Die Anwälte der Familie Kubasik legten am 06. November 2014 im NSU-Prozess dem Oberlandesgericht in München drei Anträge vor, in denen Sie nachdringlich Fragen zu einem möglicherweise umfassenden, sogar international verknüpften Netzwerk stellen, das den NSU bei seinen Mordtaten unterstützt haben könnte. Zudem möchten Sie weitere wichtige Zeugen laden. Es könnte demnächst im Prozess gegen Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten eine Wende geben – wenn das Gericht die Anträge zulässt. Denn würde sich bestätigen, dass es eine Combat 18-Zelle gab, die den NSU bei den Vorbereitungen zu dem Mord an dem Kioskbesitzer Mehmet Kubasik 2006 in Dortmund unterstützt hat und sich durch die Zeugenbefragungen herausstellt, dass es Netzwerke zwischen der NRW-Naziszene und der Blood & Honour Bewegung in Flandern gab und darüber hinaus grenzüberschreitende Waffengeschäfte abgewickelt wurden, könnte man nicht länger davon ausgehen, dass das NSU-Trio als Einzeltäter mit einem auf wenige Personen beschränkten Unterstützerkreis gehandelt hat. Damit hätte der NSU-Prozess eine neue Dimension eröffnet: EIn übergeordnetes Terror-Netzwerk statt der Theorie der „drei Einzeltäter“.
Glaubwürdige Zeugenaussagen und Belege für ein übergeordnetes Netzwerk militanter Nazis, die das Terrortrio im Geiste der rassistischen und antisemitischen Turner Tagebücher unterstützt haben könnten, wären ein Zeichen dafür, dass in Deutschland Kenntnisse über das Vorhandensein eines bundesweit agierenden Rechtsterrorismus-Netzes mit einem strategisch klar ausgerichteten Mord-Plan jahrelang unterschätzt oder sogar wissentlich ignoriert wurde. Grund genug daher, diesen Spuren nachzugehen, wie es die Anwälte fordern.
Die Turner-Tagebücher und der führerlose Widerstand – eine Vorlage für den NSU
Die Anwälte Antonia von der Behrens, Carsten Illius, Sebastian Scharmer und Peer Stolle beantragten unter anderem die Ladung zweier Zeugen: Marko Gottschalk, Sänger der Band Oidoxie und Sebastian Seemann, Mitglied der Oidoxie Streetfighting Crew, der offenbar örtliche Blood & Honour-Strukturen mit aufbaute. Beide könnten in Blick auf die Haltung der Szene zu terroristischen Aktivitäten einzelner, radikaler Zellen „des freien nationalen Widerstandes“ Aufschluss geben. Eine Schlüsselfigur könnte im Prozessverlauf vor allem der 2007 enttarnte V-Mann Sebastian Seemann werden. Er hatte in Gesprächen mit den Sicherheitsbehörden mehrfach Hinweise auf bestehende Strukturen und Kontakte zu militanten Gruppierungen gegeben. Diese Tatsache rechtfertigt nicht nur die Zeugenladung vor Gericht, sondern macht sie für die Aufklärung der Umstände der NSU Taten in Nordrhein-Westfalen absolut notwendig.
Seemann gab unter anderem an, dass eine aus 7 Köpfen bestehende Combat 18-Gruppe von dem Dortmunder Sänger Marko Gottschalk mit gegründet worden sei und man sich dabei auf den „führerlosen Widerstand“ als Mittel des Kampfes berufen habe. Die 18 steht für „Adolf Hitler“ – die Gruppe wurde als „bewaffneter Arm“ des radikalen Blood & Honour -Nazinetzwerkes bezeichent. Die Dortmunder Gruppe hat sich nach Aussage des Zeugen Seemann nicht nur in der Theorie auf die Turner Tagebücher bezogen, sondern auch konkret Anschläge auf politische Gegner diskutiert. Der Turner-Roman von William Pierce könnte tatsächlich eine Vorlage für die NSU-Taten geboten haben, denn er beschreibt das Agieren kämpferischer Zellen im „Rassenkrieg“ und spricht über den „leaderless resistance“.
