Der Old-Boys-Club der Genossen zieht mal wieder: Peer Steinbrück wird von etlichen Medien erneut zum Reserve-Kanzlerkandidaten der SPD hochgejazzt. Aber kann sich irgendjemand auch nur an eine gute Idee von Stonebridge erinnern?
Der Rentner mit dem feinen Fischgeruch aus dem hohen Norden sei „cool, witzig, spritzig, rotzig“, jubelt die „WAZ“. Cool? Witzig? Nach Informationen der Ruhrbarone finden Sozialdemokraten aus dem NRW-SPD-Landesvorstand die Medienspekulationen gar nicht lustig. „Keiner bei uns will ein Comeback von Steinbrück“, sagt ein Genosse mit Abgeordnetenmandat aus dem Ruhrgebiet. Steinbrück sei ein Mann von Gestern, ein Relikt aus der Agenda-2010- und Schröder/Clement/Müntefering-Ära.
„Steinbrück hat eine gute Rede im Bundestag zum Euro-Rettungsschirm gehalten. Das war es dann aber auch“, sagte der SPD-Politiker zu den BaronInnen. Auch Ministerpräsidentin und SPD-Landeschefin Hannelore Kraft soll nicht besonders interessiert an einem Kanzlerkandidaten namens P.S. sein, heißt es aus Parteikreisen. Dann wäre sie nämlich nur noch die Nummer 1b der NRW-SPD. Steinbrück wäre als Kandidat mit einem Schlag der wichtigste Genosse aus dem mitgliederstärksten Landesverband der SPD. Vielleicht müsste Kraft sogar ihren Posten als Vize-Chefin der Bundespartei wieder räumen, um Platz für Peer zu machen.
Zu den Fakten, die gegen den Mythos vom tollen Peer sprechen: Der frühere NRW-Ministerpräsident hat noch niemals in seinem Leben eine Wahl gewonnen. Sollte die SPD Steinbrück tatsächlich als Kandidaten gegen die angeschlagene CDU-Kanzlerin Angela Merkel ins Rennen schicken, stellt sie damit die Zeichen auf ein Comeback der großen Koalition. Als Verfechter von Rot-Grün jedenfalls ist der Realsozialdemokrat nie aufgefallen.
Steinbrück ist der gelernte Kofferträger von 70er-SPD-Spitzenpolitikern wie Hans Matthöfer. Der klassische Beamtentyp: dröge, schlecht gelaunt und mit einem Humor, der selten wirklich lustig ist. Letztes Jahr hat Steinbrück wie so viele überreife Alt-Sozialdemokraten ein Buch geschrieben. “Unterm Strich” war offenbar ein 500-Seiten-Vehikel für Stone, irgendeine Art von politischem Comeback zu schaffen. Eine willkommener Anlass für ihn, in der WAZ die Gier der Reichen, in der Rheinischen Post Merkels Krisenmanagment und im ZDF die exzessive Staatsverschuldung zu kritisieren. Gähn. Für jede Partei ein bisschen was dabei, nur Stonebridges wirklich originäre Meinung ist unbekannt.
In den oberflächlichen Mainstream-Media-Porträts über Steinbrück werden gerne seine drei Jahre als Regierungschef in Düsseldorf tot geschwiegen. Und dies mit gutem Grund. Als der frühere Kieler Landesminister 2002 die Nachfolge des nach Berlin entflohenen Ex-Genossen Wolfgang Clement antreten durfte, passierte politisch nichts mehr im bevölkerungsreichsten Bundesland. “Klarer Kurs. Konzentration der Kräfte”, hieß Steinbrücks damalige Regierungserklärung. Drin stand wenig. Als Verdienst bleibt einzig, dass er den wahnwitzigen Clement-Transrapid stoppte und dem Land so eine Milliarden-Pleite ersparte.
