Es ist nicht verwunderlich und das mag auch der Eine oder Andere bereits wissen: pädophil kann jeder sein.
Schätzungen zufolge sind zwischen 1 – 3 % der Bevölkerung pädophil, wobei die Quote nur unter den Männern betrachtet nochmal auf ca. 5 % steigt. Theoretisch kann es also jeder sein: der einsam erscheinende Mann von gegenüber, der meist nur verstohlen den Blick hebt, während er ihn sonst stets auf den Boden richtet, konsequent beige trägt und zu fettigem Haar neigt, genauso wie der weltoffene Germanistik-Student freitags in der Kneipe. Und so abstoßend das die meisten von uns finden, geht es den Betroffenen oft tatsächlich auch.
Dabei weiß die Forschung zwischen verschiedenen Arten der Pädophile zu unterscheiden. Neben der bspw. sehr selten auftretenden Nepiophilie (hier richtet sich die sexuelle Präferenz eher auf Kleinkinder) oder auch dem Sadomasochismus ist die Pädophilie eine Variante von vielen Paraphilien, wie abnorme sexuelle Neigungen wissenschaftlich genannt werden. Allerdings ist Pädophilie wohl die, über die medial, aber auch in der Wissenschaft am meisten diskutiert wird.
Dies liegt auch daran, dass eigentlich egal ist, was Menschen in ihrem Schlafzimmer machen. Solange es erwachsene Personen in Freiwilligkeit tun. Der sexuelle Mißbrauch von Kindern, und das ist das Ausleben von Pädophilie stets, gehört nicht dazu. Kinder müssen vor Pädophilen geschützt werden. Dieser Gedanke, dass Kinder geschützt werden müssen ist noch nicht allzu lange wichtig für unsere Gesellschaft. Ob es die Heirat ohne Mindestalter im Mittelalter war oder extra verfasste Gesetze im byzantinischen Reich, die Inzest regelten: Kinder als sexuelle Wesen zu betrachten ist, so falsch er auch ist, nicht neu, allgegenwärtig und an keine zeitliche oder kulturelle Gegebenheit gekoppelt.
Man unterscheidet zwischen einer pädophilen Störung und einer pädophilen Orientierung. Ersteres, die Störung, ist das, was mitunter auch zu Schwierigkeiten führen kann, sei es in der eigenen Stigmatisierung oder generell im psychosozialen Bereich, denn Betroffene erleben hier eine intensive sexuelle Anziehung, die für sie von Kindern ausgeht. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass jeder Pädophil ein Kind missbraucht, denn Pädophilie ist definitiv nicht mit Straffälligkeit gleichzusetzen, um das hier einmal ganz klar zu betonen. Etwa 40% der Sexualstraftaten an Kindern werden von Menschen mit Pädophilie begangen. In der Regel werden hier Kinder begehrt, die noch keine Anzeichen einer äußerlich einsetzenden Pubertät haben. Mädchen sind häufiger Opfer als Jungen, die klassische Vergewaltigung ist dabei seltener Straftat als sexueller Mißbrauch im allgemeinen.
Es gibt jedenfalls verschiedene Theorien darüber wie ein Mensch so eine Anomalie in seiner Sexualität entwickeln kann, geschweige denn wie er zum Sexualstraftäter wird. Sicher sagen kann man aber schonmal, dass es nicht den einen Grund gibt. Es handelt sich dabei immer um ein Zusammenspiel, bei dem viele Faktoren von Nöten sind und Pädophilie spielt eben nur eine von mehreren Rollen. Jedenfalls, das wird diskutiert: Neben einer schlechten Bindung zu den Eltern und sozialen Kompetenzdefiziten, wie häufig bei psychischen Störungen geht es bei Pädophilen auch darum, dass sie häufig destruktiv Emotionen regulieren, wie bspw. mit Alkohol. In Kombination damit kann ein selbst erlebter Missbrauch zum sogenannten „cycle of sexual abuse“ führen.
Hier hat man einige Assoziationen gefunden, die belegen, dass eigene Erfahrungen mit sexueller Gewalt ein Risikofaktor darstellen, der wirklich ernst genommen werden muss, denn er kann so einige zukünftige Verhaltensweisen mehr oder weniger gut vorhersagen (ca. 12% der Opfer begehen später selber einen Missbrauch). Die Mechanismen dahinter sind ebenso vielfältig wie das Konstrukt an sich. Menschen lernen durch Imitation Anderer, man vertraut den erwachsenen Bezugspersonen und dann verknüpft man noch die Sexualität an sich mit Missbrauch. Diese Kombination lässt den oben beschriebenen Zyklus von vorne beginnen. Das sind nur einige Regelmäßigkeiten, die man in der wissenschaftlichen Literatur zusammentragen konnte, um die Person des betroffenen Pädophilen ein wenig mehr aus der Dunkelheit zu zerren.
