Offener Brief: Nahost-Konflikt in den Unterricht!

Tim Pickartz arbeitet mit Jugendlichen im Oberhausener Jugendzentrum Courage
Tim Pickartz arbeitet mit Jugendlichen im Oberhausener Jugendclub Courage

Der Oberhausener Erzieher Tim Pickartz richtet sich mit einem offenen Brief an NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann. Darin fordert er, den Nahost-Konflikt im Schulunterricht zu behandeln. Er fordert, auch mit Blick auf muslimische Schüler, eine „realitätsnahe Bildung“, da der Konflikt gerade für diese prägend sei. Nächste Woche wird die WAZ zu dem offenen Brief einen Artikel veröffentlichen. 

Offener Brief an Sylvia Löhrmann, die  Ministerin für Schule und Weiterbildung in NRW

Sehr geehrte Frau Löhrmann,

ich besuchte vor einigen Tagen die Homepage des Schulministeriums NRW und stieß dabei auf den Punkt „Interkulturelle Schul- und Unterrichtsentwicklung“.

Dort wird angeführt, dass „es bei der interkulturellen Schul- und Unterrichtsentwicklung um einen veränderten Blick der Institution Schule sowie der in ihr verantwortlich Handelnden auf die durch Migrationsprozesse veränderte gesellschaftliche Realität“ geht.

Dieser Punkt machte mich stutzig und nachdenklich.

Ich arbeite als Betreuer im Jugendclub Courage Oberhausen, einer Integrationsgruppe und verbringe dort meinen Alltag mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die meist der muslimischen Community angehören bzw. durch die Familie in das muslimische Sozialgefüge hineingeboren werden.

Neben meiner Tätigkeit innerhalb der sozialen Gruppenarbeit, bin ich auch in unserer kostenlosen Hausaufgaben- und Lernhilfe tätig und muss immer wieder mit Entsetzen feststellen, dass der Geschichtsunterricht an den Schulen in NRW sich nicht mit dem „Nahost Konflikt“ befasst. Allgemein scheint der Geschichtsunterricht inhaltlich mit dem zweiten Weltkrieg zu enden.

Warum spreche ich genau den Nahost Konflikt in diesem Zusammenhang an?

Wenn man sich mit Menschen aus der muslimischen Community beschäftigt und offen das Thema „Weltpolitik und Geschichte“ anspricht, wird man sofort bemerken, dass in weiten Teilen der Community der Nahost Konflikt ein mehr als präsentes Thema ist. Ich würde soweit gehen, dass der Nahost Konflikt eine ewig offene und klaffende Wunde in der gesamten islamischen Welt darstellt und sich nicht nur in Deutschland, die Muslime verbunden fühlen mit dem Schicksal der Menschen im Nahen Osten. Dass sich diese Verbundenheit nicht ausschließlich aus historischen und relativ neutralen Fakten speist, ist genauso eine Realität, wie die Tatsache, dass in manchen Teilen der muslimischen Community sehr wohl das Problem des Antisemitismus als Folge dessen entstehen kann. Gerade die Kämpfe rund um den Gazastreifen und die damit verbundenen Demonstrationen haben gezeigt, dass in Teilen der muslimischen Community Sätze wie „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!“ wieder salonfähig geworden sind.

Natürlich distanzieren sich die großen muslimischen Verbände in Deutschland vom Antisemitismus, was richtig und aussagekräftig ist.

Doch wie sieht die Realität in den betroffenen Familien selber aus?

Der palästinensisch-israelische Psychologe und Autor Ahmad Mansour beschreibt die Situation wie folgt:

„Antisemitismus ist Teil der Erziehung in manchen muslimischen Familien – auch in Deutschland. Über Generationen hinweg wird den Kindern in diesen Familien das Gefühl vermittelt, überall auf der Welt würden Muslime unterdrückt. Schuld daran sei „der Jude“. Er tue alles, um den Islam zu bekämpfen. … Der aktuelle Konflikt in Nahost lässt Hass und Aggressivität offen aufbrechen. Was in den vergangenen Jahren in der muslimischen Welt passiert ist, verunsichert Gläubige weltweit: In Syrien oder dem Irak kämpfen Muslime gegeneinander, das passt nicht in das Schwarz-Weiß-Denken. Einigen kommt dieser Konflikt in Nahost gerade recht, um sich auf das klare Feindbild des „Juden“ konzentrieren zu können. Wenn Sie sich das Video von der Demonstration in Berlin anschauen, sehen sie Anhänger der Hamas, Salafisten, Sunniten, Schiiten. Gruppen finden zusammen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.“

Diese Einschätzung teile ich persönlich und verweise dabei sowohl auf berufliche als auch private Erfahrungen.

Wenn wir unser Hauptaugenmerk also gerade auf den von Ihnen angeführten Punkt der „veränderten gesellschaftlichen Realität durch Migrationsprozesse“ legen, müssen wir anerkennen, dass einem uns historisch sehr elementaren Problem wie dem Antisemitismus, oftmals unzureichende und nicht realitätsnahe Bildungsinhalte, zumindest auf Schulebene, entgegen gesetzt werden. Das erkennt man u.a. daran, dass eine historische Aufarbeitung des Nahost Konfliktes nicht Teil der Bildungsinhalte an deutschen Schulen zu sein scheint.