Steinbrück, als langjähriger Staatsdiener mit tausend Aktenvermerken und Regierungsvorlagen gewaschen, präsentierte dann noch mit “Roland Kotz äh Koch” (Angela Merkel) einen Waschzettel für den Subventionsabbau. Sinnlos und Folgenlos. Ansonsten glänzte das gebürtige Nordlicht mit nervenden Seemanns-Sprachbildern “Klarer Kurs, Klarschiff, usw”. 2005 wurde er in NRW abgewählt. Ihm gelang doch das Kunststück, die jahrzehntelange sozialdemokratische Hochburg NRW krachend und haushoch gegen einen nuschelnden CDU-Arbeiterführer namens Jürgen Rüttgers zu verlieren.
Nach seinem Scheitern in Düsseldorf machte Steinbrück rüber nach Berlin. Fast Forward. Auch in der Hauptstadt scheiterte er. Nach vier Jahren großer Koalition mit Steinbrück als Bundesfinanzminister holte die SPD ihr schlechtestes deutschlandweites Ergebnis seit der Nazi-Reichstagswahl vom Frühjahr 1933. Hat er übrigens irgendeine gute Idee zur Energiepolitik? Tritt Steinbrück an, können sich die grünen schon mal auf mehr als 20 Prozent im Bund freuen.
Sehe ich alles genauso. Möchte nur ergänzen: es war Steinbrück, der den WDR an Rüttgers verloren hat. Als er sich seinerzeit mit Stoiber für ein abstruses „Medienpapier“ zusammentat, traf sich Fritz Pleitgen immer häufiger mit Rüttgers, und eine durchaus nicht dumme WDR-Rundfunkrätin aus der CDU, Ruth Hieronymi MdEP, seit 2009 auch Vorsitzende des Rundfunkrates, zog dafür die Strippen. Mit den Medien von Hombach und Pleitgen im Rücken gabs dann den feinen Wahlerfolg für Rüttgers gegen Steinbrück.
Will die SPD das wirklich wiederhaben?
Man kann nun einwenden, dass weder WAZ noch WDR heute noch die gleiche Relevanz haben. Haben sie nicht und ist auch gut so. Aber Teile der SPD wollen wohl unbedingt die alten Zeiten wiederhaben. Wie arm.
Aber kein Grund zur Besorgnis. Weil es so sowieso nicht kommen wird.
“cool, witzig, spritzig, rotzig”
Die Autorin liegt goldrichtig. Steinbrück sollte zusammen mit Mappus, Westerwelle und Merz einen Club der Elder Statesmänneken mit Schnute gründen.
SPD-Kanzlerkandidat? Gabriel würde Merkel-ekel in einem TV-Duell filettieren. Steinmeier wäre dagegen auch eher ein Mann für eine große Koalition.
Also gerade am Ende wird es dann doch etwas unglaubwürdig!
Denn es taugt bestens um zwei weitere potentielle Kandidaten abzuräumen! Nämlich den Partei- und den Fraktionschef. Steinmeier und Gabriel, beide ebenfalls Minister der Großen Koalition – Steinmeier sogar als Spitzenkandidat. Gabriel selbst hat mit damals noch geringerem Gegenwind aus Berlin seine Landtagswahl verloren.
Wer sonst soll es machen!? Die Ministerpräsidenten?
Wowereit wirkt ausgebrannt und bringt eine Rot-Rot-Debatte mit, ebenso Platzeck, der schon eine gesundheitsbedingte Selbstdegradierung hinter sich hat. Beck hat sich in der Bundespolitik nie richtig wohl gefühlt und auch schonmal den Parteivorsitz verbittert hingeworfen.
Böhrnsen und Sellering sind vor allem für ihre weitgehende Unbekanntheit bekannt, ersterer hat eigentlich nur ein einziges Mal in den Medien stattgefunden – als diskreter Interimspräsident zwischen Köhler und Wulff.
Bleiben die Neulinge: Kraft und Scholz. Auch wenn Scholz es eindeutiger bekannt hat, es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass ein frischgewählter Ministerpräsident, der das Gesicht eines Regierungswechsels war, besonders stark an sein Land gebunden ist. Kronprinzen mit einstelligem Bekanntheitsgrad würden nur den Grundstein legen für eine Heimniederlage des neuen Kanzlers / der Kanzlerin bei der nächstbesten Landtagswahl.
