NRW: Verunsichert Innenminister Jäger die Polizei-Einsatzleiter?

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Nicht nur bei den Krawallen von Rechtsradikalen und Hooligans in Köln war zu wenig Bereitschaftspolizei im Einsatz. Spart NRW-Innenminister Ralf Jäger auf Kosten der Sicherheit der Bürger und Polizeibeamten?

Als der Nazi-Hooligan Siegfried Borchardt, Spitzname SS-Siggi, mit einem Pulk von Dortmunder Neonazis am Sonntag vor zwei Wochen aus dem Kölner Hauptbahnhof kam, um sich der Hooligans- gegen Salafisten Demonstration auf dem Breslauer Platz anzuschließen, machten sie aus ihrer Gesinnung keine Geheimnis: „Frei Sozial und National“ erschallte ihr Ruf über den Platz. Den Dortmunder Nazis sah man ihre Begeisterung an. Tausende hatten sich auf dem schon früh überfüllten Platz hinter dem Hauptbahnhof zusammengefunden. Rechtsradikale Hooligans, Nazis, Schläger, Mitglieder und Funktionäre von Pro NRW, viele betrunken, fast alle schon Stunden, bevor die Demonstration um kurz nach 15.00 Uhr begann, aggressiv. Längst hatte sich die Polizei in den Bahnhof zurückgezogen. Ein Zug einer Spezialeinheit der Bundespolizei betrachtete kopfschüttelnd das Treiben der Menge auf dem Platz, die sich mit der Musik der Naziband Kategorie C weiter aufputschte.

Als sich kurz darauf einige linke Gegendemonstranten für einen Moment auf dem Bahnsteig hoch über dem Breslauer Platz zeigten, flogen Bierflaschen und Steine. Niemand schritt ein. Es war der Auftakt für stundenlange Krawalle, wie sie Nordrhein-Westfalen seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat.

Den fast 5000 Randalierern hatte die Polizei nur wenig entgegenzusetzen. Gerade einmal 1300 Beamte waren in Köln im Einsatz. Unter hohem persönlichen Risiko verhinderten sie, dass der Mob die Polizeiketten durchbrach und in die Innenstadt strömen konnte. In den Griff bekam sie Schläger allerdings erst nach Stunden.

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In den ersten Tagen nach den Krawallen sprach Innenminister Ralf Jäger (SPD) noch davon, der Polizeieinsatz in Köln habe „funktioniert“. In einer Aktuellen Stunde im Landtag am Donnerstag äußerte sich Jäger dann zurückhaltender: „Ich gehe davon aus, dass der Polizeiführer eine verlässliche Planung vorgenommen hat und dass er in seiner Planung auch von Gewalt und möglicher Eskalation ausgegangen ist.“

Die Verantwortung, dass machte Jäger damit deutlich, lag nicht bei ihm selbst, sondern bei dem Kölner Einsatzleiter Klaus Rüschenschmidt.

Jägers Argumentation wäre glaubwürdiger, wenn die Geschehnisse von Köln ein einmaliger Ausrutscher gewesen wären, doch das waren sie nicht. Bei zahlreichen Demonstrationen in diesem Jahr hatte die Polizei in Nordrhein-Westfalen nicht genug Einsatzhundertschaften vor Ort:

Als am 1. Mai gut 400 Nazis durch den Dortmunder Stadtteil Westerfilde zogen, konnte die Polizei weder Übergriffe auf Anwohner verhindern noch dass sich die Rechtsradikalen an Buden mit Bier versorgten.

Bei einer antiisraelische Demonstration am 12. Juli mit fast 2000 Teilnehmern in Dortmund standen Anfangs nur ein paar Motorradpolizisten zur Überwachung bereit. Zusätzliche Einsatzkräfte mussten hektisch aus Recklinghausen herangeholt werden.

Als es wenige Tage später nach einer Kundgebung der Linkspartei in Essen zu Ausschreitungen kam, konnte die Polizei Angriffe auf die Alte Synagoge verhindern. Das randalierende Islamisten später eine proisraelische Demonstration am Hauptbahnhof mit Steinen bewarfen, konnten die Beamten nicht unterbinden. Es war nicht genug Polizei vor Ort, um den Platz vor dem Bahnhof abzuriegeln.

Im August schaffte es die Polizei in Dortmund bei einer Demonstration nicht, Rechtsradikale und Nazi-Gegner voneinander zu trennen. Nur gut 20 Beamte hatten zeitweise die unlösbare Aufgabe, die fast 40 Meter breite Kampstraße zu sichern.

