Einst bekannt als „Klein-Paris” ist Gummersbach treue Heimat des Düsseldorfer Malereiprofessors Bruno Goller. Wenn schon eine Retrospektive einem alten weißen Mann aus dem Oberbergischen gewidmet wird, dann zeigt ihn das Kunstmuseum Bonn als Maler der Frauen. Zeitgleich wird Goller als reservierter Maler aus der privaten Sammlung Kasper König im Kölner Kunstauktionshaus Van Ham zum Kauf geboten. Auf jeden Fall ein Maler gegen die Zeit, der sich keinem -ismus beugt.
Bruno Goller ist der große Unbekannte in der rheinländischen Kunst. Als Mitglied der Künstlergruppe „Junges Rheinland“ war Goller stets ein geheimnisvoller Eigenbrödler, so charakterisiert ihn Stephan Berg, Direktor des Kunstmuseums Bonn. Zusammen mit dem ehemaligen stellvertretenden Direktor Christoph Schreier, der als „Veteran der Bonner Kuratoren“ für diese Retrospektive aus dem Ruhestand reaktivierte wurde, werden Gemälde und Zeichnungen in chronologischer Hängung gezeigt. Gollers Œuvre umfasst eine Lebensspanne von gut 100 Jahren. Warum aber gilt Goller als Außenseiter der Moderne, wenn er als Malereiprofessor ab 1949 eine prominente Stellung an der Kunstakademie Düsseldorf innehatte?
In der Atmosphäre eines Schaufensters erscheinen die Gemälde von Bruno Goller als visuelle Anordnung einer Zeit, deren Natur auch über das paradoxe Wesen der eigenen Existenz Auskunft gibt. In ständiger Veränderung und gleichzeitiger Beständigkeit strebt der Maler aus Gummersbach nach einer Art vorsokratischer Kohärenz. Heraklits berühmte Aussage „Panta rhei“ (Alles fließt) gilt als Botschaft und Einladung zugleich, sich auf die Einheit aller Dinge in Gollers Kompositionen einzulassen. Strenge Symmetrie, zarte Zwischenräume, fester Rahmen, zerbrechliche Fläche, all das bildet den künstlerischen Soziolekt von Gollers eigenwilliger Bildgrammatik. Die rätselhafte Verdichtung seiner inneren Welt weckt Erinnerungen, erzählt Versprechen, vermittelt Zustände von Annahmen, Absichten und Begierden.
Schluss mit kunstwissenschaftlicher Blütensprache, rein in den nahbaren Dialog. Also wie umgehen mit der Frage, ob nur gucken oder kaufen? Gollers Biografie, 1901 in Braunschweig geboren und 1998 in Düsseldorf verstorben, verleitet zu einer psychologisierenden Deutung. Erkenntnisse über unbewusste psychische Konflikte seit Freud und C.G. Jung sind in Gollers Arbeiten nicht ganz umwegig. Als Goller vier Jahre alt ist, stirbt sein Vater. Seine Mutter war Modistin und unterhielt einen Hutmacherladen. Dann, als Goller 23 Jahre jung ist, verliert er auch seine Mutter. Goller er- und durchlebt beide Weltkriege. 1933 heiratet der Maler Elsbeth Nipshagen, doch ihre Ehe bleibt kinderlos. Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs geht er in die Innere Emigration, hört auf zu malen und wird 1940 zum Kriegseinsatz in Frankreich eingezogen. Seine Bilder gelten zu diesem Zeitpunkt schon als entartet. 1943 detoniert eine Brandbombe in Gollers Atelier und zerstört große Teile seines Frühwerks. Fortan verlässt der hochsensible Maler kaum noch Düsseldorf.
Obwohl es bei Kunst nicht nur um Gefühle, sondern auch um Cash geht, verkauft Goller ungern seine Gemälde. Er wird immer mehr zum Einzelgänger und entwickelt eine oknophile Haltung, d.h. eine Art Schutzinstinkt, sich an gewohnte Abläufe und Dinge zu klammern. Ein Gemälde kauft er sogar kurz nach einem Verkauf in die USA zu einem viel höheren Preis zurück. Verrückt, verkappt, verborgen, verklemmt, verpasst, verlassen, verloren, verschoben, vermieden, verkrochen, verrannt, verschlossen – der als introvertiert geltende Künstler hütet seine Malereien wie seinen Augapfel. Der Sprung zur Weltkarriere war damit verbaut, der Kontakt zu seiner Seele blieb dafür offen.
