Was tun? Wie geht´s? Wie fühlst Du Dich?

Bild: "Berlin direkt" (screenshot ZDF)

Die Moderne, die Postmoderne, der Wandel der Zeiten. Dem großartigen Matthias Beltz verdanken wir hierzu die Einsicht, dass die Leninsche Schlüsselfrage „was tun?“ (Moderne) abgelöst wurde durch das empathische „wie geht’s?“ (Postmoderne). Beltz ist viel zu früh gestorben; selbst einer wie er konnte nie und nimmer ahnen, zu welch grandiosen Weiterentwicklungen in Sachen menschlicher Wärme und so die spätkapitalistische Gesellschaft noch in der Lage sein würde. „Wie geht’s?“ – Mein Gott, wie unpersönlich! 

Okay, auch Matthias Beltz war nur ein Kind seiner Zeit. Was hätte er sonst tun sollen, als die Umgangsformen seiner sozialen Außenwelt zu analysieren. Der angeführte Quantensprung vom „Was tun?“ zum „Wie geht´s?“ liegt dreißig Jahre zurück. Mindestens. Beltz hatte seine Erkenntnis bereits Anfang / Mitte der 1980er Jahre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. „Wie geht´s?“ – pah! „Wie fühlst Du Dich?“ So muss das heißen! „Wie geht´s?“ heißt ja schließlich nichts Anders als „Wie geht es?“ Wenn man – aus heutiger Sicht – so recht drüber nachdenkt: eine Unverschämtheit.

„Wie fühlst Du Dich?“ – Ja, es hat sich ganz schön was getan in den letzten Jahrzehnten. Heute lässt sich eine solche Frage – gleichsam ein Dokument der Humanität – ganz unbefangen stellen, ohne dass man Angst haben müsste, seinem Mitmenschen zu nahe zu treten. Aber damals? 80er Jahre. Diese ganzen Typen damals; wir brauchen keine Namen zu nennen. Halten wir uns schlicht vor Augen, wen es damals alles noch nicht gab. Zum Beispiel unser aller Lena. Die gab es überhaupt noch nicht. Unvorstellbar. 

Oder bei den Politikern. So einen wie unser aller Baron von und zu Guttenberg. Okay, den gab es zwar schon, jedoch nur in Ansätzen und noch nicht als Politiker. Was war das damals bloß für eine öde Zeit! Keine Lena, kein Ken, und „Wie fühlst Du Dich?“ konnte man außerhalb der Sponti-Szene irgendwie auch nicht so ohne weiteres bringen. Ehrlich gesagt: mir ist das damals gar nicht so aufgefallen. Ich musste schon über Beltz´ „wie geht´s?“ lachen. Mein Gott, was waren wir damals alle kaputt! Total gefühllose Knochen. Entsetzlich. 

Wie gut, dass wir heute zivilisatorisch einen Riesenschritt weiter sind. Doch seien wir wachsam! Der Prozess der Zivilisation vollzieht sich bekanntlich auf dünnem Eis. Und unter der Oberfläche der Freundlichkeit ist das Alte noch da. Mitunter auch über der Oberfläche, mitunter auch der Alte. Schäuble zum Beispiel, so ein Politiker der 80er Jahre. Übrig geblieben. Wie der schon aus der Wäsche guckt, macht klar, dass er nicht vorhat, noch einmal als Top-Kandidat in einem Wahlkampf vor sein Volk zu treten. 

Dem passt das alles nicht. Den braucht man auch gar nicht erst zu fragen: „Wie fühlst Du Dich?“ Ein Blick in sein Gesicht erübrigt jede Frage, und es hätten sich noch eindrucksvollere Bilder finden lassen als dieses Artikelbild hier. Jetzt hat der alte Knötteropa der „Zeit“ ein Interview gegeben und darin das gesagt, was das ZDF freundlicherweise – siehe Artikelbild – in der Sendung „Berlin direkt“ ganz fett auf den Bildschirm gestellt hat: „Gucken Sie sich nur den Zirkus mit Lena auf der einen Seite oder das Phänomen Karl-Theodor zu Guttenberg auf der anderen Seite an.“ 