Für Peter Biesenbach, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU im nordrhein-westfälischen Landtag sind das keine Zufälle: „Innenminister Jäger hat mit seinem Ziel, die Zahl der Polizeibeamten bei Einsätzen in Fußballstadien herunter zu fahren, die Einsatzleiter verunsichert. Meine Sorge ist, dass die Einsatzleiter nun den Eindruck vermeiden wollen, sie würden mehr Beamte zu Einsätzen holen, als unbedingt notwendig ist.“

18 Einsatzhundertschaften hat Nordrhein-Westfalen. Sie sichern Bundesligaspiele ab, begleiten Demonstrationen und zeigen bei Rockerpartys Präsenz. Für die Beamten in diesen Hundertschaften gibt es oft nicht einmal ein freies Wochenende im Monat. Sie sind das Rückgrat der Sicherheit bei Großveranstaltungen. Reichen ihre Kräfte nicht aus, kann das Land Polizeieinheiten anderer Bundesländer anfordern. Nur NRW tut das so gut wie nicht mehr: 2011 kamen Polizeibeamte aus anderen Bundesländern der Polizei in NRW sechs Mal zu Hilfe, 2012 zwei Mal, 2013 fünf Mal. Bis zum Sommer dieses Jahres gab es erst einen Einsatz von Polizeibeamten aus anderen Ländern in NRW: Bei einem Fußballspiel in Oberhausen im April. Auch in Köln war, obwohl der Bundesverfassungsschutz 5000 Hooligans angekündigt hatte, keine Bereitschaftspolizei aus anderen Ländern vor Ort.

NNur ein paar Nazis

Beamte aus NRW hingegen waren allein in diesem Jahr acht Mal in Bayer, Berlin oder Sachsen im Dienst.

Über 1,6 Millionen Euro erhielt NRW für diese „Einsatzbedingten Mehrkosten“ seiner Beamten wie Mehrarbeit, Unterbringung und Verpflegung. Geld, welches das Innenministerium zahlen müsste, wenn es auf die Hundertschaften anderer Länder zurückgreifen würde, was selbst in Köln nicht geschah.

Innenminister Jäger bestreitet, dass aus Gründen der Kostenersparnis weniger Beamte als nötig eingesetzt werden: „Der Einsatzleiter sagt, wie viele Beamte er benötigt und die bekommt er auch.“

Nur es fällt auf, dass immer häufiger Einsatzleiter in diesem Jahr auch bei Demonstrationen nicht mehr Personal wollten, bei denen sie in den vergangenen Jahren noch auf Kräfte aus anderen Ländern gesetzt haben, wie bei Nazidemonstrationen in Dortmund. Dort waren 2013 noch Kräfte aus Sachsen und Thüringen im Einsatz. 2014 nicht mehr.

Für Erich Rettinghaus, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in NRW, ist klar, dass bei den Kölner-Krawallen zu wenig Beamte vor Ort waren. Rettinghaus will das alle offenen Fragen geklärt werden: „Ging die Taktik in Köln auf? Hätte man mit mehr im Umfeld kontrollieren müssen? Wenn da Fehler gemacht wurden, muss das aufgeklärt werden.“

Es gab am Tag der Kölner Krawalle auch noch zwei Bundesligaspiele in NRW – die Polizei war am Rand ihrer Kräfte. Das aus Geldgründen keine Unterstützung aus anderen Ländern geholt wurde, will er sich nicht vorstellen: „Auch das muss aufgeklärt werden. Man darf in so einem Bereich nicht sparen. Würde dort gespart, geschähe dies auf Kosten meiner Kollegen.“

Drei Hundertschaften fehlen in Nordrhein-Westfalen, schätzt der CDU-Landtagsabgeordnete Peter Biesenbach. Beamte, die das Land auch zukünftig nicht haben wird. Trotz 1500 jährlichen Neueinstellungen bei der Polizei, wird die Zahl der Beamten durch Pensionierungen bis 2025 um 3700 sinken. Polizisten, die in allen Bereiche fehlen werden: Bei Demonstrationen, bei der Kriminalpolizei und im Alltag auf den Straßen.

Nordrhein-Westfalen wird unsicherer und ist finanziell nicht in der Lage, daran etwas zu ändern.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag 

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WALTER Stach
WALTER Stach
10 Jahre zuvor

Interessant, bedenkenswert:
Die TAZ befaßt sich heute auf einer ganzen Seite mit Innenminster Jäger.
Es gibt einen Bericht , und es gibt ein Interview über den „Genossen Jäger“ mit dem Duisburger Pateigenossen Theo Steegmann.

-www.taz.de ; TAZ v.11.11.2o14, S.07, INLAND-.

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