Sportlich dümpelt der VfL Bochum momentan in der 2. Bundesliga und der Wiederaufstieg der „Unabsteigbaren“ ist momentan nicht wirklich gesichert.
Zusätzlich zur sportlichen Misere kommt das Vakuum im Aufsichtsrat, welches durch den überstürzten Rücktritt des bisherigen Vorsitzenden Werner Altegoer und weiterer Mitglieder des Aufsichtsrates verursacht wurde. Zwar besteht der VfL Bochum darauf, dass man handlungsfähig sei, doch die Frage in welche Richtung sich der VfL Bochum zukünftig entwickeln wird, ist weiterhin offen. Wenn es irgendwo zu Umbrüchen kommt, werden die verschiedensten Vorschläge gemacht und in die Diskussion eingebracht. So auch beim VfL.
Es fing alles mit einem unscheinbaren DIN A4-Zettel an, der vom Layout her irgendwo zwischen „Kindergartenkinder versuchen sich an Erpresserbriefen“ und den ersten Layoutversuchen mit Hilfe von Schreibmaschine und Pritt-Stift anzusiedeln ist:
Darauf wurde vom (Zitat!) „Intimkenner“ Erwin Steden ein Referat zur Vergangenheit und Zukunft des VfL Bochum versprochen, welches angesichts der jüngsten Eskapaden auf der Jahreshauptversammlung des Zweitligisten gehalten werden sollte.
Wer Erwin Steden nicht kennt, sei auf seine eigene Internet-Seite erwinsteden.de verwiesen, wo man einiges über Steden erfahren kann. Der ehemals beim VfL Bochum aktive Steden (als Jugendleiter, Vorstandsmitglied und Stadionsprecher), der grob geschätzt vor rund zwei Jahrzehnten mit Werner Altegoer, dem inzwischen ehemals starken Mann des VfL Bochum, brach, wollte Ende Oktober seine Sicht der Dinge kundtun und lud in die Gaststätte „Zum Kuhhirten“ ein.
Schaute man sich das Pamphlet – und ich denke gerade für solche Druckwerke gibt es dieses viel zu selten genutzte Wort – genauer an, konnte man schon ahnen, wohin die Reise gehen sollte bzw. was die Quintessenz des Abends sein sollte. Denn die schlichte Erkenntnis des Abends würde sich auch ohne Probleme in eine Statusmeldung des Buschfunks bei StudiVZ/MeinVZ, bei Facebook oder Twitter kurz darlegen lassen:
Die Zeit unter Ottokar Wüst war gut, und unter Werner Altegoer ging es bergab mit dem VfL Bochum.
Doch um diese ach überraschende Erkenntnis Stedens zu hören, musste man lange warten, denn die Überschrift ist nicht umsonst so formuliert worden, denn das Referat Stedens begann quasi mit dem Krieg, dem Zweiten Weltkrieg um genau zu sein.
Doch sollte es auch(?) schon vor dem eigentlichen Referat interessant werden:
Präludium
Direkt nach der Begrüßung der überschaubaren Zuhörer (ca. 15 bis 18, von denen einige übrigens beim VfL Bochum selbst arbeiten und andere für Medien vor Ort anwesend waren) gab Steden eine persönliche Erklärung ab:
Diese bezog sich auf den anwesenden Sportjournalisten und VfL Bochum-Kenner Günter Pohl (Bild, Radio Bochum, RevierSport), der über das Treffen vorab im RevierSport wie folgt berichtet hatte:
Stammtisch-Politik!
In Bochum gibt es offensichtlich nichts, was es nicht gibt. Mit einem Flugblatt, das in seiner fehlerhaften Zusammenstellung wohl einzigartig ist, lädt der frühere Jugendleiter und Stadionsprecher Erwin Steden, der sich selbst als Zeitzeuge bezeichnet, zu einer Diskussionsveranstaltung in eine Bochumer Kneipe ein. Steden, der einst den Klub über Nacht wegen zahlreicher „Verfehlungen“ verlassen musste, will einen Ausblick über den Ist-Zustand und die Zukunft des VfL geben. Ganz offensichtlich handelt es sich dabei um eine späte Retourkutsche gegen die derzeit Verantwortlichen.
