Nutzlose Klimapolitik im Wald

Anlässlich der Vereinbarung für Einschlagstopp in alten Buchenwäldern besuchte Steffi Lemke die Bundesforst-Flächen, um sich über deren Zustand und die aktuellen Maßnahmen zum Schutz der Natur aus erster Hand zu informieren. Foto: BImA Lizenz: Copyright


Mit 20 Millionen Euro aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz unterstützt die Bundesregierung den Verzicht auf die Holzernte in alten Buchenwäldern. Betagte Buchen sollen als Kohlendioxid-Senken dem Klimaschutz dienen. Der Waldökologe Roland Irslinger erklärt, warum das falsch ist. Von unserem Gastautor Michael Miersch.

Frage: Wie steht es um die deutschen Wälder? Hat nach den Trockenjahren das verregnete 2024 den Bäumen eine Atempause verschafft?

Roland Irslinger: Wichtige Hinweise auf die Gesundheit der Wälder ergeben sich aus dem Kronenzustand der Bäume im belaubten Zustand. Denn Blätter und Nadeln sorgen mit ihrer Photosynthese für das Wachstum. Die Kronenverlichtung ist nach wie vor hoch, sie hat sich im letzten Jahr auch nicht verändert. Im Durchschnitt fehlen den Bäumen 25 Prozent der Blätter beziehungsweise Nadeln. Wichtigster Einfluss auf den Kronenzustand ist dabei die Witterung der letzten Jahre, die durch lange Trocken- und Hitzeperioden gekennzeichnet war. Betroffen von Verlusten an Blättern oder Nadeln sind vor allem alte Bäume. Da man aus Naturschutzgründen die Bäume immer älter werden lässt, liegt hier möglichweise eine Ursache für das immer noch hohe Ausmaß der Kronenverlichtung.

Über 2024 kann man noch nichts abschließend sagen. Die Absterberaten durch Sturm, Trockenheit, Borkenkäfer und Pilze lagen bei der trockenheitsempfindlichen Fichte in den Jahren 2020 und 2022 jährlich bei etwa vier Prozent. 2023 ist dieser Wert auf ein Prozent zurückgefallen, in Normaljahren liegt er bei etwa 0,2 Prozent. Daraus erkennt man die enorme Gefährdung der Fichten. Der Klimawandel wird die Lebensbedingungen der Borkenkäfer weiter verbessern. Aber auch bei Buchen und Eichen haben sich die Absterberaten in den Jahren von 2020 bis 2022 etwa verfünffacht. Man ging in der Vergangenheit davon aus, dass diese beiden Baumarten in Zeiten des Klimawandels unsere Wälder stabilisieren können. Diese Annahme steht inzwischen auf dem Prüfstand.

Die Waldpolitik des Umweltministeriums stellt den Klimaschutz in den Mittelpunkt. Alte Buchenbestände auf Bundesforstflächen sollen aus der Nutzung genommen werden. Dafür gibt es 20 Millionen Euro aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. Wenn private Waldbesitzer ihre alten Buchen schonen, kriegen sie Fördermittel. Du hältst das für falsch. Warum?

Diese Buchenwälder sollen als natürliche Kohlenstoff-Speicher fossile Kohlendioxid-Emissionen kompensieren. Als langfristige Kohlenstoff-Speicher scheiden alte Buchenwälder aber aus. Wälder, lässt man sie ungenutzt wachsen, können mit zunehmendem Alter netto keinen Kohlenstoff mehr aufnehmen. Grund dafür ist, dass die Menge an Holz, die in einem Wald angereichert werden kann, einem Maximum zustrebt. Mit zunehmendem Alter eines Waldes wird irgendwann ein Fließgleichgewicht erreicht, in dem das Ökosystem zwar weiter Biomasse produziert, gleichzeitig aber auch viel Biomasse wegen des hohen Alters der Bäume abstirbt. Wenn Zuwachsraten und Absterberaten gleich hoch sind, kann der Holzvorrat und damit der Kohlenstoffvorrat nicht mehr größer werden.

