Es berichtet unser Wiener Ruhrbaron Christoph Baumgarten.
In Österreich dürfte ein Grazer Krankenhaus haarscharf an einer Masern-Epidemie vorbeigeschrammt sein. Eine infizierte Krankenpflege-Schülerin hatte in dem Spital Kontakt mit bis zu 170 Kindern. Glücklicher- und untypischerweise waren entgegen ersten Meldungen fast alle geimpft.
Es kam nicht so schlimm wie befürchtet. Als bekannt wurde, dass sich eine ungeimpfte Krankenpflege-Schülerin an einem erkrankten Kind angesteckt hatte, bereiteten sich die Leitung der Uniklinik Graz und die Gesundheitsbehörden des Landes Steiermark (Graz ist die Landeshauptstadt, Anm.) auf eine größere Epidemie vor.
Die Krankenpflege-Schülerin hatte in der Spitalsambulanz mit bis zu 170 Kindern Kontakt gehabt. Der Impfstatus von 40 Kindern war zunächst unklar beziehungsweise nicht überprüfbar. Aus Sicherheitsgründen gingen die Behörden davon aus, dass die Kinder nicht oder nicht vollständig geimpft waren.
Beileibe mehr als Hysterie: Österreichweit sind nur 80 Prozent der Kinder gegen Masern geimpft. 40 von 170 Kindern in einer Spitalsambulanz liegt nur leicht über der zu erwartenden Anzahl der ungeimpften Kinder, vulgo Impfverweigerungsopfer.
Kinder überdurchschnittlich häufig geimpft
Als nach einigen Tagen alle Daten vorlagen, entwarnten die Behörden, wie mehrere Medien übereinstimmend berichten: Nur eines der 40 Kinder war nicht geimpft. Eine Epidemie dürfte nach diesen Erkenntnissen sehr unwahrscheinlich geworden sein.
Ganz gebannt dürfte die Gefahr nicht sein. Der Impfstatus einiger Eltern, die ihre Kinder in der Spitalsambulanz begleiteten, ist unklar. Und: Ein Zivildiener, der in dem Krankenhaus arbeitet, hat sich ebenfalls angesteckt (Als Zivildienst bezeichnet man in Österreich den Wehrersatzdienst, hierzulande gilt die Wehrpflicht noch, Anm.). Er hatte nur eine der beiden Teilimpfungen gegen Masern bekommen.
Es ist unklar, mit wie vielen Menschen der junge Mann Kontakt hatte. Er betont, seit Ausbruch der Krankheit zuhause geblieben zu sein. Allein, Masern können auch ansteckend sein, bevor sie ausbrechen.
Impfpflicht: Nicht vorgesehen
Für die Spitalsleitung bedeutet das eine enorme logistische Herausforderung. Sie erhebt den Impfstatus aller Beschäftigten im Spital und bietet Impfungen an, wenn notwendig. Das wird bei vielen fruchten. Aufrechten Impfverweigerern im Spital wird man so nicht beikommen können. Eine Impfplicht dürfte auch bei Spitalspersonal in Österreich nicht möglich sein. Die Landesgesundheitsbehörden lassen prüfen, ob man das ändern kann.
Bei der durchschnittlichen Impfquote hätte die Grazer Krankenpflege-Schülerin gemäß den vorliegenden Informationen mit 34 nicht geimpften Kindern Kontakt gehabt.
Ausgebrochen wäre die Krankheit bei 32 oder 33. Die hätten, bevor die ersten Symptome aufgetreten wären beziehungsweise die Behörden sie aus Kindergarten oder Schule ausgesperrt hätten, wahrscheinlich Kontakt zu Dutzenden nicht geimpfter Kinder außerhalb des eigenen Zuhause gehabt. Dazu kommen die Eltern und die Geschwister. Dass es zahlreiche weitere Erkrankte gegeben hätte, ist sehr wahrscheinlich.
Weitere Epidemie mit viel Glück ausgeblieben
Das ist nicht der einzige Masernausbruch in Österreich in diesen Tagen. In Wels, der zweitgrößten Stadt in Oberösterreich, ist eine Familie mit fünf Mitgliedern an Masern erkrankt. Die Erwachsenen sind nach Medieninformationen Impfverweigerer, die auch ihren Kindern den Schutz vor der Infektionskrankheit verwehrt haben.
In der gleichen Stadt gibt es einen weiteren Masernfall: Einen Schüler an der HTL. Es dürfte kein Zusammenhang mit der erkrankten Familie bestehen. Der Schüler wohnt in einer anderen Gemeinde.
Auch hier dürfte sehr viel Glück im Spiel gewesen sein. An der HTL sind 1.500 Schüler und Lehrer tätig. Ansteckungsgefahr soll zu keinem Zeitpunkt bestanden haben. Der Schüler soll rechtzeitig zuhause geblieben sein.
