40 Jahre Werkkreis Literatur der Arbeitswelt – Nachruf auf einen Untoten

Die Arbeiterliteratur in Deutschland hat nur noch literarhistorische Bedeutung. Nach dem „Bitterfelder Weg“ in der DDR ist auch der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt schon lange ästhetisch wie politisch gescheitert. Aus den schreibenden Arbeitern wurden nie arbeitende Schreiber, aus Schriftsetzern eben keine Schriftsteller.

Der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt wäre – wenn er denn nicht gänzlich vergreist aufträte – vor Monaten gut vierzig Jahre jung geworden. Im Mai 2010 lud die Erbengemeinschaft proletarischer Dichterdarsteller auf ihrer Homepage  mit dem schön sprechenden Namen www.werkkreis-literatur.de wohl zum allerletzten Mal zur Heldengedenkfeier ein.

„Am Mittwoch den 19. Mai (2010) feiert der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt e.V. im DGB-Haus in München sein vierzigjähriges Bestehen. Werkkreismitbegründer Erasmus Schöfer spricht über die Bedeutung des Werkkreises, der seit nunmehr 40 Jahren arbeitenden Menschen eine literarische Stimme gibt. (…) Musikalisch umrahmt wird der Abend vom Gewerkschaftschor ‚Roter Wecker‘.“

Doch gehört haben die wenigen verbliebenen Werkkreisler den Wecker schon lange nicht mehr. In einem Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung polemisierte Mitte 2009 ihr Sprecher Markus Dosch ausgerechnet gegen eine Schreibschule der eigenwilligen Autorin und Filmemacherin Doris Dörrie, um gegen die vermeintliche Diskriminierung einer Literatur von ‚Arbeitnehmern und anderen Benachteiligten‘ zu wettern:

„Der ‚Werkkreis Literatur der Arbeitswelt‘ betreibt ebenfalls literarische Schulungen für Arbeitnehmer und andere Benachteiligte in der BRD, damit sie ihre gesellschaftliche Situation reflektieren und in literarischer Form darstellen können. Aber der WK findet keinen Platz in den Medien und das seit Jahrzehnten. (…) Für uns ist es die pure Heuchelei und eine wohlbedachte Ausgrenzungspolitik! (…) Haben die SZ und andere Medien kein Herz für sozialkritische Schreiber in Deutschland?“

Man merkt es nicht nur dem weinerlichen Leserbrief an: In den Anthologien des Werkkreises dürfen letzte Mitglieder der Autorengenossenschaft Sprachhülsen recyceln oder ihre Schubladentexte entsorgen. Auch sonst im Werkkreis-Umfeld seit Mitte der 70er Jahre nichts Neues: immer noch dieselbe Vereinsmeierei, dasselbe Lamento, die gleichen schlechten Gedichte und Geschichten.