Andererseits gibt es aber auch bestimmte Merkmale von Kindern, die diese anfälliger machen, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden. Solche Kindern sollten einen verstärkten Schutz erhalten. Zu diesem Merkmalen können gehören: die Scheidung der Eltern und einhergehende Vernachlässigung, die hier aber wieder keinesfalls als alleinige Faktoren betrachtet werden dürfen. Um aber tatsächlich Kindern gegenüber übergriffig zu werden, bedarf es mehr als einer pädophilen Störung und/oder diesen Eigenschaften, nämlich einem aktuellem Forschungsmodell folgend auch genügend pathologischer Antisozialität. Das heißt herunter gebrochen, dass man nicht nur auf Kinder stehen muss, sondern ihre Gefühle dem Täter auch egal sein müssen, um sie missbrauchen zu können: und diese Kombination ist weniger häufig als man vielleicht denken mag. Ein anderer Erklärungsversuch beschäftigt sich mit den Kognitionen betroffener Patienten, der besagt, dass Gedanken an Kinder mit dem Orgasmus verknüpft wurden (bspw. beim Masturbieren) und ganz im Sinne der klassischen Konditionierung mit der Zeit stabil geworden sind: das Prinzip des Teufelskreises. Der Pädophile hat also gelernt, dass Kinder mit sexueller Befriedigung assoziiert sind. Das trifft auf gut Dreiviertel der Personengruppe zu. Genau hier liegt aber auch ein interessanter Ansatzpunkt zur Behandlung, denn das kann man wieder ändern. Bspw. könnte die Verbindung des Orgasmus mit negativen Stimuli in diesen Kreislauf eingreifen und das Auflösen dieser Assoziation zur Folge haben. Allerdings ist dies mit einigen testtheoretischen und ethischen Schwierigkeiten verbunden und noch in der Erprobungsphase.
Auch die Frage danach, ob es eine genetische Veranlagung gibt, wird in der aktuellen Forschungsliteratur diskutiert. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass pädophile Neigungen vererbt werden können, allerdings sind die Quellen hier eher fragwürdig als glaubwürdig zu beurteilen und deswegen sollte diesen auch nur moderat viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. Andere Faktoren wurden da schon genauer untersucht. Es wurde mitunter ein Zusammenhang zwischen Pädophilie und niedrigen Intelligenzquotienten gefunden und, auch gehäuft vorkommende Kopfverletzungen in der Kindheit und Läsionen im frontalen und temporalen Regionen des Hirns (vorne und Schläfe) sollen mit der Krankheit verbunden sein. Auf neuronaler Ebene ist außerdem noch interessant, dass oft ein reduziertes Amygdala-Volumen festgestellt wurde: das ist ein Bereich im Gehirn, der zur Emotionserkennung und -bewertung dient. Aber auch hier liegen zahlreiche methodische Mängel vor. Deswegen sind auch letztere Aussagen mit Vorsicht zu genießen und nur unter Vorbehalt zu unterschreiben. Es bedarf noch viel Forschung, die insbesondere die Wirkkomplexe miteinander und zueinander untersuchen sollte und sich nicht ausschließlich auf einzelne Merkmale fokussieren sollte. In diesem Sinne. Ich halte euch auf dem Laufenden.
Kann zu diesem Thema sehr die Arbeiten und Interviews von Christoph Ahlers empfehlen zum Beispiel hier:
http://www.zeit.de/wissen/2014-02/paedophilie-kinderpornografie-interview-ahlers
Sehr einseitig – auch im Sinne des Textes – finde ich dessen Illustration: Denn Täter sind nicht die unbekannten Männer aus der Dunkelheit, sie kommen im Gegenteil zumeist aus dem engsten familiären Umfeld. Opfer sind nicht nur kleine blonde Mädchen, die schüchtern ihren Teddy festhalten, sondern auch schwarzhaarige Jungen, die gern mit ihrem Bagger spielen. Und nicht zuletzt sind auch Täterinnen leider keine Ausnahme.
@ Autorin: "… (ca. 12% der Opfer begehen später selber einen Missbrauch)."
Das bedeutet aber auch, daß 88% der Opfer nicht zum Täter/Täterin werden. Ist der Gedanke abwegig, daß die Mißbrauchserfahrung gerne als Ausrede benutzt und geglaubt wird; auch deshalb, weil sonst die Täter/innen und die Gesellschaft akzeptieren müßten, daß vor der Tat die Entscheidung steht? Welchen Nutzwert eine solche geringe Zahl für die Voraussage von zukünftigem Verhalten hat, bleibt auch fraglich: Aus dem Schluß "früher Opfer > später Täter" ergibt sich dann doch ein ( in D so verpönter) Generalverdacht.
@discipulussenecae
wie kommst du auf schwarzhaarige Jungen? Ich denke das dem Täter die Haare egal sind!
@sinalco:
Ganz einfach: Weil auf dem Bild ein blondes Mädchen mit einem Teddy zu sehen ist, dachte ich an einen schwarzhaarigen Jungen mit einem Bagger, um die Opfergruppe zu erweitern.
"Kinder als sexuelle Wesen zu betrachten ist, so falsch es auch ist, nicht neu, allgegenwärtig und an keine zeitliche oder kulturelle Gegebenheit gekoppelt."
Ich finde es nicht grundsätzlich falsch, Kinder als sexuelle Wesen zu betrachten. Jeder Mensch, der ehrlich mit sich ist, weiß, dass auch Kinder im weitesten Sinne sexuelle Interessen haben. Nur unterscheidet sich kindliche Sexualität eben stark von der Erwachsener.
Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern ist falsch, weil zwischen ihnen ein Machtgefälle besteht und solche Kontakte daher niemals gleichberechtigt sein können. Nicht, weil Kinder asexuelle Wesen wären. Ich finde es wichtig, das präzise herauszustellen. Wenn man ein unrealistisches Bild von Kindern als asexuelle Wesen zeichnet, macht man sich angreifbar, und Täterorganisationen wie "Krumme 13" (gibt es die eigentlich noch?) schlachten ein solches schiefes Bild gerne für sich aus.