Des Weiteren müssen wir uns auch im klaren darüber sein, dass Antisemitismus und radikale Weltbilder nicht allein ein Problem der muslimischen Community darstellen, sondern allgegenwärtig in allen Bevölkerungsschichten und Ethnien wiederzufinden sind.

Fakt ist, dass wir uns mehr damit beschäftigen radikale IS-Kämpfer nach ihrer Rückkehr nach Deutschland zu überwachen, statt präventiv zentrale Punkte wie den Nahost Konflikt an deutschen Schulen aufzuarbeiten.

Liebe Frau Löhrmann, ich denke, dass es wirklich an der Zeit ist, endlich der Realität ins Auge zu blicken und kommenden Generationen in Deutschland die Chance zu bieten, Radikalisierung, Vorurteilen, Rassismus oder Fremdenhass mit realitätsnaher Bildung entgegenzuwirken.

Diese Realität beschrieb Matthias Platzeck ganz zutreffend mit den Worten:

„Der Lehrer hat den Rohstoff unseres Landes in der Hand.“

Mit freundlichen Grüßen

Tim Pickartz aka. Cap Smallz

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
11 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Thomas Weigle
Thomas Weigle
10 Jahre zuvor

Wenn Lehrer in öffentlichen Erklärungen blindwütig gegen den Staat Israel hetzen können, wird der Brief wohl eine Antwort erhalten, ändern wird sich nix. Ganz im Gegenteil, gerade jetzt, wo Israel eine UNO-Untersuchung abgelehnt hat, wird man in dieser Ecke wieder heftig Heißlaufen.
Mit Hetze meine ich zum Beispiel, wenn in Einladungen, davon gesprochen wird, dass der Westen den Iran „weichgekocht“ habe, ohne den Grund des westlichen Boykotts zu erwähnen, nämlich die erklärte Absicht des Irans, den Nahen Osten israelfrei zu machen.
Oder wie letzt in der GEW-Zeitung zu Spenden für Gaza aufzurufen, ohne den Grund der israelischen Angriffe zu benennen.

Puck
Puck
10 Jahre zuvor

@Thomas Weigle

Ich fürchte, da haben Sie recht. Gerade Lehrer, die sich selbst als „links“ oder „progressiv“ beschreiben sind leider auch meistens aktive „Israelkritiker“ die zweilen hahnebüchenen Mist verbreiten und sich ihre Voreingenommenheit auch nicht durch stichhaltige Argumente versauen lassen.

nussknacker56
nussknacker56
10 Jahre zuvor

Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein wird daraus wohl nicht werden, da stimme ich zu. Aber ein Tropfen ist besser als gar nichts. Und sei es nur, dass die verbeamteten Israelhasser sich mit der Geschichte dort beschäftigen müssen und ihre antisemitische und „pseudolinke“ (Landmann) Gesinnung damit ggf. unfreiwillig dokumentieren.

Das mit der GEW-Werbung für Gaza wusste ich nicht. Die GEW liebt halt auch nur die toten Juden.

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
10 Jahre zuvor

Der Konflikt ist prägend für die letzten Jahrhunderte und damit gehört er auch auf den Studenplan. Dies ist auch unabhängig vom Anteril der Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

Zu meiner Zeit 70/80er war der Nahost-Konflikt Teil Bestandteil des Unterrichts. Ich sehe hier aber nicht nur das Fach Geschichte. Das Thema ist doch auch interessant für die Fächer:
– Erdkunde
– Sozialwissenschaften
– Religion

Es wird dann von den Lehrern abhängen, wie das Thema vermittelt wird. Dass es Einflussmöglichkeiten gibt, ist klar. Das gilt aber auch für viele andere Themen.

Tim Pickartz
Tim Pickartz
10 Jahre zuvor

Ich persönlich würde das Hauptaugenmerk erstmal auf die Entstehung des Konfliktes legen:

01. Einführung (Der Name Israel, Die Geschichte Israels und der Juden, Die geografische Zuordnung Israels in der islamischen Tradition)
02. Mohammed und die Juden
03. Die Blütezeit des Islam (Kontext Erklärungen)
04. Die Kreuzzüge
05. Die Folgen der Inquisition in Spanien (Kontext Erklärungen)
06. Die Osmanen und Palästina
07. Der Französische Kolonialismus in Algerien (Kontext Erklärungen)
08. Antisemitismus in Europa als politische Ideologie
09. Der Zionismus
10. Die Briten und Palästina
11. Der Großmufti und die Nazis
12. 1933 – Die Nazis ergreifen die Macht
13. Die unmittelbaren Folgen des Holocaust
14. Der erste arabisch-israelische Krieg
15. Der Sechstagekrieg und die Folgen (1967)

Alles danach müsste man dann flexibel und bei Zeit bearbeiten!

