„We are the 99 Percent“ ist der Slogan der Occupy-Bewegung. Nun hat sich das verbliebene eine Prozent zumindest zum Teil begonnen, sich mit dem Protestlern zu solidarisieren.
Ich mag den Occupy-Slogan mit den 99 Prozent nicht. Er ist mir zu großkotzig. Und mich schreckt er ab. Ich will nicht zu „99 Prozent“ gehören. Ich mag keine Gruppen, große schon gar nicht. Aber darum soll es hier nicht gehen. Es geht um das verbliebene eine Prozent . Dass die auch kein Block sind, macht die Site „westandwiththe99percent“ deutlich. Dort outen sich wohlhabende US-Bürger, die sich um Geld keine Sorgen machen müssen und zum Teil mit allen Privilegien aufgewachsen sind, und solidarisieren sich mit den Occupy-Demonstranten. So erklären sie ihre Bereitschaft, mehr Steuern zu zahlen. Und erkennen an, dass auch sie zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden müssen:
It isn’t fair that I have retired in comfort after a career working with financial instruments while people who worked as nurses, teachers, soldiers, etc. are worried about paying for their future, their healthcare, and their children’s educations.
They are the backbone of this country that allowed me to succeed.
I am willing to pay more taxes so that everyone can look forward to a secure future like I do.
Schöne Aktion. In Deutschland, wo die Steuersätze im Vergleich zu den USA gerade bei den großen Einkommen deutlich höher liegen, gibt es eine vergleichbare Initiative.
Das unangenehme an dem 99%-Slogan ist, dass er ein riesiges Massenkollektiv postuliert. Den Anspruch, für 99 Prozent zu sprechen, den haben sonst eigentlich nur Diktatoren.
Mit diesen will ich die Protestbewegung überhaupt nicht gleichsetzen, aber: Emanzipatorische Politikansätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur populistisch für die Interessen einer (eingebildeten oder tatsächlichen) Mehrheit kämpfen, sondern gerade auch für die Rechte von Minderheiten. Dass sie sagen: Verdammt noch mal, es ist scheißegal, wenn du nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehörst, trotzdem hast du die gleichen Rechte. Ohne Angst verschieden sein können, das sollte die Forderung der Stunde sein.
Dazu gehört natürlich auch ökonomische und soziale Partizipation, deswegen ist der Protest gegen die aktuellen Wirtschaftsverhältnisse mehr als angebracht. Aber: Wer Gesellschaft als einen 99-Prozent-Block mit mehr oder weniger gleichen Interessen denkt, öffnet die Bewegung für populistischen Unsinn.
Nun darf man so einen Slogan nicht überbewerten – in ihm kulminiert nicht die Politik der Bewegung. Aber selten stimme ich Stefan so zu wie bei diesem Statement: Ich mag den Slogan nicht. Er schreckt mich ab. Wenn, dann wäre ich gerne Teil einer politischen Bewegung, welche die Vielfältigkeit und die Unterschiede feiert. Die sagt: Es ist nicht schlimm, Minderheiten anzugehören. Und außerdem: Mehrheiten haben nicht alleine dadurch Recht, dass sie mehr sind als Minderheiten.
Aber glücklicherweise kann man ja auch die Occupy-Bewegung nicht über einen Kamm scheren, auch wenn man meinen könnte, dass sie es gerne so hätte.
als Werber war ich ein wenig neidisch auf den slogan:
finde ihn sehr gut!
und ich lese ihn auch ganz anders, so: „1% verarscht den Rest der Welt, macht durch Zocker- Geldgeschäfte ganze Staaten kaputt …“
Wir kennen diese Argumentation von den Charity-Veranstaltungen der Prominenten und Reichen, wo immer viel gespendet und noch mehr darüber geredet wird, um den Wind aus den Segeln einer Protestbewegung zu nehmen: an den Strukturen soll sich und wollen sie jedoch nichts ändern.
Und was die Mehrheiten angeht lieber @R: die westlichen Demokratien sind doch so stolz auf ihr Mehrheitsprinzip, obwohl doch manchmal nicht mal die Hälfte zur Wahl geht. Was ist also an einer Mehrheit so erschreckend, wenn sie sich bündelt, zumal knapp 90 Prozent in dieser Republik abhängig Beschäftigte sind.
Das ganze erinnert sehr stark an einen Wahlslogan der SPD aus den 60 ger oder 7oger Jahren: Millionen gegen Millionäre. Jetzt sind es Milliarden gegen Milliardäre, was zeigt, dass sich in der Zwischenzeit quantitativ viel, qualitativ aber, zumindest was die prozentuale Einkommensverteilung betrifft, nur wenig verändert hat.
Was das unbestimmte Gefühl betrifft, dass auf den Finanzmärkten mittlerweile Wahnsinn mit System betrieben wird, sind die 99% übrigens nahezu korrekt. Ich kenne keinen Einzigen, auch von denen die behaupten, dass sie wüssten wie Banken funktionieren, der nicht der Meinung wäre. Es ist also nicht verwunderlich, dass auch einige der Millionäre by Occupy Wallstreet mitmachen, die die SPD früher mal zu bekämpfen vorgegeben hat.
Natürlich kann man sich darüber lustig machen. Sollte man aber nicht, denn genau das zeigt sehr deutlich, wie gefährlich bestimmte Finanzmarktpraktiken auch für die geworden sind, die über viel Geld verfügen. Die Banken sind nämlich in bestimmten Handlungsbereichen innerhalbe kürzester Zeit von der Systemrelevanz in die Systembedrohung um- bzw. aufgestiegen.