Ein Wald ist dann eine Kohlenstoffsenke, wenn seine Holzmenge und damit sein Kohlenstoffgehalt steigt. Ein sehr alter Wald kann keine Kohlenstoffsenke mehr sein. Es ist sogar so, dass alte Wälder durch den Klimawandel stärker unter Hitze und Trockenheit leiden als jüngere Wälder. Zunehmende Sommertrockenheit wird wahrscheinlich dazu führen, dass die Biomasse dieser Wälder zurückgeht. Diese Wälder geben durch natürliche Verrottung dann mehr Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre ab, als sie durch Photosynthese aufnehmen. Der Wald ist in diesem Fall eine CO2-Quelle und erhöht den CO2-Gehalt der Atmosphäre.

Aktuell versucht die Bundesregierung, die jährlichen CO2-Emissionen herunterzurechnen, indem diese Emissionen zusätzlich in alten Wäldern gespeichert werden sollen. Spätestens in der Mitte des Jahrhunderts werden diese alten Wälder aber durch den Klimawandel zusammenbrechen und zur CO2-Quelle werden. Also verlagert die Politik das CO2-Problem auf die nächste Generation, ich nenne das Greenwashing. Sehr alte Buchenwälder aus der Nutzung zu nehmen ist kein Klimaschutz. Die Politik sollte sich hier ehrlich machen.

Werden Wälder wieder zu Urwäldern, wenn man sie aus der Nutzung nimmt?

Urwälder, die Wissenschaft nennt sie Primärwälder, sind dadurch gekennzeichnet, dass sie seit Jahrtausenden nahezu frei von menschlichen Einflüssen wie Baumfällungen, Pflanzungen, Waldweide, Jagd sind. Denn diese Aktivitäten haben eine Veränderung des gesamten Waldökosystems zur Folge. Schon in prähistorischer Zeit haben Menschen in das Ökosystem Wald eingegriffen. Spätestens seit dem ausgehenden Mittelalter gibt es deshalb bei uns keine Urwälder mehr, von wenigen Resten in Osteuropa abgesehen. Unser Wald ist also menschengemacht, er ist Kulturwald, ausnahmslos. Und er braucht die Hand des Försters. Denn wenn wir diese Wälder jetzt nicht mehr nutzen, sehen sie nach Jahrzehnten zwar wie ein „Urwald“ aus. Aber der Schein trügt. Um wieder Urwälder zu bekommen, wären tausend Jahre und mehr notwendig. Dadurch würden viele Arten, die kulturbedingt in unseren Wäldern vorkommen, verloren gehen. Außerdem würde der ursprüngliche Urwald auch nach Jahrtausenden gar nicht mehr entstehen können, weil sich ja das Klima wandelt.

Dennoch gilt der Urwald unter vielen Naturschützern als erstrebenswertes Ziel.

Der Urwaldgedanke entstammt der Romantik, als der Wald zum Sehnsuchtsort, zum Gegenpol von Zivilisation wurde. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten die schwärmerische Waldbegeisterung der Deutschen für ihre rassistisch-nationalistischen Ziele. Auch die heutige Diskussion über Waldnationalparke stützt sich auf den deutschen Waldmythos, in Wirklichkeit haben diese Parks hauptsächlich touristische Ziele. Nutzungsverzicht bedient die Sehnsüchte der Waldbesucher.

Was würde passieren, wenn man Wälder einfach sich selbst überlässt?

In Mitteleuropa wäre die Buche die dominierende Baumart, ließen wir die Wälder ohne Nutzung einfach wachsen. Das hat mit der Beschattung des Bodens durch die Buchenkronen zu tun, Buchen keimen auch im Schatten und sind deshalb den meisten heimischen Baumarten konkurrenzüberlegen. Deshalb sind Buchenwälder auch arm an anderen Baumarten und Bodenvegetation. Eichen können sich gegenüber Buchen nur selten behaupten. Riesige Flächen mit Buchenreinbeständen wären die Folge.

Was sollte man tun, um die Wälder als CO2-Senken optimal zu nutzen?

Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und die Verarbeitung von Holz in Gebäuden und Möbeln hält die Wälder dauerhaft in einem Stadium, in dem sie weiter CO2 binden. Der im Holz gespeicherte Kohlenstoff ist im Bauholz der Häuser und in Möbeln länger gebunden, als wenn dieses Holz im Wald verrotten und dabei CO2freisetzen würde. Das kommt dem Klimaschutz unmittelbar zugute. Zu behaupten, nicht geerntete Bäume würden ja weiterwachsen und dann weiterhin CO2 binden, ist falsch.

