Mal ist er ein Enfant Terrible und mal ein lupenreiner Moralist. Der aus Papenburg (in Ostfriesland) stammende Autor und Stand Up-Comedian Oliver Polak ist sicher nicht Everybody’s Darling, dafür eckt er zu oft und zu gerne an. Mit seinem neuen Buch „Gegen Judenhass“ schildert er seine seine eigenen Erfahrungen als deutscher Jude (oder jüdischer Deutscher) – und das von der Kindheit an bis in die Jetztzeit. Als Autor stellt er die These heraus, dass Antisemitismus keine neue Geisteshaltung im AfD-Zeitalter ist, sondern eine unverschämte Gesinnung, die auf Duldung und auf Wiederholen von ekelerregenden Ressintements basiert. Wie man diesem Thema entgegen treten soll? Die Formel Polaks ist plausibel: »Wenn ich Angela Merkel in Yad Vashem sehe, wie sie einen Kranz niederlegt, und dann sehe ich, was hier in Deutschland gerade los ist, da habe ich echt das Gefühl, dass die deutschen Politiker besser mit toten Juden umgehen können als mit lebendigen«, sagte er auf der Frankfurter Buchmesse in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Wie wichtig es ist, dabei Mensch zu bleiben – und gleichzeitig Herz und Verstand an der richtigen Stelle zu haben, beweist er in unserem Gespräch.
Hallo Oliver. Mit deiner Indierock-Band Sternzeit hattet ihr so um das Jahr 2003 ein paar Achtungserfolge. Bist du manchmal traurig, dass es mit einer Karriere als Musiker nicht so richtig geklappt hat?
»Das ist schwierig zu sagen. Ich kann mir jetzt in meinem Alter das Konstrukt „Band“ nur noch sehr schwer vorstellen. Das funktioniert ja wie eine Ehe – nur mit mehreren Menschen. Man ist da gebunden und muss im Verbund zusammen Entscheidungen treffen. Als Autor und Stand Up-Comedian arbeite ich ja sehr autark und anders: ich kann alles machen, so wie ich das will – und muss niemand fragen. Musik ist aber immer noch mit das Wichtigste in meinem Leben und habe in letzter Zeit auch viele tolle Konzerte gesehen – zum Beispiel Phil Collins, Aerosmith oder Motorpsycho. Aber selber vermisse ich jetzt nicht, dass ich jetzt konkret in einer Band spiele. Der Gedanke bei jedem Auftritt das Schlagzeug aufbauen zu müssen, nervt schon. Mit einem Mikrophon ist es schon bequemer, das kann man einfach einstecken und schon geht es los.«
Hast du denn noch einen Übungsraum wo dein Schlagzeug steht?
»Mein Schlagzeug steht hier eingepackt in Berlin-Friedrichshain im Keller vom Club Rosi’s, da hatten wir vor zehn Jahren mal einen Proberaum. Ich muss das mal abholen, aber ich spiele schon wirklich selten und habe auch nicht so das Bedürfnis zu Trommeln.«
Im Jahr 2010 gab es auf 3sat ein TV-Feature, was mit dem Kabarettisten Georg Kreisler und dir zusammen gedreht wurde. Dort wird über Georg Kreisler gesagt, dass er den einen zu böse sei – und den anderen nie ernsthaft genug ist. Das trifft doch auch sehr gut auf dich zu, oder?
»Ich denke ja vorher nicht drüber nach, wie ich wirke, sondern ich will ja Geschichten erzählen. Ich weiß jetzt nicht ob Humor vordergründig erstmal „ernst“ sein sollte – er sollte in erster Linie die Leute zum Lachen bringen. Ich fand Georg Kreisler als Person schon sehr interessant, aber Parallelen sehe ich da jetzt nicht so direkt zwischen ihm und mir, außer das er auch schon ein Außenseiter ist.«
Über die Arbeit als Gag-Schreiber prägte der Showmaster Rudi Carrell mal den Ausspruch: bevor ein Stück aufgeführt wird, landen 40 Fehlversuche im Papierkorb. Ist das bei dir ähnlich? Bist du ein Text-Arbeiter, der viel wegwirft?
