Olympia: Ein Fall für die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“

Judo Boys 55 kg at 2018 Summer Youth Olympics ISR–AUT by Martin Rulsch cc 4.0

Wer boykottiert, wird boykottiert. Sieht so aus, als hätte das Internationale Olympische Komitee (IOC) verstanden, dass das, was BDS propagiert, den olympischen Gedanken unterläuft. Die Frage ist, wann protestiert die BDS-Erklär-Elite?

Fethi Nourine, algerischer Judoka in der 73-Kilo-Klasse, hatte sich für die jetzt begonnene Olympiade qualifiziert. Als die Auslösung ergab, dass er womöglich gegen Tohar Butbul aus Israel antreten dürfe, tat er kund, dass er Olympia boykottiere, „die palästinensische Sache ist größer als all das“. Daraufhin entzog das algerische Olympische Komitee ihm und seinem Trainer die Akkreditierung, die Boykotteure reisen kampflos ab. Gerade die Meldung, auch der Sudanese Mohamed Abdalrasool habe sich geweigert, gegen Tohar Butbul anzutreten. Die schnelle Reaktion der Sportverbände  –  zumindest im Fall Nourine  –  ist bemerkenswert, der Boykott israelischer Sportler hat eine eher zähe Geschichte:

Bei den Olympischen Spielen 2016 etwa täuschte die ägyptische Judoka Joud Fahmy eine plötzliche Verletzung vor, um nicht gegen die Israelin Gili Cohen antreten zu müssen; der ägyptische Judoka Islam El-Shehaby trat zwar gegen Or Sasson  an und verlor, verweigerte dem Israeli dann aber den Handschlag; bei der Schach-WM 2017 in Saudi-Arabien wurde dem israelischen Team die Einreise verweigert, ebenso bei der paralympischen Schwimm-WM 2019 in Malaysia …

Eine neue Art von Modell-Athlet

Und dann sind es, mehr als andere, iranische Sportler, die Opfer des eigenen Boykotts geworden sind: Saeid Mollaei, Judo-Weltmeister von 2018 in der 81-Kilo-Klasse, hat später, als er Zuflucht in Deutschland gefunden hatte, berichtet, wie er während seiner Titelverteidigung vom iranischen Sportministerium massiv unter Druck gesetzt worden sei, damit er nicht gegen den späteren Weltmeister, den Israeli Sagi Muki antrete: „Nicht nur ich, die ganze Welt weiß, was es für Konsequenzen gehabt hätte, wenn ich mich verweigert hätte“, so Mollaei im DW-Interview  –  Konsequenzen nicht nur für ihn, sondern, so berichtet es auch die SZ, „Konsequenzen für meine Familie“.

Im März dieses Jahres bestritt Mollaei –  als erster iranischer Sportler seit 1979  –  einen Wettkampf in Israel. In Tel Aviv gefeiert, ist er im Iran zu einer neuen Art von Modell-Athlet geworden, einem Vorbild für andere iranische Sportler wie beispielsweise Kimia Alizadeh, sie hat 2016 als erste Frau aus dem Iran eine olympische Medaille in Taekwondo gewonnen und sich 2020 mit klaren Worten  –  „wir sind nur Werkzeuge“  –  vom iranischen Regime distanziert.

Aufgrund der Aussagen von Saeid Mollaei wurde der iranische Judo-Verband kürzlich vom Judo-Weltverband für zunächst vier Jahre gesperrt. Was bemerkenswert ist, wenn man bedenkt, dass sich der iranische Verband eigentlich nur an die Richtlinien hält, die BDS formuliert hat, die anti-israelische Boykott-Kampagne wird andernorts als „kritisch“ gelabelt. Vorgeschichte:

   _   Im April 2004 hatte sich PACBI gegründet, das von britischen und US-amerikanischen Wissenschaftlern getragene Netzwerk für den „Academic and Cultural Boycott of Israel“, das wiederum  –  so haben es Alex Feuerherdt und Florian Markl in „Die Israel-Boykottbewegung“ herausgearbeitet  –  zurückgeht auf die UN-Konferenz in Durban 2001.

_   Im Juli 2005 wurde BDS gegründet, das Netzwerk bündele, so erzählt man sich bis heute, Dutzende weitere „Organisationen der palästinensische Zivilgesellschaft“. Im BDS-Lenkungsausschuss sitzen seit Anbeginn die „Hamas“, der „Islamische Dschihad“ und die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ PFLP  –  drei vom Iran kontrollierte und durchfinanzierte Terror-Organisationen.

