Es war wie ein Weckruf; urplötzlich schien mir alles klar. Caren Miosga hat es gesagt. Das Zauberwort „Freiheitskämpfer“. Es war spät geworden in der ARD; der Mainzer Karneval verschob die Tagesthemen bis nach Mitternacht. Ich war schon ein wenig schläfrig. Zack, da war ich wieder hellwach. „Freiheitskämpfer“ hatte sie gesagt, die Caren Miosga.
Das kannte ich noch nicht. Sie benutzte das Zauberwort für die libysche Opposition. „Rebellen“ oder schlicht „das Volk“, okay. Aber „Freiheitskämpfer“, das Wort war neu. Für Libyen. Ansonsten kannte ich das Wort selbstverständlich. „Freiheitskämpfer“ – so hießen die Mudjahedin in Afghanistan dereinst, bevor die USA damit begonnen hatten, die Taliban zur schlagkräftigsten Truppe gegen die Sowjets aufzubauen.
Nichts gegen Caren Miosga. Sie ist eine gute Journalistin, an deren freiheitlicher Gesinnung keinerlei Zweifel bestehen. Sie sympathisiert mit dem libyschen Widerstand – wie fast jeder hierzulande, wie auch Kollegen von den Ruhrbaronen. Aber „Freiheitskämpfer“, das war dann doch eine respektable Eigenleistung. Für welche Freiheit mögen die libyschen Rebellen wohl stehen? Für die persönlichen Freiheitsrechte (Art. 2 GG)? Für die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) oder die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG)? Freiheitskämpfer kämpfen vermutlich für all diese Freiheiten.
Das Guttenberg-Syndrom – die Suche nach einer Projektionsfläche für das Gute, das Schöne und das Edle. Hohn und Spott für die Landsleute, die in dem Lügenbaron aus dem Frankenland den Erlöser und Heilsbringer sehen, den Verkünder des Wahren und des Guten. Den Mann, dem man vertrauen kann. Was den Lesern der Regenbogenpresse und der Bildzeitung der schnieke Märchenprinz ist, sind den aufgeklärten Intellektuellen todesmutige Guerillakämpfer, die gegen den Despoten antreten. Die große Sehnsucht nach dem Wahren und dem Guten macht unsensibel für Details. Liebe macht blind. Aus libyschen Stammeskriegern werden Freiheitskämpfer.
Die Rebellen haben britische Journalisten verschleppt? Na und, Gaddafi hält schließlich Niederländer fest. Die Schwarzafrikaner in den „befreiten“ Gebieten werden zu Opfern rassistischer Verfolgung? Na klar, das ist aber Gaddafi schuld, schließlich hat der ja Söldner aus afrikanischen Ländern angeheuert. So genau können unter diesen Umständen selbst Freiheitskämpfer nicht differenzieren. Alles Randnotizen; das Entscheidende: der Diktator schießt auf das eigene Volk. Mehr muss nicht gesagt werden, auch jetzt nicht, wo sich der Begriff „Bürgerkrieg“ für das Gemetzel in Libyen längst etabliert hat.
Die „Freiheitskämpfer“ sind in der Lage, Städte einzunehmen und zurückzuerobern, Panzerangriffe zurückzuschlagen. Großer Jubel. Und was macht der Diktator? Schießt nach wie vor auf das eigene Volk. Scheiß auf die Fußnoten! Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was in der Wissenschaft gilt, und dem, was in der Verteidigungspolitik getan werden muss. An die Arbeit! Es ist reichlich zu tun. Die Bestellliste der „Freiheitskämpfer“ liegt auf dem Tisch. Der libysche Nationalrat, der eigentlich noch nicht so recht anerkannt ist, hat umständehalber schon einmal beschlossen: eine Flugverbotszone ist einzurichten, ein Eingreifen ausländischer Truppen auf libyschem Boden wird hingegen strikt abgelehnt, außerdem werden Funkgeräte und Mobiltelefone dringend benötigt. Also hopp!
Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit. Auch in diesem „Krieg, in dem es keine Gnade gibt für Verlierer“, so ein zur Opposition übergelaufener Ex-Offizier in Libyen, der seine fünf Söhne gegen die Gaddafi-Truppen aufzubieten hat. Unterdessen verschärft Gaddafi seine Propaganda. Die Rebellen seien im Grunde durchweg von Al Qaida gesteuert. Das ist entweder Unfug, zumindest aber übertrieben. Wer weiß schon Genaueres?! Klar ist aber, dass auch Al Qaida den bewaffneten Kampf gegen das Gaddafi-Regime organisiert, und dass der Terminus „Freiheitskämpfer“ ein Euphemismus derer ist, deren politische Sehnsüchte Guttenberg nicht stillen konnte.
Wir sehen im Fernsehen junge Männer, die bereit sind, als Märtyrer zu sterben. „Allahu Akbar“ rufen sie stolz in die Kamera und ballern mit ihren MGs in die Luft. Das besagt nicht viel, eigentlich gar nichts. In Tunesien haben Beschwerden über die mangelnden Zukunftsperspektiven der akademischen Jugend die „Jasminrevolution“ ausgelöst. Haben Sie dergleichen schon einmal aus Libyen vernehmen können? In Ägypten war klar, dass es um Freiheit ging. Selbst Muslimbrüder im typischen Outfit erklärten, Religion solle keine Rolle spielen, es gehe ausschließlich um ein freies Land. Schon mal aus Libyen gehört? In Tunesien wie in Ägypten haben wir emanzipationswillige Frauen mit ihren männlichen Laptop-Kommilitonen gesehen, die einfach nur „normal leben“ wollten. Solche Bilder gibt es aus Libyen nicht, obwohl doch Bengasi und viele andere Städte „befreit“ sind. Wie kommt´s nur?
Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist in Libyen deutlich höher als in den meisten Balkanländern, höher als in den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien. Gewiss, der Gaddafi-Clan bestiehlt das Volk. Doch einmal ganz abgesehen davon, dass auch Rumänien und Bulgarien noch nicht völlig korruptionsfrei sind, nochmal die Frage: haben Sie schon einmal Beschwerden über mangelnde Zukunftsperspektiven aus Libyen gehört? Wie oft haben Sie aus dem Mund der „Freiheitskämpfer“ das Wort „Demokratie“ gehört? Oder gar „Freiheit“.
Keine Frage: Gaddafi muss weg. Der ganze Clan und das ganze System sind am Ende, und zwar zu Recht. Und doch zwingt uns niemand, in diesen Bürgerkrieg militärisch einzugreifen. Schon für die Rebellen Partei zu ergreifen, fällt schwer, solange wir nicht sicher sind, ob Mädchen auch unter ihrer Herrschaft noch werden zur Schule gehen dürfen. Solange wir nicht sicher sind, dass die Menschenrechte bei ihnen ein wenig besser aufgehoben sind als bei dem durchgeknallten Langzeitdiktator, der einen ebenso rücksichts- wie aussichtslosen Kampf um sein politisches Überleben führt.
Wem es mit den Menschenrechten ernst ist, sollte sich auf die humanitäre Hilfe vor Ort und auf die Unterstützung der Flüchtlinge in Europa konzentrieren. Die Ereignisse in Libyen sind zu furchtbar für revolutionsromantische Anwandlungen.