Hierzu stellte Steden fest, dass das ganze nicht richtig sei. So habe es keine Einladung zu einer Diskussion gegeben, denn hier würde schließlich ein Referat gehalten werden. Auf diese Tatsache wies er im Verlauf des Abends, begleitet von einem von ihm geläuteten Glöckchen auch immer wieder hin – nämlich dann, wenn sein Redeanteil unter die Grenze von 98,5 % sank…
Auch würde es keine zahlreichen Verstöße geben und die erwähnte Trennung vom VfL Bochum sei auch nicht korrekt. Hier nannte er dann auch seine vierstellige Mitgliedsnummer und erklärte, dass sich seine Mitgliedschaft im VfL Bochum durch eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle bestätigen lassen könne.
Direkt im Anschluss präsentierte er dann sein polizeiliches Führungszeugnis um klarzustellen, dass die ihm gegenüber getroffenen Anschuldigungen (die eben erwähnten Verfehlungen, die seiner Meinung nach nur strafrechtlich gemeint sein können) nicht korrekt seien. Als Bonus erwähnte er noch sein Bundesverdienstkreuz und die diversen Auszeichnungen der diversen staatlichen Ebenen unseres Landes, die beweisen würden, dass er keinerlei Verfehlungen begangen habe, denn gerade beim Bundesverdienstkreuz würde man monate- wenn nicht gar jahrelang durchleuchtet werden, ob man denn nicht Dreck am Stecken hätte.
Nach dieser skurrilen Erklärung schilderte er noch kurz seinen persönlichen Dissens mit Werner Altegoer, was unter anderem dazu führte, dass nicht nur die Jugendarbeit vor Ort vernachlässigt wurde, sondern auch die tollen Winterbälle, Nikolaus- und Weihnachtsfeiern nicht mehr stattfinden würden.
Eigentlich hätte jetzt der ganze Abend schon enden können, denn das was wichtig war, war ja bereits gesagt. Doch es sollte anders kommen…
Steden schilderte aus seinem Leben und begann mit Kriegs- und Nachkriegserfahrungen. Dabei vermischten sich manchmal die Zeitebenen ein wenig, denn da klang es so, als ob man bei der Teilnahme am (sozialistischen) Jugendverband der Falken eine Alternative zum Besuch der Hitler-Jugend (HJ) sah, die übrigens nur Uniformen und keine gute Jugendarbeit hatten. Doch zu dem Zeitpunkt, wo man bei der HJ sein konnte, wo also die Nazis mit ihrem Terror- und Verfolgungsregime Leid und Elend über ganz Europa brachten, da wurden politisch Andersdenkende wie u.a. Kommunisten, Sozialdemokraten und Sozialisten verfolgt.
Fast schon routiniert referierte Steden über seine Erfahrungen von anno dazumals, was eine teilweise launisch anmutende Reihe von Anekdoten darstellte. Teilweise glitt das ganze ins Skurrile, aber manchmal auch in Momente des Fremdschämens ab, wenn Steden beispielsweise sein „fußballerisches Mündel“ aus Afrika einfachste Dinge abfragt (sinngemäß: „Der VfL Bochum war von 1971 bis 1993 in der ersten Bundesliga. Wieviele Jahre sind das?“). Immer wieder am Rande merkte man, dass Steden und Altegoer geschiedene Leute sind, denn als Steden von den Falken, über die Naturfreunde zu Wilhelm Tell kam, nutzte er das gleich um die kulturelle Arbeit von früher zu loben – und Ottokar Wüst war immer wieder mit im Schauspielhaus, während Werner Altegoer nur einmal mit im Schauspielhaus dabei war…
1993 – das entscheidende Jahr
Mit dem erstmaligen Abstieg seit vielen Jahren und sogar Jahrzehnten zeichnete sich für Steden ein Wendepunkt beim VfL Bochum. Doch ist dieser Wendepunkt nicht primär mit dem fußballerischen Abstieg, sondern mit dem gremienmäßigen Aufstieg von Werner Altegoer verbunden. 1993 verließ der von Steden hochgeschätzte Ottokar Wüst das Ruder des VfL Bochums und damit begann dann – laut Steden – das eigentliche Elend:
Damals wurde ein erweiterter Vorstand gegründet, was er wie folgt kommentierte:
„Danach war es dann mit der Demokratie zu Ende und es lief auf eine Personenherrschaft zu.“
Auch inhaltlich änderte sich an der Arbeit etwas, denn
„die vorher vorhandene sportliche Note in der Vorstandsarbeit [endete]“
und außerdem wurde seit diesem Zeitpunkt eigentlich gar nicht mehr im Vorstand, sondern in privaten Zirkeln entschieden.