Die Leute vom ZDF hatten es sich nicht nehmen lassen, das Phänomen Guttenberg höchstselbst zu fragen, was er denn so von diesem Vergleich halte, den Kabinettskollege Schäuble mal so ganz nebenbei eingeworfen hatte. Ken – ganz cool lächelnd – „fand das einen wunderbaren Vergleich“. Sie können mir ruhig glauben, ansonsten klicken sie sich einfach bei Minute 14:00  in „Berlin direkt“ hier ein. Die Frage ist freilich, ob man Guttenberg glauben kann. „Wunderbarer Vergleich“ – na, sag´ mal! Ken, wie fühlst Du Dich? Originalton Guttenberg – kein Witz, echt passiert: „Ich fühle mich wie Karl Lena Meyer Guttenrut.“ 

Wie fühlst Du Dich? Der Bundesminister der Verteidigung fühlt sich wie Karl Lena Meyer Guttenrut. Daraus ergibt sich – m.E. zwingend – die Frage: „Wie geht´s?“ An ihn. Und an uns: „Was tun?“

Der Ruhrpilot

NRW: Ein dreistufiger Plan für die WestLB…Der Westen

NRW II: WestLB auf der Kippe…Süddeutsche

NRW III: Umweltminister gegen neue Gewerbeflächen…RP Online

NRW IV: CDU fordert Fußfesseln für freigelassene Sexualtäter…RP Online

Duisburg: OB Adolf Sauerland wieder im Visier der Abwahl-Initiative…Der Westen

Dortmund: Münster will Kohle sehen…Der Westen

Bochum: Entsorger verklagt Stadt…Ruhr Nachrichten

Bochum II: Bündnis gegen  Gänsereiten…Bo Alternativ

Internet: Etappensieg bei Netzsperren in der EU…Netzpolitik

Natur: Erdbeben bei Koblenz auch im Ruhrgebiet zu spüren…Pottblog

Aufstände: Egypt – What’s next?…Zoom

Aufstände II: Tag des Zorns im Iran- Übersicht und Updates…Der Morgen

NRW-Piraten und Finanzen: „Fehler zu begehen ist kein Skandal – Fehler zu vertuschen schon“

In der vergangenen Woche berichtete die WAZ von Finanzproblemen der Piratenpartei in NRW.

Gestern Abend haben die NRW-Piraten zur WAZ-Berichterstattung Stellung bezogen:

Bei dem Papier welches dem Journalisten vorliegt handelt es sich um den offiziellen Kassenprüfer-Bericht des Landesverbandes NRW. Die Kassenprüfer haben ihre Aufgabe pflichtgemäß erfüllt und den Bericht auf dem Landesparteitag am 6. Februar in Gelsenkirchen veröffentlicht. Der alte und neue Landesvorstand dankten den Kassenprüfern für ihre Arbeit und befürworteten eine Neuwahl derselben.

Aus dem Bericht gehen Versäumnisse hervor die ärgerlich sind, aber keinen Anlass zu den in dem Artikel geäußerten Konsequenzen bieten.

Fehler zu begehen ist kein Skandal – Fehler zu vertuschen schon. Doch diesen Vorwurf von Intransparenz weist der Landesverband der Piratenpartei vehement zurück. Die sogenannten „Aufdeckungen“ der WAZ wurden während des Parteitages öffentlich verteilt. Fehler die darin beschrieben sind dienen dem Vorstand als Hilfe, etwaige Mißstände zu korrigieren. Der Kassenbericht für 2010 wird am 15.03.2011 erstellt. Der Vorstand rechnet dabei mit keinerlei Komplikationen. Dieser Kassenbericht steht danach wiederum allen Interessierten zum Download zur Verfügung.

Es ist wahr, dass ca. 80 Buchungen mit einer Summe von ca. 4.500 € in der vierjährigen Geschichte der Partei nicht mehr durch die Kassenprüfer zweifelsfrei nachvollzogen werden konnten. Solche Buchungen sind dann für die Berechnung der staatlichen Parteienfinanzierung nicht anrechenbar. Sie gehen also zu Lasten des Landesverbandes und tragen nicht etwa zur Bereicherung bei. Eine Gefahr für die Parteienfinanzierung besteht nicht! Auch gilt: Da es bisher keine Auszahlung aus der staatlichen Parteienfinanzierung gab, kann es zu keiner Rückzahlungsforderung kommen.