Bei den „freien Kameradschaften“ lässt sich eine Rassen-Ideologie ebenfalls finden. Rainer Brahms schreibt in der Lotta dazu, dass bei den „autonomen nationalisten westliches ruhrgebiet“ es folgendermaßen formuliert wurde: “Fundamentaler Antrieb für unser Handeln ist die gottgegebene Verbundenheit zu unserer Art. Rasse und damit untrennbar verbundene Kultur stellen die tragenden Pfeiler eines Volkes dar“. Alles nur eine zufällige ideologische Parallele? Die Dortmunder Autonomen Nationalisten (AN) gehörten zu dieser Zeit demselben „Aktionsbüro Westdeutschland“ an, wie die anwm. Das Aktionsbüro sollte die freien Kameradschaften bündeln, um gemeinsame Aktionen in NRW besser koordinieren zu können – sprich eine tragfähiges Netzwerk zu gründen.
Blatt für Blatt – der zähe Weg der Wahrheitsfindung
Rechtsanwältin Antonia von der Behrens, die zusammen mit Kollegen die Familie Kubasik im Prozess in der Nebenklage vertritt, hofft, dass dem gemeinsam eingebrachten Antrag gefolgt wird. Ohne Zweifel würde das der Wahrheitsfindung dienen. Im Verlauf des Prozesses hat die Generalbundesanwaltschaft bei von der Behrens immer wieder den Eindruck hinterlassen, sie wolle den Prozess nach dem Motto „schnelle Verurteilung und dann Deckel drauf“ möglichst schnell vom Tisch haben – ohne die notwendigen Fragen zu einem möglichen Täter-Helfernetzwerk ausreichend zu verfolgen und die Rolle der V-Leute umfänglich einzubeziehen.
So blieben die meisten Anträge der Nebenkläger auf Aktenbeiziehung erfolglos, die Anwälte mussten sich bisher die vorenthaltenen Akteninhalte wortwörtlich „Blatt für Blatt“ erkämpfen. Dabei geht es nicht darum, allgemein in die Neonaziszene zu ermitteln und damit den Prozess zu überfordern, sondern schlicht darum, neue Kenntnisse über die genauen Umstände des Mordes an Mehmet Kubasik und über mögliche NSU Unterstützer in Dortmund zu erhalten. Mitwisserschaft oder Unterstützung von Dortmunder Neonazis würden bedeuten, dass möglicherweise weitere Mit-Täter zur Rechenschaft gezogen und Zeugen zur Aufklärung der Tatumstände und der Arbeitsweise des NSU beitragen können. Beides wäre Prozess-relevant und dem Ziel eines Strafprozesses zuzuordnen. Zudem sehen die Anwälte zurecht die Einschätzung des Aktionsradius, der Größe der Netzwerke und unterstützenden Strukturen als wichtigen Hinweis für die realistische Einschätzung der Gefährlichkeit des NSU an.
Die Theorie der drei Einzeltäter ist aber vielleicht auch deswegen bei manchen so beliebt, weil nur so die Behauptung der Sicherheitsbehörden V-Männer hätte von der Existenz des NSU und dessen Taten nichts gewusst, aufrecht zu erhalten ist.
Die Nebenklage hat für die Anträge akribisch zusammengetragen, was an Fakten bisher bekannt geworden ist. Neben der besonderen Rolle des Lüneners Seemann und des Dortmunders Gottschalk führen aus Sicht der Anwälte noch weitere Spuren nach Dortmund: Seemann hatte Kontakt zu dem Dortmunder Robin Schmiemann, der bei einem Überfall 2007 in Dortmund auf einen Plusmarkt einen tunesischen Migranten mit mehreren Schüssen schwer verletzt hatte und weiteren bekannten Neonazis. Die Akten des Strafverfahrens möchten die Kubasik-Anwälte beizeihen – auch hier könnten Kenntnisse für den Strafprozess gewonnen werden.