Ergebnis dieser inhaltlich veränderten Ausrichtung sei es beispielsweise, dass seitdem die Jugendmannschaften des VfL Bochum immer an letzter und vorletzter Stelle stehen würden, was jedoch zumindestens von einem anwesenden Radioreporter mit einem beherzten
„Stimmt doch gar nicht!“
kommentiert wurde.
Während man den Eindruck gewinnen konnte, dass die Jugendarbeit in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sehr viel Platz einnahm, wurde auf die aktuelle Situation sowohl im sportlichen Bereich als auch auf die Geschehnisse nach der berühmt-berüchtigten Jahreshauptversammlung eigentlich nur kurz – dafür aber teilweise umso heftiger – eingegangen, dann auch von Teilen des Publikums, die ebenfalls versuchten Klartext zu sprechen.
Schlechte Jugendarbeit
In der Hitze des Gefechts, wurde beispielsweise die aktuelle Jugendarbeit scharf kritisiert und in einem Satz der östliche Reviernachbar Borussia Dortmund gleich gelobt (dieser Nuri Sahin) und auch gleich verdammt (deren Finanzen). Es ging dann auch das eine oder andere Mal etwas „deftiger“ und deutlicher zur Sache. So wurde eine bessere Jugendarbeit gefordert, damit man „nicht mehr irgendwelche Spieler aus Abessinien holen müsse“, wofür man sich auch gleich bei einem der afrikanischen Mündel Stedens entschuldigte.
Aufsichtsrat? Vorstand?
Insgesamt gesehen wurde jedoch nicht wirklich sachdienlich und oft auch fern von Kenntnis diskutiert. Damit ist beispielsweise die immer wieder auftauchende Verwechslung von Vorstand und Aufsichtsrat gemeint, wo man – getreu dem Motto „Alle in einen Sack, man trifft da schon den Richtigen!“ – beide Gremien immer wieder zusammen würfelte.
Anders ist beispielsweise die Kritik am Vorstand auf fehlende sportliche Erfahrung nicht zu verstehen, wo man ja vom Fußball selber gar keine Ahnung habe, aber sich dafür gut mit Energie auskennen würde… Diese gegen einzelne Mitglieder des Aufsichtsrat gemünzte Spitze hat natürlich nichts mit dem Vorstand zu tun, denn auch wenn man die jüngsten Erfolge des sportlichen Vorstandes Thomas Ernst noch suchen muss – man kann Gustl kaum vorwerfen, dass er von Fußball keine Ahnung hat. Ob der Finanzvorstand Ansgar Schwenken großartige Fußballerfahrungen besitzt, sei jetzt auch mal dahingestellt, aber dass er von seinem Job etwas versteht, sieht man alleine daran, dass er es geschafft hat, dass der VfL Bochum schuldenfrei ist – etwas wovon der eine oder andere Revier-Nachbar träumen würde und wo das zum Teil kaum möglich sein magath.
In Folge der Generalkritik an allem wurde dann gemeinschaftlich überlegt, wie es besser werden könne und hier hätte das Doppelpass-Phrasenschwein bei Anwesenheit sicherlich platzen müssen. Die Ist-Beschreibung des VfL Bochum und insbesondere der Profimannschaft war von Allgemeinplätzen und Phrasen geprägt.