Aufstieg und Fall

Dabei hatte der erhoffte proletarisch-literarische Aufbruch vor knapp 40 Jahren so hoffnungsvoll begonnen. Es waren auch Autoren der Dortmunder Gruppe 61, die im Frühjahr 1969 mit dem Schreibaufruf „Ein gewöhnlicher Arbeitstag, oder auch: ein bemerkenswerter Vorfall aus dem Arbeitsleben“ über einen Wettbewerb ihre eigene politisch-literarische Konkurrenztruppe ins Leben riefen. Die besten Texte dieses Schreibwettbewerbs wurden 1970 unter dem Titel „Ein Baukran stürzt um“ beim Piper Verlag herausgegeben.
Erasmus Schöfer, der klügste Theoretiker in Sachen Arbeiterliteratur, war es, der parallel dazu am 7. März 1970 in Köln den Werkkreis Literatur der Arbeitswelt mitbegründete. Hier sollten Arbeiter „durch theoretische Anleitung und praktisches Beispiel“ so weit geschult werden, bis sie selbst für ihre Kolleginnen und Kollegen „gesellschaftskritische, sozial verbindliche Literatur“ hätten schreiben können. Eine Literatur die angeblich dazu taugen sollte, „die gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der Arbeitenden zu verändern“. Der Werkkreis erklärte im Programm vom März 1970 kurzerhand seine Wünsche zur Wirklichkeit:
„Die im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt hergestellten Arbeiten wenden sich vor allem an die Werktätigen, aus deren Bewußtwerden über ihre Klassenlage sie entstehen.“
Was das Programm beschwor, das schien für kurze Zeit sogar in der Praxis zu funktionieren. Bundesweit entstanden Dutzende von Schreibwerkstätten; die vielen bunten Werkkreis-Büchlein beim Fischer Taschenbuch Verlag erreichten bald eine Gesamtauflage oberhalb der Millionengrenze.
War also das Schreiben als Produktion von Klassenbewußtsein tatsächlich geglückt, die Indienstnahme der Literatur durch die Politik gelungen, die „Werktätigen“ als Leser wirklich erreicht? Wohl kaum. Eher bewiesen die unzähligen Textsammlungen des Werkkreises etwas ganz anderes: Dass nämlich ein enormes Nachholbedürfnis bestand an literarischer Auseinandersetzung mit Werk- und Alltagsverhältnissen, ein Nachholbedürfnis auf Autoren- und Leserseite. Bereits Ende der siebziger Jahre aber hatten sich die meisten satt gelesen an Literatur als Politik-Ersatz, an einer handwerklich mittelmäßigen Literatur mit ihren unermüdlich kämpfenden Arbeiterfiguren. Zu gern gesehen waren in den meisten Kurzromanen oder Gedichten der pädagogische Zeigefinger und die rote Moral von der Geschicht. Der ewige Bergmann und Stahlarbeiter bestimmten das Szenario.
Und die Nostalgie-Realisten ignorierten zu lange die Veränderungen innerhalb der Arbeiterklasse selbst, den Strukturwandel insgesamt. Seit 1980 – so meldeten die Nachrichten – zählte man in der Bundesrepublik erstmals mehr Angestellte als Arbeiter. Schon vorher begannen auch die Verkaufszahlen der sog. Arbeiterliteratur drastisch zu sinken. Der Werkkreis war gescheitert.

Wallraff is dead

Als soziale Bewegung gescheitert, weil er weder Arbeiter und Angestellte in größerer Zahl dauerhaft erreicht hatte, noch zu kollektivem Schreiben und solidarischer Textkritik ermuntern konnte. Auch als politische Bewegung scheiterte der Werkkreis. Sein Appell „Schreib das auf, Kollege!“ verpuffte ebenso wirkungslos wie Jahre zuvor das „Greif zur Feder, Kumpel!“ des Bitterfelder Weges in der DDR. Alle Versuche, mit operativer Literatur politische Verhältnisse zu ändern, schlugen fehl. Mitglieder des Werkkreises mimten bestenfalls den rosaroten Poetenpanther bei Streiks vor Werktoren, in Hochschulen oder bei 1. Mai-Ritualen.
Außer dem Werkkreis selbst mit seinen literarischen Laienpredigern und Egon-Erwin-Kisch-Kopien war es dann Günter Wallraff, der Mitte der 80er Jahre den Ruf von Dokumentation und Reportage so gründlich ruinierte, dass es seitdem auch für den Werkkreis auf diesem Feld keine Lorbeeren mehr zu verdienen gab.
Mit dem Erscheinen des Buches „Ganz unten“ „enthüllte“ Wallraff nicht nur einmal mehr skandalöse Zustände, diesmal die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen türkischer Arbeiter, sondern sein Buch selbst wurde zum Skandalon. Die Glaubwürdigkeit des Dokumentaristen Wallraff und der Echtheitsanspruch seiner Sozialreportagen wurde unterminiert, als sich herausstellte, dass Wallraffs „Ganz unten“ eigentlich von einem Autorenkollektiv stammte, dass ganze Passagen des Buches aus einem anderen Buch plagiiert worden waren, ja, dass manches aus dem Buch frei erfunden sein könnte. Nach dem Motto „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“ schien Wallraffs Authentizitäts-Bonus verspielt, der Wahrheitsgehalt der in „Ganz unten“ geschilderten Zustände durfte bezweifelt werden. Diesmal waren es die Leser selbst, bekennende Wallraff-Fans, und nicht nur die Bosse, die sich von Wallraff getäuscht fühlten. Man wollte gerade von Wallraff keine Schein-Dokumentationen oder Reportage-Märchen, sondern vom Autor persönlich verbürgte, märtyrerhaft ertragene und seriös recherchierte Wirklichkeit pur. Wenn Wallraff die nicht mehr liefern konnte oder wollte, warum dann nicht gleich artistische Geschichten lesen, die sich dem Leser wenigstens offen als Phantasien, als interpretierte und gestaltete Wirklichkeit zu erkennen geben?