Wenn nur ein paar Dinge anders gelaufen wären, wäre eine lokale Masernepidemie zu erwarten. Legt man die allgemeine Impfquote auf die HTL wären etwa 300 an dieser Schule nicht oder nur teilweise Geimpfte – allesamt potentielle Ansteckungsopfer.
Impfungen sind sicher, immer mehr dagegen
Die Gefahr ließe sich bannen. Impfungen gegen Masern sind effektiv und sicher. Die Komplikationsraten sind sehr gering. Wenn sich mehr Menschen impfen ließen, die Krankheit wäre weltweit innerhalb weniger Jahre ausrottbar.
Trotzdem: Immer weniger Menschen lassen ihre Kinder impfen, wie das Europa-Büro der WHO angesichts der Ausbrüche in europäischen Ländern schreibt. Demnach sind 2014 und zu Jahresbeginn 2015 allein in sieben europäischen Ländern fast 23.000 Menschen an Masern erkrankt.
Seit Jahresbeginn mindestens 55 Fälle
In Österreich waren es allein im Jänner 37 Fälle. Das Gratisblatt „heute“ schreibt von 47 Fällen zwischen Jänner und der letzten Februarwoche.
Macht mit den acht im März bekannt gewordenen Erkrankungen mindestens 55 Masernerkrankungen seit Jahresbeginn. Umgelegt auf die Bevölkerung entspricht das in etwa der Epidemie, die aktuell in Deutschland grassiert. Die Daten scheinen allerdings nicht vollständig zu sein.
Ein Drittel gegen Impfpflicht
Gegen eine verpflichtende Impfung scheint allerdings nach wie vor ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung zu sein. Eine (nicht-repräsentative) Online-Umfrage in der Tageszeitung „Der Standard“ weist ein Drittel der Befragten als Gegner einer Impfpflicht aus – fast identisch die Ergebnisse einer Umfrage des Gratisblatts „heute“ (siehe Link oben).
Ausdruck der nicht zu übersehenden Skepsis ist die Umtriebigkeit der Impfgegner in den Online-Foren der Zeitungen, die über die jüngsten Ausbrüche berichten. Besonders beliebt ist das des „Standard“. Das liegt zum einen daran, dass die Zeitung eines der größten deutschsprachigen Online-Foren hat. Zum anderen wird die Seite eher von Menschen mit formal hoher Bildung gelesen. Dort ist die Impfskepsis bekanntermaßen besonders groß.
Wobei man den Postings der Impfgegner die relativ hohe formale Bildung der Autoren häufig nicht ansieht. So schreibt ein User namens clearlake etwas kryptisch: „also solche Forderungen sind einfach nur noch krank…wir reden hier von Masern, nicht von der Pest, Lepra oder Pocken!!! Das ist Selektion, ich bin echt erschüttert, der politisch korrekte Faschismus schlägt wild um sich…“
Aus einem Forum der Tageszeitung „Kurier“, in deren Leserschaft auch die gebildete Mittelschicht überrepräsentiert ist. „Man koennte meinen, die Pest sei ausgebrochen. Ich vermute hinter dieser Hysterie die Pharma-Industrie, die ihre Produkte bewerben will. In meiner Generation hat noch so gut wie jeder die Masern durchgemacht. Gestorben ist daran keiner. Auch Spaetfolgen gab es keine. Es sterben sicher viel mehr Menschen im Strassenverkehr oder aufgrund von Umweltverschmutzung oder bei Sportunfaellen (Lawinen …)“, schreibt eine regelmäßig einschlägig aktive Userin mit dem Nick Anna Domini.
Die wundersame Welt der Christine Laschkolnig
Die offenbar weit verbreitete Skepsis gegenüber Impfungen im Allgemeinen und Masernimpfungen im Speziellen liegt nicht zuletzt an Ärztinnen und Ärzten wie Christine Laschkolnig. Sie ordiniert in Wien und tritt in Fernsehdiskussionen als Impfgegnerin auf.
Auf ihrer Homepage entwirft sie eine „spirituelle Sicht“ zu Impfungen. Um den Vorwurf unzulässiger Zuspitzung zu vermeiden, sei diese vollständig wiedergegeben:
„Kinder kommen als vollkommene Wesen zur Welt und bringen die Geschichten der Ahnen mit. Sie brauchen nichts anderes als Liebe, Nahrung, Schutz und Geborgenheit, damit sie sich ihren Anlagen entsprechend entwickeln und entfalten können. Vieles kann von ihnen gelernt werden. Es gibt eine Geschichte von einem vierjährigen Buben, dessen Mutter ein Geschwisterchen erwartet:
Schon während der Schwangerschaft ringt der Bub den Eltern das Versprechen ab, ihn mit dem Neugeborenen allein zu lassen. Als das Baby auf der Welt war, war es an der Zeit, das Versprechen einzulösen. Neugierig beobachteten die Eltern durch das Schlüsselloch, was denn der kleine Bub mit seinem Geschwisterchen machen würde? Er kletterte zu dem Baby ins Gitterbett: „Erzähl mir von Gott, ich beginne zu vergessen“.