Durch eine doppelte Mitgliederverwaltung auf Landes- und Bundesebene kam es zu Fehlern in der Mitgliederdatenbank. Alle Fehler wurden inzwischen nahezu komplett behoben. Der neue Vorstand arbeitet weiterhin daran sämtliche Fehlerquellen zu beseitigen.

Unter dem Strich sind die Fehler nicht für die Parteienfinanzierung schädlich, sondern eher für die Partei, da diese Fehler zu weniger Parteienfinanzierung führten, als uns bei korrekter Arbeit zugestanden hätte.Eine Rückzahlung, geschweige denn eine Streichung der staatlichen Parteienfinanzierung, steht dabei nicht im Raum.

Zu den genauen Zahlen wird sich in Kürze auch der Bundesschatzmeister Bernd Schlömer äußern, der die Daten für die Jahre 2007-2009 vorliegen hat. Er kann qualifizierte Aussagen treffen, wie viele Buchungen noch „zu retten“ sind und in welcher Höhe der Piratenpartei finanzieller Schaden entstanden ist.

Der neue Vorstand hat der WAZ großzügig Auskunft erteilt und mehrfach erklärt, warum es sich bei den „aufgedeckten“ Zahlen nicht um einen Skandal handelt. Den Redakteuren der Zeitung war dies anscheinend egal und sie haben in unzulässiger Weise Tatsachen verdreht und Behauptungen aufstellt, die sich nicht verifizieren lassen. Ebenso wie die Angabe sechsstelliger Summen aus der Luft gegriffen ist, wird der Vorstand mehrfach falsch zitiert.

Der Artikel ist reisserisch und zielt darauf ab, den Piraten ein Problem anzudichten, wo keines zu finden ist. Daher haben wir uns entschieden, nicht weiter auf die vorgebrachte Kritik einzugehen. Wer an Tatsachen interessiert ist, den verweisen wir auf den Bericht der Kassenprüfer zu 2010, der in etwa einem Monat veröffentlicht wird und die Ausführungen von Bernd Schlömer, die in Kürze veröffentlicht werden.

Bis dahin bitten wir um Geduld, damit die Schatzmeisterin sich einarbeiten und den Rechnungsprüfern die Unterlagen korrekt übergeben kann.

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Centerparadies Ruhrgebiet

An der Ruhr erobern Einkaufszentren die Innenstädte. Vor allem die beiden Centerriesen mfi und ECE liefern sich einen Wettlauf um die attraktivsten Standorte.

Mit dem Ruhrpark fing alles an. 1964 eröffnete das damals zweite Einkaufszentrum der Bundesrepublik in Bochum an der A40 seine Pforten.

Noch heute ist es mit seinen über 120.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, zahlreichen Freizeit- und Gastronomieangeboten eines der größten Einkaufszentren des Landes. Und eines, dessen Auswirkungen man nur weniger Kilometer weiter in der Bochumer Innenstadt betrachten kann: Ein klassisches Kaufhaus gibt es in Bochum schon seit den 90er Jahren nicht mehr. Große Ketten wie Peek & Cloppenburg oder Zara sucht man in Bochums Fußgängerzone vergebens.

Dafür haben sich auch in einstmals guten Lagen Ein-Euro-Shops breit gemacht. Auf dem  erst vor wenigen Jahren eröffneten Massenberg-Boulevard verirren sich nur wenige Flaneure. Allein das Kneipenquartier „Bermudadreieck“ verströmt urbane Atmosphäre.

„Wir müssen in die Innenstadt investieren, um sie attraktiv zu machen“, sagt Bochums Planungsdezernent Ernst Kratzsch. Mit der U-Bahn sollen die Menschen schneller in die Innenstadt kommen. Und mit einem neuen innerstädtischen Einkaufszentrum will man der Planungssünde Ruhrpark Paroli bieten. Denn der wird seit Oktober vom Essener Shopping-Center-Spezialisten mfi geleitet. Der Eigentümer des Ruhrparks, der britische Perella Weinberg Real Estate Fund, stellt mfi die Mittel für einen radikalen Umbau des Ruhrparks zur Verfügung.

Mit einem neuen Einkaufszentrum mit 25.000 Quadtratmeter Verkaufsfläche sollen vor allem Modemarken in die Bochumer Innenstadt gelockt werden und so die Kaufkraft halten helfen. Seine Ideen stellte die zur Otto-Gruppe gehörende ECE, Markführer im Bereich der Einkaufszentren, am Donnerstag in Bochum vor. ECE präsentierte sich als Retter der bedrängten Bochumer Innenstadt.

