Unser Gastautor Roland Kaufhold sprach mit dem NRW-Piraten Landtagsabgeordneten Daniel Schwerd. Der Text ist ein Crosspost von Hagalil.
Ich habe Sie vor zwei Tagen auf der Kölner Kundgebung des neugegründeten linken Kölner Bündnisses gegen Antisemitismus getroffen. Es kamen 250 Teilnehmer, nach einer extrem kurzen Mobilisierung von zwei Wochen. Wie hat Ihnen die Kundgebung inhaltlich gefallen?
Ich bin sehr froh, dass diese Kundgebung trotz des so kurzen Vorlaufes ein so großes Echo gefunden hat. Wenn sich dieses Bündnis ein wenig etabliert hat, dann kommen vielleicht noch weitere Unterstützer hinzu, darüber würde ich mich sehr freuen. Ich fand insbesondere die Berichte von der Demonstration in Essen wichtig, damit diese Vorkommnisse dokumentiert werden, auf dass sie sich nicht wiederholen. An künftigen Demonstrationen möchte ich mich gerne wieder beteiligen.
In den letzten Wochen gab es hierzulande eine Eskalation von antisemitischen Ausfällen, Bedrohungen und Beleidigungen. Neben „Hamas-Gruppierungen“ waren hieran insbesondere Vertreter der Linken aus NRW beteiligt. Sie haben in sehr deutlichen Worten vor dieser Entwicklung gewarnt: „Die aktuelle Auseinandersetzung im Nahen Osten darf nicht den Vorwand liefern, dass Antisemitismus in unserem Lande wieder salonfähig wird, und ungeahndet in unserem Land verbreitet werden darf. Es ist möglich, legitime Kritik am Krieg und an Israel zu äußern, ohne sich dabei rassistischer Formen zu bedienen, und ohne die Millionen Opfer der Shoa zu verhöhnen. Wir haben eine besondere Verantwortung aus unserer Geschichte geerbt.“ Ist diese Welle antisemitischer Gewalt ein Indiz für eine tiefe Zäsur? Ist sie vergleichbar den Diskussionen über Walser, Grass und in neuerer Zeit Augstein oder geht sie weiter?
Es ist schon eine neue Form der Bedrohung, oder vielmehr die Wiederkehr einer Form von Bedrohung, die wir lange nicht so offen gesehen haben. Die Gewalt wird wieder körperlicher und unmittelbarer – das Gefühl der Bedrohung wird wieder konkreter.
Vielleicht habe ich mich auch getäuscht – vielleicht war diese Bedrohung immer da, und sie tritt jetzt lediglich zu Tage, wo sich ein passender Anlass dazu bietet – gefühlt haben die Ereignisse der letzten Wochen schon eine andere Qualität.
Wenn Menschen sich nicht trauen, in die Synagogen oder jüdische Einrichtungen zu gehen, als Jude erkennbar zu sein, oder auch zu viel Angst haben, ihre Meinung zu äußern und auf eine Demonstration zu gehen, ist das eine fatale Entwicklung in unserer Gesellschaft.
Sehr traurig bin ich über die Angriffe gerade aus den linken Reihen. Hier hätte ich ein anderes Menschenbild erwartet. Die Haltung vieler Linker gerade aus NRW hat mich erschreckt und entsetzt.
Gibt es in Rahmen der Piratenpartei Arbeitsgruppen oder Ausschüsse die sich besonders mit dieser Thematik beschäftigen?
Es gibt verschiedene Arbeitskreise, zu deren Themen der Nahostkonflikt gehört, die aber meinem Wissen nach nicht sonderlich aktiv sind. Eine Gruppe, die sich aktiv mit dem aktuellen Antisemitismus befasst, gibt es derzeit nicht. Die Stellungnahmen, die auf Landes- und Bundesebene von der Partei herausgegeben wurden, wurden jeweils von mir angeregt.