Geduckt? Gedrückt? Gedruckt!!!

Obwohl oder gerade weil der Werkkreis ästhetisch längst selbst in der Sackgasse steckte, fand er viele Nachahmer und „-innen“. Die Aufbruchsstimmung der frühen 70er Jahre hatte zwischen Brandtschem „Mehr Demokratie wagen“ und falsch verstandenem Beuys („Jeder ist ein Künstler“) auch eine Menge Etikettenschwindel und Zwergwuchs in der Literaturszene begünstigt. Nach dem Vorbild des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt entstanden in den 70er/80er Jahren überall im Land neue Schreibezirkel. Über 180 sogenannte Schreib- oder Literaturwerkstätten existierten Mitte der 90er Jahre allein in Nordrhein-Westfalen. Motoren dieser Schreibbewegung waren und sind Volkshochschulen, Knackis, Frauengruppen, Arbeitslosenzentren, Bibliotheken oder Freunde der plattdeutschen Sprache. Eine Vielzahl privater Schreibinitiativen und lokaler Literaturzeitschriften kommt hinzu. Man kann getrost davon ausgehen, dass viele zehntausend Menschen allein in NRW für Schubladen, Freunde und Wettbewerbe dichten. Und das mag auch achtbar sein, so lange die Versuche der Hobbyschreiber nicht mit dem Beruf des Schriftstellers verwechselt, so lange kleine Schritte in der persönlichen Schreibentwicklung nicht als Großtaten zeitgenössischer Literatur ausgegeben werden.
Doch die pseudo-demokratischen „Schreiben befreit“- & „Schreiben kann jeder“-Parolen mündeten leider auch in einer allzu generösen „Veröffentlicht-wird-alles“-Praxis. Das Missverständnis, dass Literaturförderung bedeute, auch den letzten fragwürdigen Text noch zu veröffentlichen, scheint heute allerdings – vor allem angesichts knapper öffentlicher Mittel – ausgeräumt. Literaturförderer unterscheiden wieder zwischen der wünschenswerten Belebung einer literarischen Laienkultur und der Förderung wirklicher (Nachwuchs-)Schriftsteller durch Lesungen, Stipendien, Arbeitsaufträge oder Literaturpreise.

Mancher hat nicht genug Charakter, nicht zu schreiben

Auch die fähigsten Mitglieder des Werkkreises hatten sich angesichts seiner Ignoranz und Torheit seit den 70er Jahren von ihm abgesetzt und eine eigenständige Entwicklung genommen. Sie wurden z.B. Könner in den Bereichen Kabarett (wunderbar: Heinrich Pachl), Reportage (Werner Schmitz), Krimi (Jürgen Alberts) oder Kinder- und Jugendliteratur.

Für den Rest aber gilt: „Mancher hat nicht genug Charakter, nicht zu schreiben“. Diesen Satz Karl Kraus‘ möchte man zwischen den traurigen Ruinen des Werkkreises bis heute nicht zur Kenntnis nehmen. Im Gegenteil: Der Werkkreis hat seinen Plan, kollektiv sozialkritische Literatur zu montieren, nicht aufgegeben. Im aktuellen Programm führt sich die Rumpf-Organisation in ihrem geistigen Bankrott sprachlich-stilistisch wieder einmal selbst vor. Widerstand gegen Ästhetik ist endgültig zur gängigen Werkkreis-Praxis geworden, eine Ästhetik des Widerstands bloß nachgeplapperte Hoffnung. Der Werkkreis über sich selbst:

„Es sollen die abhängig Beschäftigten selber zu Wort kommen, aber auch Lyriker und Romantiker sind willkommen. Eine Aufgabe des Werkkreises ist es, diese niedergeschriebenen Erfahrungen durch seine Lektoren aufbereiten zu lassen, damit sie veröffentlicht werden können. (…) Die Mitglieder sind in ihrer Darstellung an keine vorgegebenen Formen der Sprache oder des Ausdrucks gebunden.“