Die eigentliche Katastrophe dahinter aber ist der unermesssliche öffentliche Schuldenberg. Und auch da stimmen die 99% wieder. Öffentlich Schulden haben nämlich so gut wie alle, egal wieviel individuelle Ersparnisse sie zurückgelegt haben und ob sie ganz persönlich zu den 99% gehören wollen. Denn alle müssen sie am Ende auch bezahlen. Selbst das eine durch Occupy Wallstreet bekämpfte Prozent was noch zu 100% fehlt. Nur, dass dem das nahezu komplett am Arsch vorbei geht.
Aber nicht mehr lange.
@Stefan: Eine Demokratie, die NUR stolz ist auf ihr Mehrheitsprinzip ist, die ist meiner Meinung nach keine. Eine partizipative Demokratie setzt voraus, dass eben auch Minderheiten nicht nur Toleranz, sondern Akzeptanz und Mitgestaltungsmöglichkeiten haben. Und emanzipative Bewegungen vertreten sogar den Anspruch, dass es scheißegal sein sollte, ob die eigene Lebensführung, sexuelle Ausrichtung etc. von einer Mehrheit oder nur von einer Minderheit geteilt wird. Sie kämpfen dafür, dass sie alle ohne Angst und Repression ihre Lebensentwürfe leben können. Deshalb sage ich: Wer NUR auf (tatsächliche oder postulierte) Mehrheit setzt, und nicht auf Vielfalt (und damit zwangsläufig auch auf Minderheit), ist nicht emanzipatorisch, sondern populistisch.
Auf die konkrete Frage übertragen: Ich halte es für eine populistische Vereinfachung, wenn eine soziale Bewegung postulieren würde, 99 Prozent der Bevölkerung hätten gleiche Interessen. Die haben sie nicht. Und weil das so ist, kann ein solcher Anspruch dazu führen, dass wichtige Pluralitäten und Unterschiede unsichtbar gemacht werden. Da ist mir eine offene und ehrliche Bündnisarbeit wesentlich sympathischer, bei der es jeweils einen Aktionskonsens gibt, und wo es dann heißt: Trotz aller Unterschiede stimmen wir in jenen konkreten Punkten strategisch überein, deswegen machen wir konkret das und das gemeinsam.
Wohlgemerkt: Man kann die Occupy-Bewegung nicht auf diesen Slogan reduzieren. Teile der Bewegung vertreten durchaus einen spürbar emanzipatorischen Anspruch. Das ändert aber nichts daran, dass der 99-Prozent-Slogan steht für das, was mir an dieser Bewegung eher unsympathisch ist.
Die „1 Prozenter“ sind doch die Hells Angels.
Ich versteh den Slogan nicht.
https://www.biker-allianz.de/de/rubriken/lexikon/1prozent.html
Es geht ja hier nicht um Minderheitenschutz, sondern um diametrale Interessengegensätze, das ist das Thema dieser Bewegung. Und wenn Günther Jauch fragen würde, was ist einer der grundlergendsten gesellschaftlichen Gegensätze in dieser Republik, dann würden die wenigsten auf Kapital / Arbeit kommen dank jahrzehntelanger Sozialpartnerschaftsideologie, die über die Köpfe gekübelt wurde. Insofern hat die Bewegung Occupy Wallstreet noch viele Aufgaben zur Aufklärung vor sich, um der Bewußtlosigkeit hierzulande entgegenzuwirken. Man kann es leugnen oder ignorieren: Tatsache ist aber, dass knapp 90 Prozent abhängig Beschäftigte sind und warum sollen die ihre Interessen nicht mehrheitlich bündeln und zum Ausdruck bringen und was soll in diesem Zusammenhang dieses Populismusgebrumsel?
Wer so erpicht ist auf „Vielfältigkeit und Unterschiede“ und sonstigem individualistischen Ideologiebrimborium, der hat auch mit einer sozialen Bewegung wenig am Hut und hat auch nicht verstanden, worum es diesem Protest geht: nämlich überhaupt e i n e Stimme zu verleihen, gegen die Macht einer hauchdünnen Milliardärskaste. Der öffnet mit derlei Nebensächlichkeitsdebatten und populistischem Geschwurbel für Orientierungslose Tür und Tor für Spaltung und Vereinnahmung einer solchen Bewegung. Vielleicht ist dies ja das eigentliche Ziel, das dahinter steckt: die eigene Identität gemeinsamer Interessen nicht aufkommen zu lassen und mit publizistischen Nebelkerzen zu werfen. Und das phrasenhafte Gerede von „offener und ehrlicher Bündnisarbeit“ über einen minimalen Aktionskonsens zeugt ja nicht gerade über ein ausgeprägtes Bewußtsein der eigenen Interessenlage im sozialen Koordinatensystem dieser Republik.
Man kann es ja auch witzig angehen: wie man aber auf die Hells Angels kommt, bleibt selbst der Posterin verborgen. Die Auseinandersetzung um die zukünftigen ökonomischen Lebensgrundlagen hat aber mehr als einen billigen Gag verdient, sonst verschenkt sie wichtige Elemente einer sozialen und politischen Identitätsbildung, sich seinen Interessen und seinem Standort in dieser Gesellschaft bewußt zu werden.
Wie, ist jetzt die heiße Luft aus der Debatte schon wieder raus, wars das schon mit dem schlappen Sackhüpfen?