Als sich der Juso-Bundeskongress am Wochenende von seinen israelsolidarischen Beschlüssen des Vorjahres distanzierte, seine Solidarität mit der Jugend der palästinensischen Fatah erneuerte und der Organisation sogar ein Vetorecht bei Beschlüssen zum Thema Naher-Osten einräumte, waren viele Jungsozialisten erschüttert. Die Fatah unterstützt die antisemitische BDS-Kampagne, die Mutterorganisation Fatah unterhält mit den al-Aqsa-Märtyrerbrigaden eine eigene Terrororganisation und auf dem Logo der Fatah-Jugend sind die Umrisse Israels von einer palästinensischen Flagge ausgefüllt.
Gestern und heute arbeiteten viele von ihnen an einem offenen Brief und sammelten Unterzeichner. Wir dokumentieren den Brief:
Offener Brief an den Juso-Bundesvorstand zum Antrag F2 des Juso BuKo 2020 #SelberMachen
Mit großer Beunruhigung haben wir den Beschluss des Bundeskongresses vom 28.11.2020 zum Willy Brandt Center Jerusalem zur Kenntnis genommen. Mit wachsender Sorge lasen wir die Kritik des American Jewish Committee (AJC) und vor allem des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (JuFo DIG) sowie der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), der Vertretung aller jüdischen Studierenden in Deutschland. Leider war die Stellungnahme des Bundesvorstandes zu der geäußerten Kritik nicht geeignet unsere Sorge zu mindern.
Wir verfassen diesen Brief nicht, um Genoss*innen, die eine andere Meinung hierzu haben, oder den gesamten Verband pauschal als Antisemit*innen zu bezeichnen. Solche Pauschalisierungen, die von einigen Seiten gefallen sind, verurteilen wir aufs Schärfste und weisen Sie mit aller Deutlichkeit zurück. Wir verfassen diesen Brief als aktive und ehemalige Mitglieder dieses Verbandes, als Jungsozialist*innen, weil wir in Sorge um die Entwicklung unseres Verbandes sind, in welchem wir alle uns gerne und mit Herzblut engagieren.Lasst uns vorab eines klarstellen: Das Problem ist nicht das Willy-Brandt-Center und sein Ziel, in der Region Gespräche mit den verschiedenen Akteur*innen anzuregen. Bei diplomatischen Prozessen müssen auch politische Überzeugungen mal in den Hintergrund treten. Dass es diesen Ort der Verständigung gibt, der eine niedrigschwellige Möglichkeit bietet, junge Israelis und Palästinenser*innen zusammenzubringen und ihnen überhaupt erst den Raum gibt, miteinander zu sprechen, steht für uns nicht zur Disposition. Das soll auch nicht der Inhalt dieses Briefes sein. Wir wollen dennoch anmerken, dass wir Jusos ein politischer Verband und kein diplomatisches Netzwerk sind. Das bedeutet auch, dass unser Verband nicht zulassen darf, dass seine politische Positionierung auf irgendeine Art und Weise eingeschränkt wird. Mit einem Veto-Recht und Mitbestimmungsrecht für die Organisationen in Israel und den palästinensischen Gebieten wäre dies jedoch der Fall. Die Gründe dafür wollen wir im Folgenden darlegen.
Selbstverständlich liegt uns das Wohl derjenigen, die auch in den palästinensischen Gebieten für eine bessere Gesellschaft kämpfen, am Herzen. Selbstverständlich wollen wir niemanden in Gefahr bringen und die Berichte aus dem WBC, dass Jugendakteur*innen der Fatah aufgrund ihres Kontaktes mit den Jusos oder israelischen Partner*innen in Gefahr geraten, sind uns alles andere als egal. Wir sind uns daher der Verantwortung und der Konsequenzen, welche mit Beschlüssen einhergehen, vollauf bewusst.