Auf einer Baufläche von gut 30.000 Quadtratmetern soll ein Einkaufszentrum entstehen, das durch sich offene Strukturen auszeichnet, den vorhandenen Einzelhandel in der Stadt ergänzt und nicht verdrängt. so Projektdirektor Torsten Kuttig: „Wir wollen offene Strukturen, wie bei einer kleinen Fußgängerzone, von der aus die Läden, Cafés und Restaurants erreicht werden können.“

Einen geschlossenen Block wie beim ECE-Center Limbecker Platz in Essen werde es nicht geben. Auch ein Hotel und Wohnungen  sollen in dem Kompöex entstehen.

ECE, sagt Kuttig, wisse, dass es überall, wo das Unternehmen ein Projekt startet, kritisch beäugt wird. Das Unternehmen setze daher jetzt auf eine offene Diskussion über seine Pläne, die in wenigen Wochen vorgestellt werden sollen.

Mit dem Limbecker Platz, der in Bau befindlichen Thier-Galerie in Dortmund und dem geplanten Center in Bochum würde ECE innerhalb weniger Jahre drei innerstädtische Einkaufszentren im Ruhrgebiet eröffnen. Es sind nicht die einzigen Projekte: Das Centro in Oberhausen erweitert gerade seine Einkaufsfläche um 17.000 Quadtratmeter auf dann fast 100.000 Quadratmeter. ECE Konkurrent mfi wird bald mit dem Bau eines Centers in Recklinghausen beginnen. Verkaufsfläche: 27.000 Quadtratmeter. Weitere Center sind in Planung und in Bau. Auch in kleinen Städten wie Hattingen, Witten oder Dorsten sind neue Center eröffnet worden, im Bau oder angedacht.

Die Argumente der Betreiber sind immer die gleichen: Den Städten mangele es an Flächen für moderne Einkaufskonzepte, das fehlen attraktive Marken würde den Innenstädten Kaufkraft entziehen und sie im Wettbewerb gegenüber den Nachbarn schwächen. Es ist ein Wettrüsten: Ein Einkaufszentrum zieht das nächste nach sich und auf die Frage, wie viele der Beton- und Glasburgen denn eine Region mit schrumpfender Kaufkraft und sinkenden Einwohnerzahl verkraften kann, ohne dass die Innenstädte endgültig veröden gibt es von den Centerplanern keine Antwort.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die noch centerfreien Innenstädte dem Druck beugen und im Kampf um die Kaufkraft Center ansiedeln werden.

Eine Kritik, die Christian Stamerjohanns von ECE nicht gelten lässt: „Bis jetzt gab es bei jeder Strukturveränderung der Innenstädte immer einer harte Kritik. Immer wurde der Untergang der Stadt beschworen – eingetreten ist er bislang nie.“

Sowohl das Aufkommen der großen Kaufhäuser um die Wende des 19. zum 20. Jahrhunderts als auch die Fußgängerzonen der 60er und 70er Jahre seien in ihrer Zeit heftig umstritten gewesen.

Argumente, die von den Kritikern der Einkaufszentren nicht geteilt werden. In dem Buch „Angriff auf die City“ haben sie ihre Kritik zusammengefasst. Allen voran der Walter Brune, der als Architekt selbst zahlreiche Einkaufszentren geplant hat, geht hart in Gericht mit den Einkaufszentrenbetreibern und den in seinen Augen naiven Lokalpolitikern. Für Brune sind die Konsequenzen des Center-Wettrüstens klar: Die in den Centern gebundene Kaufkraft sorgt für leerstände in den sie umgebenden Innenstädten und zu sinkenden Immobilienpreisen. Ein Verfall der Städte sei die Folge.

Ein Beispiel dafür kann man im Ruhrgebiet besichtigen: Oberhausens Innenstadt ist seit der Eröffnung des Centros auf dem weg zur Geisterstadt. Leerstände und Ramschläden prägen hier längst das Bild.