Enge Kontakte hatte Seemann noch zu weiteren Dortmundern, einer davon ist laut polizeilichen Ermittlungen Alexander D., ein Führungskader der Dortmunder radikalen Szene der Autonomen Nationalisten (AN). Er ist regelmäßig an rechten Demos und an den jährlichen Antikriegstag-Märschen beteiligt und war nicht nur 2009 bei dem gewalttätigen Überfall auf eine DGB-Versammlung dabei, sondern auch 2014 bei dem Sturm auf das Dortmunder Rathaus an vorderster Stelle zu finden.
Interessant ist auch, dass Seemann bereits am 25. November 2011 auf die Turner Tagebücher als mögliches ideologisches Vorbild für die „Mordserie an den türkischen und dem griechischen Einzelhändler“ bei der Polizei aufmerksam machte. Frage ist daher: Wurde der Diskussionsstand zu den „Turner Tagebüchern“ in der gewaltbereiten und gewalttätigen Naziszene vom Verfassungsschutz noch vor der Selbstenttarnung des NSU verfolgt? Wurde von der Dortmunder Polizei und vom Staatsschutz auf Grundlage der Aussage Seemanns vor Ort weiter ermittelt, zum Beispiel, ob die Tagebücher auch in der Dortmunder Szene, insbesondere in der möglicherweise gegründeten „Combat-18-Gruppe“ eine Rolle spielten? Welche konkreten Kenntnisse haben BKA und LKA zu möglichen Waffengeschäften zwischen belgischen und deutschen Nazis gehabt? Die Anwälte haben also genug Anlass, noch mehr erfahren zu wollen.
Internationale Netzwerke, Waffengeschäfte, Combat-18: Anwältin Antonia von der Behrens fordert Zugang zu allen relevanten Informationen
Antonia von der Behrens und ihre Kollegen möchten nicht länger mit Teilinformationen oder Häppchenwissen abgespeist werden, sondern endlich Zugang zu allen relevanten Informationen zu dem Mord an Mehmet Kubasik bekommen. Das scheinbar in den, dem Oberlandesgericht (OLG) vorgelegten Akten Seiten fehlen, die die Befragung Seemanns betreffen, kann man nicht gerade als vertrauensbildend Maßnahme gegenüber den Prozessbeteiligten bezeichnen. Aufgrund fehlender Paginierung (Seitennummerierung) lässt sich die bewusste Entnahme von Seiten aus den Akten nicht einfach nachweisen.
Aber für von der Behrens ist nicht verständlich, warum diese Informationen in der Akte fehlen und warum Seemann bisher nicht förmlich vernommen worden ist: „Ein weiterer Grund, warum wir uns durch die persönliche Zeugenbefragung endlich Klarheit über mögliche Kontakte von Seemann zum NSU oder NSU-Umfeld, zur Gründung von Combat-18-Zellen und zu Blood & Honour in Flandern verschaffen möchten.“ Beate Zschäpe schrieb laut Die Welt, dass sie sich freuen würde, wenn Seemann vor Gericht erscheint, um hinterher über ihn zu lästern. Würde Seemann vor Gericht auspacken, könnte ihr die Lust am Lästern möglicherweise schnell vergehen.
Auf Seemann hätte man schon wesentlich früher die notwendige Aufmerksamkeit legen können – ein unbeschriebenes Blatt ist er bei den Behörden nicht. Auch dass Seemann gute Kontakte nach Belgien hatte, kann man auch aus einer Auskunft gegenüber der Dortmunder Polizei am 25. November 2011 schliessen. Seemann sagte in einem Gespräch, dass „Waffen leicht aus Belgien zu besorgen“ seien und weiter heisst es in einem der Vermerke: „In Belgien sei es ohne große Schwierigkeiten möglich an scharfe Waffen zu kommen“. Das erscheint glaubwürdig: Belgische Blood & Honour -Gruppierungen trugen in der Vergangenheit durchaus terroristische Züge: 2006 wurde ein Waffenlager mit 200 Waffen, z.T. moderne Kriegswaffen, ausgehoben, wie das Magazin „Der rechte Rand“ berichtete.