Mich stört die geradezu zwanghafte Mühe der Bundespartei, neutral zu sein und möglichst alle Seiten gleich zu verurteilen. Ich finde, man muss in der Lage sein, eine Untat zu benennen und konkret als solche zu verurteilen. Man muss auch mal Gesicht zeigen und Position beziehen.
Auf der Kölner Demonstration des Bündnisses gegen Antisemitismus am 17.8. hat die Polizei Übergriffe und Beleidigungen gegen Kundgebungsteilnehmer nicht zugelassen. In anderen Städten hingegen ist das Verhalten der Polizei zu Recht scharf verurteilt worden. Wie beurteilen Sie das Verhalten der staatlichen Organe auf diese Übergriffe? Hat die Polizei in Ihren Augen dazu gelernt, die Gefahr erkannt?
Ich hoffe es sehr. Zumindest in Köln schien mir die Lage sicher. Ich hoffe, auch in den anderen Städten ist das Bewusstsein gewachsen, dass eine erhöhte Aufmerksamkeit notwendig ist, selbst wenn sich nicht so viele Menschen versammeln wie auf manch anderer Demonstration.
Denken sie, daß die Landesregierung sich der Gefahren, die in diesem Zusammenhang in den letzten Wochen deutlich wurden, bewusst ist?
Diese Fragen werde ich stellen. Ich werde beispielsweise fragen, wie es sein kann, dass die Polizei unseres Landes holocaustrelativerende Banner und Schilder zulässt, oder ihren Lautsprecherwagen für antisemitische Parolen hergibt. So etwas darf sich nicht wiederholen, so etwas muss aufgeklärt werden. Abhängig von den Antworten der Landesregierung werde ich dann entsprechende Anträge formulieren. Ich hoffe, dass das Bewusstsein für diese Gefahren bei der Landesregierung wächst.
Werden Sie sich dafür einsetzen, daß der Landtag mehr Mittel für politische Bildungsarbeit zur Verfügung stellt?
Das ist eine denkbare Maßnahme. Die Mittel müssen auch gezielt eingesetzt werden, etwa um zu erläutern, wo eine vermeintliche Israelkritik die Grenze zum Antisemitismus überschritten hat. Vielleicht braucht es nicht einfach noch mehr Mittel, sondern den richtigen Einsatz.
Ich glaube, dass auch innerhalb der Polizei der Umgang mit antisemitischen Demonstrationen geschult werden muss.
Die Anstrengungen, den Kindern von heute die ja wenig fass- und begreifbaren Vorkommnisse der Shoa beizubringen, dürfen nicht nachlassen. Wenn Kinder in der Schule nicht einmal wissen, was ein Jude ist, noch jemals einen gesehen haben, ist das ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft. Genauso sollte eine gewisse Grundkenntnis der Geschichte des Staates Israel zum Allgemeinwissen gehören.
Es gibt immer weniger Augenzeugen, daher wird die Auseinandersetzung mit der Shoa immer abstrakter. Es ist wichtig, dass die persönlichen Erlebnisse möglichst vieler Menschen aus der Zeit dokumentiert werden, um diese Zeit begreif- und nachvollziehbarer zu machen, dem namenlosen Schrecken Gesichter zu geben, und die zahllosen Opfer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ein Bild, ein persönlicher Brief, die Erzählung einer Person wirkt mehr als jede Statistik.
Sie waren von 2010 – 2013 Parteivorsitzender der Piraten in Köln. Nach monatelangen lähmenden innerparteilichen Auseinandersetzungen über antisemitische Positionen innerhalb der Kölner Piraten haben Sie im Januar 2013 den Parteivorsitz niedergelegt. Ihre Begründung war mehr als deutlich: „Ich bin schlichtweg entsetzt, dass so viele Kölner Piraten es für vollkommen OK halten, wenn der Begriff des Konzentrationslagers schleichend im allgemeinen Sprachgebrauch für alle möglichen Lager verwendet werden soll, und der Holocaust damit relativiert wird. Ich finde es furchtbar, dass unwidersprochen von einem israelischen Mob gesprochen wird und die Verbindung zwischen der Shoa und dem Gegenwartskonflikt zwischen Israel und Palästina leichtfertig hergestellt wird.“ Wie schätzen Sie die Position der Piraten zum Gazakrieg ein? Gibt es einen Lernprozess?