Nach aktuellem Stand kann man davon ausgehen, dass es sich am Ende zwischen Gabriel und den Stones entscheiden wird. Und drohen die Umfragen in einem Jahr eine Zählkandidatur an, ist nur Gabriel in der Lage, qua Amt nicht neinsagen zu dürfen.
Ich kann mich noch gut erinnern wie Steinbrück zusammen mit Merkel 3 Monate vor der Finanzkrise ganz cool und irgendwie im nachhinein auch rotzig, um nicht zu sagen dreist und kackenfrech verkündete, dass aus dem Finanzsystem nicht die geringste Gefahr drohe.
Steinbrück steht ja ganz in der Tradition eines anderen großen SPD-Finanzministers: Hans Eichel. Der behauptete steif und fest vor der Bundestagswahl 2003, dass Deutschland das 3%-Defizitkriterium nicht reißen würde nur um dann 1 Tag nach der wahl einzuräumen, dass das doch passiere.
Genauso fantasierte der Steinbrück von einem ausgeglichenen Staatshaushalt nur um dann zwei Monate später die höchste Staatsverschuldung aller Zeiten verantworten zu müssen. „Das konnte niemand ahnen!“
Entweder die Beiden sind Lügner oder Vollidioten. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.
[…] P.S. – Das Phänomen Plapper-Peer (Ruhrbarone) – Über die "hochgejazzte" Diskussion um Peer Steinbrück als "Reserve-Kanzlerkandidaten der SPD". Wovon Ruhrbaronin Annika Joeres nicht wirklich überzeugt ist – was man nicht nur zwischen den Zeilen lesen kann. […]
Gerade als bekannter Hardliner in Sachen Sozialabbau könnte Peer Steinbrück die SPD besonders authentisch vertreten, würde alle Befürchtungen, die SPD wolle die Wähler wieder einmal täuschen, aus der Welt schaffen. Bei dem weiß man wenigsten, woran man ist.
Wie Jan es richtig beschreibt, haben wir effektiv die Wahl zwischen Gabriel, Steinbrück und Steinmeier. Ich bin dafür, das in offenen Vorwahlen zu entscheiden – momentan tendiere ich zu Steinbrück, obwohl ich Gabriel besser finde. Aber Steinbrück scheint bei Nicht-Mitgliedern besser anzukommen. (Steinmeier würde nochmal untergehen. Er ist und bleibt eben ein Beamter.)
Steinbrücks Restlaufzeit ist doch schon längst abgelaufen. Da würde auch kein Moratorium mehr was dran ändern.
@ Christian S.
„…momentan tendiere ich zu Steinbrück, obwohl ich Gabriel besser finde. Aber Steinbrück scheint bei den Nicht-Mitgliedern besser anzukommen.“
Das ist der Opportunismus, der die SPD in den letzten Jahren alle Wahlcharts hat stürmen lassen. Super! Weiter so! Dann kratzt Ihr demnächst an der 5 Prozent-Marke.
Der Beginn des Endes der SPD war Helmut Schmidt, unter anderem auch, weil er so gut bei den CDU-Leuten ankam und den sozialdemokratischen Markenkern total verwässert hat. Das gleiche gilt für Schröder.
Wenn man wirklich jemanden sucht, der parteiübergreifend von der LINKEN bis NPD und DVU – ankommt, dann nehmt doch Euren Parteifreund Thilo Sarrazin!
Zu Ihrer Entlastung hoffe ich, dass Ihr Vorschlag ein Aprilscherz war.
@9/10
Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
„68er“, wenn ich einerseits die Wahl hätte zwischen einem Kandidaten, mit dem ich zu 100% zufrieden bin, der bei einer Wahl aber nur 20% holt, und andererseits einen Kandidaten haben könnte, mit dem ich zu 80% zufrieden bin, der aber 35% holt, dann würde ich mich ohne zu zögern für den 80%-Kandidaten entscheiden.