So akut die Erneuerung einer ästhetisch komplexen Littérature engagée auch wäre, der Werkkreis liefert dazu mit „aufbereiteten niedergeschriebenen Erfahrungen“ aus seinen angeblich acht Werkstätten keinen Beitrag mehr.
Wer heute Literatur über Alltag und Arbeitswelt sucht, kann sie in deutscher wie internationaler Prosa leicht finden. Beeindruckende Romane gibt es en masse: „In der Haut eines Löwen“ (Ondaatje), „Der Himmel unter der Stadt“ (McCann), „Armadillo“ (Boyd) oder „Unabhängigkeitstag“ von Richard Ford. In deutscher Sprache schrieben und schreiben Walser, Genazino, Gerold Späth und Jens Sparschuh, Ingo Schulze, Katja Lange-Müller, Karen Duve und andere ästhetisch gekonnt über den unerhörten Alltag in all seinen Facetten. Anders als in den 50er oder 60er Jahren gibt es in den letzten anderthalb Jahrzehnten statt der „Rückkehr zur Normalität der Verdrängung“ (Erhard Schütz) eine Renaissance des welthaltigen Erzählens.
Der Horizont ist wieder offen für die Weite und Vielfalt des Erzählens; für das Experiment, sich auf die Abgründe der Wirklichkeit einzulassen. Offen für Schriftsteller, die virtuos Welt und Sprache verarbeiten, die angestrengte Literaturtheorien vielleicht zur Kenntnis nehmen, sich aber nicht mehr genötigt fühlen, ihre erzählerischen oder poetischen Texte vor ihnen zu rechtfertigen.

„Amy Chuas Erziehungsmethoden sind gefährlich und kontraproduktiv“

Zwang funktioniert, behauptet die chinesisch-amerikanische Juraprofessorin Amy Chua in ihrem weltweit viel diskutierten Buch „Battle Hymn of the Tiger Mother“. Chuas Erziehungsmethoden seien eine „gefährliche Grenzüberschreitung“, meint hingegen die US-Bestsellerautorin Nicole Krauss. Druck und Kontrolle bei der Erziehung von Kindern, wie es in China gang und gäbe ist, führten später keineswegs zu beruflichem Erfolg.

Nicole Krauss, in den USA hat Amy Chuas Buch »Battle Hymn of the Tiger Mother« wütende Proteste ausgelöst. Wie stehen Sie als jüdische Mutter zu dem von Chua propagierten strengen chinesischen Erziehungsstil?

Ich halte es für eine krasse Grenzüberschreitung, dass Chua ihre Töchter beispielsweise als »Müll« beschimpfte, um sie zu noch besseren Leistungen anzuspornen. Ebenso skandalös ist es, dass sie ihnen drohte, ihre Stofftiere zu verbrennen, wenn sie nicht unverzüglich perfekt Klavier spielen. Das alles klingt für mich nach der Pädagogik einer längst überwunden geglaubten Zeit.

Nach Chuas Auffassung sicherten Zwang und Druck den langfristigen Erfolg der Kinder. Die westliche Kuschelpädagogik hingegen bringe den Nachwuchs um seine Chancen. Heiligt der Zweck nicht die Mittel?

Keinesfalls. Zudem sind Chuas Erziehungsmethoden nicht nur gefährlich, sondern auch kontraproduktiv. Wenn Eltern ihr Kind zu Höchstleistungen drillen, werden sie auf lange Sicht das genaue Gegenteil erreichen.

Weshalb?

Ein auf totaler Kontrolle basierender Erziehungsstil traumatisiert die Kinder, und das wird sich später auch beruflich negativ auswirken – vom moralisch höchst verwerflichen Aspekt dieser Pädagogik ganz zu schweigen.

Gleichwohl plädieren bereits die ersten westlichen Journalisten für eine strengere Kindererziehung, um in Zukunft mit aufstrebenden Ländern wie China konkurrieren zu können.

Gegen ein gewisses Maß an Strenge ist auch nichts einzuwenden. Würde ich meinen Söhnen alles erlauben, wäre unser Haus bereits mehrmals in Flammen aufgegangen (lacht). Aber Verantwortung darf nicht mit Zwang verwechselt werden. Der Geheimnis von erfolgreichen Menschen ist, dass sie intrinsisch motiviert sind – und nicht, dass sie zu etwas gezwungen werden. Das sollten überehrgeizige Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder beachten.

Jüdische Mütter sind bekannt dafür, dass sie großen Wert auf Bildung legen. Welche Rolle spielt für Sie und Ihren Mann Jonathan Safran Foer eine jüdische Erziehung?

