Endlich. Ich hatte schon geglaubt, der Wahlkampf würde so harmonisch weitergehen, wie bisher. Da verteilen Hanni und Nanni, also Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann, fröhlich Ostereier auf einer gemeinsamen Veranstaltung. Differenzen zwischen Roten und Grünen werden durch eine süße Harmoni-Marmeladenschicht übertüncht. Die Linken beschäftigen sich selbst mit ihrem Untergang, FDP-Chef Lindner und die Piraten mit ihrem persönlichen Ego – und Röttgen sucht verzweifelt nach einem Mitglied in seinem Schattenkabinett, bei dessen Präsentation man nicht gähnen muss. Doch dann kam die Gothaer-Gruppe aus Köln.
Man muss manchmal arg zweifeln an der Sensibilität eines Unternehmens. Nicht etwa, dass es in der Vergangenheit nicht immer wieder Schützenhilfe für amtierende Mandatsträger oder Möchte-Gern-Amtsträger durch Firmen oder privaten Wahlkampf-Initiativen gegeben hätte. Doch bisher geschah dies immer im Hinterzimmer-Stübchen, über Strohmänner und tote Briefkästen. Doch nicht nur in Sachen „Wohlfühlwahlkampf“ scheint der aktuelle NRW-Wahlkampf neue Standards zu stecken – auch was die direkte Beeinflussung und Kampagnen-Willigkeit einiger Unternehmen angeht.
Die Gothaer-Versicherung ist nun mit einem lauten Halali in den Wahlkampf gezogen und hat sich als Feindbild den NRW-Umweltminister Johannes Remmel von den Grünen ausgesucht. Das tut die Versicherungsgruppe aber nicht dezent oder subtil, sondern mit voller Breitseite. Die Rheinische Post hat den Skandal nun aufgedeckt (http://nachrichten.rp-online.de/regional/kampagne-gegen-jagdgesetz-1.2796563 ):„Kampagne gegen Jagdgesetz“ ist der Titel des Artikels – und er schlägt Wellen.
In dem Brief vom 12. April mit offiziellem Briefkopf der Versicherungsgruppe wirbt der Vorstandsvorsitzende der Gothaer Versicherungsbank für eine Spendenaktion bei den Empfängern. Konkret geht es dafür, dass die Versicherungsbank mit dem Chef des Landesjagdverbandes, dem CDU-Politiker Jochen Borchert, Geld sammelt für eine Kampagne gegen ein geplantes Gesetz der NRW-Landesregierung. Aus diesem Grund wird in dem Brief derart getrommelt, dass sich die Balken biegen. Vom „Ende der Jagd“ ist dort zu lesen. „Niederwildjagd soll komplett verboten werden“, geht es weiter. Und, so schließt der Brief: „Mit Ihrer Spende entscheiden Sie mit über den Erfolg – und über die Zukunft unserer Jagd in Deutschland!“ Sogar eine eigene E-Mail-Adresse sicherte die Gothaer-Versicherung der Kampagne zu „jagd-nrw@gothaer.de“. Also geht es hier nicht nur um einen Spendenaufruf, sondern auch um organisatorische Unterstützung – und das mitten in Wahlkampfzeiten.
Es ist nicht die einzige Polit-Kampagne im Land, hinter der die Jäger vermutet werden. Auch der massive Widerstand gegen den geplanten Nationalpark im Teutoburger Wald, der vom dortigen CDU-Landrat Heuwinkel favorisiert wird, soll maßgeblich von der Jägerschaft angetrieben worden sein – allerdings dezenter. Der Fall „Gothaer“ hat da eine ganz andere Dimension.
Entsprechend fallen die Reaktionen aus. Minister Remmel tobte: „Es ist ein bedenklicher Vorgang, dass ein Unternehmen in Wahlkampfzeiten derart mobil gegen eine Landesregierung macht“, ließ der Grünen-Politiker verlauten. Der Minister forderte die Versicherungsgruppe auf, alle Spenden (wohl auch Parteispenden an CDU und FDP) an die Kampagne gegen das ökologische Jagdgesetz schnellstens offen zu legen. „Wider besseren Wissens werden hier zudem Behauptungen aufgestellt, die einfach falsch sind. Das ist eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit. Es gibt bislang weder einen Entwurf noch Eckpunkte für die Novellierung des Jagdgesetzes“, betonte Remmel.