Sie bringen das Göttliche, erinnern an die göttliche Natur des Menschen und was für ein Empfang wird ihnen geboten? Mit drei Monaten wird ihr Körper überflutet mit Krankheitskeimen in einer Anzahl, wie sie in der Natur gar nicht vorkommen, direkt in ihren Blutkreislauf, versehen mit Konservierungsstoffen, wie Formaldehyd, Aluminium, Quecksilber etc. Sie können noch nicht laufen, nicht sprechen, nicht essen – weshalb sollte ihr Gehirn und ihr Körper im Alter von drei Monaten wohl imstande sein, mit einer solchen Unzahl von Krankheitskeimen fertig zu werden?
Die Gehirnnerven, der Ursprung des gesamten Nervensystems, sind noch schutzlos – ohne Ummantelung – einem Rohr gleich, das noch keine Außenisolierung hat. Die Keime können gar nichts anderes tun, als sich an die Gehirnnerven anzulagern und behindern die Entwicklung der Nervenscheiden und damit die Gehirnentwicklung.
Dr. G. Buchwald – Impfen, das Geschäft mit der Angst – Knaur Verlag
„Jede Impfung ist eine bewusst herbeigeführte Hirnschädigung mit unterschiedlichem Effekt, je nach Veranlagung.“
Vielleicht würde die Gesellschaft zu sehr mit ihren eigenen Unzulänglichkeiten und Defiziten konfrontiert werden, wenn Kinder sich ungestört und unbeeinflusst von den Krankheiten in Ruhe entwickeln könnten. Möglicherweise ist es besser, eine gesunde und freie Entwicklung von Anfang an zu behindern, damit sie mit ihrer intellektuellen Kapazität niemandem über den Kopf wachsen können?“
Approbation nicht sehr einfach zu entziehen
Mehr konnte die Wiener Patientenanwaltschaft nicht erreichen, als dieser Autor der Einrichtung formal gegenüber seine Bedenken gegenüber Christine Laschkolnig äußerte. Einer Ärztin, die derart himmelschreienden Unsinn öffentlich von sich gibt, ist nach österreichischem Recht leider nicht so einfach die Approbation zu entziehen.
Das dokumentiert der Wissenschaftsjournalist Alwin Schönberger in einem Artikel in der aktuellen Ausgabe des renommierten Nachrichtenmagazins profil: „Die Ärztekammer versichert glaubwürdig, dass man prinzipiell bestrebt sei, chronisch faktenresistente Mitglieder nicht gewähren zu lassen. Aus juristischer Sicht stehen dafür zwei Instrumente zur Verfügung: Gerät ein Arzt in Verdacht, gegen das Gebot der Wissenschaftlichkeit zu verstoßen, kann er vor einen Ehrenrat zitiert werden, dem eine Richterin vorsitzt. Der Mediziner kann dann entweder einer Prüfung der „Vertrauenswürdigkeit“ unterzogen oder mit einem Disziplinarverfahren konfrontiert werden. Die Sanktionen bei Letzterem reichen von einem Verweis über Geldstrafen bis zu einem Berufsverbot und der Streichung von der Ärzteliste.
So weit die Theorie. Die Praxis gestaltet sich oft schwieriger. Beispiel Loibner (Christian, ebenfalls Arzt und Impfgegner, Anm.): Er hatte bereits Berufsverbot, verhängt von der Ärztekammer, bestätigt vom Land Steiermark. Dann hob es der Verwaltungsgerichtshof auf. Die, gelinde ausgedrückt, leicht weltfremde Begründung: Zwar sei unstrittig, dass Loibner Unsinn erzähle, es sei aber der Beweis ausständig, dass er das auch im direkten Patientengespräch tue.(…)“
Dass Fernsehsender diesen hauptberuflichen Impfgegnern mit Ärztetitel breite Plattformen bieten, macht es nicht besser. Ob die Motivation falsch verstandene Neutralität ist oder das Schielen nach Quote – ein Arzt, der vor laufender Kamera offenkundigen Schwachsinn verbreitet ist für die breite Masse so erheiternd wie ein durchgeknallter B-Promi im „Dschungelcamp“ -, ist da Nebensache.
Das Publikum weiß nicht, was die Redaktion will. Es sieht nur, was die Redaktion auf Sendung gehen lässt.
Die Stimmen der Vernunft werden mehr
Allein: Die Stimmen der Vernunft werden mehr. Siehe den eben zitierten Artikel aus dem profil. Siehe auch die hier zitierten Medienberichte: Die seriösen Medien in diesem Land werden sich langsam bewusst, zu welchem Problem die Impfgegner mittlerweile geworden sind. Und steuern gegen. Das ist ein Anfang.