Im Zuschauerraum ist es noch nicht ganz dunkel, die Freunde der italienischen Oper haben sich noch nicht ganz in die Sessel sinken lassen, da blitzt ihnen eine Batterie von Scheinwerfern ins Gesicht, im Orchestergraben bricht sich brachial Sturm und Seegefecht bahn und der Chor in den Gängen des Parketts verbreitet donnernde Kriegsstimmung. Jens-Daniel Herzog will in seiner Inszenierung von Giuseppe Verdis Otello gar nicht erst Wohlfühlstimmung aufkommen lassen. Im niedrigen schwarzen Bühnenkasten von Mathis Neidhardt flimmern grün-schwarze Datenbilder. Der Krieg wird längst nur noch am Bildschirm geführt. Otello wird nicht auf einem Schlachtfeld zum Kriegshelden, sondern nur durch die blinde Begeisterung des Volkes, das nach dem Heldentum giert. Otello ist im wahrsten Wortsinn ein gemachter Mann. Und die Begeisterung des aufgewiegelten Volkes kann auch nicht trüben, dass Otello dann, als sich die Rückwand des Kastens öffnet und einen weißen (immer noch niedrigen und engen) Raum freigibt, auf dem Boden in Blutlachen sitzt und den türkischen Wolf ausweidet und zerlegt.
Es ist ein starker Anfang, an dem auch Dirigent Gabriel Feltz und die Dortmunder Philharmoniker mit Kanonenschlägen und Donnerblechen mitstricken. Zurückhaltung, Feinsinn und Eleganz sind hier nicht gefragt. Verdis Oper ist ein Pathos-Monster, das knapp drei Stunden lang unter Dampf steht und sich um die Ökonomie der Mittel nicht schert. Verdi nutzt alle musikalischen Mittel, um dem Text und den Ereignissen in jeder Sekunde noch mehr Schlagkraft zu verleihen. So geht auch Feltz sein Dirigat an: Immer voll auf die Mütze. Im Programmheft zitiert Dramaturg Georg Holzer George Bernhard Shaw, der über Verdis Otello bemerkte, dass alle Personen Monster seien. Verdi und sein Librettist Arrigo Boito haben den Shakespearschen Stoff verdichtet und geschärft – auch platter gemacht, wenn, nur ein Beispiel, Jago sich zu seinem großen Glaubensbekenntnis des Bösen aufschwingt. Während bei Shakespeare die Motivation Jagos immer noch etwas rätselhaft bleibt, wird er bei Verdi / Boito zu einer Ausgeburt der Hölle. Alles ist hier dick, prall, manchmal klebrig, im Militärischen oft operettig – schlicht: sehr italienisch.
Jens-Daniel Herzog setzt dagegen einen unbedingten Realismus der Darstellung. Er erspart uns einen zum Mohren geschminkten Otello. Dem schwierigen Thema der Andersartigkeit Otellos gibt er bewusst kein optisches Zeichen bei. Otello, der ewige Soldat, ist fremd in der Friedensgesellschaft, weil er sich nur unter Männern, in der Rohheit des Schlachtfeldes zuhause fühlt. Im Spiel der gesellschaftlichen Konvention kann er nicht bestehen. Das Leichte, gelegentlich Naive von Desdemona ist ihm zutiefst fremd und selbst wenn es ihn fasziniert, findet er doch keine Art, damit umzugehen. Noch fremder ist ihm allerdings Jago, weil er im Hintergrund agiert, nie offen auf dem Schlachtfeld in den Kampf zieht, sondern stets andere den Krieg ausfechten lässt. Darauf kann der Soldat Otello keine Antwort haben.
Marc Horus als Cassio ist darstellerisch der Stärkste in diesem ohnehin spielfreudigen Ensemble. Wenn er sich gleich zu Beginn mit dem Roderigo des Fritz Steinbacher bei der Siegesfeier ein von Jago angezetteltes Trinkgefecht liefert, dann ist das eine schauspielerische Glanzleistung. Auch Emily Newton als Desdemona und Lance Ryan als Otello sind wie schon oft darstellerisch überaus präsent. Sangmin Lee als Jago dagegen könnte sich durchaus etwas zurücknehmen. Seine häufig in die Grimasse abrutschende Mimik mit aufgerissenen, rollenden Augen und gefletschten Zähnen wäre gar nicht nötig. Das Böse transportiert er bereits hervorragend in der Stimme, mit der er Jagos Charakter weitaus überzeugender zeichnet. Gesanglich glänzt hier das gesamte Ensemble. Lediglich Marc Horus presst sich zu Beginn mit zu viel Kraftaufwand durch, muss sich allerdings auch gegen den Chor durchsetzen, der von Manuel Pujol offensichtlich diesmal vor allem auf Fortissimo-Überwältigung getrimmt wurde.
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