Ohne Apokalypse sind die Grünen noch nie ausgekommen

Robert Habeck bei einer Podiumsdiskussion | Foto: wikipedia / Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0


Jetzt wollen die Habeck-Grünen pragmatischer und moderater werden, um die geflohenen Wähler zurückzulocken und sich als Koalitionspartner für die CDU zu empfehlen. Anderseits bleiben sie bei der großen Erzählung vom Weltuntergang, der zwangsläufig einträte, wenn nicht alle menschlichen CO2-Quellen konsequent abgestellt würden. Wie passt das zusammen? Von unserem Gastautor Michael Miersch.

Politische Bewegungen, die glauben, sie hätten die Ursache für alles Elend dieser Welt gefunden, sind nichts Neues. In der jüngeren europäischen Geschichte folgten die Nazis und die Kommunisten dem Wahn einer totalen Welterlösung. Für die einen waren die Juden an Allem Schuld. Für die anderen lag der Schlüssel zum Paradies in der Verstaatlichung der Produktionsmittel. Um die arische Rasse beziehungsweise die Arbeiterklasse zu retten, setzten beide Glaubensrichtungen ihr Programm konsequent um. Die einen ermordeten alle Juden, deren sie habhaft werden konnten. Die anderen nahmen auch noch dem kleinsten Handwerksbetrieb die Maschinen und dem ärmsten Bauern seinen Acker.

Auf der Linken gab es jedoch auch eine andere große Strömung, die auf Reformen setzte: die Sozialdemokratie. Sie stellte nicht mehr die allumfassende Endlösung durch Abschaffung des Privateigentums in den Mittelpunkt, sondern kümmerte sich darum, dass es den Arbeitern besser ging. Erträgliche Arbeitszeiten, höhere Löhne, humanistische Bildung, Gesundheitsschutz und Versorgung fürs Alter waren ihre Ziele. „Genaugenomen ist jedoch nicht der Sozialismus unser Endziel,“ schrieb 1918 Karl Kautsky, der theoretische Kopf der SPD, „sondern dieses besteht in der Aufhebung jeder Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht, eine Rasse… Würde uns nachgewiesen, dass wir darin ir­ren, dass etwa die Befreiung des Proletariats und der Menschheit überhaupt auf der Grundlage des Privateigentums an Produktions­mitteln allein oder am zweck­mäßigsten zu erreichen sei,… dann müssten wir den Sozialismus über Bord werfen…“ Mit dem Godesberger Programm von 1959 wurde dieser pragmatische Weg der Sozialdemokratie besiegelt. Ohne den marxistischen Absolutheitsanspruch führte sozialdemokratische Politik in den westeuropäischen Ländern zu mehr Wohlstand, mehr Freiheit und mehr Gerechtigkeit.

Anders als die Sozialdemokraten, wählten die Grünen einen hybriden Weg. Sie fügten sich ins parlamentarische System ein, hielten jedoch bis heute an ihrer Endzeitrhetorik fest. Wir oder der Untergang! Für ihr Selbstverständnis ist die Klimaerwärmung (die Grünen reden von Erderhitzung) das zentrale Weltproblem, dessen Dringlichkeit keinen Aufschub gestattet. Wenn man durch das Ende der Industrie in Deutschland das Ende der Menschheit noch knapp verhindern könnte. Wer würde da das Ende der Menschheit vorziehen? Diese Fixierung auf die eine Bedrohung, die alles überschattet, ähnelt den monokausalen Welterklärungen der totalitären Bewegungen des 20. Jahrhunderts.

Die Grünen wollen pragmatischer werden, aber apokalyptisch bleiben. Auf diese Mischung kann man gespannt sein. Am Tag nach dem Rücktritt des Parteivorstandes sagte die Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge im Deutschlandfunk: „Die Welt geht unter. Das sieht man in Europa.“ Deshalb wolle man verstärkt für Klimaschutz kämpfen. Weltuntergang ist definitiv ein Notstand. Wer glaubt einen Weltuntergang abwenden zu müssen, kann nicht zimperlich sein und mit Koalitionspartnern moderate Gegenmaßnahmen aushandeln. Da zeigen Frau Dröge und ihre Parteifreunde offenbar Symptome kognitiver Dissonanz. Entweder sie glauben selbst nicht an den bevorstehenden Weltuntergang und versuchen nur Angst in Wählerstimmen umzumünzen. Oder sie kleben an ihren Posten, auch um den Preis an einer Politik mitzuwirken, die nach ihrem Glauben den Weltuntergang nicht aufhält.