Aber wie steht es mit Holz als Brennstoff? Das Umweltbundesamt hat Holzenergie als klimaschädlich eingestuft. Das Amt hat damit die Grundlage für eine CO2-Abgabe auf energetische Holznutzung geschaffen. Zurecht?

Ein Kubikmeter geerntetes Holz vermeidet die Emission von etwa einer Tonne CO2 aus fossilen Ressourcen. Bei der Pflege der Wälder entstehen Waldresthölzer, die für die Möbel- und Bauindustrie uninteressant sind. Waldpflege ist aber erforderlich, um dickes und qualitativ hochwertiges Holz zu bekommen, denn damit steigen die Chancen einer stofflichen Verwertung mit den bekannten Klimavorteilen. Bäume sind bekanntlich rund und Balken sind eckig. Also entstehen bei der Bearbeitung von Holz Reststoffe wie Sägemehl, Späne, Rinde. Der größte Teil davon kann aktuell nicht weiterverwertet werden. Lässt man diese Reststoffe ungenutzt verrotten, gelangt genauso viel CO2 in die Luft wie beim Verbrennen, im selben Zeitraum. Nutzen wir diese Reststoffe zum Heizen, vermeiden wir dagegen fossile CO2-Emissionen. Deshalb leisten Holzheizungen einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende. Heizen mit Holz erhöht den CO2-Gehalt der Atmosphäre nicht, deshalb ist Holz ein CO2-neutraler Brennstoff.

Die Herabstufung der Holzenergie als klimaschädlich ist wissenschaftlich nicht seriös. Das Umweltbundesamt begibt sich hier auf einen ideologisch angetriebenen pseudogrünen Pfad, der Wald und Klima schädigt. Die CO2-Neutralität des Holzes ist eine systemimmanente Eigenschaft nachhaltiger Waldwirtschaft. Mit einem Verzicht auf Heizen mit Holz kann man weder Wald noch Klima retten.

Aber es dauert doch Jahrzehnte, bis das CO2, das wir beim Verbrennen freisetzen, durch das Nachwachsen der Bäume wieder gebunden wird.

Diese Sichtweise ist schon rein mathematisch falsch, denn sie hätte ja laufend sinkende Holzvorräte zur Folge. Denn die Holzmenge, die in einem Waldbestand in einem Jahr genutzt wird, wächst ja auf die ganze Waldlandschaft bezogen bis zum Ende der nächsten Vegetationsperiode nach. „Zeit wird durch Raum ersetzt“ ist das Prinzip der forstlichen Nachhaltigkeit. Zwischen Nutzung und Wachstum des Waldes besteht eine enge Kausalität.

Eigentlich müssten wir alle unsere Wälder verjüngen, um damit ihre jährliche Senkenleistung zu erhöhen, denn im mittleren Alter haben Wälder ihren höchsten Zuwachs. Aber mit Rücksicht auf den Artenschutz und die Biodiversität wird der Wald in Deutschland zum allergrößten Anteil naturnah bewirtschaftet. Das bedeutet, dass man die Bäume erst in höherem Alter erntet. Inzwischen ist das Durchschnittsalter der Buchen in unseren Wirtschaftswäldern sogar höher als in den Buchen-Urwäldern der Slowakei.

 Wie kann man feststellen, dass die Wälder so viel Kohlendioxid neu binden, wie durch das Verheizen freigesetzt wird?

Forstbetriebe ab einer bestimmten Besitzgröße müssen regelmäßig periodische Betriebspläne erstellen, die der Genehmigung bedürfen. Bei dieser Planung werden die Baumarten und deren Alter, die Zuwächse und die Holzvorräte exakt ermittelt. Anhand dieser Pläne lässt sich dann beurteilen, ob die Waldbewirtschaftung nachhaltig ist. Außerdem finden deutschlandweit regelmäßig minutiöse Waldinventuren statt. Nach den Waldinventuren von 2002, 2008 und 2012 fand 2017 sogar eine spezielle Kohlenstoffinventur statt. Alle diese Inventuren kamen zum Ergebnis, dass die Holzvorräte in Deutschland – übrigens auch in Europa – in den letzten Jahrzehnten immer weiter angestiegen sind. Das bedeutet, dass unsere Wälder nicht nur alles CO2kurzfristig binden, das beim Heizen mit Holz freigesetzt wird, sondern sogar deutlich mehr. Die Waldgesetze in Deutschland sind so streng, dass eine Übernutzung gar nicht möglich ist.