»Ich hatte gerade eine Pause von vielen Fernseh-Formaten und da merke ich schon, dass ich schon so eine Art „Working-Comedian“ bin. Das heißt, gerade vor neuen Liveshows mache ich gern ein paar Testauftritte. Gerade hier in Berlin gibt es viele offene Bühnen mit „Open Mics“, da trete ich dann zwischen sieben und neun Minuten auf. Ideen und Notizen, die sich so über den Tag angesammelt haben, probiere ich dann aus. Manche Dinge funktionieren sofort und manche nicht. Andere muss man erstmal zehn mal auf die Bühne bringen, bis man merkt, da liegt doch was drin, die Idee war ganz gut und muss umgearbeitet werden. Im Prinzip habe ich eigentlich viel zu viel Material vorliegen – so kann man von Abend zu Abend auch variieren und kann das Programm auf Tour lebendiger gestalten. Aber vieles wird auch einfach improvisiert, du hast ja auch jeden Abend andere Leute im Publikum sitzen. «
Ist es so denn auch ein bisschen regional abhängig, was du aufführst? Gerade weil man in Aurich vielleicht über andere Dinge lacht, als in Jena oder Regensburg?
»Nein, so fange ich erst gar nicht an. Es mag sicher so sein, dass die Leute in unterschiedlichen Regionen anders lachen. Im Osten sind die Leute vielleicht etwas offener, als in Süd-Deutschland – aber ich nehme da jetzt keine Rücksicht darauf. Das Gute ist ja auch: wenn es jemand nicht gefällt, der kann ja auch aufstehen und gehen.«
Deine Abendkassen-Preise fallen im Gegensatz zu manchen von deinen Kollegen sehr moderat aus. Achtest du sehr darauf, wie hoch die Preise von deinen Tickets sind?
»Klar, ich möchte schon, dass meine Tickets nicht viel mehr als 20 Euro kosten. Wenn es einen selber interessiert, kann man darauf schon Einfluss haben. Ich komme ja selber aus der Indie-Musik-Szene und ich finde auch wichtig, dass sich junge Leute die Eintrittskarten leisten können. Ab und an führe ich Pre-Shows auf, die dann nochmal günstiger sind. Das kann man vom Prozedere her in etwa mit einer Musical-Aufführung auf dem Broadway vergleichen: sieben Tage vor der eigentlichen Premiere gibt es ein paar öffentliche Probe-Shows – und da sind die Tickets ja auch günstiger.«
Bei allen derben Auslassungen hast du auch eine weiche Seite. Was bedeutet es dir beispielsweise Fan von Udo Jürgens zu sein?
»Es gibt relativ wenige neue Bands die ich so für mich entdecke, häufig ist das was so tagtäglich aus dem Radio kommt etwas befremdlich. Udo Jürgens hingegen höre ich schon seit ich neun Jahre alt bin und war auch schon sehr früh auf einem Konzert von ihm, was mich damals sehr begeistert hat. In den letzten Jahren vor seinem Tod war ich sicher auf 15 Konzerten und hab Udo auch noch persönlich kennen gelernt. Songs von ihm, wie zum Beispiel „Mein Baum“, rühren mich sehr und bedeuten mir unglaublich viel. Er war ein sehr wichtiger Künstler, der leider nicht mehr da ist.«
Der Musiker und Autor Rocko Schamoni sagte mal, dass er seinen Depressionen auch sehr viel Gutes verdankt – sie hätten ihn auf Ideen zu neuen Romanen gebracht. Wie ist das bei dir, bist du deinen Depressionen auch in irgendeiner Art und Weise dankbar?
»Nein, so denke ich nicht. Ich wäre dankbar, wenn ich keine Depressionen gehabt hätte. Was sich daraus ergibt, das ist dann halt so. Klar, vielleicht habe ich mit „Der jüdische Patient“ ein ganz okayes Buch geschrieben – aber wenn ich es mir hätte wünschen können, dann hätte ich es lieber nicht schreiben müssen. Es ist bei mir auch immer die Frage, ob ich die Depression überhaupt in dem Buch verarbeitet habe. Ich habe das eher nicht. Denn es ist halt so, das ich eine Krankheit nicht mit einem Buch verarbeiten kann. Wenn Bücher Depressionen heilen könnten, dann würde ja jeder Zweite ein Buch schreiben – was ja eine gute Sache wäre. Aber in der Realität sieht das halt anders aus.«
Musst du momentan aufmerksamer auf dich aufpassen? Gibt es Momente, wo der Schleier der Depression wieder an deine Tür klopft?