_   In der Zwischenzeit, also noch vor der offiziellen BDS-Gründung, war es im August 2004 zum ersten weltweit registrierten Boykott-Eklat gegen Israel gekommen: Der iranische Judoka Arash Miresmaeili, zweifacher Weltmeister in der 66-Kilo-Klasse, hatte bei den Olympischen Spielen in Athen öffentlich erklärt, er werde nicht gegen Ehud Vaks antreten, der sei Israeli. Anschließend stopfte er sich, um einer Sperre zu entgehen, zwei Kilo Übergewicht in den Leib und schied kampflos auf der Waage aus. Beim Einzug der Nationen war er Fahnenträger des Irans gewesen, für seine Futterei wurde er später mit satten 125 000 US-Dollar belohnt, berichtete der Tagesspiegel. Heute ist Miresmaeili Präsident des Iranischen Judo-Verbandes.

Arbeiten BDS und das iranische Terror-Regime Hand in Hand? Jedenfalls nicht gegeneinander, anderes Beispiel:

2015 hatte BDS eine Kampagne gegen den Welt-Fußballverband gestartet, „Kick out Israel from FIFA“, wieder kam es so, dass Fußballer aus der arabischen Welt die Boykott-Suppe auslöffeln mussten: Israel wurde keineswegs aus der FIFA rausgeworfen, wohl aber Masoud Shojaei und Ehsan Hajsafi 2017 aus der iranischen Nationalmannschaft, nachdem sie mit ihrem Team Panionios Athen in der UEFA-Europa-League  –  die UEFA ist Teil des FIFA-Weltverbandes  –  zuhause gegen Maccabi Tel Aviv gespielt hatten. Shoajaei war Kapitän der Nationalmannschaft.

Zumindest im Iran aber scheint es hin und wieder wen zu geben, dem schwant, dass es unfair sein könnte, sich selber zu boykottieren: 2018 wurde Masoud Shojaei, der Boykottbrecher, erneut in die Nationalmannschaft berufen.

Drei Fälle, ein BDS-Modus

Mit Wissenschaft und Kultur hat Sport gemein, dass es alle drei nicht gäbe, gäbe es keine anderen, mit denen eine Auseinandersetzung lohnt. Churchills „No sports!“ ist eben dies, kein Sport. Also setzt Olympia die Boykotteure auf die Couch, wann protestiert die „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“?

Gerade sieben Monate her, dass sie  –  ein Bündnis milliardenschwer geförderter Kulturinstitute in Deutschland  –  erheblich mehr Worte als Churchill darauf verwandt hat zu erklären, warum der Boykott von Wissenschaft sehr wohl wissenschaftlich sei und viel Kultur darin liege, Kultur zu verweigern. Und der Sport?

Die Frage liegt nahe, ist Sport denn nicht auch Kultur, wird er nicht wissenschaftlich reflektiert, ist Fethi Nourine nicht ein neuer Achille Mbembe? Zählt er so gar nicht zu den „Young Fathers“, haben sie nicht alle nur ihr Recht wahrgenommen, selber zu entscheiden, mit wem sie –  wie die „Young Fathers“ es taten –  eine Bühne teilen wollen oder  –  wie Mbembe es tat  –  einen Seminarraum oder wie Fethi Nourine eine Matte?

Reef Cohen by Yanai Yechiel cc 3.0

Es sind dies die drei Fälle des BDS-Modus‘: akademischer Boykott  –  Achille Mbembe hat den Boykott israelischer Wissenschaft aktiv betrieben und ihre „globale Isolation“ gefordert. Kultureller Boykott  –  die Rapper von den „Young Fathers“ haben sich geweigert, auf demselben Festival zu spielen, auf dem Riff Cohen spielt, israelische Songwriterin. Nun also Nourine, die Sportskanone … hören wir die „Initiative Weltoffenheit“:

Es sei  –  und das hat sie wie alles andere so allgemein formuliert, es kann nur für alle Fälle gelten  –  es sei „unproduktiv und für eine demokratische Öffentlichkeit abträglich, wenn wichtige lokale und internationale Stimmen aus dem kritischen Dialog ausgegrenzt werden“. Schließlich geht es wie schon im Fall Mbembe auch hier –  Nourine ist Algerier  –  um „historische Verantwortung“ und „historische Erfahrungen von Gewalt und Unterdrückung“.

Und wie bei Carps Ruhrtriennale dreht sich nun auch hier –  Olympia ist polyglott  –  alles um die „Verteidigung eines Klimas der Vielstimmigkeit“ und um  –  diesmal sind es Stadien  –  „Räume, in denen es darum geht, Ambivalenzen zu ertragen und abweichende Positionen zuzulassen“. Wieder kommt es doch entscheidend darauf an, gesellschaftliche Freiräume  –  Sporthallen  –  zu schaffen mit dem Ziel, „die eigene privilegierte Position als implizite Norm kritisch zur Disposition“ zu stellen …

