Der Einzug der Piratenpartei in das Berliner Abgeordnetenhaus sorgt auch bei ihren Parteifreunden in NRW für Aufbruchstimmung.
Kai Schmalenbach wirkt kein Stück müde an diesem Montag. Gestern noch hat der stellvertretende Vorsitzender der Piratenpartei NRW mit seinen Parteifreunden in Berlin den sensationellen Einzug in das Abgeordnetenhaus gefeiert und heute eilt er von Interview zu Interview.
„Das Berliner Ergebnis gibt uns Auftrieb. Jetzt wird niemand mehr verwundert die Augen reiben wenn er uns sieht und fragen „Die Piratenpartei gibt es wirklich?“
Schmalenbach hat , wie viele Piraten aus NRW, den Berlinern im Wahlkampf geholfen: „Uns wurden die Flugblätter zum Teil aus der Hand gerissen. Ich habe so etwas noch nie erlebt.“ Euphorie schwingt in der Stimme des 41jährigen mit. Sein Beruf? „Systemadministrator“, sagt er mit lautem Lachen. „Ich erfülle das Klischee.“
1917 Mitglieder hat die Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen und nach den Erfolgen des Jahres 2009 – fast ein Prozent bei der Europawahl und zwei der Bundestagswahl – war es ruhig um die Partei geworden. Sie galt als Ein-Themen-Partei, ein Zusammenschluss von Computerfreaks, die sich vor allem für das Recht auf Raubkopien und ein Internet ohne Sperren einsetzen. Schmalenbach kennt diese Meinung über die Piraten: „Es stimmt schon, wir sind sehr engagiert, was Bürgerrechte im Internet betrifft und haben sicher auch mehr als andere Parteien im Blick, wie sich die Digitalisierung auf alle Bereiche der Gesellschaft auswirkt, aber das st längst nicht alles was wir zu bieten haben.“
Zur Landtagswahl 2010 war die Bildungspolitik der Schwerpunkt des Wahlprogramms. „Wie soll denn dieses Land seinen Wohlstand halten, wenn nicht entschieden mehr in die Bildung investiert wird? Die Pisa-Studie zeigt doch, was für große Defizite Deutschland in diesem Bereich hat.“
In anderen Bereichen war das Programm noch dünn: Der Umweltteil bestand aus ein paar Floskeln über Nachhaltigkeit und im schmalen Wirtschaftsteil fand sich immerhin eine Forderung, welche die Herzen viele vor allem kleiner Unternehmer höher schlagen lassen wird: Das Ende des Kammerzwangs.
Eine für die Piraten nicht untypische Forderung: Der Staat soll sich nicht unnötig in das Leben der Bürger einmischen, die Menschen vor der Macht des Staates geschützt werden. Ein gewaltiger Unterschied zum Menschenbild der Grünen, denen die Piraten in Berlin die meisten Stimmen abgenommen haben und deren größte Konkurrenz sie sind: Die Piraten wollen, dass ein transparenter Staat den Rahmen bietet, in denen sich die Menschen entfalten können. Die Grünen führen sich indes als Volkserzieher auf, die wissen, wie das richtige Leben auszusehen hat: Mit möglichst wenig Wurst, ohne Zigaretten und Alkohol. Und mit einer strikten Überwachung, ob denn der Bürger seinen Müll ordentlich getrennt hat.