Wegen des Klimawandels müssen wir unsere Wälder umbauen, um sie stabiler gegenüber Hitze und Trockenheit zu machen. Durch Nutzungsverzicht auf Selbstheilung der Wälder zu warten, ist in unserer dicht besiedelten Landschaft keine Option. Das würde viel zu lange dauern. Beim Waldumbau wird künftig mehr Holz anfallen, das für Heizzwecke zur Verfügung steht. Weil wir die Wälder auflichten müssen, um trockenheitstolerante Baumarten zu fördern. Dieses Holz in vollem Umfang im Wald liegen zu lassen, würde den Humusgehalt des Bodens nicht steigern, wie oft behauptet wird.

 Auch wenn es fürs Klima nichts bringt, Wälder nicht mehr zu nutzen. Für den Artenschutz und die Biodiversität wäre doch ein Laufenlassen natürlicher Prozesse von Vorteil.

Eindeutig nein. Ein Großteil der heute auf der Roten Liste stehenden Arten würde davon nicht profitieren, das Auerhuhn zum Beispiel würde aussterben. Werden Wälder nicht mehr genutzt, verschlechtern sich die Lebensbedingungen vieler Vogelarten, weil die Wälder dunkler werden. Erst in höherem Alter würden diese Wälder nach und nach zusammenbrechen, wodurch sich die Artenvielfalt wieder erholen würde. Aber die Biodiversität wäre dann dennoch nicht höher als im jetzigen naturnah bewirtschafteten Wald. Besonders wichtig für die Biodiversität ist die Krautflora, die verschwindet, wenn Wälder nicht mehr genutzt und folglich dunkler werden. Dagegen sind Lücken im Wald, die durch Bewirtschaftung entstehen, für die meisten Pflanzenarten besonders wichtig. Beim Schlagen der Lücken haben die Försterinnen und Förster deshalb nicht allein die Holznutzung, sondern eben auch die Artenvielfalt im Blick. Artspezifische Habitate müssen geschaffen werden, Nutzungsverzicht hilft nicht.

In Deutschland werden 91 Prozent der Wälder uneingeschränkt genutzt. Diese Nutzung ist absolut nachhaltig, da weniger geerntet wird als nachwächst. Drei Prozent der Wälder werden nur sehr extensiv genutzt und sechs Prozent sind geschützt. Das Ziel der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, fünf Prozent der Waldfläche zu schützen, ist insofern längst übererfüllt.

Außerdem verzichten wir in Deutschland jedes Jahr auf die Nutzung von zehn Millionen Kubikmetern Holz zusätzlich, um eine angemessene Menge an Totholz am Waldboden zu haben. Hinzu kommen weitere Millionen Kubikmeter an Ernterückständen und dünnem Holz, die auch im Wald liegen bleiben und Totholz bilden. Damit verzichten die Waldbesitzer auf die Nutzung von rund zwanzig Prozent des jährlichen Holzzuwachses auch im ganz normalen Wirtschaftswald. Denn Totholz ist wichtig für den Artenschutz. Viele Pilze, Flechten, Moose, Wirbellose, Vögel und Säugetiere sind auf Totholz als Nahrung, Unterschlupf und Brutgelegenheit angewiesen. Viele Insekten leben direkt von Holz und Rinde, Wildbienen und Wespen nutzen Totholz für ihre Brut.

Dennoch geht die Artenvielfalt zurück. Warum?

Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, denn auch vor Naturschutzgebieten im Wald macht der Insektenschwund nicht Halt. Sicher spielt die landwirtschaftliche Anbau- und Erntetechnik eine herausragende Rolle. Für den Rückgang der Insekten ist die Nutzung auf Landschaftsebene verantwortlich, nicht der einzelne Wald, denn Insekten sind mobil, Wald- und Agrarflächen müssen deshalb zusammen betrachtet werden. Für die Artenvielfalt im Wald ist nicht die Menge an Totholz, sondern die Vielfalt der Habitate und Baumarten entscheidend.