Die von mir beklagten Positionen waren glücklicherweise niemals Mehrheitsmeinung innerhalb der Partei, und sind es auch heute nicht. Ich bin davon überzeugt, dass eine große Mehrheit sich deutlich gegen antisemitische Positionen stellt. Ich möchte glauben, dass das Bewusstsein gewachsen ist, dass es also einen Lernprozess gab.
Ich kann aber nicht ignorieren, dass es dennoch spürbare Probleme gibt, die sich in der Piratenpartei wie in jeder anderen gesellschaftlichen Gruppe auch wiederfinden.
Damals wie heute erschreckt es mich, mit welcher Inbrunst sich Menschen auch bei den Piraten an Israel abarbeiten – dies wird dann nahtlos erweitert auf Personen, die sich einmal israelsolidarisch äußern – aber eben auch wie leicht der Sprung von der Israelkritik zu Antisemitismus vollzogen wird, und wie leichtfertig solche Äußerungen geteilt und unterstützt werden.
Dahinter steckt nicht immer böse Absicht – oftmals ist es bloße Unkenntnis, bei Piraten oft auch eine falsche Vorstellungen von Meinungsfreiheit. Es ernüchtert mich dann, wie schwer eine Aufklärung in dieser Sache ist und wie groß die Widerstände sind, sich etwas sagen zu lassen. Ich sah mich da mehrmals am Ende meiner Kräfte. Zudem entsetzte mich der irrationale Haß auf meine Person, der mir infolge dieser Bemühungen entgegenschlug.
Was sind weitere Schwerpunkte Ihrer inhaltlichen Arbeit im Landtag von NRW?
Ich bin Netz-, Medien- und Wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion, ich bin im Kultur- und Medienausschuss sowie im Wirtschafts- und Energieausschuss des Landtages tätig. Mein persönlicher Schwerpunkt ist die Netzpolitik, und die Fragestellungen, die sich rund um den digitalen Wandel zur Netzgesellschaft ergeben.
Der Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus sind mir eine Herzensangelegenheit.
Sie sind mit dem Kölner Schriftsteller Peter Finkelgruen befreundet, er gehört gleichfalls den Piraten an. Ihre Partei hat ihn in den Rundfunkrat des WDR gewählt. Ihre ehemalige Parteivorsitzende Marina Weisband ist wie Peter Finkelgruen in einer jüdischen Familie aufgewachsen. Was verbindet Sie mit den beiden? Möchten Sie etwas über Ihren familiären Hintergrund erzählen? Was verbindet Sie mit Israel, mit jüdischen Themen?
Ich selbst bin nicht religiös oder jüdisch aufgewachsen, ich bin nicht gläubig. Es gibt einen jüdischen Familienhintergrund, meine Mutter und ihre Mutter, meine Großmutter, sind von den Nazis verfolgt gewesen und mussten untertauchen. Mein Großvater hat für das Verstecken seiner Familie im Gefängnis gesessen. Die Familie meiner Großmutter ist vor Kriegsbeginn nach Brasilien geflohen oder wurde getötet.
Ich habe mich mit der Familiengeschichte beschäftigt und identifiziere mich natürlich mit meiner Familie. Halachisch gesehen bin ich ja ebenfalls Jude. Meine humanistische Erziehung, mich gegen Rassismus, Diskriminierung und gruppenbezogenen Menschenhass aufzulehnen, kommt ebenfalls dazu. Ich kann mit jüdisch lebenden Menschen in Deutschland daher ganz gut mitfühlen.
Bei den nächsten Wahlen werden die Piraten keine ernstzunehmende Rolle mehr spielen und diejenigen Linken, die sich derzeit über den linken Antisemitismus echauffieren, werden wieder brav die Linke wählen, weil es für sie zur Linken in Deutschland keine Alternative gibt.