„Wir sind eine sozial-liberale Partei und wir sind offen. Wir wissen, das unser Programm noch weiter ausgearbeitet werden muss und wollen die Bürger einladen, mitzumachen.“
Eine Politik, die durchaus eine Basis für einen längerfristigen Erfolg sein kann: „Die Grünen“, sagt der Politologe Gerd Langguth zur Welt am Sonntag, „wirken im Vergleich zu den Piraten alt. Es wird darauf ankommen, ob sich die Fraktion in Berlin vernünftig verhält oder sich blamiert.“ Ob sich der Erfolg der Piraten in NRW wiederholen lässt? Langghut ist skeptisch: „In einem Flächenland haben es kleine Parteien schwerer als in Stadtstaaten, aber ausgeschlossen ist es nicht.“
Schmalenbach sieht aber auch Probleme nach dem Berlin-Erfolg:: „Wir müssen jetzt darauf achten, wer bei uns eintritt.“ Fälle wie den des ehemaligen Funktionärs Bodo Thiesen, der Verständnis für Holocaust-Leugner zeigte und den die Partei seit zwei Jahren versucht rauszuwerfen, sollen sich nicht wiederholen. „Ich hoffe“, sagt Schmalenbach, „das Thiesen endlich rausfliegt. So jemand hat bei uns nichts zu suchen.“
Kai Schmalenbach sieht optimistisch in die Zukunft: „Ich glaube zwar nicht, dass es im kommenden Jahr zu Neuwahlen in NRW kommt, weil die Linke rot-grün nicht scheitern lassen wird, aber wenn, sind wir bereit.“
Bereit sind auch die Piraten in Aachen: Acht Mitglieder und Anhänger treffen sich dort einmal die Woche in einem Restaurant in die Altstadt. Der Arbeitskreis Lokalpolitik unterstützt den Aachener Rats-Piraten Thomas Gerger. Er ist eine von zwei Mandatsträgern der Partei in NRW. Ein weiterer Pirat sitzt im Münsteraner Rat.
Udo Pütz gehört zu dem Arbeitskreis: „Wir helfen Thomas, als Einzelkämpfer hat er es schwer im Rat.“ Die Mitglieder besuchen Ausschüsse, arbeiten sich durch Ausschussunterlagen und erstellen gemeinsam mit Gerger Anträge und Anfragen. „Im Moment“, sagt Gerger, „konzentriere wir uns auf das Thema Bürgerhaushalt.“ Ein klassisches Piratenthema: Die Stadt soll den Bürgern ermöglichen sich in dem komplizierten Haushaltsgebilde zurecht zu finden und so eigene Vorschläge zu machen. „Das was die Stadt vorhat“, sagt Gerber, „wird eine Alibiveranstaltung. Die Bürger werden nicht die Informationen erhalten, die sich brauchen, um wirklich mitdiskutieren zu können und wir glauben, das ist den meisten Politikern auch ganz recht so.“ Nicht den Piraten, die nun im Rat und auf den Straße Aachens dafür sorgen wollen, dass die Bürger künftig eigene Ideen zum Haushalt einbringen können, die auch beachtet werden.
Die acht vom Arbeitskreis Kommunalpolitik sind unendlich weit weg von all den Vorurteilen, die gegen die Piraten im Umlauf sind: Spaßpartei, Chaoten, Ein-Punkt-Partei – hier erarbeiten such künftige Politiker das Wissen, um nach der nächsten Kommunalwahl im Rat mitreden zu können – und in den wollen gleich mehrere Mitglieder des Arbeitskreises.
Das die Piraten nur in Münster und Aachen im Rat sitzen und dann auch nur mit jeweils einem Mandat war der Geschwindigkeit geschuldet, mit der sich damals diese beiden Kreisverbände nach dem Erfolg der Europawahl dazu entschlossen, anzutreten. In Aachen gab es noch nicht einmal genug Kandidaten für alle Wahlbezirke – sonst wäre Gerger nicht zum Einzelkämpfer geworden, sondern hätte gute Aussichten gehabt, Teil einer Piratenfraktion zu sein.
Von denen könnte es nach der nächsten Kommunalwahl viele im Land geben. Zumindest der Einzug der Piraten in die Räte der Universitätsstädte ist wahrscheinlich – allein die Ergebnisse der Piraten in den Städten bei der vergangenen Bundestagswahl würden dafür locker ausreichen.
Mit den Piraten ist eine liberale, staatskritische und technikaffine Partei dabei, sich zu etablieren. Ob ihr das am Ende gelingt, ist vollkommen offen. Aber auf ihre Fragen nach der Macht des Staates über den Einzelnen, die Transparenz der öffentlichen Verwaltungen und der Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger müssen sich seit dem vergangenen Sonntag alle Parteien Antworten einfallen lassen.
Der Artikel erschien in ähnlicher Version bereits in der Welt am Sonntag.