Gerd
Gerd
10 Jahre zuvor

Besser nicht. So wie Europa die Hintergründe dieses Konflikts nicht versteht und nicht verstehen will, würde dabei nichts gutes rauskommen. Im besten Fall eine bemühte Gleichsetzung des Vorgehens beider Seiten, was angesichts des Unterschieds zw Mord und Terror einerseits und Wohnungsbau und Religionsfreiheit andererseits eine grobe Verdrehung der Tatsachen wäre.

Klaus Lohmann
Klaus Lohmann
10 Jahre zuvor

Im „Kernlehrplan fur die Sekundarstufe II Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen im Fach
Geschichte“ für 2014 steht:

„Inhaltsfeld Islamische Welt – christliche Welt:
Begegnung zweier Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit
Das Inhaltsfeld gibt einer Gegenwartsthematik die historische Tiefe und tragt zur Reflexion von gegenwartig wirksamen Feindbildern und Stereotypen bei. Die historische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Auspragungen von Islam und Christentum, ihren verschiedenen in der Geschichte entwickelten Verstandnissen von Religion und Staat und ihrer kulturellen Leistung in der mittelalterlichen Welt, aber auch mit den wechselseitigen Konflikten und den unterschiedlichen Weiterentwicklungen der jeweiligen Kultur verlangt von den Schulerinnen und Schulern Fremdverstehen und einen Perspektivenwechsel, der sie in die Lage versetzt, eigene Standpunkte zu hinterfragen.“

Geschichte als Unterrichtsfach kann die Auseinandersetzung mit Gegenwartsproblemen nicht abschließend behandeln, sondern nur vorbereiten.

Im Fach Jüdische Religionslehre gibt es das Inhaltsfeld Jüdische Identitat, welches viele Möglichkeiten zum Diskurs über die moderne Einordnung in Konflikte und Konfliktlösungen ermöglicht.

Jemand, der als Hobby-Pädagoge und selbstpromotender Mastermind-Rapper nun die Landesregierung befragt, warum man den „Nahost Konflikt eine ewig offene und klaffende Wunde in der gesamten islamischen Welt“ sein lässt, ohne die hiesige Schülerschaft über die ach-so-betroffene islamische Welt aufzuklären, möchte garantiert nichts, garnichts mit den o.g. Kernlehrplänen zu tun haben, da die Rapperfreunde von „Cap Smallz“ dies nur als Schwäche der Antisemiten auffassen werden – und wie schnell verliert man heute dadurch OnAir-Präsenz oder Eventauftritt-Verträge…

keineEigenverantwortung
keineEigenverantwortung
10 Jahre zuvor

@7: Vielleicht ist die Sek II doch ein wenig spät, da bis dahin schon viele Schüler Schule verlassen haben.

Aber engagierte Lehrer werden Möglichkeiten finden, aktuelle Themen in den Unterricht einzubringen.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
10 Jahre zuvor

@ Tim Pickartz Ein recht gute Einteilung mit der Einschränkung, dass dies sich so, wenn man wirklich die tiefen Dimensionen des Konflikts aufzeigen will, eher in der Ausbildung der Geschichtslehrer zu verwirklichen ist, vielleicht auch noch an den Oberstufen der Gymnasien und Gesamtschulen in Ansätzen. Allerdings sehe ich durch die Einführung der Schulzeitverkürzung auch an diesen Schulformen wenig Chancen, leider.Leider sitzt aber nun mal der Hauptteil der muslimischen Schüler nicht in den Oberstufen, aus welchen Gründen auch immer, sondern in den anderen Schulformen.
@ Gerd Das ist wahrlich zu befürchten.
@ Nußknacker Es war ein Spendenaufruf für eine/oder die dortige Lehrergewerkschaft. Leider habe ich diese Ausgabe bereits entsorgt, so dass ich den Spendenempfänger nicht mehr genau zu benennen weiß. Letztlich ist das auch egal. Es ist die Einseitigkeit dieser Anzeige in einer Lehrerzeitung, die angesichts der historischen Schuld, die die deutsche Lehrerschaft während des NS, auch schon davor, auf sich geladen hat, die verstört.

Rainer Möller
Rainer Möller
10 Jahre zuvor

Bei Tim Pickartz kommt aber sicherlich ein Aspekt zu kurz: der Einfluss von arabischen Hetzsendern. Offensichtlich wäre es hilfreich, wenn die Lehrer durch geschickte Fragen ermitteln könnten, in welchen Familien solche Hetzsender gesehen werden …

Ich meine damit, wir müssen ja nicht das Rad neu erfinden. Es gibt ein reiches Erfahrungsmaterial, wie man den kindlichen „Rohstoff“ 🙁 am besten auf eine erwünschte Gesinnung hin zurichtet.

Thomas Weigle
Thomas Weigle
10 Jahre zuvor

Rainer Möller Wie wäre es denn mal mit einer Unterrichtshospitation in der HS eines sozialen Brennpunktes. Nur einen Vormittag lang. Dann würden sie ihre obige, nun ja, Aussage möglicherweise überdenken. Außerdem verwechseln Sie offenbar curriculare und didaktische Überlegungen mit Agitation und Propaganda aus der realsozialistischen Hexenküche.
Sie werden in kaum einer HS ab Klasse 7 noch „kindlichen Rohstoff“ vorfinden.

Werbung