Am 6. Februar fand die Buchvorstellung zur Ende letzten Jahres erschienenen Anthologie „Erinnern als höchste Form des Vergessens? (Um-)Deutungen des Holocaust und der ‚Historikerstreit 2.0‘“ in Köln statt. Vor mehr als 50 Zuhörern referierten und diskutierten der Politikwissenschaftler PD Dr. Ingo Elbe und der Sozialwissenschaftler Niklaas Machunsky, moderiert von Andreas Stahl, im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, der ehemaligen Gestapo-Zentrale. Eingeladen hatten die Deutsch-Israelische Gesellschaft Köln, Gesellschaft für kritische Bildung, RIAS NRW, dem Bündnis gegen Antisemitismus – BgA Köln, der Interdisziplinäre Initiative für Antisemitismusstudien der Universität Trier und dem NS-DOK.
Ingo Elbe stellte seinen Buchbeitrag zu „Hannah Arendts Bild des Holocaust – mit einem Ausblick auf seine postkolonialen Erben“ und Niklaas Machunsky seinen zu „Die antizionistische Aufhebung der Vergangenheitsbewältigung. Aleida Assmann und der linke Revisionismus“ vor. Mitherausgeber Andreas Stahl führte durch den Abend.
Nach dem Massaker am 07.10.2023 (10/7), bei dem die palästinensischen Mörder der Hamas überwiegend israelische Juden, aber auch israelische Muslime und andere Menschen in Israel abschlachteten, wird die Auseinandersetzung um Israel mit neuer Härte international und auch in Deutschland geführt. Die aktuelle Bekämpfung der Terrororganisation Hamas durch die israelische Armee spaltet fast überall auf der Welt die Debatten auf der Welt. Israel war und ist der Kumulationspunkt des weltweiten Judenhasses. Israel ist und bleibt die Chiffre der Antisemiten international.
Das verdeutlicht einmal mehr die Aufsatzsammlung, die die Diskussion über die Bedeutung des Holocaust nachzeichnet und unter vielerlei Perspektiven beleuchtet.
„Was war der Holocaust und was war er nicht? Inwiefern ist er „präzedenzlos“? Wie wird an ihn erinnert, wie sollte es getan werden? Wer bestreitet seine Präzedenzlosigkeit und welche politischen Folgen bringt das mit sich?“
Ingo Elbe trug eloquent und frei einige Thesen und Themen seines Buchbeitrags „Hannah Arendts Bild des Holocaust – mit einem Ausblick auf seine postkolonialen Erben“ vor. Ausgehend von den antizionistischen Äußerungen Hannah Arendts und der Adaptionen der heute als „Postkolonialisten“ bezeichneten Positionen stellte er auf die meist feuilletonistischen Beiträge ihrer Protagonisten von Said bis Membe als geschichtsverzerrende, im Kern antisemistische Positionen dar, die den Holocaust und den Judenhasses relativieren und umdeuten. Schnell wurde klar, dass alles was dazu geschrieben und gesagt wurde, in den Verschwörungswahn fällt, der heute kurz als Antisemitismus benannt wird. Der äußerst gründliche Beitrag im Buch sei zur Lektüre empfohlen.
Niklaas Machunsky, didaktisch geschult, lehnte sich in seinem freien Vortrag an Hegels Modell des dialektischen Aufhebens (elevare, conservare, eliminare) an und arbeitet sich an der fast 80jährigen deutschen Anglistin, Ägyptologin und Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann ab, die als „Berliner Vorzeigeintelektuelle“ immer wieder mit Thesen und Beiträgen zu antisemitischen Israel auffiel. Mehr dazu im Buch: „Die antizionistische Aufhebung der Vergangenheitsbewältigung. Aleida Assmann und der linke Revisionismus“.
Immer hörenswert sind die anschließenden Diskussionen mit dem Auditorium. Die selbst für den mit diesem Themen bewanderten Zuhörerinnen und Zuhörern neue Perspektiven auf den Antisemitismus im weiteren Sinn eröffnen. So brachte ein Gast eine Beobachtung ein, die er bei einer Begegnung mit einem srilankischen Tamilen hatte, der seinem Furor und Hass gegen die Singhalesen freien Lauf ließ, der ihn an den eliminatorischen Antisemitismus erinnerte. So wies er auf die psychologischen Komponenten im Kontext von Wahn und Judenhass. Im diesem Zusammenhang wird auf den Buchbeitrag von Rolf Pohl „Ganz normale Massenmörder?“ (S. 41) verwiesen.
Die 2 Stunden Veranstaltung war durch den frischen Vortragsstil der Referenten recht kurzweilig.
Für weitere Veranstaltungen wird auf das aktuelle Programm der Veranstalter verwiesen:
DIG Köln
Gesellschaft für kritische Bildung
RIAS
Bündnis gegen Antisemitismus – BgA Köln
Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung
NS DOK
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Ingo Elbe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent am Institut für Philosophie der Universität Oldenburg. Er ist u. a. Autor von „Paradigmen anonymer Herrschaft. Politische Philosophie von Hobbes bis Arendt“ (2015) sowie „Gestalten der Gegenaufklärung. Untersuchungen zu Konservatismus, politischem Existentialismus und Postmoderne“ (2021) und Mitherausgeber von „Probleme des Antirassismus. Postkoloniale Studien, Critical Whiteness und Intersektionalitätsforschung in der Kritik“ (2022). Niklaas Machunsky ist Sozialwissenschaftler und wohnt in Köln. Er schreibt u. a. für sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik. Andreas Stahl studiert Philosophie an der Universität Oldenburg und ist u. a. Mitherausgeber der Sammelbände „Konformistische Rebellen. Zur Aktualität des autoritären Charakters“ (2020), „Subjekt und Befreiung. Beiträge zur kritischen Theorie 1“ (2022) sowie „Gesichter des politischen Islam“(2023).
Das Buch: ERINNERN ALS HÖCHSTE FORM DES VERGESSENS? (UM-)DEUTUNGEN DES HOLOCAUST UND DER „HISTORIKERSTREIT 2.0“