
Mit Fußballcartoons wurde der Bochumer Zeichner Oli Hilbring bekannt. Doch längst widmen sich seine Nasenmännchen auch anderen Themen.
„Je größer die Nase, umso lustiger die Zeichnung“, sagt Oli Hilbring und rührt seinen Kaffee um. Ein Verleger habe ihm das einmal erklärt, würde aber bestreiten, es jemals gesagt zu haben. Groß sind sie, die Nasen seiner Figuren, auch wenn sie in den vergangenen Jahren etwas weniger kantig wurden. „Als Zeichner arbeitet man ständig daran, die Figuren weiterzuentwickeln.“
Eine große Nase hat auch eine seiner bekanntesten Figuren: der Dino, der in seinen Zeichnungen über den HSV bis heute eine wichtige Rolle spielt. Als Dino galt der Verein vor seinem Abstieg aus der Bundesliga 2018, weil er der einzige Club war, der seit der Gründung der Bundesliga 1963 ohne Unterbrechung im Oberhaus spielte. „Auch wenn der HSV durch den Abstieg nicht mehr der Dino der ersten Bundesliga ist, zeichne ich ihn noch immer“, sagt Hilbring. Viele im Fußball würden vom Gefühl und der Erinnerung an die Vergangenheit leben. „Und der Dino, wenn auch nicht meiner, ist ja auch immer noch das Maskottchen der Hamburger.“ In zahlreichen Cartoons trat der Fußballsaurier auf, verfolgte den damaligen BVB-Trainer Jürgen Klopp, als der HSV dann doch noch einmal gewann und damit ein Lebenszeichen sandte, blickte sorgenvoll auf Fußbälle, die wie glühende Kometen auf ihn herabstürzten, und schaute verdattert, als sein Verein nicht aufstieg und er das „Hotel 2. Liga“ Richtung Bel Étage nicht verlassen konnte.
Hilbring ist Fußballfan, sein Herz gehört – im Ruhrgebiet eigentlich undenkbar – gleich zwei Reviermannschaften. Seit Kindheit ist der schon lange in Bochum lebende gebürtige Herner Schalke-Fan. Ein manchmal bitteres Schicksal. Als Schalke 2021 fast den Negativrekord von Tasmania Berlin mit 31 verlorenen Spielen in Folge einstellte – Schalke gewann damals nach 30 verlorenen Spielen 4:0 gegen Hoffenheim –, zeichnete er einen Schalke-Fan, auf dessen T-Shirt stand: „Tasmania der Herzen“. Nicht einmal für eine herausragende Verlustserie reichte es damals für die Knappen. Ein anderer Cartoon zeigt ein weinendes Kind, das traurig darüber ist, dass sein Vater ihm einen Weihnachtskalender mit nur sechs Törchen geschenkt hat – aber mehr hatte Schalke damals einfach nicht zu bieten.
Weniger leiden muss Hilbring in den vergangenen Jahren mit seinem VfL. Sein Cartoon zum Bochumer Wiederaufstieg in die 1. Liga 2021 wurde nicht nur als Poster aufgelegt, sondern begrüßt als Wandbild auch die Besucher des Bermudadreiecks, Bochums Kneipenviertel.
Doch Fußball war nie das einzige Thema Hilbrings, der hauptberuflich als Creative Director für eine Düsseldorfer Werbeagentur arbeitet. Wirklich prominent ist, wem der Bochumer einen Todescartoon widmet: Da überreicht Hans-Peter Korff als Postbote Onkel Heinrich Gott auf seiner Wolke einen Brief – und der freut sich, dass es Neues aus dem Uhlenbusch gibt. Als Ingrid Steeger in ihrem Klimbim-Kostüm mit Strapsen gen Himmel fährt, lächelt Gott, hält einem kleinen Engel allerdings die Augen zu. Und als Benjamin-Blümchen-Erfinder Jürgen Kluckert stirbt, zeichnet Hilbring einen verzweifelten Benjamin, dem nicht einmal mehr ein „Törööö“ aus dem Rüssel kommen will.
„Besonders nah ging mir der Tod von Martin Perscheid 2021, den ich gut kannte und der ein ganz herausragender Kollege war“, erinnert sich Hilbring. Zum Abschied zeichnete er Perscheids wichtigste Figur, sein Alter Ego, wie er neben ihm an der Theke steht, ein Bierglas in der Hand hält und feststellt: „Tja, so schnell sitzt man auf der Straße.“ Oli Hilbring war damals wichtig, dass auch das engste Umfeld Perscheids sagte, er hätte sich über diese Zeichnung gefreut, weil sie seinen Humor getroffen hätte.
In den vergangenen Jahren hat Hilbring sein Sujet ausgeweitet. „Ich sehe nicht, dass ich direkt politische Cartoons mache, aber ich zeichne mehr über gesellschaftliche Entwicklungen, als ich das früher getan habe.“ Da sitzt ein Junge im Sandkasten und fragt seinen Vater, was seltene Erden sind. Seine Antwort: „Spielplatzsand ohne Heroinspritzen zum Beispiel.“ Oder ein Mann, der beim Arzt sitzt und ihn fragt, ob er gegen Gluten, Histamin oder Laktose allergisch ist, und der Doktor beruhigt ihn: „Sie sind nur intolerant.“
Auf einer anderen Zeichnung sieht man ein zufriedenes Nasenmännchen mit einem Farbeimer und einem Pinsel. Es hat gerade aus „Nord Stream“ „No Stream“ gemacht.
Dass Hilbring einmal einer der erfolgreichsten Cartoonisten Deutschlands werden würde, war am Anfang seiner Laufbahn alles andere als sicher: „Meine erste Zeichnung, damals noch ein Comic und kein Cartoon, wurde 1992 im Ruhrgebietsmagazin Marabo veröffentlicht. Sie haben sich dann danach sofort für Jamiri entschieden.“ Vielleicht keine gute Wahl: Marabo gibt es seit 20 Jahren nicht mehr. Hilbring ließ es dann für eine ganze Zeit lang sein, zu veröffentlichen. Erst mit den Nasenmännchen startete er ab 2009 durch.
Seine Cartoons erscheinen heute im Fußballmagazin RevierSport, bei Oxmox und im Filmmagazin Trailer. Hilbring erhielt 2022 den Deutschen Cartoonpreis – und das nicht für eine seiner Fußballzeichnungen, sondern für ein gesellschaftspolitisches Thema: Ein Büroteam feiert, dass der Transsexuelle Martin nun offiziell Martina geworden ist. Da lächelt auch der Chef und denkt sich: „Oh, da muss ich ja das Gehalt kürzen.“
Hilbring hat seine Cartoons in zahlreichen Büchern veröffentlicht, steht mit Comiclesungen in ganz Deutschland auf der Bühne, macht jährlich den „Ballender“ über die Revierclubs Schalke, VfL und Dortmund. Dortmund? Als Schalker? „Die Dortmunder Fans sehen das entspannt, und ich skizziere ihre Spieler ja genauso wie die anderer Vereine.“
Es ist ein kleines Wunder: Oli Hilbring überschreitet die Grenzen von Fußballvereinen, die sonst eher Todesstreifen ähneln.
Der Text erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World