Tatsächlich wurde eigentlich nur eines gefordert: Der VfL Bochum müsse im Aufsichtsrat (gefordert wurde es eigentlich für den Vorstand, aber dass der Vorstand hauptamtlich tätig ist und aus Ansgar Schwenken und Thomas Ernst besteht, war da eventuell nicht ganz präsent, siehe oben) mehr sportlichen Sachverstand aufweisen und auch die Jugendarbeit und deren Vertreter müsste dort angemessen vertreten sein. Als Name wurde hier beispielsweise Hermann Gerland genannt, der bekanntlich jetzt beim FC Bayern München ist und auch von anderen Fangruppen gerne genannt wird. Mindestens 50 % der Sitze müssten für Vereins-Kenner oder ehemals Aktive reserviert werden, gleichzeitig wurde jedoch gefordert den Aufsichtsrat zu reduzieren. Mit diesen Maßnahmen würde man sicherstellen, dass auch etliche Honoratioren der heimischen Wirtschaft bereit wären, sich für den VfL Bochum zu engagieren, was jetzt ja nicht der Fall sei.
Akzeptanzprobleme des VfL Bochum?
Faszinierend wurde es, als ein Teilnehmer der Runde über die fehlende Akzeptanz des VfL Bochum berichtete. So sei beispielsweise Herr Fiege von der gleichnamigen Brauerei im Urlaub und hätte arge Probleme Abnehmer für seine Dauerkarte zu finden. Das würde doch schon alles aussagen (vor allem eines: Herr Fiege hat – wenn das ganze überhaupt stimmt – mich nicht gefragt…).
Konkrete Vorschläge zur Satzungsänderung? Fehlanzeige!
Konkrete Ideen, wie man beispielsweise mit den geplanten Satzungsänderungen, die von der unabhängigen Faninitiative „Wir sind VfL“ gefordert wurden, umzugehen hat, gab es leider nicht, obwohl doch die Satzung auch als Thema auf dem Pamphlet genannt wurde. Auch in Bezug auf Personalien blieb es bei Allgemeinplätzen, obwohl doch derzeit jedes Mitglied des VfL Bochum dem gewählten Wahlausschuss potentielle Kandidaten für den Aufsichtsrat vorschlagen kann. Stattdessen erklärte Steden am Ende, dass es nun „an den Persönlichkeiten [sei], die Initiative zu ergreifen – für mehr sportlichen Sachverstand.“
Insofern blieb (auch) dieser – an und für sich theoretisch interessante – Teil der Veranstaltung reichlich nebulös und man hatte den Eindruck, dass die selbst gesetzten inhaltlichen Ziele (siehe Einladungspamphlet) ähnlich verfehlt wurden, wie Ottokar Wüst bei der Jahreshauptversammlung zielsicher die Mikrofone bei seiner Brandrede gegen Werner Altegoer verfehlte.
Außer Spesen…
Wenn man das Fazit dieser Veranstaltung ziehen wollen würde, dann wäre es schwierig da etwas positives zu sehen. Zwar wurden sicherlich auch einzelne Punkte angeschnitten, die etwas mit der momentanen Situation des VfL Bochum zu tun haben (so z.B. die mutmaßliche Zerstrittenheit und Grüppchenbildung in der Mannschaft, die erklären würde warum beispielsweise ein Lewis Holtby in Bochum nicht so gut spielen konnte wie jetzt in Mainz), aber insgesamt gesehen blieb das ganze weniger ziel- sondern vielmehr vergangenheitsorientiert.
Man konnte den Eindruck gewinnen, dass die gemeinsamen Besuche im Schauspielhaus und die Winterbälle zwingend notwendig seien für den sportlichen Erfolg des VfL Bochum und dass ab 1993 eigentlich alles falsch gelaufen sei.
Es ist meiner Meinung nach nicht davon auszugehen, dass dieses „Spezial-Referat“ des „Intimkenners“ Erwin Steden irgendwelche Impulse für die zukünftige Entwicklung des VfL Bochum setzt. Inhaltlich (und personell…) wäre das auch eher ein Rückschritt.
Links anne Ruhr (10.11.2010)…
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