Bei einer anderen Befragung im Rahmen der Haftprüfung brachte Seemann dann noch mehr Konkretes an’s Licht: Die Combat-18-Gruppe habe sich neben einer Maschinenpistole auch mit mehreren Pumpguns aus Belgien eingedeckt. Das BKA deckte bei ihren Ermittlungen auf, dass sich deutsche Nazis aus Belgien mit Waffen versorgt hatten. Die „Flandern-Connection“ ist also kein Hirngespinst, sondern Realität. Höchste Zeit daher, den Zeugen vor Gericht zur Sache zu befragen.
Mögliches Wissen zur Tatwaffe – und keiner fragt nach?
Bemerkenswert ist auch, dass Seemann bei dem Treffen mit einem Beamten der Dortmunder Polizei im November 2011 mitteilte, er könne Angaben zu den Tat-Waffen machen. Da musste die Polizei eigentlich ernst nehmen, titulierte sie ihn doch selbst bei einer Spurenbewertung als „ausgemachten Waffennarr“ und weiter heisst es „Aufgrund dessen sind Angaben über Waffenkenntnisse und deren Umbaumöglichkeiten, sowie deren Herkunft als realistisch anzusehen.“ Dies belegen Dokumente, die diesem Blog zugespielt wurden. Seemann kann man ein Wissen zu Waffen auch deswegen abnehmen, weil er nach Kenntnis der Ermittlungsbehörden an gemeinsamen Schiessübungen mit dem Polizistenmörder Michael Berger teilgenommen hatte.
Zudem sagte Seemann, er könne möglicherweise auch etwas zu einer Tatwaffe sagen, die im Schutt der Brandstelle Frühlingsstrasse (dem Wohnhaus des NSU-Trios) gefunden worden war. In dem Gespräch ging es darüber hinaus um eine Waffe, die für die Ermittlungen der BAO Bosporus wichtig war. Vermutlich handelt es sich dabei um die Waffe, mit der die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn ermordet wurde. Telefonisch äußerte sich Seemann dann eine weiteres Mal, das ihm nach eigener Einschätzung zur Beurteilung der Waffe sogar ein Foto ausreichen würde. Man würde vermuten, dass spätestens an diesem Punkt alle „Alarmsirenen“ bei den Ermittlern angegangen wären. Doch war dies der Fall?
Sollten diese spektakulären Aussagen in Dortmund nicht weiter verfolgt worden sein, bzw. hätte man hätte man diese wertvollen Information 2011 nicht an das ebenfalls ermittelnde LKA und BKA weitergegeben, dann wäre das eine weitere gravierende Ermittlungspanne in einer ganzen Serie von Pannen, die auf das Konto der Polizei gehen. Die entscheidende Frage bleibt daher, ob Seemann auf Grundlage dieser Aussage jemals Bilder der Tatwaffen zur Identifizierung vorgelegt bekam und wenn ja, ob dies weitere polizeiliche Ermittlungen nach sich gezogen hat? In Bezug auf den möglicherweise sehr spezifischen Umbau der Waffen, meinte Seemann, das er dies einem Dortmunder aufgrund dessen Vorerfahrungen im Waffenumbau zutrauen würde. Der Dortmunder ist einschlägig vorbestraft. Wurde dieser weitere möglicher weise hilfreiche Zeuge vorgeladen oder wurde dieser Hinweis stillschweigend übergangen?
