So, die erste Phase Kommunalwahl in NRW ist gelaufen. In vielen Städten unseres Landes wird gerade heiß diskutiert. Zahlreiche Stichwahlen werden in zwei Wochen noch erforderlich sein um über die endgültige Besetzung der Bürgermeisterämter endgültig zu entscheiden. Das ist auch bei mir in Waltrop so. Und doch hat die gestrige Wahl hier einmal mehr vieles Grundsätzliche offenbart, was einen frustrieren, ja sogar wütend machen kann, aus meiner Sicht sogar fast muss. Und genau darüber will ich hier heute einmal schreiben…
Kurz zum Hintergrund: Waltrop liegt am Randes des Ruhrgebiets, im Kreis Recklinghausen. Das 30.000 Einwohner-Städtchen war in meiner Kindheit und Jugend in den 1980er und 1990 Jahren eine klassische SPD-Hochburg des Ruhrgebiets. Die SPD kratzte hier bei Wahlen häufig die 50 Prozent-Marke.
Dies änderte sich um die Jahrtausendwende herum. Mit steigendem Schuldenstand (Waltrop ist inzwischen Stärkungspaktgemeinde) wuchs die Unzufriedenheit vieler Bürger. So kam es, dass die Sozialdemokraten hier am Ort den Posten des Bürgermeisters an die CDU verloren. Willi Scheffers war es vorbehalten von 1999 bis 2004 das Amt zu bekleiden. Seine damalige Bilanz war wenig beeindruckend, und so folgte ihm ab 2004 mit Anne Heck-Guthe abermals eine Bürgermeisterin aus dem Kreise der SPD.
Diese wiederum konnte ihr Amt einmal erfolgreich verteidigen, wurde dann aber bei der nächsten Gelegenheit im Jahre 2014 abgewählt, weil der Ärger der Bürger über den fortschreitenden Niedergang der Stadt zu groß wurde.
Völlig überraschend wählten die Waltroper damals Nicole Moenikes von der CDU in das Amt, die zuvor in der Lokalpolitik keinerlei Rolle spielte. Nach weiteren sechs Jahren sieht es derzeit so aus, als sei auch ihre Zeit auf dem Chefsessel im Rathaus in Kürze wieder vorbei. Am Sonntag zog sie mit 35,7 Prozent gegenüber dem neuen SPD-Herausforderer Marcel Mittelbach mit 46,7 Prozent klar den Kürzeren, dürfte mit elf Prozentpunkten Rückstand in der Stichwahl keine realistische Chance mehr auf eine Trendwende haben. Zumal sich aus dem Rennen ausgeschiedene Mitbewerber schon eindeutig für Mittelbach bei der Stichwahl ausgesprochen haben. OK, soweit die Vorgeschichte.
Warum ich das hier heute ausbreite? Weil dieses Beispiel sehr schön zeigt, was einen an Politik aufregen kann.
Da hatte die SPD also zwischen 2004 und 2014 zehn Jahre lang Zeit Waltrop aus dem sich schon damals immer mehr beschleunigenden Niedergang herauszuführen. Es gelang ihr nicht. Der Ärger über die Politik vor Ort wuchs so sehr, dass die Waltroper nach zehn Jahren Anne Heck-Guthe die vergleichsweise unbekannte Nicole Moenikes vorzogen, ihr das Amt im Rathaus übertrugen. Dazu gewann die Partei im Rat eine knappe Mehrheit. Alles war also bereit für eine politische Trendwende, die dann aber trotz diverser Ankündigungen im Wahlkampf nicht wirklich erfolgte.
Trotz großer Wahlversprechen und Sprüche zum Auftakt ihrer Amtszeit legte CDU-Frau Moenikes eine wenig erfolgreiche Legislaturperiode hin. Waltrop geht es aktuell nicht wirklich besser als vor sechs Jahren. Viele Themen von einst (B474n, NewPark, Schulden, Datteln 4 usw.) sind nicht nur nach wie vor ungelöst, sie haben sich zum Teil sogar ausgeweitet bzw. vergrößert.
