Seit mehr als zehn Jahren bestimmt eine ideologische Klimapolitik das Handeln von Politikern im Bund, den Ländern und den Städten. Wenn sie nicht aufgegeben wird, könnte das die Demokratie gefährden.
In „Deutschland. Ein Wintermärchen“ schrieb Heinrich Heine 1843: „Franzosen und Russen gehört das Land/Das Meer gehört den Briten/Wir aber besitzen im Luftreich des Traums/Die Herrschaft unbestritten.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Klimaschutz ist in Deutschland zu einer Art Staatsziel erster Ordnung geworden, dem sich alles andere unterzuordnen hat. Es ist sinnvoll und unvermeidbar, CO2 einzusparen. Doch der Weg, den Deutschland eingeschlagen hat, bezeichnete ein Kommentator im Wall Street Journal schon im Januar 2019 als die „weltweit dümmste Energiepolitik“. Er war von Anfang an ideologisch und nicht am Machbaren ausgerichtet. Die Politik ließ sich von Bürgerinitiativen und mächtigen Lobbyorganisationen wie dem BUND, der Umwelthilfe und Agora Energiewende treiben.
Begeistert stiegen die Parteien – und es waren nicht nur die Grünen – aus der sicheren und CO2-freien Kernenergie aus. Die Erneuerbaren wurden ausgebaut, was eine gute Entscheidung war. Doch weil der Wind nicht immer weht und die Sonne in Deutschland nicht allzu oft scheint, braucht es Kraftwerke, die dafür sorgen, dass der Strom aus der Steckdose kommt.
Da man auch aus der Kohle aussteigen und das eigene Gas nicht fördern wollte, machte man sich von russischen Gasimporten abhängig. Nachdem Putin die Ukraine überfallen hatte, zeigte sich, dass die Alliierten, die jahrzehntelang vor der Abhängigkeit von Russland gewarnt hatten, Recht hatten. Nur knapp gelang es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die Versorgung zu sichern. Dies geschah übrigens auch auf Kosten der Entwicklungsländer, in denen sich die Menschen Flüssiggas oft nicht mehr leisten konnten, weil Deutschlands Energiehunger die Preise trieb. Aber eigenes Gas zu fördern war ebenso tabu wie der Ausstieg aus der Kernenergie rückgängig zu machen, nachdem klar war, dass die Geschäftsgrundlage der Energiewende nicht mehr existierte. Was auch mit einem weiteren Tabu zu tun hat: Die in Deutschland maßgeblich entwickelte CCS-Technologie, bei der CO2 an der Quelle abgefangen und später im Boden gelagert wird, war lange verboten. Selbst heute ist sie nur erlaubt, wenn es – wie bei der Zementproduktion – keine Alternativen gibt. Das Luftreich ist wichtiger als weniger CO2 in der Luft.
Um die Kosten noch weiter zu treiben, wurde aus Angst vor Immobilienbesitzern in der Provinz dann auch noch beschlossen, Überlandstromleitungen unterirdisch zu verlegen, denn die Nachbarschaft zu Strommasten senkt den Immobilienwert. Der FAZ sagte Tim Meyerjürgens, der Deutschland-Chef des Netzbetreibers Tennet, das oberirdische Leitungen 20 Milliarden Euro günstiger wären.
Heute ist der Strom in Deutschland schmutziger und teurer als in anderen Teilen Europas, und die Versorgung kann nur durch Importe aus den Nachbarländern gesichert werden. „Für ein Industrieland ist das eine toxische Kombination, deren Folgen wir gerade erleben: Unternehmen bauen Stellen ab, gehen pleite und investieren immer mehr im Ausland.