Antonia von der Behrens ist überzeugt, dass die Befragung des Lünener Nazis auch in dieser Hinsicht den Prozess voranbringen wird: „Sebastian Seemann hat ausgesagt, er könne möglicherweise Angaben zu zwei weiteren Tatwaffe machen, die neben der Ceska bei den Morden eingesetzt wurden. Wir möchten daher, das ihm die Original-Waffen im Zuge der Beweisermittlung vorgelegt werden, um etwas über die Herkunft der Tatwaffen zu erfahren.“
Innenminister Ralf Jäger muss für umfassende Aufklärung in NRW sorgen
Und noch mehr Prozess-Relevantes liesse sich rund um Seemanns Rolle aufklären. Denn die Abteilung 6 / Verfassungsschutz des NRW-Innenministeriums führte eine Sach- und eine Personenakte über ihn. Die Abteilung 6 ist in Nordrhein-Westfalen, als untergeordnete Abteilung unmittelbar dem Innenminister unterstellt – der Verfassungsschutz gehört zum Innenressort der Landesregierung. Die Anwältin erwartet, dass man nun diese Akten baldmöglichst beiziehen kann – auch das ist Teil des Antrages. An dieser Stelle muss Innenminister Ralf Jäger Farbe bekennen, um ein echtes Interesse an Aufklärung in Nordrhein-Westfalen glaubhaft zu zeigen. Noch im Oktober letzten Jahres hatte er gegenüber der Landtagsabgeordneten Daniela Schneckenburger geäußert: „Den nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass in der Vergangenheit Kontakte zwischen Dortmunder Nazistrukturen und den Mitgliedern des NSU bestanden haben könnten. Gleiches gilt für Berührungspunkte zwischen Unterstützern des NSU aus dem Bereich der sächsischen Blond & Honour – Szene und Dortmunder oder Lüner Neonaziumfeldes“. Auch Hinweise auf logistische Hilfe oder Hinweise auf Hilfe bei der Wahl der Attentatsziel hätte es nicht gegeben. Vermutlich lag Jäger damit falsch.
Angesichts seiner Antwort von 2013 und der Seemann-Auskunft im November 2011, also zwei Jahre vorher, muss man davon ausgehen, das Jäger damals entweder nicht besonders gründlich bei seinen Ermittlern nachgefragt hat. Oder er von seinen Sicherheitsbehörden nicht korrekt über den Stand der Dinge aufgeklärt wurde, was bedenklich wäre. Denn zur Frage der Netzwerkstrukturen, nach denen Schneckenburger gefragt hatte, gehören die Auskünfte von Seemann ohne jeden Zweifel. Trifft beides nicht zu, hätte der Innenminister auf die Anfrage einer Landtagsabgeordneten wissentlich falsche Antworten gegeben. Das wäre sicher keine gute Basis für eine vertrauensvolle Arbeit in dem kommenden Landtags-Untersuchungsausschuss.
Im Moment steht jedoch im Vordergrund, dass die Sicherheitsbehörden nicht versuchen werden, die Beiziehung der für den Prozess so wichtigen Dokumente zu unterlaufen, indem die von den Anwälten der Nebenklage geforderten Akten zurückgehalten werden – sollte das Oberlandesgericht in München die Akten anfordern. Denkbar wäre zum Beispiel die Begründung, man könne die Akten dem Gericht wegen „Sicherheitsbedenken“ nicht vorlegen. Dieses Argument wäre jedoch nicht nur leicht durchschaubar (zudem Seemann längst enttarnt ist) – sondern das Gegenteil von Transparenz. Genauso fragwürdig wäre es, wenn auf die zu erwartenden Aktenanforderungen des NRW-Untersuchungsausschusses, die Verfassungsschutzakten zu Seemann nicht umgehend oder nur „eingestuft“ vorgelegt würden.
In diesem Fall würde Jäger in der öffentlichen Wahrnehmung statt als Aufklärer als Aufklärungs-Verhinderer dastehen. Das könnte dem SPD-Minister politischen Schaden zufügen – nicht zuletzt auch, weil vor ein paar Tagen der Landtag mit den Stimmen der SPD entschieden hat, auch in NRW einen NSU-Untersuchungsausschuss einzurichten. Der politische Druck dürfte also bei einer Verhinderungstaktik erheblich sein, nicht zuletzt weil Mangel an Behördentransparenz nicht nur die Entwicklung des Strafprozesses, sondern auch den Aufklärungswillen der Untersuchungsausschuss-Mitglieder empfindlich treffen würde.