Als das Centro Mitte der 90er Jahre eröffnet wurde, war davon nicht die Rede: Auch Oberhausen-Mitte sollte attraktiver werden. Millionen wurden investiert um Besucher in die Innenstadt zu locken. Wie man heute weiß vergebens.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag

Der Ruhrpilot

NRW: Die Linken lenken bei Studiengebühren ein…Der Westen

NRW II: Ex-Minister Laschet Kolumnist bei „Hürriyet“…RP Online

NRW III: Städte fordern mehr Geld von ihren Bürgern…RP Online

Wahlen: SPD Hoffnungsträger Kraft und Scholz…Post von Horn

Essen: Mindestens 1500 Kita-Plätze fehlen…Der Westen

Bochum: Graue Wölfe in Dahlhausen…Bo Alternativ

Bochum II: megaFon2011…Bo Alternativ

Kultur: Tanz im Niemandsland…RP Online

Arabien: Interview mit Slim Amamou über Tunesien, Ägypten und die arabische Welt…Netzpolitik

Gideon Levy: Israel muss Ägypten gratulieren

  
Gideon Levy

Die liberale israelische Tageszeitung Haaretz hat heute einen Artikel von Gideon Levy veröffentlicht, der den Titel trägt: „Israel muss Ägypten gratulieren“. Ich habe daraus einige Passagen ins Deutsche übersetzt. Den vollständigen Text in englischer Sprache finden Sie hier.   

Die Nachricht aus Ägypten ist eine gute Nachricht, nicht nur für dieses Land und die arabische Welt, sondern für die ganze Welt, einschließlich Israel. Es ist Zeit, mit dem ägyptischen Volk glücklich zu sein, und zu hoffen, dass diese erstaunliche Revolution nicht schief gehen wird. Lasst uns alle unsere Ängste beiseite legen – vor der Anarchie, der Muslimbruderschaft oder einem Militärregime – und lasst uns bei diesem großen Wagnis ein Wort mitreden! Lassen wir uns nicht von den Gefahren trüben! Jetzt ist die Zeit, im Licht, das aus dem Nil scheint, zu sonnen – nach 18 Tagen des demokratischen Volkskampfs. Ironischerweise war es unter allen Ländern Ägypten, das bewiesen hat: Ja, es kann! Dass es möglich ist, eine Diktatur niederzuringen, und zwar mit friedlichen Mitteln.   

Lasst uns in das halb volle Glas sehen. Viele der anfänglichen Befürchtungen haben sich als falsch erwiesen. Die von Israel und dem Westen gepflegten unvorteilhaften alten Stereotypen über Ägypten fielen – eines nach dem anderen – in sich zusammen. Abgesehen von einem einzigen Tag der Gewalt verlief diese Revolution friedlich. Das ägyptische Volk hat bewiesen, dass es von Grund auf unbewaffnet und gewaltfrei ist. Kairo ist nicht Bagdad oder gar Nablus. Das ist eine gute Nachricht. Auch die Armee hat gezeigt, dass sie die Grenzen ihrer Macht erkennt, und dass sie – im Gegensatz zu anderen Armeen in der Nachbarschaft – nicht schießwütig ist. Die ägyptische Armee hat bislang – klopf auf Holz – ihre Weisheit, Entschlossenheit und Sensibilität unter Beweis gestellt.   

Tausende junger Ägypter, die auf allen Fernsehschirmen der Welt zu sehen waren, haben ebenfalls bewiesen, dass Ägypten noch ein anderes Gesicht als das uns bekannte hat. Die jungen Leute sind nicht nur an Falafel, Filme und Bakschisch interessiert, sondern haben auch ein ernstes soziales und politisches Bewusstsein, das sie auch in englischer Sprache äußern. Sie haben auch bewiesen, dass entgegen dem, was wir ständig erzählt bekommen, Hass auf Israel nicht an der Spitze ihrer Agenda steht.   

Die Unkenrufe, denen zufolge jeder demokratische Wandel den Aufstieg des Islam bedeutet, sind ebenfalls weit davon entfernt, realisiert zu werden. Schauen Sie sich die Bilder vom Tahrir-Platz an: da sind relativ wenige offensichtlich religiöse Menschen. Sie beteten leise, umgeben von einer großen Anzahl von weltlichen Revolutionären. Es gab auch eine ganze Reihe ägyptischer Frauen auf dem Platz. Ägypten ist nicht das, was wir dachten.

