders dicht geknüpft und das macht sich an den Zahlen bemerkbar.“

Bastian Pütter kennt Beispiele für die erfolgreiche Präventionsarbeit. Pütter ist Chefredakteur des Straßenmagazins Bodo, das von Obdachlosen im Ruhrgebiet verkauft wird. „Noch in den 70er und 80er Jahren fiel man sehr schnell in die Obdachlosigkeit. Ich kenne  Professoren, die damals auf der Straße landeten: Die Ehe war kaputt gegangen, dann kam der Alkohol, der Job war irgendwann weg, die Post wurde nicht mehr geöffnet und dass es einen Räumungsbeschluss gab, bekamen sie erst mit, als sie auf der Straße standen. Es war leicht damals, seine Wohnung zu verlieren und schwer, wieder ins normale Leben zurückzufinden. Beides hat sich geändert.“

Dafür gibt es mehrere Gründe:. Der Wohnungsmarkt in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens, vor allem im Ruhrgebiet, in dem jeder Dritte Bürger des Landes wohnt, hat sich im Vergleich zu damals entspannt. In Städten wie Bochum, Gelsenkirchen oder Duisburg gibt es keine Wohnungsnot. Im Gegenteil: Der dauerhafte Lehrstand tausender Wohnungen hat dazu geführt, dass Vermieter auch bereit sind, an Menschen zu vermieten, die in wirtschaftlich und sozial schwierigen Situationen sind.

Doch das ist nicht der Hauptgrund für den Rückgang der Obdachlosigkeit. Seit den 90er Jahren sind überall im Land zahlreiche Initiativen entstanden, haben sich Kirchen, freie Träger und die Kommunen an einen Tisch gesetzt, um das Problem anzugehen. „Es war damals offensichtlich, das gehandelt werden musste“, sagt Pütter, „in den Städten sah man verwahrloste Menschen in den Fußgängerzonen sitzen.“

Vereine wie Bodo e.V. entstanden, die Obdachlosen durch den Verkauf von Straßenzeitungen eine Alternative zum betteln boten – und ihnen so auch ihre Würde zurück gaben. Kirchen und freie Träger schafften in fast allen Städten niedrigschwellige Angebote für Obdachlose: Treffpunkte, in denen sie sich morgens duschen und ihre Wäsche waschen können. Vielen Obdachlosen sieht man heute nicht mehr an, dass sie auf der Straße leben – und an ihren Treffpunkten finden sie Sozialarbeiter, die sie nicht bedrängen, aber zum Teil maßgeschneiderte Hilfsangebote vorhalten. Dort kennt man jeden einzelnen mit Namen und weiß um seine Probleme – und kann ihn in eine Wohnung, ein Wohnprojekt oder eine Therapie vermitteln, wenn er das denn will. Aber auch bei Behördengängen sind die Sozialarbeiter behilflich. Und oft halten an solchen Orten Ärzte Sprechstunden ab.

Aber das wichtigste Mittel zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit ist die Prävention. So sinkt auch in einer Stadt wie Düsseldorf, in der die Lage auf dem Wohnungsmarkt angespannt ist, die Zahl der Obdachlosen. 8647 Menschen waren 1970 in der Landeshauptstadt obdachlos – heute sind es noch 733 Menschen, die in städtischen Unterkünften leben.

Harald Wehle, persönlicher Referent des Düsseldorfer Sozialdezernenten Burkhard Hintzsche: „Wir versuchen vor allem Obdachlosigkeit zu verhindern. Und das heißt: Räumungsklagen abwenden.“ Die Zentrale Fachstelle für Wohnungsnotfälle der Stadt berät und vermittelt, kann aber auch Mietschulden übernehmen, um so den Fall in die Obdachlosigkeit zu verhindern.

Ist alles zu spät, hält die Stadt Wohnungen für Obdachlose vor, die sie ganz normal auf dem Markt gemietet hat und in die dann Wohnungslose als Untermieter einziehen. „Dieses  „Wohnen auf Probe“ machen wir seit drei Jahren und viele unserer Klienten sind mittlerweile in die Mietverträge eingestiegen.“

Die Kommunen in NRW erhalten bei ihrer Arbeit gegen Obdachlosigkeit , als einzige in Deutschland, zudem Unterstützung vom Land. Sozialminister Guntram Schneider: „Seit 1996 unterstützt die NRW Landesregierung die Kommunen bei der Überwindung von Obdachlosigkeit und Bekämpfung von Wohnungslosigkeit. Das Aktionsprogramm gegen Wohnungslosigkeit ist zeitlich nicht begrenzt. Wir werden es aber auf der Grundlage neuerer Erkenntnisse und aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen kontinuierlich anpassen und weiterentwickeln.“

Und so könnte es gelingen, dass die Zahl der Obdachlosen in NRW in Zukunft weiter zurückgeht – auch gegen den Bundestrend.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag.

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Torti
Torti
12 Jahre zuvor

Wo es soviel gibt, über das man sich ärgern kann, ist das doch mal eine gute Nachricht….

Günter Garbrecht
Günter Garbrecht
12 Jahre zuvor

Schwarz-gelb wollte dieses erfolgreiche Programm abschaffen. Eine konzertierte Aktion von rot-grün parlamentarisch und außerparlamentarisch fifty-fifty sowie “Gemeinsam gegen Kälte“ von Beckmann hat das verhindert.
Der Düsseldorfer Karnevalswagen wo Skinhead Rüttgers das Cello von Beckmann zerstört war der krönende und erfolgreiche Abschluss. Schwarz-gelb hat die Kürzung zurückgenommen.
Den Ruhrbaronen hätte ich eine solche Erinnerung zugetraut. Bei der Welt am Sonntag bin ich drüber weggegangen.

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