Der Niedergang der Stadt, den die SPD über zehn Jahre hinweg nicht stoppen konnte, ging auch unter sechs Jahren CDU-Führung weiter.
Jetzt also die abermalige Kehrtwende, so wie es aussieht. Wenn aus CDU-Sicht kein Wunder mehr geschieht, geht Waltrop mit Bürgermeister Mittelbach in die nächsten Jahre. Auch dieser gab sich im Wahlkampf wieder so, als habe er nun das Rezept für einen Weg aus der tiefen Krise parat. Und das in einer Stadt, die zu den höchstverschuldeten Städten (pro Kopf) in NRW gehört.
Die verbliebenen Handlungsmöglichkeiten im Rathaus sind marginal. Auch weil die SPD es über Jahre versäumt hat entschieden gegenzusteuern, die Neuverschuldung rechtzeitig zu stoppen. Plötzlich wird aber wieder so getan, als wäre die Zukunft rosig, als würde jetzt mit neuer Führung alles besser.
Was für ein Quatsch!
Am Sonntag kursierten Bilder im Internet, die mir die Zornesröte ins Gesicht trieben. Da freuten sich Lokalpolitiker und Bürger, als wäre Waltrop nun gerettet und könnte dem schleichenden Niedergang in Kürze erfolgreich entkommen.
Genau das wird aber nicht der Fall sein, dessen kann man sich sicher sein.
Die Wähler strafen hier schon seit Jahren regelmäßig Lokalpolitik für ihr Versagen ab, übertragen ihre Hoffnungen und ihr Vertrauen auf die vermeintlich erfolgversprechendere Alternative, ohne das bisher jemand, egal ob unter SPD- oder CDU-Führung, am Ende wirklich etwas erreicht hätte.
Das Vorurteil, dass wir Wähler ein recht kurzes Gedächtnis haben sollen, es wird hier alle paar Jahre neu bestätigt.
Offenbar wirkt es immer noch, schlicht zu behaupten man wisse es besser als der aktuelle Amtsinhaber, könne die Stadt aus der Misere führen.
Die Chancen, dass in ein paar Jahren dann die nächste Protestwahl folgt, der dann amtierende Verwaltungschef wieder von frustrierten Wählern abgewählt wird, sie stehen abermals gut.
Wie man in Anbetracht solcher Erlebnisse in der Vergangenheit fröhlich durch die Gegend hüpfend einen vermeintlichen Wahlsieger abfeiern kann, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lediglich der nächste in die Reihe der ‚Versager‘ sein wird, es ist mir ein völliges Rätsel.
Die Naivität vieler Zeitgenossen erscheint grenzenlos. Und das längst nicht nur bei mir vor der Haustür in Waltrop, wie ich befürchte…. Einfach immer wieder erschreckend!
Leider kenne ich Waltrop nur von Besuchen des Schiffshebewerkes oder eines gelegentlichen Cafébesuches – mann kann nämlich in der Umgebung sehr schön spazieren gehen!
Gleichwohl lese ich Ihre Beiträge zur Lokalpolitik immer mit Interesse, weil die Zustände in Waltrop die Probleme des Ruhrgebietes wie in einem Brennglas zusammenfassen.
Heute beklagen Sie nun die "Naivität" der Waltroper Wähler, die Sie "wütend machen kann". Das verstehe ich. Aber Ihre Begründung verstehe ich nicht. Daß es nicht hilft, alle vier Jahre konzeptionslose SPD-Kandidaten gegen genauso konzeptionslose CDU-Kandidaten auszutauschen – da gebe ich Ihnen Recht. Aber was wäre die Alternative? Die bei den RUHRBARONEN zu Recht wenig geliebten Grünen oder die mit noch mehr Recht verachtete AfD in den Chefsessel zu heben?
Das ist eben das Problem einer Demokratie, die schon auf der untersten Ebene nur noch aus Berufspolitikern besteht, die Wahlen auch und vor allem als einen weiteren Schritt auf der Karriereleiter sehen, und munter von Posten zu Posten wechseln. Von daher ist von einer echten Kommunalpolitik, die vordringlich an der Lösung kommunaler Probleme interessiert ist, nur in seltenen Fällen ernsthaft zu reden. Und das ist eben nicht nur in Waltrop so.
