Olympia verhöhnt – nur wen? Gummibärchen-Parade in Paris

Das letzte Abendmahl mit Gummibärchen dargestellt by Enno Kraus 2007 cc 2.0

Beim Sport ist es wichtig, genau hinzuschauen. Das Zehntel hier, der Millimeter da, die Demeter dort. Demeter ist die Mutter von Dionysos, soweit sich das heute zurückverfolgen lässt. Anders als ihr Dickerchen wurde sie keine Sekunde gefeiert, als die Olympischen Spiele in Paris eröffneten. Dabei rechnet sie und nicht ihr bedudelter Sohn zu den zwölf Gottheiten des Olymps. Jetzt reden alle über ihn, keiner über sie. Starren auf Dionysos und sehen nicht, was nicht zu sehen ist, Demeter nicht, da Vinci nicht, kein letztes Abendmahl.

Die Szene auf der Seine am vergangenen Freitag: Dionysos, Inbild von Lebenslust und einem rauschhaften Opferkult, bei dem nie klar war, wer unters Messer gerät, jetzt räkelt er sich vor Leuten, die aufgereiht stehen hinter einem Tisch, der aussieht, als wollten sie tapezieren, in ihrer Mitte eine Frau mit Strahlenkranz, aufdringlicher als der, den man von Liberty Island kennt, der wiederum in Paris geschaffen wurde von Frédéric-Auguste Bartholdi … Da Vinci?

Muss man drauf kommen, zum Vergleich: Auf diesem Bild sind sowohl da Vinci zu sehen als auch das Abendmahl als auch Mama, es heißt „Yo Mama’s Last Supper“ und ist von Renée Cox, eine großartige Arbeit aus 1996, sie hängt im Brooklyn Museum of Art:

https://en.wikipedia.org/wiki/Yo_Mama%27s_Last_Supper

Ein weiterer Vergleich in ähnlicher Liga und ebenfalls sofort als da Vinci-Zitat zu erkennen: Horst Wackerbarths Arbeit für Otto Kern und dessen Jeans, der Düsseldorfer Fotokünstler hat sie 1993 in mindestens vier Variationen geschaffen, die damals parallel liefen zur öffentlichen Empörung: Jesus als Mann mit je sechs Frauen linker- wie rechterhand, alle barfuß, ihre Oberkörper bloß, es geht nunmal um Blue Jeans; dann vice versa: Jesus als Frau mit zwölf Männern links und rechts, wieder sind alle barfuß, die Oberkörper entblößt, nur dass Jesus jetzt ein weißes Männerhemd übergeworfen hat; dieselbe Aufstellung dann erneut mit Jesus als Mann und den Jüngern als Männern und schließlich, Variation 4, Jesus als Frau, das Hemd in Weiß jetzt übergroß, und sämtliche Jünger als Frauen. Da Vinci? Da Vinci.

Horst Wackerbarth: Werbung für Otto Kern 1993 | Screenshot

Apple hat 2007 mindestens 2 x da Vinci zitiert und  –  die Werbung ist vermutlich nur in den USA erschienen  –  beide Male so, dass jeder iPhone-Käufer weiß, mit was er es zu tun kriegen wird. Das eine Mal, es finden sich keine zulässigen Links im Netz dafür, sieht man einen Tisch, der das Bild längs durchteilt, deutlich erkennbar darauf die Reste eines gemeinsamen Essens, vier altertümliche Mobilgeräte sitzen linker- und vier rechterhand von iPhone 1, vier links vier rechts ergeben keine 12, dennoch geht die Bildlogik auf.

Die zweite Apple-Werbung aus 2007: Das da Vinci-Panorama im Scherenschnitt, im Schattenduster zu sehen sind acht, vielleicht neun leuchtende Bildschirme im iPhone-Format, eines davon hält der zentrale Schatten, die Jesus-Figur, wie eine beiläufige Gabe dem Betrachter entgegen …

Etwas blöde im Vergleich dazu, aber ebenfalls sofort als da Vinci zu erkennen: die Werbung von Paddy Power, einem irischen Glückspielbetrieb, hier einzusehen

https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/gallery125106580/Kultbilder-Wenn-Kunstwerke-zu-Alltagsikonen-werden.html

Dort auch die Werbung für Folsom Street Fair, ein jährliche Parade der Leder-Szene in den USA und hier deshalb interessant, weil sie zeigt, wie altbacken der Provo-Effekt ist, den ein Dionysos auf der Seine noch 17 Jahre später bewirkt.

In Frankreich tatsächlich verboten wurde 2005 eine Werbung für das Modehaus von Marithe et Francois Girbaud, phantastische Arbeit von Brigitte Niedermaier: Jesus und 11 Jünger posieren als best-gekleidete Frauen, ein halbnackter Mann, der sich, Rücken zum Betrachter, von Jesus abwendet und einer Frau zu, bei der es sich, orientiert man sich an da Vincis Arrangement, um nunja Petrus handeln dürfte, der Clou in diesem Bild: Alle scheinen sie zu sitzen und es sind keine Stühle da, sie schweben wie in einem Nichts, auch der Tisch hat keine Beine, die Tischplatte ist schwerelos, sie teilt das Bild in eine obere und untere Welt, und je länger man die Beine und Füße  –  es müssten ja nun 12 + 1 x 2 sein  –  im unterem Bildteil zählt, je weniger geht die Rechnung auf. Was wir sehen, ist versetzt, nur scheinbar fügen sich oben und unten zusammen, was realistisch aussieht, ist so stabil wie die leicht spacige Tischplatte, die das Bild durchschneidet, eine wundervoll falsche Harmonie:

Brigitte Niedermaier – Last Supper für Marithé und Francois Girbaud – The Guardian Screenshot

So geht eine da Vinci-Adaption im Fluß der Bilder und so wie im Titelbild oben, auch es hat Format, ein freundlich-nachgiebiges, ein fröhlich gummi-artiges, die Arbeit stammt von Enno Kraus, Chansonier aus Berlin. Geradliniger als die anderen führt sie zu der Frage, wer es sei, der herbeigerufen wird, wer wen betrachtet und ob hier wer wen verhöhnt oder ästhetisch verwöhnt: Was passiert, wenn Jesus und seine Jünger als Bärchen erscheinen oder Bärchen als pummelige Sportler oder Sportler als Dionysos oder Dionysos als die zwölf Sportfunktionäre mit Wanst oder … Es lässt sich alles als Liebeserklärung lesen, als eine Einfühlung, die sagt, dies ist mein Leib für euch …

Wichtiger, was nicht zu sehen war und nicht hineinzulesen in das Bild, das Olympia der Welt geboten hat: Dionysos war da, Demeter nicht. Die olympische Göttin ist  –  in Deutschland  –  zur Marke eines anthroposophischen Musterbetriebs runtergekommen, der sich selber durch die Nazi-Zeit hindurch angebaut und selbst sein „SS-Versuchsgut im KZ Dachau“ bio-dynamisch überdauert hat. Heute firmiert er in Super- und Reformmärkten als „der älteste Bioverband in Deutschland“, aber das ist eine andere Geschichte, ganz nebenbei hat Olympia gezeigt: kein Abendmahl mehr mit Demeter.

 

 

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