Es ist uns sehr wichtig, dass unsere Söhne eine jüdische Vorschule besuchen. Ich beobachte mit Freude, dass dort ihr Interesse für das Judentum geweckt und ihre religiöse Identität auf spielerische Weise gestärkt wird. Da das Judentum eine Religion des Lesens ist, wird dort auch viel gelesen. Für mich ist das der wirkliche Schlüssel zum späteren Erfolg im Beruf.

Inwiefern?

Je besser ein Kind lesen kann, desto größer ist sein schulischer Erfolg. Umso größer ist dann wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass es einen qualifizierten, gut bezahlten Job finden wird. Und das Beste ist: Wenn man es ihnen selbst vorlebt, greifen die meisten Kinder ohne Zwang ganz von selbst zu Büchern. Mein ältester Sohn bekommt nicht genug von den Geschichten in der hebräischen Bibel.

Vielleicht sollten Sie und Amy Chua sich einmal zusammensetzen und über die Vorteile jüdischer Erziehung sprechen.

Gute Idee. Wissen Sie, die Tigermutter will dasselbe wie die klassische jiddische Mamme: Ihr Kind soll erfolgreich und glücklich sein. Nur, dass die Tigermutter denkt, das müsse mit Härte erzwungen werden. Da würde ich sie gerne eines Besseren belehren.

Das Interview erschien, in anderer Version, zuerst bei der “Jüdischen Allgemeinen”.

WAZ Watching – Die Lokalzeitung in der PR-Falle

Die Lokalredakteurin Elisabeth Höving berichtet in der Gelsenkirchener Ausgabe der WAZ am Samstag von einem besonderen Ereignis. „Gefeiert wie ein Popstar“ ist ihr Artikel über den Besuch von Schalke-Trainer Felix Magath beim Schalker Gymnasium überschrieben. Mit Lokaljournalismus hat der Beitrag allerdings wenig zu tun und fällt eindeutig in die Rubrik Gefälligkeits-Berichterstattung.

Wie viele andere Unternehmen hat der FC Schalke 04 ein Projekt der Schule gefördert, dass den Oberstufenschülern wird professionelle Studien- und Berufsberatung bietet. So diktiert der Meistertrainer in die Blöcke der anwesenden Journalisten: „Schließlich gehört die Entscheidung für eine schulische oder berufliche Weiterbildung zu den wichtigsten im Leben“. Soviel Lebensweisheit trübt schon mal die Erinnerungsfähigkeit und das kritische Bewusstsein, denn der Fall Julian Draxler liegt erst wenige Wochen zurück. Da hatte Felix Magath das 17jährige Fußballtalent und seine Eltern dazu überredet, die Schulausbildung abzubrechen und lieber erfolgreich vor die Kugel zu treten. Getreu dem Motto: Der Junge braucht kein Abi. Das hat bundesweite für Kritik gesorgt und nicht nur die Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) hat Schalke 04 einen „unverantwortlichen Umgang mit dem Jungstar“ vorgeworfen.

Erst das Schulgesetz in NRW hat das Ausbildungsende verhindert und die schulische Laufbahn geht für Draxler nach den Sommerferien an der Gesamtschule Berger Feld weiter. Die gilt gemeinhin als Musterschule bei der Ausbildung von Profifußballern, die auch neben dem Platz etwas lernen wollen. Schulleiter Georg Altenkamp zeigte sich nach dem Gespräch mit dem Profi dann auch sehr überrascht: „Ich hatte den Eindruck, dass er über die Möglichkeiten der Schule gar nicht richtig informiert war.“ Dabei kooperiert die Gesamtschule schon lange mit Schalke 04 und die Trainingsplätze des Vereins liegen direkt nebenan. Gestandene Profis wie Manuel Neuer, Alexander Baumjohann und Mesut Özil haben hier die Schulbank gedrückt. Im Juni 2007 wurde die Gesamtschule Berger Feld als vierte deutsche Schule vom DFB als „Eliteschule des Fußballs“ ausgezeichnet.

Das könnte auch Felix Magath wissen. Ein paar kritische Fragen der Lokaljournalistin kann erwarten, wenn der Trainer plötzlich die schulische Ausbildung und mit dem Scheck winkt. Das fehlt in der Berichterstattung allerdings vollständig. „Ein Popstar ist nichts dagegen“ begeistert sich die Kollegin dagegen an dem tollen Termin. So geht die Gelsenkirchener Lokalredaktion ohne Gegenwehr der Schalker PR-Offensive auf den Leim. Die setzt derzeit auf Angriff nicht nur in sozialen Netzwerken wie facebook auf Angriff. Das Image des Vereins und des Meistertrainers haben in der letzten Zeit arg gelitten.