Jedoch liegt das Problem hier nicht darin, dass wir mit unseren Positionierungen eventuelle Partner*innen in Gefahr bringen. Das Problem ist, dass unsere Partner*innen in einer Organisation aktiv sind, in der ihnen mit dem Tod oder zumindest dem politischen Ruin gedroht wird, nur weil sie sich außerhalb der gegenwärtigen politischen Doktrin der Fatah bewegen und an der Form des Dialogs teilnehmen, die erklärtes Ziel des WBC ist. Vom Wohlwollen so einer Organisation können wir uns nicht abhängig machen und keine unserer demokratischen Meinungsbildungsprozesse einschränken lassen. Genau dies würde jedoch mit dem Zustimmungsvorbehalt für inhaltliche Anträge zum Thema geschehen.Das Ziel “solidarisch an der Seite der progressiven Kräfte in Israel und Palästina zu stehen”, wie es der Beschluss vorsieht, ist kein grundlegend Falsches. Das Problem dabei ist, dass es äußerst fraglich ist, ob die Fatah-Jugend und ihre Mutterpartei Fatah diese Rolle als progressive Kraft noch ausfüllen können. Die Lage jetzt ist eine grundlegend andere als damals während der Gründung des WBC im zeitlichen Zusammenhang des Friedensprozesses von Oslo. Oslo ist gescheitert, die Fatah und auch die Fatah-Jugend haben sich in den letzten 20 Jahren deutlich verändert. Einem Dialog abgeneigte Kräfte sind dort inzwischen tonangebend. Von der Unterstützung der antisemitischen BDS-Bewegung bis hin zum verwendeten Vokabular bei Vorwürfen gegen Israel wie “Apartheid”, “ethnische Säuberung”, “Kolonialismus” etc. und der Ablehnung von Verhandlungen macht sich das deutlich bemerkbar. Vorwürfe aus der Führung der Fatah-Jugend, es bestünde kein Unterschied zwischen dem Handeln der Trump-Regierung und den Anträgen gegen Antisemitismus der Jusos aus dem Jahr 2019, sprechen da leider eine deutliche Sprache. Kann diese Fatah-Jugend eine progressive und demokratische Partnerin in der Region sein/bleiben, der wir mit einem Veto-Recht so viel Mitbestimmungsrecht in unserer eigenen Positionsfindung zubilligen?
Weiterhin ist uns grundlegend unklar, wieso ein über Konsultationen hinausgehendes Veto-Recht der Partner*innen vor Ort sinnvoll und zielführend sein sollte. Warum sollten ausschließlich unmittelbar und vor Ort Betroffene über Konflikte sprechen und sich dazu positionieren dürfen? Daraus ließe sich ableiten, zukünftig in erster Linie oder gar nur noch Betroffene vor Ort sprechen zu lassen – in allen Konflikten auf internationaler Ebene. Aus unserer Sicht führt ein derartiges Veto-Recht zu einer Aufgabe von Selbstständigkeit. Es ist nicht nur ein Schritt in Richtung eines Verbandes, der nichts auf Diskursorientierung und Meinungsvielfalt gibt, sich ausschließlich als vermittelnde Instanz sieht, sondern in letzter Konsequenz auch ein Schritt in Richtung eines Verbandes, der nicht mehr bereit ist, seine Werte zu artikulieren – oder sogar Gefahr läuft, sie ganz zu verlieren. Das ist nicht unser Anspruch an jungsozialistische Politik. Außerdem ignoriert dieser Ansatz in ganz besonderem Maße, dass nicht nur die Menschen vor Ort von Konflikten betroffen sind. Die kritischen Wortmeldungen etwa der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) oder des American Jewish Committee (AJC) zeigen deutlich: Auch in der Bundesrepublik begegnet Jüdinnen und Juden jeden Tag konkreter Antisemitismus. Oft wird der Nahost-Konflikt dabei direkt auf sie bezogen, sie gar in antisemitischer Art und Weise für das Handeln des Staates Israel verantwortlich gemacht. In dieser gefährlichen Situation brauchen Jüdinnen und Juden in diesem Land in den Jusos eine starke Partnerin. Mit diesem Beschluss scheinen wir als Verband diese Dimension aus dem Blick verloren und eine rote Linie überschritten zu haben, wie die Reaktionen all dieser Verbände deutlich artikulieren.
Ausgangspunkt des diesjährigen Beschlusses waren die Anträge gegen Antisemitismus und Antizionismus aus dem Jahr 2019. Zwar wird von Unterstützer*innen des Antrags in Anspruch genommen, dass die Beschlüsse gegen Antisemitismus von 2019 und früher natürlich nicht zurückgenommen werden – davon geht auch niemand aus. Es wurde jedoch durch die Redebeiträge auf dem Bundeskongress deutlich gemacht, dass die Beschlüsse angeblich “Fehler” gewesen seien. Von diesen “Fehlern” wird auch im Beschluss gesprochen. In unseren Augen kann der Einsatz gegen jeden Antisemitismus niemals ein Fehler sein. Es muss möglich sein, dass die Jusos sich so gegen Antisemitismus und Antizionismus positionieren, auch wenn das vor Ort bei der Fatah-Jugend auf Widerspruch stößt. Es ist uns ein Rätsel, wie die künftige Zusammenarbeit mit den Partner*innen aussehen soll, wenn erst Anträge gegen Antisemitismus als Fehler bezeichnet werden und sodann Redebeiträge, die nahezu Abbitte leisten wollten, auf dem Bundeskongress gehalten werden müssen.