Um ernsthaft pragmatisch zu werden, müssten die Grünen ihre Notstandskulisse einpacken und mit denen Reden, die ihren Glauben nicht teilen. Viele Klimawissenschaftler sehen das Ende der Welt nicht gekommen. Sie halten die Klimaerwärmung für ein beherrschbares Problem, das den Menschen und der Natur nicht nur Nachteile bringt, sondern auch Vorteile. Es hieße sich von einigen seit Jahren mantraartig wiederholten Zaubersprüchen zu verabschieden. Zum Beispiel, dass man durch menschliches Tun das Weltklima wie an einem Thermostat regeln könne. Oder dass die CO2-Emissionen Deutschlands einen Effekt auf das globale Klimageschehen hätten. Man müsste damit aufhören jedes Wetter zum Menetekel einer kommenden Weltkatastrophe zu erklären. Und damit anfangen sachliche Kritiker zu respektieren. Doch Frau Dröge baut lieber weiter am Popanz „Klimaleugner“. Wer nicht an die nahende Apokalypse glaube, sagte sie dem Deutschlandfunk, dem sei es egal, ob unsere Kinder morgen eine Welt haben, in der sie leben können. „Nach mir die Sintflut“, wäre das zynische Motto derer, die der Grünen Klimapolitik nicht folgen möchten.

Es ist in Vergessenheit geraten, dass Klimaschutz nicht schon immer das zentrale Thema der Grünen war. Erst in den 1990er-Jahren wurde er langsam zum alles beherrschenden Ziel der Partei. Davor standen die Abschaffung der Atomkraft, Umweltschutz und Naturschutz im Mittelpunkt. Grüne forderten einst sogar mehr Kohlekraftwerke, um Kernenergie überflüssig zu machen. In den ersten zehn Jahren der Partei war das Waldsterben Thema Nummer Eins. Das damals vorausgesagte Ende aller Bäume und die Gefahr durch Atomkraftwerke wurden genauso apokalyptisch ausgemalt, wie heute die globale Klimakatastrophe. Die Sprache der absoluten Dringlichkeit („Erst stirbt der Wald und dann der Mensch“) und das Weltrettungsversprechen, duldeten genauso wenig Widerspruch. Dass die Wälder verschwinden und atomare Strahlung alle verseuchen wird, galt als wissenschaftlich erwiesen und unwiderlegbar.

Die Grünen haben – ähnlich den Zeugen Jehovas – bereits ein paar Mal ihre Begründung für das baldige Ende der Welt gewechselt. Aber ohne Apokalypse sind sie noch nie ausgekommen. Für ein ehrliche und überzeugende Neuausrichtung müssten sie diese toxische Tradition aufgeben. Pragmatismus bedeutet, sich am Konkreten zu orientieren, weder an Utopien noch an Weltuntergangsprognosen. Es würde bedeuten, die Klimaerwärmung als eines der Probleme neben anderen auf der Welt zu betrachten und zu überlegen, was man tun könnte, negative Folgen zu verhindern oder abzumildern. Dass Deutschland der Welt als Vorbild dienen soll, indem es alle CO2-Quellen radikal und ohne funktionierende Alternativen abstellt, ist dabei wahrscheinlich nicht der effizienteste Weg. Über Alternativen wie Kernkraftwerke oder Kernfusion dürfen Grüne bis heute nicht einmal nachdenken. Und schon gar nicht darüber, dass viele Forscher – inklusive des Weltklimarates – die zu erwartenden Folgen der Erwärmung weit weniger apokalyptisch ausmalen. Um dafür offen zu sein, müssten die Grünen ihr Retterpose aufgeben. Schwer vorstellbar, aber nicht unmöglich, wie man bei der überraschend schnellen Entsorgung ihres pazifistischen Glaubensbekenntnisses sah.

 

Der Text erschien in ähnlicher Form bereits auf dem Blog von Michael Miersch

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Werbung