Um die (!) Karren aus dem Dreck zu ziehen wäre vielleicht eine überparteilich getragene Verwaltung durch unabhängige Experten eine mögliche Lösung. Aber das ist anderswo schon mal versucht worden und hat letztlich auch nur populistische Parteien hochgespült – siehe Italien.
Eine Lösung fällt mir leider nicht ein. Aber eine bloße 'Wählerbeschimpfung' ist mir da zu wenig …
@discipulussenecae:
Schön, dass die Beiträge auf Interesse stossen und größtenteils auch Ihrer Meinung/Erfahrung entsprechen.
Zur Kritik:
1. Als 'Beschimpfung' der Wähler sehe ich das nicht. Vielmehr würde ich mir wünschen, dass die Leute, die sich gestern so erfreut gezeigt haben, einmal darüber nachdenken, warum wir hier inzwischen seit Jahrzehnten nicht aus der Krise herauskommen und lediglich alle paar Jahre die Bürgermeisterposition neu besetzen.
2. Eine Patentlösung habe ich leider auch nicht. Vermutlich wird sich erst Grundlegendes verändern müssen, bevor es besser wird. Städte wie Waltrop haben eine düstere Zukunft, fürchte ich. Erst recht, wenn nach der Conrona-Pandemie noch mehr gespart werden muss. Hier ist ja jetzt schon fast alles verfallen und sanierungsbedürftig.
3. Meine Taktik gegen den Ist-Zustand ist, dass ich trotz allem 'Frust' noch immer zur Wahl gehe und dann halt Parteien wähle, die mir am ehesten eine Veränderung des eingefahrenen Klüngels zu versprechen scheinen. Viele in meinem Umfeld haben sich inzwischen komplett zurückgezogen, gehen insbesondere bei den Kommunalwahlen gar nicht mehr wählen, weil sie sich über die Politik ärgern. eine Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent spricht ja auch Bände. Leiderwird das kaum beachtet. Einen Rückzug von den Wahlurnen aus Frust will ich für mich vermeiden. Aber ich gebe zu, auch mir fällt es immer schwerer zu entscheiden, wer am Wahltag mein Kreuz bekommen soll.
@ Robin Patzwald:
Der Begriff 'Wählerbeschimpfung' sollte eine augenzwinkernde Anspielung auf Peter Handkes 'Publikumsbeschimpfung' sein. Vielleicht ist mir die bei diesem ernsten Thema nicht ganz so gut gelungen.
Ansonsten gebe ich Ihrer Replik völlig Recht!
@2/3.
Dann unterscheidet sich Ihre Taktik ja keinen Millimeter von der Taktik der anderen waltroper Wähler,und auch Sie würden sich freuen, wenn Ihre Stimme zum Ziel geführt hätte oder hat.
Wahl ist immer ein Stück Hoffnung und ein Stück Abstrafe. Denn Hellsehen kann niemand.
@4: Naja, der Unterschied ist nur, dass mir in Anbetracht des gestrigen Ergebnisses absolut nicht zum Feiern ist heute. Ich sehe gar keinen Grund dafür. Waltrop wird weiter abstürzen. Die 'kleinen Parteien' sind alle zu klein geblieben um den 'Großen' wirklich Feuer machen zu können. Und echte Alternativen sind nicht zu sehen. Ein Wechselspiel zwischen SPD- und CDU-Führung bringt uns nicht weiter, wie die vergangenen Jahre eindeutig gezeigt haben. Beide haben ja schon über viele Jahre gezeigt, dass sie keinen Ausweg finden.