Es gab sie auch nie, auch nicht in den Piraten. Dietmar Moews, Bodo Thiesen, Kevin Barth und andere braune Shitstormer wußten das geschickt zu verhindern.
Daniel Schwed, der sehr bemerkenswerte Überlegungen äußert, könnte man empfehlen, sich eine andere Partei zu suchen. Spontan fallen mir da gleich vier Parteien ein, die mehr oder weniger erfolgreich sind und mit Antisemitismus nichts am Hut haben. Nur stehen die alle nicht gerade links, sondern in der Mitte der Gesellschaft.
@ Als ehemaliges Mitglied der Linkpartei hat der AS, der in dieser Partei zu Hause ist, nicht nur zu meinen Austritt geführt, sondern zum grundsätzlichen Infragestellen „linker“ Überzeugungen. Wer so heftig antisemitische Überzeugungen vertritt, wer zulässt, dass auf von ihm veranstalteten Demos judenfeindliche Äußerungen und Angriffe passieren, wer mit Rechtsextremem marschiert, auf dem Frauendeck mit Jihadisten gen Israel schippert, auch sonst recht fragwürdige Politgestalten außerhalb der Grenzen unterstützt, mag „linke“ Überzeugungen haben, mit den Zielen der Aufklärung und der Erklärung der Menschenrechte hat dies sicherlich recht wenig zu tun.
Insofern kann ich @ DDA nur zustimmen, was den AS und die Linkpartei und deren Wähler angeht, aber vier grundsätzlich nicht antisemitische Parteien in der Mitte der Gesellschaft? Wobei ich zugeben muss, dass ich bei der letzten BW zum ersten Mal ernsthaft überlegt habe, CDU zu wählen -ob Merkels Position zu Israel.
Interessant, dass es jetzt bei Schwerd wieder heißt:
„Es ist möglich, legitime Kritik am Krieg und an Israel zu äußern …“
Diese rhetorische Schutzbehauptung ist also noch nicht überholt, sondern wird je nach Umständen noch für nützlich gehalten – anders als viele Leser dieses Blogs annehmen.
m Januar feierte die “palästinensische” Fatah mit einigem Aufwand ihren 47. Geburtstag. Das Fernsehen der “Regierung” in Ramallah, die von der Fatah dominiert wird, aber nie gewählt wurde, das Fernsehen der PA also war dabei und ließ alle angeschlossenen “Palästinenser” daran teilhaben, wie der durch Abu Mazen, Fatah-Chef und “Palästinenserpräsident”, ernannte Mufti von Jerusalem sich im Namen einer höheren Instanz und der Fatah an sie wandte:
“The Hour [of Resurrection] will not come until you fight the Jews.
The Jew will hide behind stones or trees.
Then the stones or trees will call:
‘Oh Muslim, servant of Allah, there is a Jew behind me, come and kill him.’”
Diese Botschaft der Nächstenliebe zu den “Nachkommen von Affen und Schweinen” blieb nicht ganz folgenlos. Alistair Burt vom Außenministerium Ihrer Majestät in London verurteilte Muhammad Husseins Aufforderung zum Genozid an Juden als “inflammatory words”, während in Deutschland sogar Ruprecht Polenz einen hellen Moment hatte: “Solche hasserfüllten Aussagen müssen auf das Schärfste kritisiert und zurückgewiesen werden.”
Die deutsche Sozialdemokratie reagierte – anders. Sie verabredete schon am 29. März mit der Fatah eine “strategische Partnerschaft”, “die bereits zu verschiedenen erfolgreichen Veranstaltungen und Aktivitäten geführt hat. Dies hat die Beziehungen zwischen Fatah und SPD, die auf gemeinsamen Zielen beruhen, vertieft.” Ein erster “strategischer Dialog”, dem jährlich weitere Treffen folgen sollen, fand am Vorabend des Jubiläums der “Reichskristallnacht” statt.
http://www.tw24.net/?p=5954
Noch fragen?