Aus diesem „Plädoyer“, im letzten Dezember präsentiert, zogen die Kultur-Intendanten den Schluss, sie müssten nun erst recht die einladen, die andere boykottieren. Genauer: Erst recht einladen müssten sie, wer Israelis boykottiere. Man dürfe, so erklärten sie, als seien sie das Executive Board der Hochkultur, „langjährige Partner“ nicht vergraulen, man wisse sonst kaum noch, wen man einladen könne, das Programm nehme schon jetzt akuten Schaden, man sehe sich außerstande, jeden Sportler „vorab einer Gesinnungsprüfung zu unterziehen“

Argumente, die im Kultursprech als reflektiert gelten und sich auf jedem Bolzplatz verstümpern. Wie fatal dies ist, zeigt sich daran, dass man dem IOC fast dankbar sein könnte dafür, dass es darauf verzichtet, ein bisschen Judenhass durchs Programm zu schleusen, nur um ein bisschen dagegen sein zu können. Schon klar, dass das IOC jede Art von Boykott  –  selbst gegen ein so kleines Land wie das demokratische Israel, das im olympischen Medaillenspiegel weit hinten rangiert  –  boykottieren muss, damit es nächstes Jahr, wenn die Spiele in China stattfinden, sich nicht selber boykottieren müsste, wofür es immerhin ein paar gute Gründe gibt.

 

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Thomas
Thomas
3 Jahre zuvor

Der Algerier hat sich auch noch klar rassistisch geäußert.
Von SPON:
"Er werde die Flagge Israels nicht anerkennen, sagte Nourine, »und ich werde mir damit nicht die Hände schmutzig machen«."

Man stelle sich vor der Israeli hätte einen Araber schmutzig genannt. Da würde es zig Beiträge geben. Wenn ein Araber von einem schmutzigen Israeli redet ist es anscheinend in Ordnung.

nussknacker56
nussknacker56
3 Jahre zuvor

Ich glaube, an diese Bewegung Deutscher Kulturschaffender (auch „Initiative Weltoffenheit“ genannt), die sich letztendlich für die Verständigung mit palästinensischen Friedensorganisationen wie Hamas, Fatah, PFLP usw. einsetzen, dürfen die Erwartungen an ein Tätigwerden in diesem Fall nicht allzu hoch gesetzt werden. Sind sie doch mit dem Ausräumen von immer wieder auftretenden Missverständnissen und einer weltoffenen Interpretation diverser Chartas und Protokollen vollauf beschäftigt.

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

Heute morgen höre ich, dass auch ein Sudanese nicht gegen einen Israeli antritt. Da werden sich ja wieder einige vor Begeisterung und Zustimmung überschlagen, nehme ich mal an.

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

Habe gerade in der Printausgabe der TAZ von heute gelesen, dass auf einer Alternativveranstaltung zum Berliner CSD Journalisten als Vertreter der "Zionistischen Presse" angegriffen und in bei der Arbeit behindert wurden, so dass sie nur unter Polizeischutz berichten konnten.

nussknacker56
nussknacker56
3 Jahre zuvor

Den Antirassisten dieser Welt hat es ebenfalls komplett die Sprache verschlagen angesichts dieser Vorkommnisse. Das verwundert ein wenig, warnen diese unermüdlichen Spürnasen doch sonst ohne Unterlass vor der kurz bevorstehenden weltweiten Machtübernahme des globalen Rassismus.

Möglicherweise sind das aber alles auch nur bloße Ermüdungserscheinungen, und der flüchtig auftretender Verdacht, hier könnten womöglich rassistische Beweggründe eine Rolle spielen ist vollkommen haltlos.

Emil
Emil
3 Jahre zuvor

@ nussknacker56

kann ich den bot "nussknacker56" fragen, wo ich so einen bot kaufen kann?

Klingt irgendwie unlogisch? na ja, den "nussknacker56" könnte man auch mal neu programmieren, da kommen arg viele Superlative – und heraus kommt pseudo-Israel-solidarischer Müll …

thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

@ Thomas Wessel Dass der tapfere Saeid Mollaei jetzt für die Mongolei kämpft, zeigt einmal mehr, dass man in Berlin gerne iranischem Druck nachgibt-der Fall Mollei ist ein Kotau vor den iranischen Kopfabschneider-Mullahs. Denn eigentlich wollte Saeid Mollaei die deutsche Staatsbürgerschaft,wie ich vor einigen Wochen las. Bekam sie aber nicht, wie sein erfolgreiches Ringen in Tokio zeigt

trackback

[…] in einem üblichen Rahmen läge, wäre es dann akzeptabel, israelische Künstler, Wissenschaftler, Sportler zu boykottieren? Lässt sich überhaupt eine Situation denken, in der Demokraten eine Demokratie […]

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[…] in einem üblichen Rahmen läge, wäre es dann akzeptabel, israelische Künstler, Wissenschaftler, Sportler zu boykottieren? Lässt sich überhaupt eine Situation denken, in der Demokraten eine Demokratie […]

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