Zum Feiern gibt es allerdings den Grund, dass dieser unsägliche Porsche völlig durchgefallen ist. Bei dem hatte ich den Eindruck, er wollte nur die dicke Pension mitnehmen, die einem BM nach einer Amtszeit zusteht…
Der gerade beendete Kommunalswahlkampf 2020 war für mich eher ein Kommunalwahlkrampf. Irgendwie in vielen Städten war die ganze Sache sehr blutleer und inhaltslos, wobei viele Plakate vor Ort nach dem Muster:
"Mehr Friede, mehr Freude, mehr Eierkuchen für die Stadt XXX"
gestrickt waren. Lust an der Diskussion über die diverse Themen in den Städten außerhalb des Corona-Blockes gäbe es massenhaft, sie scheinen den gemeinen Wahlkämpfer aber nicht interessiert zu haben.
In verschiedenen Städten des Ruhrpotts habe ich den letzten Wochen ein Plakat der Satire-Partei "Die Partei" gesehen, die diesen Punkt gut aufgegriffen hat:
Wählt die PARTEI. Sie ist sehr gut!
Robin Patzwald – mit Verlaub gesagt: das ,kratzt ja mal gerade an der Oberfläche. Wenn überhaupt. Warum Waltrop so tickt, wie es tickt – dazu würde es mannigfaltiger Beiträge vieler Autoren bedürfen. Wo verortet sich beispielsweise eine Stadt, in deren Mitte ein Kiepenkerl steht?! Warum kein Bergmann? Über die Trivialität von Kunst im öffentlichen Raum möchte ich keine Debatte eröffnen. Aber was sind wir denn nun: Münsterländer oder Ruhrpottler? Damit fängst alles schon an.
@Bernd Overwien: Ja, sicher. Waltrop diente mir hier ja auch nur als ein Beispiel. Ich finde es schlicht erschreckend, wie viele Leute hier am Ort nun offenbar ernsthaft glauben, mit einem anderen Bürgermeisterwürde es besser. In anderen Gemeinden dürfte das ähnlich aussehen. Und die Geschichte geht ja noch weiter. Diese Kindereien, die in dieser Woche hier in Waltrop im Wahlkampf im Netz zu beobachten sind, die machen mich echt sprachlos. Da zweifelt man echt am Verstand einiger Protagonisten. Und nach der Stichwahl geht das alte Trauerspiel dann (so oder so) wieder jahrelang weiter. Wetten? 😉
[…] So kann das gehen. Eigentlich hielt ich das Thema ja schon für abgehakt. Nachdem klar wurde, dass SPD-Bürgermeisterkandidat Marcel Mittelbach mit rund 1.500 Stimmen Vorsprung auf Amtsinhaberin Nicole Moenikes (CDU) in die Stichwahl am kommenden Sonntag gehen würde, schien der Drops gelutscht. […]
Die Wahl liegt zwischen Erdäppeln und Pellemännern …..wie im Kunstgeschmack
von Bernd Overwien. S.O. Als Münsterländer Ruhrbaronin erschreckt es mich arg zu sehen
wie noch fast Kinder,ehedem betreut durch die Ex Bürgermeisterin der SPD einen vermeintlichen Bürgermeister Wahlsieg verfeuern. Hurra wie beim abgeschossenen Schützenfestvogel.
Politische Verantwortungsübernahme setzt Bildung und somit ECHTES Wissen voraus.
Wie künstlerisches Know how Bergmann und Kiepenkerl Hand in Hand DARSTELLEN SOLLTE.
Weil ALTBEKANNTES TRADITIONELLES GUTES WISSEN
NIEMALS HEUTIGER DUMMHEIT GEOPFERT WERDEN DARF. M.M.n. der wichtigste Aspekt, der unseren wie auch immer chatierten Grünen gänzlich fehlt.
[…] Was also soll ein Bürgermeister Marcel Mittelbach jetzt bitteschön spürbar besser machen als seine Vorgängerin? […]
[…] Auch menschlich hatten mich diese ersten Jahre als Blogger verändert. Hoffte ich am Anfang meiner Zeit als Autor immer noch möglichst wenig kritisiert zu werden, habe ich im Laufe der Zeit nicht nur immer mehr Selbstvertrauen entwickelt, ich hatte irgendwann sogar regelrecht Spaß an Kontroversen, habe auch meine Art zu schreiben verändert, es vielfach auf Widerspruch angelegt. […]