NRW sollte seine Wasserstoff-Fantasien beerdigen

Werk von Thyssenkrupp in Duisburg Foto: Arnoldius Lizenz: CC BY-SA 3.0

Die NRW-Landesregierung sollte vor fünf Jahren beschrittenen Wasserstoff-Irrweg aufgeben und sich an die Arbeit machen, realistische energiepolitische Rahmenbedingungen für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen zu schaffen.

Es sind Sätze, die heute bestenfalls Kopfschütteln hervorrufen: „Das Ziel, die industriellen Prozesse in Nordrhein-Westfalen bis 2050 annähernd klimaneutral zu gestalten, kann nur durch den Einsatz von Wasserstoff erreicht werden. Wasserstoff bietet uns riesige Chancen auf dem Weg zu einer grünen und modernen Industrie: Konsequent eingesetzt, können wir damit in Zukunft ein Viertel unserer heutigen CO2-Emissionen einsparen. Auch wirtschaftlich erwarten wir einen Schub: Bis zu 130.000 zusätzliche Arbeitsplätze können in Nordrhein-Westfalen entstehen. Dazu müssen wir jetzt die Voraussetzungen schaffen: Der Aufbau eines Wasserstofftransportnetzes muss zügig in den Regulierungsbereich des Energiewirtschaftsgesetzes aufgenommen werden. Dazu haben wir am vergangenen Freitag einen Bundesratsbeschluss herbeigeführt, der notwendige gesetzliche Änderungen enthält. Der Bund muss jetzt liefern.“

Gesagt hat sie damals, am 9. November 2020, kein Öko-Lobbyist oder ein Politiker der Grünen, sondern der damalige Landeswirtschaftsminister Andreas Pinkwart, ein FDP-Politiker. Es war keine Show, Pinkwart schwärmte auch in Hintergrundgesprächen für grünen Wasserstoff. Und es stimmt ja auch: Wasserstoff kann man in der chemischen Industrie verwenden, in Stahlwerken, er kann in Kraftwerken Strom erzeugen und Autos antreiben. Wenn er mit erneuerbarer Energie oder – was in Deutschland schon aus ideologischen Gründen nie ein Thema war – Kernenergie erzeugt wird, ist er CO2-frei. Aber es gibt ein Problem: Grüner Wasserstoff ist so teuer, dass sich sein Einsatz nicht lohnt. Eine Kilowattstunde Strom, die in einem mit grünem Wasserstoff betriebenen Kraftwerk produziert wird, kostet 49 Cent. Mit Gas läge der Preis bei elf Cent. Grüner Wasserstoff ist das Phantasma der Energiewende, sein Einsatz ist wegen seiner Kosten unbezahlbar.

Pinkwart stellte damals die Wasserstoff-Roadmap des Landes Nordrhein-Westfalen vor. Sie lebt bis heute weiter, zum Beispiel in der Energie- und Wärmestrategie, die im vergangenen Jahr von der nun schwarz-grünen Landesregierung vorgestellt wurde. Darin heißt es zum Thema Wasserstoff: „Nicht immer wird eine direkte Elektrifizierung möglich oder wirtschaftlich tragfähig sein. In diesen Fällen wird Wasserstoff eine verlässliche und nachhaltige Energieversorgung sicherstellen. So wird Wasserstoff zum zweiten zentralen Energieträger in Nordrhein-Westfalen: für die Industrie, im Verkehrsbereich, beim Betrieb von Kraftwerken zur Absicherung der Strom- und Wärmeversorgung. Hierfür legt das grundsätzlich bis zum Jahr 2032 zu errichtende Wasserstoffkernnetz eine wesentliche Grundlage.“

Es ist an der Zeit, dass das Land die Wasserstoff-Fantasien beerdigt. Eon hat sich längst von seinen Plänen verabschiedet, im Essener Stadthafen einen Elektrolyseur zur Herstellung von Wasserstoff zu bauen. Von der Wasserstoffproduktion in Deutschland hält das Unternehmen mittlerweile nicht mehr viel. Im aktuellen Energy Playbook des Unternehmens steht zum Thema Wasserstoffproduktion: „Aus wirtschaftlicher Sicht ist es am kosteneffizientesten, die Wasserstoffproduktion in Regionen zu konzentrieren, die dafür am wettbewerbsfähigsten sind, und den Wasserstoff anschließend zu den Nachfragezentren zu transportieren. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Arten der Wasserstoffproduktion sollte beachtet werden, dass blauer Wasserstoff kurz- bis mittelfristig Kostenvorteile gegenüber der Produktion von grünem Wasserstoff aufweist.“ Den Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur, die kaum gebraucht wird, zu verzögern, ist für Eon heute eine Möglichkeit, die Kosten der Energiewende zu senken.

Nicht nur Eon hat seine Wasserstoffpläne weitgehend begraben. Auch Thyssenkrupp-Chef Miguel López sieht die sich im Aufbau befindende und mit bislang zwei Milliarden Euro Steuergeld subventionierte Produktion am Stahlstandort Duisburg zunehmend kritisch. Die WAZ zitiert López‘ Rede vor dem Wirtschaftsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags: „Unter den gegebenen Rahmenbedingungen ist nicht sichergestellt, dass wir die Anlage in absehbarer Zeit wirtschaftlich betreiben können.“ Bei dem Projekt bewege sich das Unternehmen „nicht nur an der Grenze des technologisch Machbaren“, erklärte der Thyssenkrupp-Chef. „Wir bewegen uns derzeit auch an der Grenze der Wirtschaftlichkeit – oder Stand heute: jenseits davon.“

Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group kommt in einer heute veröffentlichten und gemeinsam mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie erstellten Studie zu dem Ergebnis: „Anstatt sich vorauseilend allein auf grünen Wasserstoff zur Dekarbonisierung von Backup-Kraftwerken für die ‚letzte Meile‘ festzulegen, sollten auch andere und absehbar günstigere Lösungen wie Batterien, biogene Energieträger und Carbon Capture and Storage (CCS) ermöglicht werden.“

Die NRW-Landesregierung sollte vor fünf Jahren beschrittenen Wasserstoff-Irrweg aufgeben und sich an die Arbeit machen, realistische energiepolitische Rahmenbedingungen für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Dass man bei der Gelegenheit schon allein viel Steuergeld einsparen kann, wenn man die verschiedenen Förderprogramme zusammenstreicht und die vielen vollkommen überflüssigen Jobs in den verschiedenen Wasserstoff-Netzwerken und Hubs streicht, die niemand braucht und die vom Land mitfinanziert werden, wäre ein angenehmer Begleitnutzen.

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