Original und Übersetzung – „celebrating Mahavishnu“

Man stelle sich einen Sommerabend vor – auf der Wiese liegend, den Blick in die Blätter eines Baumes, die so unendlich plastisch das Auge faszinierten. Auch die ganzen vielen Grüntöne wirkten so neu, so anders, so viel verschiedener auf einmal. Auf den Ohren die Headphones eines vom Taschengeld abgesparten Sony-Cassettenwalkmans – und in diesem eine frische Aufnahme des „Birds of Fire“-Albums vom Mahavishnu-Orchestras. Solche Ewigkeiten hatten auch die längsten Soli noch nie durchmessen! Links eine merkwürdig schwerelos schwebende Violine – rechts eine Gitarre, die Wörter, Geschichten, kaleidoskopische Farben produzierte.  Man darf raten, was im Spiel war, um all dies herbei zu führen…

Tatsache bleibt:  „Sanctuary“, „Lotus“ oder „Terrestrial Celestial“ sind Stücke, die auch heute noch so heißen wie sie klingen. Und dabei auch in klarem Bewussteinszustand so klingen, wie sei heißen. Denn das, was sich einst so prägend ins Hirn einfräste, geht im Grunde auf ein Höchstmaß an Klarheit in der musikalischen Aussage zurück. Das deutet auf eine ähnliche Verfassung, eine geradezu spirituell reine Ausgangslage zum Zeitpunkt der Produktion dieser Musik hin. So sieht es auch der Geiger Bernie Mallinger vom Radio Vienna String Quartet: „John Mc Laughlin, der die meisten dieser Stücke geschrieben hat, war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder von den meisten Drogen runter.“

Das Streichquartett aus Wien lieferte im Dortmunder Jazzclub domicil die zeitgenössische  „Übersetzung“ dieser Stücke.  Und es mangelt hier an nichts  in Sachen extremer Spannungslevel und oft überwältigender Dramaturgie, wie sie vielen Mahavishnu-Stücken innewohnt. Die Wiener schaffen all dies durch dezidierte klangliche  Gestaltung und subtile perkussive Techniken. Ganz dicht am Steg streichen die vier über weite Strecken, was sich in der Fachsprache „sul ponticello“ nennt – das produziert diesen seidigen, sphärischen Klang! Und die Bögen trommeln auch mal im Neunzehnachtel-Takt auf die Saiten, worauf Bernie Mallinger in einer Zwischenansage verwies.

Die feinste Arrangierkunst der Wiener fängt die komplexen melodischen Abläufe ein, bringt so viel Mystik zum Leuchten, in all ihrer kunstvoll-wilden Vermengung Rock, Jazz, Folk und indischen Stilelementen. Dabei spielt das Quartett nicht einfach eins zu eins die Vorlagen nach, sondern leistet sich auch immer wieder ganz freie, subjektive, oft lustvoll rockende, zuweilen lyrisch stark verinnerlichte Exkurse. Und es kam im domicil zu einem weiteren, geradezu spektakulären Brückenschlag:  Zur Einleitung der Ballade „1000 Island Park“ spielte Cellistin Asja Valcic ein Quinten-Arpeggio, welches nahtlos die Sarabande einer Bach-Suite einleiten könnte. Und dieser ruhevolle Gestus liegt immer noch über allem, als die Melodie schon längst wieder herbes Moll und die hohen Streicher ihre elektrisierend dissonanten  Gesten verbreiten…

Diskographie (Auswahl)

Radio String Quartet Vienna – celebrating Mahavishnu (ACT 2007)

Radio String Quartet Vienna & Rigmor Gustavson      (ACT 2010)

Mahavishnu-Orchestra       Inner Mounting Flame (Jan 1972)

Mahavishnu Orchestra       Birds of Fire (Feb 1973)

Info:

www.radiostringquartet.com

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