Kein Wunder, dass immer mehr Leser der Zeitung den Rücken kehren und man sich als Abonnent immer öfter erklären muss. Zwar bestätigten Zeitungsforscher der WAZ-Gruppe im letzten Jahr steigende journalistische Qualität, aber Leser und selbst die Redakteure in den Redaktionen sehen das anders. So ist die Redaktion in Gelsenkirchen am Wochenende manchmal nur mit einem Redakteur besetzt. Das merkt man dann an der unzureichenden Berichterstattung in der Montagsausgabe. Zwar gibt es jetzt ein Rechercheblog der WAZ im Internet, aber mehr Personal und mehr journalistisches Handwerk wären noch besser.

letzte Woche / diese Woche (kw8)

Letzte Woche war ich etwas sprachlos, auch wegen zweierlei: Sahen die Flüchtlinge auf dieser italienischen Insel nicht wie die pro-westliche Internet-Generation aus? Sie haben da mal jemandem hübsch „Revolution“ gemacht und müssen als Speerspitze der Pro-Westlichen nun nach Europa rüber und schicken irgendwann hoffentlich Geld zurück an ihre Familien. Und es ist nicht nur so, dass die herrschende Klasse hier sie nicht nur nicht zwingend in Europa will. Nein, sie braucht genau diese Leute als Stimmen im Nahen Osten. Und dann wurde hier bei den Ruhrbaronen auch noch über freedom of speech z.B. im Internet debattiert… Nun, ich habe letzte Woche viel The Clash gehört, und nicht nur „Rock the Casbah“. Das Wort geht also an Joe Strummer:

Know your rights all three of them

Number 1
You have the right not to be killed
Murder is a CRIME!
Unless it was done by a
Policeman or aristocrat
Know your rights

And Number 2
You have the right to food money
Providing of course you
Don’t mind a little
Investigation, humiliation
And if you cross your fingers
Rehabilitation

Know your rights
These are your rights
Wang

Know these rights

Number 3
You have the right to free
Speech as long as you’re not
Dumb enough to actually try it.

Know your rights
These are your rights
All three of ‚em
It has been suggested
In some quarters that this is not enough!
Well…………………………

Get off the streets
Get off the streets
Run
You don’t have a home to go to
Smush

Finally then I will read you your rights

You have the right to remain silent
You are warned that anything you say
Can and will be taken down
And used as evidence against you

Listen to this
Run

(Ich finde, die Presse deckt heutzutage mehr auf, was einzelne Leserinnen und Leser denken, als dass sie aufdeckt, was z.B. die gewählten Vertreter tun. Oder sie wählt genau dasjenige Tun aus, das für den Fortlauf der Dinge garantiert relativ unwichtig ist – außer für einzelne Politkarrieren höchstens.)

Foto: Jens Kobler (feat. u.a. „The Chelsea Girls“ von Andy Warhol)

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Der Ruhrpilot

Foto: vorwärts.deUmland: SPD kann Hamburg allein regieren…FAZ

Umland II: Hamburg hat verloren…F!XMBR

Afghanistan: Deutsche Soldaten müssen mit Gangstern zusammenarbeiten…WAZRecherche