»Momentan ist alles gut. Man lernt ja auch in der Therapie, wie man sich selber ein gutes Grundgerüst gibt. Man muss vielleicht achtsamer sein, als andere: wie viel kann ich machen und wie viel nicht. Manchmal übertreibe ich es auch, aber dann merke ich das auch und ruhe mich etwas mehr aus. Aber in so Phasen, in denen ich mich derzeit befinde, mache ich auch keine Party, oder so. Ich habe zudem einen Hund zu versorgen und alleine wegen dem muss ich jeden Morgen zwischen acht und neun Uhr aufstehen.«
Neben Leuten wie Jan Böhmermann oder Thomas Gottschalk hast du dich sehr für die Freilassung von dem Journalisten und Türkei-Korrespondent Deniz Yücel eingesetzt, der lange in einem türkischen Gefängnis gesessen hat. Warum gibt es zur Zeit wieder so viele totalitäre Unrechtsstaaten auf der Welt? Hast du für dich dazu eine Erklärung gefunden?
»In den letzten Jahren war ich häufiger in der Türkei in einer Art Robinson-Club in der Nähe von Antalya. Ich hatte jetzt wieder die Anfrage ob ich da hinkommen würde und derzeit ist das für mich absolut undenkbar in das Land zu gehen. Fast täglich gibt es Nachrichten, dass beispielsweise Leute von Amnesty International verhaftet werden. Es ist absurd. Irgendwelche Zeitungen, wo der türkische Präsident Erdogan die Strippen im Hintergrund zieht, haben Angela Merkel auf dem Titel und schreiben, sie sei schlimmer als Hitler. Es ist für mich undenkbar, dass ich einen Witz mache und wegen einer Zeile direkt im Gefängnis lande. Das ist die brutale Realität und wir bekommen hier ja nur einen Bruchteil davon mit. Vor einiger Zeit gab es den Fall einer kurdischen Malerin. Sie hat ein Dorf gemalt mit einer türkischen Berglandschaft – sie macht einen falschen Strich auf der Leinwand und bekommt dafür zwei Jahre Gefängnis. In solchen Momenten kann man doch sehr froh sein, dass man hier lebt.«
Wir haben auch genug Skandale: Nazis in Sachsen, ein Verfassungsschutzpräsident mit zweifelhaften Ansichten, Rassismus, Homophobie, oder, oder, oder…
»Ja, diese Aufzählung ließe sich unendlich fortführen. Aber wenn ich die Wahl hätte zwischen der Türkei und unserem Land, dann würde ich schon für Deutschland entscheiden. Ich hinterfrage mich selbst auch immer, wie ich meinen Teil dazu beitragen kann, dass die Welt ein wenig besser wird.«
Das ist ein gutes Stichwort: was dürfen die Leser von deinem neuen Buch „Gegen Judenhass“ erwarten?
»Ich hatte vor etwa sieben Jahren mit „Jud Süß Sauer“ mein erstes wirkliches Stand Up-Show-Programm. Das Kernthema war da schon als Jude in Deutschland zu leben: seit über 40 Jahren werden mir dumme Fragen gestellt und das sind nun die dummen Antworten dazu. Mein Humor ist ja schon Geschmacksache – und nicht jedem muss alles gefallen. Aber diesmal gibt es zu viele Sachen, die einfach zu übel sind…«
Und zwar?
»Aktuell gibt gibt es zu viele Leute, die mit jüdischen Hassfantasien sehr bewusst hausieren gehen – ich hatte mal eine Fahrt mit einem Taxifahrer in Frankfurt, der hat mir die abenteuerlichsten Geschichten erzählt. Und die Juden werden in diesen „Phantasien“ zu noch schlimmeren Kapitalisten stilisiert, als das schlimmste Schreckensbild, das von Israelis und Juden existiert. Dazu habe ich ein paar Geschichten zusammengetragen. Das heutige Bild des geschäftstüchtigen Juden, der zu Hause seine Kohle bunkert, dieses Bild vom reichen Banker- und Börsen-Juden ist aber kein typisch arabisches Vorurteil. Es steckt in vielen Köpfen fest und wird immer wieder wirksam beschworen. Die Klischees der gierigen oder sonstwie unanständigen Juden sind so platt wie Ostfriesenwitze. Sie sind jedoch weniger lustig, weil den Ostfriesen aufgrund der schlechten Witze keine Gewalt angetan wird.«
Sein Buch hat Oliver Polak der 85-jährigen Holocaust-Überlebenden Mireille Knoll gewidmet, die am 23. März 2018 in ihrer Pariser Wohnung Opfer eines antisemitischen Mordes wurde – und mit 11 Messerstichen umgebracht worden ist. „Gegen Judenhass“ (127 Seiten) ist im Suhrkamp Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 8 Euro.