Opfer-Anwalt Sebastian Scharmer ist über die Ermittlungen in NRW enttäuscht
Rechtsanwalt Scharmer fordert, dass der Wunsch der Opferangehörigen nach Aufklärung ernst genommen wird. Denn schwerer noch als alles andere wiegt die Perspektive der Betroffenen. Der Berliner Anwalt vertritt die Tochter des erschossenen Dortmunder Kioskbesitzers Mehmet Kubasik, Gamze Kubasik. Er betont, dass es noch immer für seine Mandantin eine quälende Frage ist, wer vor Ort bei dem Mord an ihrem Vater, dessen Vor- oder Nachbereitung geholfen hat. Dies hatte Gamze Kubasik bei verschiedenen Gedenk-Veranstaltungen in Dortmund auch immer wieder öffentlich betont. Feierliche Zeremonien und das Niederlegen von Kränzen ist zum Gedenken an die Toten sicher wichtig – doch reicht das nicht allein. Auch der Besuch der Polizeipräsidenten bei der Familie Kubasik, war ohne Zweifel eine gute Geste. Doch können die Opferangehörigen über warme Worte und Verständnis für ihre Trauer hinaus, noch mehr erwarten: Sie haben ein Anrecht auf Klarheit.
Scharmer zeigt sich jedoch über die Versuche in Dortmund, die Aufklärung voranzutreiben, enttäuscht und meint: „Ernsthafte Bemühungen, den Fall in Dortmund aufzuklären, sind den uns bekannten Ermittlungen der Bundesanwaltschaft nicht zu entnehmen. Deswegen versuchen wir nun im Rahmen der Verhandlung vor dem OLG München Licht ins Dunkel zu bekommen.“ Er hofft neben der Ladung der beiden Zeugen Seemann und Gottschalk auch auf die Ladung von Robin Sch., dem Dortmunder Brieffreund von Zschäpe, der ebenfalls zu dem „Oidoxie“-Umfeld zu zählen ist.
Und Scharmer bezieht sich gegenüber diesem Blog auch noch auf einen weiteren interessanten Aspekt: „Für uns könnte darüber hinaus auch die parallele Aufklärung durch den Untersuchungsausschusses in NRW wichtig werden.“ Werden also neue Erkenntnisse im Verlauf des Prozess und zusätzlich im Untersuchungsausschuss gewonnen, dann gebe es eine reelle Chance darauf, dass die quälenden Fragen der Angehörigen irgendwann einmal beantwortet werden.
Ob dies die richtige Aufgabenverteilung ist, oder Anwälte und Ausschüsse nicht aus der Not heraus gerade die zum Teil originären Aufgaben der versagenden Sicherheitsbehörden übernehmen, lässt sich trefflich streiten.
Auch wenn die Aufklärungsbemühungen am Ende möglicherweise nicht nur zu mehr Klarheit, sondern auch zu einschneidenden Veränderungen im Umgang mit V-Leuten und einem ernsthaften Überdenken der Strukturen des Verfassungsschutzes führen oder sogar die, von manchen bereits geforderten Auflösung nach sich zieht, darf Transparenz nicht länger verhindert werden.
Ulirke Maerkel,
seit feststeht, daß die Morde durch das sog. NSU-Trio begangen wurde, wird immerhin wieder die Frage gestellt nach einem „Unterstützer-Umfeld“ bis hin zu Erwägungen, ob das Trio einem organisierten deutschland-, europa-weltweit agierten Nazi-Netzwerk zuzuordnen ist.
Realistische Anlässe für solche Erwägungen oder nur „Verschwörungstheorie“?
Alle Beteiligten -im NSU-Prozess, in den NSU-Untersuchungsausschüssen (auch in NRW)- m ü s s e n sich deshalb mit allen ihren Mitteln und Möglichkeiten um überzeugende Antworten auf diese Fragestellung bemühen.
