Hans Georg Küppers war von 1998 bis 2007 Bochums Kulturdezernent. Gemeinsam mit Essens damaligen Kulturdezernenten trieb er die Kulturhauptstadtbewerbung des Ruhrgebiets voran. Seit 2007 ist er Kulturreferent in München. Er glaubt nicht, das von der Kulturhauptstadt im Ruhrgebiet viel bleiben wird+ – und erzählt, wie man auf das Ding mit der Kreativwirtschaft kam.
Herr Küppers, Sie sind seit 2007 Kulturreferent der Stadt München. War der Wechsel vom kleinen Bochum ins große München eine sehr große Umstellung für Sie?
Hans Georg Küppers: Erst einmal ist Bochum nicht so klein. In Bayern wäre es nach München und Nürnberg die drittgrößte Stadt. Und was den Kulturbereich betrifft: Bochum ist mit seinem Schauspielhaus, den Symphonikern und seiner Off-Szene keine Provinz. Aber natürlich war der Wechsel nach München eine Umstellung. Auch wenn der prozentuale Anteil der Kulturausgaben am städtischen Haushalt in Bochum ein kleinwenig mehr als in München ist, ist er absolut betrachtet in München wesentlich größer. Das Kulturangebot Münchens ist in seiner Vielfalt eher mit dem des ganzen Ruhrgebiets zu vergleichen als mit dem einer einzelnen Stadt dort. Allein die Vielfalt und Qualität der Museen und Theater hier ist beeindruckend. Und auch wenn wir in München als Kommune ebenfalls sparen müssen, ist der Druck nicht so existentiell wie in den Städten des Ruhrgebiets, die ja de Facto pleite und oftmals noch nicht einmal mehr Herr ihrer eigenen Haushalte sind.
München, eine Insel der Seeligen?
Küppers: Nein, das sicher nicht. Wir haben andere Probleme, die aus Sicht des Ruhrgebiets nahezu unvorstellbar sind. Als ich gerade ein paar Wochen in München Kulturreferent war, bekam ich Besuch von einigen jungen Musikern. Die erklärten mir, dass es sehr schwer wäre, in München an Proberäume zu kommen. Ich sagte, ich würde mich um das Problem kümmern und fragte die Schulreferentin, welche Grundschule in München als nächstes geschlossen wird. Meine Idee war, die zum Teil als Proberaumzentrum zu nutzen. Die Kollegin erklärte mir, in München würden keine Schulen geschlossen sondern neue gebaut. Die Stadt würde weiter wachsen. Und das stimmt: In wenigen Jahren werden wir hier 1,5 Millionen Einwohner statt 1,3 haben. Im Ruhrgebiet eine unvorstellbare Entwicklung, die aber auch Probleme aufwirft: Günstige Räume sind knapp in München.
Sie gehörten ja in Ihrer Zeit als Kulturdezernent in Bochum zu den Motoren der Kulturhauptstadtbewerbung. Bochum unterlag Essen seinerzeit bei der Abstimmung im Ruhrparlament mit nur einer Stimme. Was war das Ziel der Bewerbung?
Küppers: Wir haben uns mehrere Effekte erhofft: Wir wollten dem Publikum innerhalb des Ruhrgebiets zeigen, was für ein hervorragendes Kulturangebot das Revier zu bieten hat. Und wir wollten die öffentliche Aufmerksamkeit für eine Kulturhauptstadt auch dazu nutzen, das den Menschen in Deutschland und Europa zu erzählen. Das Ruhrgebiet braucht sich wahrlich nicht zu verstecken, was seine kulturelle Vielfalt betrifft, und auch die Qualität der Angebote ist hervorragend. Dann wollten wir dazu beitragen, den Zusammenhalt innerhalb des Ruhrgebiets zu stärken. Wenn Sie so wollen, den Einfluss des Kirchturmdenkens etwas zurückdrängen. Und schließlich wollten wir anderen Regionen etwas geben. Das Ruhrgebiet ist ja nicht die einzige Region in Europa, die von einem wirtschaftlichen Strukturwandel betroffen ist. Dazu gehört ja, neben wirtschaftlichen Schwierigkeiten und einer hohen Arbeitslosigkeit in der Regel ein massiver Bevölkerungsrückgang und die Frage: Was geschieht mit den industriellen Hinterlassenschaften? Mit all den Brachen und den alten Gebäuden? Wir wollten Modelle und Vorschläge erarbeiten, was man damit anfangen kann, wo die Chancen liegen – und die dann europaweit präsentieren.
Ist das gelungen? Haben Sie in München viel von der Kulturhauptstadt mitbekommen?
Küppers: Ehrlich gesagt: Nein. Ich weiß, dass mir jemand jetzt eine dicke Mappe mit Presseausschnitten vorlegen kann, aber mein subjektiver Eindruck als Leser, der sich ja sogar aus biografischen Gründen mehr für das Revier interessiert als andere, war: Im Feuilleton, sowohl in München als auch in der nationalen Presse, spielte die Kulturhauptstadt nicht die ganz große Rolle. Hängen geblieben sind vor allem die großen visuellen Ereignisse: Schachtzeichen und das Fest auf der A40. Das waren die Höhepunkte, darüber wurde überall ausführlich berichtet. Dazu kam die Loveparade-Katastrophe. Viele andere Veranstaltungen wurden, zumindest meinem Eindruck nach, nicht so wahrgenommen, wie sie es vielleicht verdient hätten.