Verkehr: Morgendlicher Berufsverkehr rollt ohne Warnstreiks…Welt

Immobilien: Börsengang der Evonik-Immobiliensparte ist vom Tisch…Reuters

NRW: Warum Schulen Rankings fürchten…RP Online

Guttenberg: Bochum statt Bayreuth…Achse des Guten

Guttenberg II: Akrobatischer Querdenker…Post von Horn

Bochum: CDU Perspektiven…Ruhr Nachrichten

Bochum II: Autonome Perspektiven…Bo Alternativ

Duisburg: Uni eröffnet Innenstadtfiliale…Der Westen

Duisburg II: 500 Jahre Mercator…Der Westen

Essen: OB Paß droht Schlappe im RWE-Aufsichtsrat…Der Westen

Dortmund: Kranker Amtsleiter Berten kandidiert…Ruhr Nachrichten

Gelsenkirchen: Zu Fuß nach Indien…Focus

Medien: Wer macht denn da Reklame?…Zoom

Computer: CCC bietet Bundestag Finanzierung von Adhocracy an…Netzpolitik

Ein Schnellschuss zur Hamburg-Wahl

Foto: vorwärts.de

Hamburg hat gewählt. Die SPD hat die Wahl gewonnen, die CDU hat verloren. Sozialdemokraten sprechen vom Rückenwind, den dieser Auftaktsieg ihnen für die folgenden sechs Landtagswahlen gäbe. Konservative betonen die spezifische Situation Hamburgs, die zu diesem Wahlergebnis geführt habe. So weit, so unspektakulär. Auch nach den nächsten Wahlen werden die Sieger allgemein gültige positive Signale erblicken, werden die Verlierer – so die Möglichkeit des Leugnens der Niederlage entfällt – die Besonderheiten des Einzelfalls für ihre schwierige Situation verantwortlich machen. So kennen wir es.

Deshalb ist Claudia Roths stetes Herausstreichen des Hamburgerischen bei dieser Hamburg-Wahl wesentlich aufschlussreicher als ihre Formel vom ersten Wahlziel (Stimmenanteil verbessern), das erreicht worden sei, und dem zweiten Wahlziel (absolute Mehrheit verhindern), das nicht erreicht werden konnte. Es ist nicht zu übersehen, dass die Grünen mit den zwei oder drei hinzugewonnenen Prozentpunkten deutlich hinter dem bundesweiten Umfragehoch zurückgeblieben sind, und dass sie sich mit ihrem Coup, Schwarz-Gelb ohne nachvollziehbare Begründung aufzukündigen, selbst aus der Bürgerschaft herausgekickt haben. Kürzer: die Grünen haben sich verzockt.

Die Christdemokraten hatten keine Chance – weder im Wahlkampf noch bei der Kommentierung des Wahlergebnisses. Wer seinen Stimmenanteil halbiert, kann nichts mehr beschönigen. Ihm bleibt nur, sich auf die örtlichen Besonderheiten zurückzuziehen. Vieles spricht dafür, dass die Konservativen mit dieser Interpretation näher an der Wahrheit liegen als diejenigen Sozialdemokraten, die bereits einen Trend auszumachen glauben machen wollen. Fairerweise ist anzumerken, dass die CDU ihre Hamburger Spezifika lauter in die Mikrofone bringt als die SPD den von ihr erhofften Trend.

Wenn sowohl der beliebte Spitzenmann als auch der ungeliebte Koalitionspartner überraschend von der Fahne gehen, wenn der neue Bürgermeister blass und kein anderer Koalitionär in Sicht ist, dann ist bei einer Wahl nichts zu gewinnen. Dass die CDU in Hamburg ein Desaster erlebt hat, wogegen sich die einzelnen Wahlschlappen der SPD in der zurückliegenden Serie beinah überschaubar darstellen, dürfte den Strategen im Konrad-Adenauer-Haus dennoch zu denken geben. Dass eine konservative Partei an der Regierung den Leuten nicht mit einer Schulreform kommen darf, und dass es sich bei einer Zuwiderhandlung um einen Kardinalfehler handelt, weiß man dort bereits.

Nur: die Volksabstimmung gegen das Reformvorhaben richtete sich nicht nur gegen Schwarz und Grün, sondern auch gegen Rot und Rot. Niemand bezweifelt dieses angeführte eherne Gesetz; eine Erklärung für die erdrutschartigen Verluste bietet der Gesetzesbruch jedoch nicht. Allenfalls ist er als ein Mosaikstück eines allgemeinen Profilverlustes der (Hamburger) CDU zu betrachten. Dennoch: die Konjunktur im (CDU-geführten) Deutschland zieht an, die wirtschaftliche Situation im reichen Hamburg ist günstig. Wird dort die CDU als Regierungspartei dramatisch abgestraft, kann das Merkel nicht kalt lassen.

Dass die SPD die Wahl gewinnen würde, war seit dem Scheitern von Schwarz-Gelb klar. 40 Prozent prognostizierten die Institute seinerzeit. Seither stiegen die Werte kontinuierlich, bis es heute fast 50 Prozent geworden sind. Balsam für die seit Jahren in Wahlen geschundene sozialdemokratische Seele. So ganz dürfte das Wort vom „Trend“ nicht daneben liegen, weil die Ausgangssituationen für die SPD – vielleicht abgesehen von Sachsen-Anhalt – gar nicht schlecht sind. Durch den Hamburger Erdrutschsieg werden sie jedenfalls nicht schlechter. Insofern dürfte „Rückenwind“ hinkommen; „Trend“ gibt als Erklärung für den heutigen Erfolg dagegen nichts her.