Der Naturschutzbund wird noch deutlicher: Er fordert den Rücktritt des amtierenden Gothaer-Chefs. „Dass der Vorstand der Gothaer jetzt aktiv in den NRW-Wahlkampf eingreift und den Landesjagdverband in seinen Bemühungen unterstützt, eine von SPD und Grünen geplante Änderung des Landesjagdgesetzes zu verhindern, ist aus Sicht des NABU ein Skandal“, sagt Josef Tumbrinck, Vorsitzender des NABU NRW. Mit Hilfe von Falschaussagen würde hier ein Versicherer versuchen Panikmache und Wahlkampf zu Gunsten einer Interessengruppe zu betreiben. „Ich fordere den sofortigen Rücktritt des dafür verantwortlichen Vorstandsvorsitzenden Dr. Werner Görg.“
Görg und Bochert hingegen bestritten gegenüber der Rheinischen Post nicht, die Kampagne bewusst vorangetrieben zu haben. Eine Einmischung in den Wahlkampf mit einem Brief vom 12. April, wird hingegen bestritten. Die Entscheidung für die Kampagne sei schon gefallen, als die Neuwahlen noch nicht absehbar gewesen seien. Das Datum der Briefe allerdings zeigt den 12. April und niemand zwingt einen Gothaer-Manager, Brief auch dann rauszuschicken. Hätte Herr Görg einen Monat gewartet, wohl niemand hätte dies jetzt zum Skandal aufgebauscht.
Der Skandal wirft daher nicht nur Fragen auf, wie es die Gothaer mit Wahlkampf-Unterstützung hält (und möglichen Parteispenden an CDU und FDP). Auch die Versicherer müssen sich fragen lassen, ob sie es zulassen, dass ihr Geld für eine solche Pro-Jagd-Kampagne ausgegeben wird. Brisant ist der Brief auch fürs Land selbst: Denn der frühere CDU-Agrarminister Borchert ist nicht nur Präsident der Jägerschaft in NRW. Er ist auch Präsident der landeseigenen NRW-Stiftung Natur-Heimat-Kultur. Kaum vorstellbar, dass die Landesregierung nach der Wahl Herrn Borchert auf diesem Posten belässt – und welche Versicherungen die Landesverwaltung derzeit bei der Gothaer hat, wird derzeit nach gut informierten Kreisen auch überprüft. Möglicherweise wird es schon bald zwei Verlierer des ersten Eklats in diesem Wahlkampf geben – Borchert verliert das Amt des Stiftungspräsidents und die Gothaer das Land als Versicherungskunden. Da kann man nur laut ausrufen: Halali. Der Bock ist tot!
Dokumentation:
Der Jagd_Brief der Gothaer.
Kuriose Stellungnahme der Gothaer………
WDR.de: Die Gothaer zeigte sich angesichts der Aufregung relativ unbeeindruckt. Der Versicherer mit Sitz in Köln ist Marktführer in der Jagd-Haftpflichtversicherung in Deutschland und Versicherungspartner für zahlreiche Jagdverbände. Das Unternehmen habe deswegen ein wirtschaftliches Interesse daran, dass die Jagd auch weiterhin zulässig ist. Zudem sei keine Beeinflussung des Wahlkampfs bezweckt gewesen. „Der Brief wurde angestoßen, bevor bekannt wurde, dass es zu Neuwahlen kommt“, so eine Sprecherin der Gothaer.
[…] NRW: Mit lautem Halali gibt es den ersten Eklat im Wahlkampf (Ruhrbarone) – […]
Nun hatte mich die Überschrift neugierig gemacht – Eklat, nun gut. Aber wo der im Text angesprochene Skandal sein soll, ist mir nicht klar geworden. Gewerkschaften haben früher die SPD im Wahlkampf unterstützt, die Kirche tat es bei der CDU. Der Skandal findet eben nicht statt, da die Gothaer ganz offen agiert, und nicht versteckt.
Jäger wollen sich ihren Spaß nicht nehmen lassen.
Die Jägerschaft erlegt im Jahr Niederwild in Millionenhöhe.
In der Presse erscheinen Artikel der Jagdzunft, der Fuchs würde das Niederwild gefährden.
Das ist gelebtes Paradoxon.
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