Glaubt man dem Umweltministerium, sind alte Buchenwälder nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für die Biodiversität. Ist auch das ein Irrglaube? 

Buchenwälder sind weniger bedeutsam für die Biodiversität, als weithin angenommen. Die meisten Totholz-Käferarten bevorzugen Fichten, Kiefern, Lärchen und Douglasien, die allerwenigsten die vom Naturschutz favorisierten Buchen. Arten wie der Alpenbock, einer der schönsten Käfer Mitteleuropas, der bisher als Buchenspezialist galt, kommt auch an anderen Baumarten vor. Selbst der seit den Auseinandersetzungen um Stuttgart 21 zu großer Popularität gekommene Juchtenkäfer kommt im Wirtschaftswald verbreitet vor. Auch die Zahl der in Buchenwäldern lebenden Schmetterlingsarten liegt weit unter denen von Wäldern mit Eichen, Birken, Weiden und Pappeln, weil Licht am Waldboden wärmeliebenden Insekten zugutekommt. Kühl-schattige Buchenwälder sind deshalb nicht der Lieblings-Lebensraum der Tagschmetterlinge, Nachtfalter können diesem Lebensraumtyp dagegen etwas mehr abgewinnen, wobei deren Raupen auch Wärme brauchen. Kiefern-, Eichen- und Fichtenwälder beherbergen mehr als doppelt so viele Organismen wie Buchenwälder. Ohne Fichten in unseren Wäldern hätten wir ein paar Dutzend weniger Großpilzarten. Hätten wir nur noch Buchen- und Eichenwälder, würden wir sehr viele dieser Großpilzarten verlieren. Geschätzt kommt die Hälfte aller Blatt- und Nadelpilzarten, das sind über tausend, ausschließlich auf Nadelbäumen vor. Die Douglasie ist die wohl artenreichste Baumart hinsichtlich der Nadel- und Blattpilze.

Das klingt ja, als ob Wirtschaftswälder besser für die Artenvielfalt seien als geschützte Wälder. Naturschutz mit der Kettensäge?

Ziel des Montreal-Abkommens ist es, 30 Prozent der Landoberfläche unter Schutz zu stellen (Als Montreal-Abkommen wird das Rahmenabkommen der UN-Biodiversitätskonferenz von 2022 bezeichnet, das Ziele für den Schutz von Flächen zum Erhalt der Artenvielfalt vorgibt). In Bezug auf unsere Laubwälder ist dieses Ziel längst überschritten. Die öffentliche Meinung geht dahin, die Erhaltung der Artenvielfalt sei nur durch Schutzgebiete möglich. Gegenwärtig gibt es im deutschen Wald rund 22 Millionen Specht- oder Höhlenbäume, eine Million Biotopbäume und 741.000 Horstbäume. Für eine große Zahl von Artengruppen zeigt sich jedoch, dass ihre Vielfalt einschließlich vieler seltener und gefährdeter Arten im nachhaltig bewirtschafteten Wald höher ist als in nicht mehr genutzten Wäldern. Im Wirtschaftswald ist seit Beginn der Aufzeichnungen vor 250 Jahren keine einzige Wald-Pflanzenart ausgestorben. Es gibt keine Pflanzenart, die streng an Buchenwälder gebunden ist. Die Buche ist nicht die Schlüsselbaumart, die für eine hohe Biodiversität der wirbellosen Tiere sorgt, sondern es sind die begleitenden Baumarten, die vornehmlich im bewirtschafteten Wald vorkommen. Es ist deshalb falsch, den Buchenwäldern im Waldnaturschutz eine herausragende Stellung einzuräumen.

Viele Spechte und Kleiber sind heute häufiger als früher. Nicht-ziehende Waldvögel haben seit 1970 stetig zugenommen, sie profitieren von der nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Nutzungsverzicht in Wäldern kann die Lebensbedingungen seltener Vögel nicht verbessern, häufig werden sie sogar verschlechtert. Insektengemeinschaften im Wald sind in Wirtschaftswäldern mit einer großen Zahl an krautigen Blütenpflanzen am stabilsten. Ein hoher Anteil von Mischbaumarten ist für die Artenvielfalt daher besonders bedeutsam, in ungenutzten Buchenwäldern verschwinden die meisten von ihnen aber für weit mehr als ein Jahrhundert.