Die Wahl gewonnen hat Olaf Scholz, was aus zwei Gründen bemerkenswert ist. Der erste: auch wenn niemand die Kompetenz des Politikers anzweifelt, hat doch sein oft als holzschnittartig empfundenes Auftreten den Verdacht begünstigt, mit ihm seien keine Wahlen zu gewinnen. Dieser Verdacht wurde heute mehr als widerlegt. Die Affäre um Guttenbergs gefälschte Doktorarbeit dürfte Scholz auf den letzten Metern noch reichlich Wähler zugetrieben haben. Wirkt er doch gleichsam als Prototyp eines Anti-Guttenberg. Statt pomadiger Blenderei solides Polit-Handwerk – dargeboten im Stil der guten, alten Zeit. Mitunter verspottet als Scholzomat.

Der zweite Grund für die besondere Aufmerksamkeit, die Scholz´ Sieg verdient: seine Präsentation der SPD als „wirtschaftsfreundlich“. Scholz ist nicht nur einer der Macher der Agenda 2010; er vertritt diese Politik auch nachdrücklich. Im Hamburger Wahlkampf ließ er keine Gelegenheit aus, sich als Sozialdemokrat in der Tradition von Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zu verkaufen. Damit hatte er, auch wenn er keineswegs über das Charisma der beiden Alt-Kanzler verfügt, Erfolg. Sehr großen Erfolg – vielleicht nicht trotz, sondern gerade wegen seiner an Langeweile grenzenden Nüchternheit, in der er sich von der Eloquenz Schmidts und Schröders für jeden sichtbar unterscheidet.

Die Hamburg-Wahl wird die politische Konstellation in der Bundesrepublik – nicht nur wegen des Bundesrats – deutlich verändern. Olaf Scholz´ Sieg wird nicht ohne Auswirkungen auf das innerparteiliche Spannungsfeld in der SPD bleiben. Sigmar Gabriel hat heute Abend bereits damit begonnen, den Kurs ein wenig nach rechts zu korrigieren. Der Druck in diese Richtung wird wegen Scholz´ Erfolg wachsen. Das magere Wahlergebnis der Linken gibt den entsprechenden Spielraum. Sechs Komma Nochwas sind für Hamburg ohnehin schon etwas wenig. Angesichts einer desavouierten GAL und einer „wirtschaftsfreundlichen“ SPD kann das Resultat die Linken nur enttäuschen.

Bei den anstehenden Wahlen in Westdeutschland liegt die Fünf-Prozent-Hürde hoch. Bei den Piraten dürften alle wahlpolitischen Träume endgültig geplatzt sein. Gegenwärtig ist keine Chance zu erkennen, dass die Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen könnte. Dass die FDP mit einer Kandidatin, die sich im Wahlkampf der SPD als Koalitionspartner andient und mit einem ganz anderen Profil als die Westerwelle-Steuersenkungspartei antritt, in die Hamburger Bürgerschaft zurückkehrt, wird zu einem späteren Zeitpunkt gewiss mehr Beachtung finden als so kurz nach der Landtagswahl.

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Der Ruhrpilot

Adolf Sauerland

NRW: Bürgermeister von Volkes Gnaden…Welt

Festivals: Feiern statt Angst bei Bochum Total und Juicy Beats…Der Westen

Verkehr: Streikbereite Lokführer werben um Verständnis…Stern

WestLB: Das lange Warten geht weiter…Welt

Bochum: Kraft auf Kongress…Pottblog

Bochum II: Wenig Reserven für die Katastrophe…Der Westen

Dortmund: Räuber überfällt St. Pauli-Mannschaftshotel…Ruhr Nachrichten

Duisburg: DGB kritisiert Handel in Duisburg für Ladenöffnung auch am 1. Mai…Der Westen

NPD-Sites in NRW gehackt

Zum Anlass der Nazidemonstration in Dresden sind wohl mehrerer NPD-Seiten in NRW gehackt worden. Ein uns gerade zugeschickter Link zeigt die Seite der NPD-Mönchengladbach. Dort begrüßt Winston Churchill die Besucher. In Dresden  eskaliert die Lage zur Zeit. Laut taz sind dort zur Zeit mehrere tausend Nazis unterwegs. Barrikaden sollen sie am demonstrieren hindern.