#1 @Walter Stach: Es wurde ja von verschiedenen Seiten zu dieser Frage recherchiert. Spannend ist, dass die Ergebnisse (alte und neue) einmal alle zusammen getragen wurden und es so summa summarum ausreichend Hinweise gibt, um das Thema nachdringlich weiter zu verfolgen. Von Verschwörungstheorien (von denen ich persönlich nichts halte) kann daher nicht die Rede sein.
Allein die Vielzahl an Ausspähnotizen von teils recht unzugänglicher Örtlichkeiten in Dortmund lassen vermuten, dass es Hilfe gab. Nach München und Nürnberg folgt gleich Dortmund mit Blick auf die Anzahl an Ausspähnotizen. Auf einem der Stadtpläne, auf denen mögliche Anschlagsorte eingezeichnet wurden, ist zumdem einen andere Handschrift zu erkennen, als die des Trios. Und das ist nur ein kleiner Aspekt der zahlreichen realistischen Anlässe, die ein „Weiterbohren“ sinnvoll machen.
Ulrike Maerkel,
einverstanden.
Das „Weiterbohren“ durch alle Beteiligten ist nicht nur sinnvoll, es ist zwingend (!!)geboten
Ob der NSU-NRW-Ausschuß dazu beitragen kann, dazu beitragen will, dazu beitragen wird?
Abwarten!
Und ich baue, wie hier schon ‚mal angemerkt, dabei auch auf NSU-Watsch-NRW!
Kleiner Hinweis: Es heisst Blood & Honour, nicht Bloud…
@#2 Ulrike Maerkel:
Könntest du mal zusammenfassen, welche konkreten Beweise es gibt, dass der NSU für den Dortmunder Mord verantwortlich ist?
Hubi -2-
M.W. haben Verfassungschutz, Polizei, ermittelnde Staatsanwaltschaften, Untersuchungsausschüssen aufgrund der ihnen bekannten Beweislage keinen Zweifel daran, daß auch der betr.Mord in DO zu Lasten des Mörder-Trios vom NSU geht.
Für die angeklagte Tschäpe gilt – rechtlich unbestritten-bis zum Urteil auch diesbezüglich die Unschuldsvermutung.
Ob und inwieweit der NSU-Untersuchungsausschuß des Landtages NRW bezüglich der Mordtat in DO noch mehr als bisher über Gründe, Hintergründe, Planung/Ablauf der Mordtat aufklären kann, evtl. auch über das Umfeld, in dem das Mörder-Trio agieren konnte und über evlt. hier relevantes Fehlverhalten von Polizei/Verfassungschutz? Abwarten!
[…] auch die Frage nach einem nordrhein-westfälischen Helfernetz. Die Anwälte der Familie Kubasik beantragten daher im November 2014 verschiedene Zeugen aus Dortmund im Münchner Prozess zu befragen. Dazu gehören […]
[…] Frau Zschäpe hat heute gezeigt, dass sie sich vor allem selbst bemitleidet. Sie stellte sich als Opfer dar – sie habe von den Morden und Sprengstoffanschlägen zuvor nichts gewusst. All das ist vollkommen unglaubwürdig – auch aufgrund vieler Einzelumstände, die wir aus der Beweisaufnahme kennen. Die Erklärung ist zudem teilweise in sich widersprüchlich. Gab es durch die Aussage Einblicke in rechtsextremistische Strukturen? Vor allem die Frage nach den einem Helferkreis ist für viele Menschen – gerade auch in Dortmund mit seiner gefestigten rechtsextremistischen Szene – wichtig. Haben Helfershelfer Aufgaben, wie zum Beispiel das wochenlange Ausspähen des Kiosks der Kubasiks, übernommen oder hat sich heute die „Einzeltäter-Theorie“ des allein handelnden Trios bestätigt? Hat sich Zschäpe beispielsweise zu Kontakten zur einer Combat 18-Zelle im Dortmunder Umfeld geäussert? Sie haben mehrfach Aufklärung zu solchen Netzwerken eingefordert … […]