Unter anderem durch die Energieeinsparverordnung und später das Gebäudeenergiegesetz sowie weitere Bürokratieauflagen sind die Baukosten so stark gestiegen, dass in Deutschland kaum noch gebaut wird. Preiswerte Wohnungen sind unfinanzierbar, wenn Bauen so teuer ist, dass erst ab einer Miete von 18 Euro pro Quadratmeter die Kostendeckung erreicht wird. 2018 sagte Klaus Graniki, der damalige Chef der Dortmunder Wohnungsbaugesellschaft DOGEWO21: „1990 hatten wir 5000 Bauvorschriften, heute sind es 20.000. Weniger Bürokratie würde die Preise senken.“ Aber weniger Bürokratie und ideologische Klimapolitik passen leider nicht zusammen. Deutschlands Bevölkerung wächst auch wegen der Zuwanderung der vergangenen zehn Jahre. Dass die Menschen keine Wohnungen an den Orten finden, an denen es Jobs, gute Schulen und ein attraktives Freizeit- und Kulturangebot gibt, ist purer sozialer Sprengstoff. Das ist den Initiativen egal, die häufig gegen die wenigen Neubauprojekte, die es gibt, protestieren. Auch hier gibt die Politik nach. In Bochum zum Beispiel hat die regierende Koalition aus SPD und Grünen beschlossen, das Ziel des Baus von 800 neuen Wohnungen pro Jahr aufzugeben.
Der Export ist die Grundlage von Deutschlands Wohlstand, und das wichtigste Exportgut sind Autos. Die Abhängigkeit von der Autoindustrie ist ein Problem. Die Bundesrepublik hat die Digitalisierung ignoriert und ist wie ganz Europa in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Plattformökonomie und klassischer Software längst weltweit abgehängt. Außer Spotify dürfte sich auf vielen Rechnern oder Smartphones kaum ein namhaftes europäisches Programm finden. Im Unternehmensbereich ist SAP die große Ausnahme.
Auch die Förderung der biologischen Landwirtschaft ist ein Beispiel radikaler Unvernunft. Die landwirtschaftlichen Erträge sind beim biologischen Anbau um bis zu 29 Prozent niedriger als im konventionellen Anbau. Nicht nur, dass Mitteleuropa mit seinen guten Böden die Pflicht hat, sich daran zu beteiligen, bald zehn Milliarden Menschen zu ernähren – auch aus Klimaschutzgründen macht es Sinn, den Boden möglichst gut zu nutzen, um so Flächen zu gewinnen, auf denen mit Wäldern und Mooren CO2-Senken entstehen können.
Gepusht von Lobbyorganisationen wie Agora Energiewende hat sich in Deutschland eine Ideologie durchgesetzt, nach der es keine Alternative zu Strom aus erneuerbaren Energien geben darf. Ob CO2-Abscheidung (CCS), Kernenergie oder später einmal Kernfusion – jede Alternative wird als Häresie, als Abfall vom einzig wahren Glauben verteufelt. Doch ein Industrieland wie Deutschland kann sich nicht allein mit Sonne und Wind versorgen. Die lange propagierte Alternative grüner Wasserstoff zur Speicherung überschüssiger Solar- und Windenergie ist hier im Gegensatz zu Nordafrika oder Arabien zu teuer. Die Industrie hat Ende vergangenen Jahres Konsequenzen gezogen und steigt aus dem Geschäft mit grünem Wasserstoff aus.
Im europäischen Vergleich hohe Energiepreise bei abnehmender Versorgungssicherheit, eine beginnende Deindustrialisierung, zunehmende Wohnungsnot – all das ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem. Wirtschaftswachstum ist kein Teufelszeug, auch wenn viele versuchen, diesen Eindruck zu erwecken. Es ist die Grundlage von Wohlstand und Wohlstand wiederum eine wichtige Grundlage einer demokratischen und stabilen Gesellschaft. Die Krise hat längst demokratiegefährdende Ausmaße erreicht. Ein Umsteuern in der Energiepolitik, das neben dem Ausbau der Erneuerbaren auch CCS, heimisches Gas und Kerntechnik ermöglicht, sowie der Bau neuer Reaktoren mit europäischen Partnern und eine Einschränkung der Klagemöglichkeiten mächtiger NGOs, könnten die sozialen Verwerfungen und den weiteren wirtschaftlichen Abstieg noch verhindern. Sollte das nicht gelingen, könnte bei der Bundestagswahl 2029 vielleicht Alice Weidel die Favoritin sein.