Goller besitzt keine klassische akademische Ausbildung, sondern nach Unterricht beim Düsseldorfer Landschaftsmaler Julius Jungheim stürzt er sich in ein manisches künstlerisches Schaffen, das einer kunstgeschichtlichen Einordnung widerstrebt. Nennen wir es nun vorsichtig Surrealismus, besser Neue Sachlichkeit, eine deutsche Form von Pittura metafisica oder eine konzeptionelle Variation Davringhausen‘schem Magischen Realismus und hier und da mit Tupferln zu Jasper Johns, sobald man seine Ziffernaffinität entdeckt? Am Ende zählt doch, ob Goller sich als Maler gefunden hat und bestenfalls andere inspirieren konnte. Der Kunstkenner Kasper König, der kürzlich verstorben ist, ging dieser Entdeckung über dessen Schüler Konrad Klapheck nach: „Na ja, Konrad Klapheck ist ein Sonderfall. Das ist ja eine komische Mischung aus neusachlicher und privater Obsession. Der ist ein wunderbarer Künstler, ich bin dankbar, dass ich ihn kennengelernt habe. Aber dann ist es wiederum interessant, dass ich über ihn seinen damaligen Professor, Bruno Goller, zu schätzen gelernt habe, der ja auch der Lehrer von Blinky Palermo war.“
In mehr als in einem Drittel seiner Gemälde greift Goller ein bestimmtes Frauenbild auf. Ein winziges weibliches Profil, dem beispielsweise der Uhrmacher im gleichnamigen monochromatischen Werk (1949) auf einem Uhrenkasten hoch oben entgegen schwärmt, formiert einen idealtypischen Entwurf. In antiker Noblesse von griechischen Säulenfiguren, gepaart mit stilvoller Wasserwelle der 20er Jahre, oder auch in würdevoller Anlehnung an Tizians Venus von Urbino scheint Gollers Begehren und Distanz zum weiblichen Akt zunehmend eine statuarische Wirkung zu entfalten.
Ohne anmaßend gegenüber Gollers Werk sein zu wollen, erscheint er als ein verkopfter Zeitgenosse, der die Malerei als Ventil seiner Gefühlswelt braucht. In der Kunst ist eine Introspektion mentaler Zustände nicht unbedingt von Nachteil, im Gegenteil kann es ein produktiver Treiber künstlerischer Qualität sein. Denn Zeit allein heilt keine Wunden. Der biografisch-psychologische Blick ist so gesehen ein Akt der Empathie. Gollers Kunst kann als eine Form der Emotionsregulation verstanden werden, gleichwohl scheinen soziale, politische, kulturelle und ästhetische Prägungen hindurch. Auch wenn kryptoerotische Kontexte nahe liegen, wie zur auffallend stilisierten Ohrmuschel als ein erogen sublimiertes Sinnesorgan, warnt Stephan Berg vor einem einseitigen Deutungswinkel. In der Malerei geht es immer noch um bildästhetische Leistungen.
Gollers Frühwerk hebt sich stilistisch von seinen späteren Werkphasen ab. Zeichnung und Malerei durchdringen das schemenhafte Grundprinzip seiner Bildcharakteristik, mit der Goller Halt in einer durchgeschüttelten Welt sucht. Schwarze Konturen betonen und isolieren den begrenzten Bildraum, eine reduzierte Farbpalette von Schwarz, Rot, Weiß in toniger, fast schon morbider Qualität bildet die Ausgangsbasis, Motivwiederholungen von Hüten, Katzen, Frauen, Scheren und Ohren forcieren eine Emblematik, kompositorische Linien in Höhe, Breite und Diagonalen spenden Orientierung, im Wechsel von runden und eckigen Formen gleiten Statik und Bewegung hin und her. Insgesamt schafft Goller seine eigenen Gesetze des Bildes.
Parallel zur Retrospektive in Bonn hängt eins seiner Gemälde an zentraler Stelle im Auktionssaal bei Van Ham. Aus des Königs legendärem Kunst-Kruscht nimmt ein besonderes Werk die Verkaufsbühne über dem Sofa von Franz West ein. Signiert und gerahmt stammt die Arbeit aus dem Bruno-Goller-Archiv im Literatur- und Kunstinstitut Hombroich. Zufall oder nicht, Markus Eisenbeis, Inhaber des namhaften Kölner Auktionshauses, erklärt, dass dies der ausdrückliche Wunsch noch vor dem Tod Kasper Königs für das Bieterverfahren zu seiner privaten Sammlung war.
Die „Schwarze Wolke“ (1964) ist deshalb ein faszinierendes Stück, weil es pars pro toto für Gollers Gesamtzyklus steht. Statt in den privaten oder dekorativen Innenraum weist es in die Landschaft hinaus und führt doch ganz tief ins Innere seiner Seele. Gollers Vokabular kompositorischer Elemente ordnet seine Bildsyntax auf der Malfläche. Symmetrie entsteht durch jeweils einen schwarzen Streifen an beiden seitlichen Bildrändern. Am unteren Bildsatz treffen organische Linienschwünge horizontal verlaufend auf dazu vertikal unkontrollierbares Wachstum von vier Bäumen im Bildzentrum, deren Äste teilweise gestutzt sind. Abstrahiert und metaphorisch stehen die Bäume als Zeitzeugen kraftvoll da. Hoch oben am entlegenen Horizont blitzt eine schwarze Wolke auf. Zieht sie vorüber? Bei aller Dramatik und Melancholie erregt das Gemälde eine emotionale Resonanz des Mitfühlens.
Neben vielen privaten und institutionellen Leihgebern konnte die Ausstellung im Kunstmuseum Bonn mit Unterstützung durch den Landschaftsverband Rheinland und der Karin und Uwe Hollweg Stiftung realisiert werden. Der Katalog zur Ausstellung „Bruno Goller – Retrospektive 1922 – 1992“ ist für 30€ im Museumsshop oder online erhältlich (ISBN: 978-3-86442-442-7 im Snoeck Verlag).
Der Evening sale bei Van Ham Kunstauktion startet am 1.10.2024 Los 1-60. Ein Blick in den Katalog hilft bei der Beantwortung: Nur gucken oder kaufen?