Du hast das Interview mit dem Tierfilmer Jan Haft auf miersch.media gelesen. Mit ihm sprach ich über Wälder, in denen der Naturschutz Vorrang hat. Haft plädiert für lichte, aufgelockerte Wälder, weil diese am artenreichsten sind. Solche Wälder entstehen dort, wo viele große Pflanzenfresser Jungbäume abbeißen. Das können Wildtiere sein wie Hirsche oder Wisente, aber auch Nutztiere wie Rinder oder Pferde. Was hältst du davon?

Den Argumenten von Jan Haft kann ich Vieles abgewinnen. Die populäre Vorstellung vom dichten, dunklen Wald als vermeintlich natürlichem Zustand ist ein Mythos. Wissenschaftlich ist gut belegt, dass einst große Pflanzenfresser die Wälder auflockerten. Infolge der Ausbreitung der Gletscher während des Eiszeitalters verschwanden die Wälder aus Mitteleuropa, die Baumarten wurden nach Südeuropa vertrieben. Vor zwölftausend Jahren, am Ende der letzten Eiszeit, machten sich diese Baumarten wieder auf den Weg zurück, wobei die west-östlich verlaufenden Alpen diese Wanderung erschwerten. Birken, Kiefern, Haseln, Eichen, Fichten, Tannen, Buchen, Ulmen, Linden, Eschen, Ahorne, etwa in dieser Reihenfolge eroberten sich die Baumarten Mitteleuropa zurück.

Die Menschen versuchten, mit dem neu entstehenden Wald zurechtzukommen, genauso wie die zuvor in den Steppen lebenden großen Pflanzenfresser. Vorstellbar ist, dass die großen Pflanzenfresser mancherorts das Entstehen dichter Wälder haben verhindern können, aber sicher nicht überall. Pflanzenfresser mit mehr als einer Tonne Gewicht starben schon während der Eiszeit aus. Auerochsen, Wisente, Wildpferde und Hirsche später nach und nach. Erfolglose Klimaanpassung und Bejagung durch den Menschen mögen die Ursachen dafür sein. Nachdem sie Ackerbau und Viehzucht entwickelt hatten, lichteten die Menschen die Wälder, was zu einem Anstieg der Artenvielfalt führte. Mitteleuropa wurde einschließlich seiner Wälder zur Kulturlandschaft. Im späten Mittelter bis ins 19. Jahrhundert entstand durch weidendes Vieh wie Rinder, Schweine, Schafe, Pferde ein enormer Weidedruck, der vielerorts zu devastierten Wäldern und Böden ohne Sträucher und Unterholz führte.

Sollten wir – wie Haft fordert – Wisent und Elch wieder in den deutschen Wald lassen und die Waldweide durch Rinder und Pferde wieder einführen?

Für die bestehenden deutschen Wald-Nationalparke beantworte ich die Frage mit einem deutlichen ja. In Nationalparken hat der Naturschutz das Sagen, nicht die Förster. Andererseits kann sich Deutschland glücklich schätzen, dass die in unseren Wäldern produzierten Holzmengen für den deutschen Verbrauch ausreichen. Diesen Zustand müssen wir bewahren und Wisent, Elch, Rind und Pferd müssen deshalb draußen bleiben aus dem Wirtschaftswald, schließlich wollen wir immer mehr Häuser aus dem klimagünstigen Holz bauen.

Warum sollen wir diese Pflanzenfresser in den Wald lassen, wo es doch Landschaften gibt, die landwirtschaftlich kaum zu bewirtschaften sind. Statt große Flächen im Bereich der Landwirtschaft stillzulegen, wäre es bedeutend sinnvoller, dort Hutewälder neu zu schaffen und große Pflanzenfresser anzusiedeln. Die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur wäre eine hervorragende Grundlage, genau dies zu tun, statt Wälder aus der Nutzung zu nehmen, die dann ihre Klima- und Artenschutzfunktion nicht mehr wahrnehmen können. Und unsere Wälder sollten wir so bewirtschaften, dass sie sich durch wohldosiertes Auflichten rechtzeitig verjüngen und an den Klimawandel anpassen lassen. Das tut dem Artenschutz gut, dem Wald auch und dem Klima erst recht. Der Förster als Wisent gewissermaßen.