Es waren also vor allem die Aktionen von Fritz Pleitgen, die stark wahrgenommen wurden?
Küppers: Ja. A40 und Schachtzeichen sorgten für grandiose Fernsehbilder, und die blieben hängen. Was ja etwas Gutes ist. Die übliche Berichterstattung über das Ruhrgebiet ist nicht so positiv. Menschen die fröhlich feiern, eine Autobahn zu einer Partymeile machen – das ist schon was anderes als Zechenschließungen und Arbeitslosigkeit. So schöne Projekte wie das Kooperationsprojekt der Theater im Ruhrgebiet, die Odyssee, oder auch die Touren zu den Museen der Region und auch die Symphonie der 1000 hatten es da schwer. Aber ist das die Schuld der Kulturhauptstadtmacher? Ich denke nicht. Die Kulturhauptstadt unterliegt den gewöhnlichen Mediengesetzen und vor allem das Fernsehen setzt auf Bilder. Was Feuilleton betrifft, muss man sagen, dass es ja nicht nur die Kulturhauptstadt gab. In München, Köln, Berlin oder Hamburg ging das Leben weiter, und dort gab es 2010 auch zahlreiche herausragende Kulturangebote. Und die schafften es natürlich auch ins Feuilleton. Was hat man denn von der Kulturhauptstadt Cork mitbekommen? Oder von Linz? Es ist nicht so, dass die Europäische Kulturhauptstadt ein Ereignis ist, das in der ganzen EU gebannt verfolgt wird. Und daran kann man auch den Erfolg nicht messen. Die Besucherzahlen der Veranstaltungen waren hervorragend – und das nicht nur bei den Schachtzeichen und auf der A40. Das Feuilleton und die internationale Aufmerksamkeit sind nur ein Maßstab, nicht der Maßstab. Ich glaube, dass viele Ruhrgebietler heute einen anderen Blick auf ihre Region haben. Viele werden erst jetzt gemerkt haben, welche kulturelle Vielfalt das Ruhrgebiet bietet. Und es kam auch Publikum in die Region, das noch nie da war. Zum Beispiel der Münchner Kulturausschuss.
Und die Damen und Herren waren beeindruckt?
Küppers: Ja, waren sie. Viele waren – das kennt ja der Ruhrgebietler – davon überrascht, wie grün das Revier ist. Aber vor allem Gebäude wie die Jahrhunderthalle oder Zollverein fanden viele sehr beeindruckend. So etwas gibt es in dieser Größenordnung ja sonst nirgendwo in Deutschland. Das ist schon einzigartig und wird auch so wahrgenommen.
Sie sagten, eine Idee der Kulturhauptstadt war es, Konzepte zu entwickeln, wie man mit den Folgen des demografischen Wandels oder alten Industriebrachen umgehen kann. Ist die Kulturhauptstadt diesem Anspruch gerecht geworden? Immerhin wurden ja Projekte wie „Land for Free“ schon frühzeitig gestoppt.
Küppers: Für das Aus von Projekten wie Land for Free mag es gute Gründe gegeben haben, bedauerlich ist es trotzdem. Im Idealfall hätte das Ruhrgebiet etwas entwickelt, von dem zum Beispiel Lille und die ehemalige nordfranzösische Bergbauregion auch etwas gehabt hätte. Wie man mit Schrumpfungsprozessen umgeht, wie man sich die Chancen erarbeitet, die da für eine Region entstehen, das wäre schon sehr spannend zu sehen gewesen. Diesem Anspruch ist die Kulturhauptstadt leider nicht gerecht geworden. Das war eine Chance, die nicht genutzt wurde.
Mit Dieter Gorny hatte eine Kulturhauptstadt erstmals einen eigenen Direktor für das Feld der Kreativwirtschaft. Von ihr sollten starke wirtschaftliche Impulse für das Ruhrgebiet ausgehen.
Küppers: Das war nach meiner Zeit im Ruhrgebiet. Ich hatte aber immer meine Zweifel, dass die Kreativwirtschaft eine erhebliche wirtschaftliche Rolle im Ruhrgebiet würde spielen können, das heißt die vielen tausend Arbeitsplätze ersetzen könnte, die im Revier verloren gegangen sind. Aber die Details kenne ich nicht, und ich möchte auch keine Kollegenschelte betreiben. Wir haben damals die Kreativwirtschaft mit aufgenommen, weil sie zum Thema geworden ist. Vor allem im angloamerikanischen Raum wurde darüber ja schon vor fünf bis sechs Jahren diskutiert. Die Entscheidung für die Kreativwirtschaft als Thema für die Kulturhauptstadt hatte aber auch einen ganz praktischen Grund: Wir wussten, dass wir einen sehr engen finanziellen Rahmen haben würden – auch ohne die Krise, die dann ja alles noch schwieriger machte. Über das Thema Kreativwirtschaft wollten wir auch die Wirtschaftsförderer dazu bewegen, sich bei der Kulturhauptstadt zu engagieren. Das hat wohl auch gut funktioniert.
Kritik gab es auch, weil beispielsweise die großen Aufträge trotz der postulierten Begeisterung für die Kreativwirtschaft der Region beispielsweise an Agenturen aus Hamburg gingen.
Küppers: Mit solchen Vorwürfen muss man vorsichtig sein. Wir haben in Europa aus guten Gründen ein sehr strenges Vergaberecht. Da kann so etwas vorkommen.
Wäre es denkbar, dass, wenn München Kulturhauptstadt wäre, eine Agentur aus Hamburg Leitagentur werden würde?