Zum Abschluss der tollen Reihe „From the Deep“ gab es eine Art Spiel: Es wurden vier Filme gezeigt, und jede Person im Publikum sollte ihre Lieblinge bestimmen, um dann einer Typologie zugeordnet zu werden. Der Autor dieser Zeilen hielt ein Abschlussfeuerwerk konzeptionell wie optisch für eine schöne Sache, Typologieresultat: „Oh, wie schön! Diskursabstinenzler“. Und die Arbeit in einer Seilerei bis zum fertigen Produkt fand er auch ansprechend. Typologieresultat? Irgendetwas mit „gen Wirklichkeit drängend“. Dabei waren die Kurzfilmtage 2010 vielleicht naher an der Realität als je zuvor, nicht zwingend immer zu ihrem Vorteil – hallo, Dialektik.
Radikalität, Ändern von Sehgewohnheiten, Behauptung des Kinos als sozialer Raum. Das kann unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen, aber es hängt natürlich auch davon ab, wie die Besucher sich ihr Festivalprogramm zusammen stellen. Schaut mensch halt vor allem die uralten Schätze (Still aus „Lèvres collés“, Frankreich, Pathé 1906, © Filmarchiv Austria) und ein wenig No Wave und am Ende die Preisverleihung, zeigt sich folgendes: Es gibt eine Art neuer Sanftheit, fast Privatheit bei gleichzeitiger fast pflichtschuldiger Hinwendung zu dem weltweiten politischen Geschehen. Denn: Nahezu alle von den Jurys ausgezeichneten Arbeiten (bis auf die Kinder- und Jugendfilme) haben eine bestimmte zumindest sozialpolitische Ausrichtung, ohne dabei mit neuen filmischen oder auch nur dramaturgischen Mitteln zu operieren. Und das liegt zum Teil einfach an den Jurys. Weil es in Deutschland ein katholisches und ein evangelisches Filmmagazin gibt, lobt seit Jahr und Tag eine „ökumenische“ Jury einen Preis aus. Diese territoriale Besonderheit musste denn auch fast entschuldigend erklärt werden. Nein, keine Moslems, Buddhisten, Juden, usf. Katholiken und Protestanten. Eine andere Jury wird vom Ministerpräsidenten ausgewählt. 3SAT oder ARTE schwafeln von „neuen Blicken“, prämieren aber nahezu werbefernsehhafte Filme. Und auch die Jury aus KünstlerInnen und Fachleuten scheint nicht gerade auf die Prämierung mutiger Werke aus gewesen zu sein. Und es scheint so etwas wie Kontinents-Quotierung zu geben, so á la: Korea klar, Südamerika nicht vergessen, oh ja: Moldawien und Litauen. Internationaler Wettbewerb. Preisverleihungen. Medienpartner. Banken und Bürgermeister. Nicht die schönste Seite des Festivals. Der „Geist von Oberhausen“ lebt woanders (Foto oben: Jens Kobler).
Und auch das mit dem schon in Teil eins angesprochenen RuhrForum Filmbildung kann kritisch betrachtet werden, wie hier in einer kleinen Polemik verschriftlicht:
Natürlich ist das mehr als nur bedenkenswert, wenn selbsternannte Medienspezialisten nicht einmal willens oder in der Lage sind zu thematisieren, wie aufgrund spezifischer soziopolitischer Konstellationen z.B. Andy Warhol’s „jedeR kann einE KünstlerIn sein“ via NYC-DIY prototypisch zur heutigen Glasnost-Internetinteraktivitäts-Seligkeit geführt hat. Oder dass mit der Kamera flirtende Kleinkinder nicht zwingend wünschenswert sein müssen. Naja, mensch ist halt im Medienbusiness? Digitaler Volkskörper rules okay, und das schreiben wir den Kids und Lehrern bei RuhrForum Filmbildung (und eben nicht: Medienbildung) dann auch noch mit Muttermilch ins Gebetbuch?
Sollte wohl heißen: Medienpädagogik muss, all diese Künstler-machen-Soziales-Aktionen dürfen aber – muss das geschrieben werden? – nie zu Menschenexperimenten werden!! Soweit dazu. Nun zum angenehmen Teil: Beim Gespräch mit einer Preisträgerin (ihr Video zu einem Lied von Hans Unstern hier) gibt es Lob für die Region: In Berlin wisse mensch gar nicht, wohin mit den Filmen. Erstaunen bei der Bemerkung, hier gebe es ja durchaus noch mehr Filmfestivals. Anerkennung für das etwas Nussschalenhafte, Übersichtliche der Szene in Oberhausen. Hier fällt das Kontakten leicht, es gibt nicht dieses Pyramidenhafte wie in der Hauptstadt, wo der Platz an der Sonne die Spitze eines Eisberges ist – um noch einmal eine Metapher zu versuchen. Im Gespräch mit einem anderen Bekannten fällt auf, dass wenig Kameras da waren, also die von Sendern o.ä. Dabei gibt Oberhausen so viel Stoff her: Die Lichtburg, das Druckluft und die Fabrik K14, in der auch die Abschlussparty stattfindet: Zweitältestes soziokulturelles Zentrum Deutschlands. Von einem Kommunisten und Jazzer gegründet. Schlingensief zeigte hier seine ersten Filme. Tja, da pennen die selbstgenügsamen Medienstädte der ehemaligen Bonner Republik, schreiben lieber über Castingshows und machen Beiträge mit Archivmaterial und Standbildern. Na klasse. Da hat Oberhausen (Foto vom leeren Friedensplatz: Jens Kobler) mehr verdient.
Tipps für das nächste Jahr: Etwas mehr Esprit und Mut beim nicht-filmischen Rahmenprogramm, bitte! Auf jeden Fall vollständig kuratierte Reihen schauen! Der Charme und die Intelligenz des Programms kommen dort einfach am besten zum Tragen – falls vorhanden, wie bei „From the Deep“ halt. Akademiker, die Filme und Künstler selbst im persönlichen Gespräch in das Korsett irgendeiner Doktorarbeit pressen wollen, braucht es hingegen weniger. „No Wave“ blieb so teils enttäuschend, wobei gerade die aus dem Nichtstun geborene Kunst in sinnentleerten Stadtteilen á la Manhattan viele Anknüpfungspunkte an Oberhausener und Ruhrgebietsverhältnisse geboten hat – aber leider nur über die Filme selbst. Also: KuratorInnen checken, ggf. früh die Vorlesung wechseln! Dann: Die Wettbewerbe sorgen für Preise, internationalen Zuspruch, Reisekostenerstattungen und natürlich kontroversen Diskurs. Aber sie sind ganz gewiss nicht das Herz der Kurzfilmtage. Wie die fast obsoleten Musikvideos sind sie gen Publikum gedacht eher niedrigschwellige Angebote von gestern. Auch wie leicht verständliche, faszinierende und gleichzeitig bildende Filme dieses Festival dem Nicht-Fachpublikum öffnen können, hat „From the Deep“ geradezu prototypisch gezeigt. Ein kleines Wunder, für das es hoffentlich auch irgendeine Art von Preis gibt. Viel, viel Applaus gibt es jedenfalls von hier.
Nächster Filmtipp für das Ruhrgebiet: „Free Falling“, zusammengestellt von Katrin Mundt und mit internationalen Gästen, am 28. und 29. Mai bei pact Zollverein.
[…] Auch die Ruhrbarone haben Fürstliches zu berichten, zweigeteilt in Atmosphärisches und ein kritisches Resümée. […]