Wir haben weiter wahrgenommen, dass Unterstützer*innen des Antrags und nicht zuletzt auch der Bundesvorstand einer Wahrnehmung Vorschub leisten, die Kritik an diesem Beschluss sei Ergebnis oder Teil einer Kampagne der konservativen Presse. Das macht es natürlich einfacher, gegenüber der Kritik an dem Beschluss die Reihen zu schließen, ist aber sachlich falsch und rückt die Kritik, die auch von Genoss*innen, durch von Genoss*innen seit Jahren mitgetragene Organisationen wie dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und überparteiliche jüdische Nichtregierungsorganisationen wie dem AJC oder der JSUD geäußert wurde, in ein zwielichtiges Licht. Wir weisen diese Versuche daher entschieden zurück.Alles in allem hoffen wir, dass Ihr aufgrund dieses Briefes unsere Argumente nunmehr nachvollziehen könnt und diese Eingang in grundsätzliche Überlegungen und Entscheidungen finden werden. Wir sind Teil dieses Verbandes oder fühlen uns diesem Verband immer noch sehr verbunden und haben ein großes Interesse daran, diskursorientiert und auf der Basis demokratischer Beschlusslagen aktiv zu sein. Ein Vetorecht wie im WBC-Beschluss zählt für uns aus den hier dargelegten Gründen nicht zu einem solchen demokratischen Diskurs – erst recht nicht, wenn von betroffenen Partner*innen das Existenzrecht Israels in Zweifel gezogen wird. Wir hoffen auf eine Stellungnahme und weiter führende Überlegungen zur Revision des Beschlusses eurerseits.
Wenn du auch den Brief unterstützen möchtest, schreib uns einfach eine Mail an: offenerbrieff2@gmail.com
Unterstützer*innen:
Torrent Balsamo
Madeleine Bayer
Caroline Bergter
Leo Buddeberg
Jérôme Buske
Jan Bühlbecker
Hannes Christen
Jacqueline Dejosez
Lasse Emcken
Mareike Engel
Marcel Englisch
Balthasar Geib
Enrico Groß
Paul Hansen
Debora Häberle
Rebekka Häberle
Tabea Häberle
Mara HädrichThors Haedecke
Christopher Hermes
Robert Herr
Yves Heuser
Felix Hohlfeld
Antje Junghans
Daniel James Kastan
Dominik Korthaus
Ronja Kölpin
Leona Krause
Nils Lange
Philip Le Butt
Moritz Littbarski
Matthias Lüth
Marcus Neick
Michael Pöppl
Felix Ramberg
Julius ReimNiklas Riemenschneider
Marco Rietzschel
Bengt Rüstemeier
Tim Sachse
Caroline Scheer
Yannick van de Sand
Ludger Santel
Dorothea Schiewer
Gabriele Schraudolf
Valerie Seulberger
Max Stryczek
Christian Weidner
Benjamin Schulz
Daniel Sinani
Christopher Zenker
Moritz Zeidler
Ann-Kathrin Zierau
Marc-Kevin Zierau
Wer mit Jüdinnen und Juden spricht, begibt sich in gefahr? Und diese Fatah erhält noch Geld von der Bundesregierung, die damit Mörder und Terroristen unterstützt? Die darf noch in der EU sprechen und wird von von martin schulz bejubelt?
Dieser Brief ist peinlich. Das WBS ist gescheitert. Der Fatah kann nur nur mit Entziehung aller Gelder und Trockenlegung aller Waffenkäufe begegnet werden. Die AFD ist nicht die einzige faschistische Partei in der Welt und nicht einmal in deutschland. Wer ist auf dem rechten Auge blind- die SPD hat eben so ein problem mit Antisemitismus wie die gesamte Politik in Deutschland.
Ein Wissenschaftler hat mir einmal erläutert, warum der Konflikt im Nahen Osten bis auf weiteres kein Ende finden wird.
Und jetzt kommt der Moment, wo ich mich frage, warum diese oben genannten Leute sich nicht erstmal um Duisburg bsw., um das Ruhrgebiet und um die Menschen hierzulande kümmern?
Hier
https://www.jusos.de/content/uploads/2020/11/F2-Unsere-Vision-fuer-das-Willy-Brandt-Center-Jeru.pdf
findet sich der vollständige Beschluss des Juso-Bundeskongresses. Das ist natürlich viel "verquastes Politologen-Gewäsch". Aber in der Summe deutlich mehr als die Verkürzung auf "Schwesterorganisation". Übrigens waren und sind auch andere Organisationen im Gespräch mit der Fatah und ihrer Jugendorganisation.
Das alles ändert m.E. nichts daran, dass die palästinensische Regierung ein ziemlich bis durch-und-durch korrupter Haufen ist (beschönigend auf Seite 4 des Beschlusses "das Versickern von Hilfsgeldern in öffentlichen und privaten Strukturen der palästinensischen Gesellschaft" genannt). Die Ablehnung von BDS, al-Aqsa-Märtyrerbrigaden und weiteren antisemitischen Auswüchsen will ich hier nicht vergessen. Die aus dem offenen Brief verlautende Besorgnis kann ich also teilen.
Aber mit wem soll man reden, außer mit den Leuten die dort leben?