Umweltverbände und der prominente Förster und Buchautor Peter Wohlleben plädieren für mehr natürliches Waldwachstum. Sowohl Förster als auch Wisent sollten draußen bleiben.

Das passt zur Naturschutzideologie unserer Zeit, ist aber ein völlig falsches Ziel. Zweihundert Jahre Forstwirtschaft haben inzwischen zu Hektarvorräten an Holz geführt, wie wir sie seit dem Mittelalter nicht mehr hatten. Inzwischen ist die Obergrenze der Kohlenstofftragfähigkeit unserer Landschaften erreicht. Würde man das Brennholz nicht mehr aus dem Wald holen und diese Wälder einer natürlichen Entwicklung überlassen, entspräche das nicht den Bedürfnissen gefährdeter Arten, denn dunkle Wälder gehören nicht zu ihren bevorzugten Habitaten. Würde man dem Slogan „Mehr Wildnis wagen“ großflächig folgen, könnten viele heute gefährdete Arten bei uns nicht überleben, denn „urwüchsige“ Natur wäre deren Untergang. Bereits heute können wir beobachten, dass „Natur Natur sein lassen“ im Wald viele Vogelarten wie beispielsweise den Grauspecht und Tagfalterarten zurückdrängt. Allerdings wird der Klimawandel dazu führen, dass die Wälder durch klimabedingte Störungen ohnehin wieder lichter werden.

Werden Waldbrände wahrscheinlicher, wenn man die Nutzung einstellt?

Lebende Bäume brennen selten, weil sie Wasser enthalten. Seit 1881 ist es aber in Deutschland um 1,7 Grad wärmer geworden. Hitze, hohe Verdunstung und Mangel an Wasser lassen die Vegetation welken und Bäume sterben, beste klimatische Voraussetzungen für erhöhte Feuerrisiken. Wegen Wassermangels werden unsere Wälder lichter, eine Grasdecke am Boden und dünnes Totholz ist dann in Dürreperioden extrem zündbereit und kann die Ausbreitung von Waldbränden beschleunigen.

Im Klimawandel wird sich ein Teil der Waldbiomasse in leicht entzündlichen Brennstoff verwandeln, der Feuer in bisher nicht vorstellbarem Ausmaß ermöglicht. Erfahrungen in Südeuropa zeigen, was uns erwartet. Totholz ist Brennstoff, ob es den Waldbrand verschlimmert, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Aber je größer die Menge des verfügbaren Brennstoffs, desto intensiver und schwerer können Feuer und Hitzeentwicklung werden.

Aber auch bei höheren Temperaturen gilt, Wald entzündet sich nicht von selbst.

Waldbrände sind nur vereinzelt natürlich, sie werden meist vorsätzlich oder fahrlässig verursacht, zum Beispiel durch Lagerfeuer und Rauchen. Andererseits muss ein hohes Waldbrandrisiko nicht notwendigerweise bedeuten, dass es mehr Brände und größere Brandflächen gibt. Ob in Zukunft tatsächlich mehr Wälder in Flammen aufgehen, hängt in erster Linie vom Umweltverhalten der Menschen ab und vom Management der Wälder zur Verringerung der Brandlasten. Naturnahe Waldwirtschaft reduziert die Brandlast, indem Bäume geerntet werden, bevor sie vertrocknen, und das Holz in Häusern verbaut wird, bevor der Wald brennt. Waldwildnis-Strategien, die aktuell im Rahmen der natürlichen Waldentwicklung gefördert werden, sind aus Waldbrandsicht meist keine gute Idee.

 

Zur Person:
Roland Irslinger (irslinger@gmx.de), Jahrgang 1949, war von 1982 bis 2014 Professor für Waldökologie an der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg am Neckar. Er forschte im atlantischen Regenwald Brasiliens, und war an der Entwicklung der Zertifizierung von Aufforstungsprojekten des WWF für den Klimaschutz beteiligt.

 

Der Text erschien bereits auf dem Blog von Michael Miersch

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