Auch wenn es sehr spät ist, muss das offizielle Israel jetzt mutige und gute Wünsche von Jerusalem nach Kairo an den Westen schicken. Und wenn es das offizielle Israel nicht macht, dann wenigstens wir, die kleinen Leute. Von uns an Euch: Mabruk, herzliche Glückwünsche, Ägypten!

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letzte Woche / diese Woche (kw7)

Diese Woche wollen wir mal ganz radikal vorgehen und die Welt auf zwei Zahlen verkürzen: 5 und 500. (So etwas ist doch immer recht griffig.) Denn bald naht die Woche der STUDIENGEBÜHREN! In NRW!! Ja, Mensch. Na, und die 5 bezieht sich natürlich auf die 5 Euro, von denen nicht mehr nur die BILD immer redet. Tja, wer gibt wem was in dieser Gesellschaft?

Haben wir eigentlich mehr HartzIV-Empfänger als Studierende in Deutschland? Oder hält sich das in etwa die Waage? Dann könnten die Studierenden doch quasi mal die Bedürftigen unterstützen, oder? Machen sie ja gerüchteweise später eh, wenn sie mal gutes Geld verdienen, haha. Nun gut. Jedenfalls sprach der Autor dieser Zeilen in der letzten Woche einmal mit einem frisch gebackenen Post-Doktoranden darüber, wie unsereins eigentlich wirken muss auf die jüngere Generation. Wir hatten noch Interdisziplinarität, Humboldtsches Bildungsideal, Langzeitstudium und generell die Einstellung, man könne ja durchaus experimentieren, bis man von der Arbeitsmarktrealität eingeholt wird. (Natürlich hat man auch versucht, sich zu qualifizieren, aber meist für Dinge, die die schnöde Arbeitswelt gar nicht haben will.) Wir also früher immer mehr oder weniger idealistisch voran – und dann sehen wir da plötzlich Generation Praktikum, Bachelor & Co. kommen und sind ganz betroffen: Bachelor ist doch nichts wert (obwohl schon mal was fertigstudieren im überschaubaren Rahmen ja nichts Verkehrtes sein muss – na, und die relative internationale Übertragbarkeit, etc.)! Die sind ja alle voll verschult und schon auf konkrete Jobs fixiert, bevor sie überhaupt wissen, was los ist auf der Welt! Die haben alle so Schiss, das sie schlecht aussehen irgendwann, dass sie mehr vorauseilenden Gehorsam als sonstwas im Gepäck haben! (Nun gut, diese typische Studierenden-Arroganz braucht man wohl schon auch noch, um sich diese unglaubliche Zeitinvestition in eine marginale gesellschaftliche Verbesserung schönzureden.)

Wir sind also die Schnösel von gestern, und die Schnösel von heute sind ja so anders dysfunktional. Haben wir ein schlechtes Gewissen? Kaum. Hätten wir für den Scheiß damals auch noch bezahlt, ohne den Profs jeden Tag zu sagen, dass sie da teilweise Mist lehren? Nein. Denn es ging nicht nur den Studierenden ziemlich gut, sondern den Profs erst recht. Fröhliche Wissenschaften nach der Revolution damals, yo! Und alles schön von Steuergeldern finanziert. Wir brauchen ja „Eliten“ für wasauchimmer werauchimmer bestimmt.

Schön also, dass da alle mit Fachabi oder Abi oder so mitspielen durften bei der großen Party nach der Studentenrevolution. Leider sind wir dann die folgenden 30 Jahre nie mehr zu den Gewerkschaften und ähnlichen Gruppen gegangen – das Leben war ja hart genug und es gab ja so viel auszufechten! Die Geschlechterfrage! Die Ernährung! Recht auf Rausch?! Semesterticket!! Und dann immer diese Kriege irgendwo. Na, und nun rächt sich das halt, und niemand kann mehr jemand so recht weismachen, die Studierenden müssten doch bezuschusst werden. Denn es gibt bedürftigere, die nicht so eigenständige Menschen sind wie unsere zukünftigen Eliten. Gab es diese Menschen nicht zu „unserer“ Zeit auch schon? Hm. Und das zeigt einmal mehr den Unterschied zwischen Demonstrationen, Umfragen und der Realität: Alle sehen immer gern, wenn Leute für ihre Interessen auf die Straße gehen. Das gibt auch gute Medienbilder, und alle drücken David gegen Goliath die Daumen, weil das ja zeigt: Wenn wir wollten – dann würden wir auch! Aber in Umfragen zeigt sich dann, dass die Mehrheit gar nicht auf der Straße war und im Grunde eine andere Meinung vertritt als die letzte „Ich! Mehr!“-Protestwelle. Und in der Realität schließlich verpufft die „Revolution“ dann gen Militär, gen neue Köpfe in alten Strukturen und natürlich zu permanenten Verteilungsdebatten. Vergleicht der Autor hier den Akademikerstand in Deutschland mit dem Militär in Ägypten? Kaum.

Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass die heutige Studierendengeneration bescheidener geworden ist. Sie haben bestimmt alle Peter Hein zugehört: „Im Leistungskurs Leben wird dir nicht beigebracht, dass du alles, was sie dir geben, später doppelt bezahlst.“ Schön war es, letzte Woche von der NRW-Ministerin für Kultur, Familie, Jugend, Sport und Kinder zu hören, sie habe eigentlich das Ministerium für Lebensbildung. Vielleicht hat die auch mal Family 5 gehört (und deshalb – oder trotzdem? – genau den Job)? Schönen Sonntag!

Foto: Jens Kobler (feat. u.a. „The Rules of Attraction“ nach Bret Easton Ellis)

Nachruf auf Peter Alexander

Peter Alexander in der Muppet-Show (Bild: screenshot youtube)

„Sag´ mal, weißt Du, was eigentlich mit Peter Alexander ist?“ fragte ich vor etwa zwei Wochen meine Frau. „Lebt der eigentlich noch?“ Sie blickte mich an, wie sie mich immer ansah, wenn sie sich fragte, ob ich sie veralbern wolle oder ob es nun wirklich um den Verstand ihres Gatten geschehen ist. „Ja, mein Gott! Ich möchte es halt nur wissen.“ Wieso? Weil gerade ein Lied von Peter Alexander im Radio lief. So lautete meine Antwort auf ihre Gegenfrage, warum ich das denn wissen wolle. „Ja, aber warum willst Du das denn wissen?!“ Boah … 

Es war klar: sie wusste es auch nicht. Für mich war damit dieses Gespräch beendet. Auf unserem Spaziergang – wir machten gerade ein paar Tage Urlaub im Böhmerwald – nervte ich sie dann damit, den ein oder anderen Schlager von Peter Alexander vor mich hin zu singen. Zu dumm: den Text von „Wie Böhmen noch bei Öst’reich war“ kannte ich im Grunde nicht. Also wiederholte ich ständig: „Wie Böhmen noch bei Öst’reich war – vor finfzig Jahr, vor finfzig Jahr“. Das war´s, Ende der Vorstellung. Dabei war dieser Song – rein situativ betrachtet – der angemessene. Aber wer kennt den schon?!
Die kleine Kneipe in unserer Straße“ dagegen kennt natürlich jeder – ein paar Jährchen auf dem Buckel vorausgesetzt. Der passte freilich kein bisschen in unsere Situation – so fern der Heimat. War mir aber egal; „die kleine Kneipe“ war (und ist) einfach der Smash-Hit. Sehr gut kenne ich auch „Hier ist ein Mensch“. Erstens war dies in den Jahren, in denen ich den Stand der Hitparaden auswendig kannte, für Wochen in allen deutschen Charts unangefochten der Nummer-Eins-Hit. Das muss 1968 oder 69 gewesen sein, also in den ganz wilden Jahren.
Ein paar Jahre später, Mitte der 70er, war dieses Lied der Stoff eines politisch links stehenden „Junglehrers“ (die hießen damals so), der uns in die Musiksoziologie einführte. So etwas vergisst man nicht. Der Schlager eignete sich in der Tat sehr gut zur musiksoziologischen Unterweisung, und der Umstand, dass nun wirklich alle Schüler „Hier ist ein Mensch“ ohnehin schon kannten, erleichterte dieses Projekt ungemein. 

Meine Frage nach Peter Alexanders Befinden beantwortete sich schon auf unserem Spaziergang. Wir suchten nämlich einen Kiosk auf, der auch über ein reichhaltiges Zeitschriftenangebot verfügte. Es war freilich den Lesegewohnheiten der deutschen Urlauber angepasst, deren Altersdurchschnitt wir durch unsere Präsens stark nach unten gezogen hatten. Ich erblickte auf einer Titelseite einer Illustrierten das Konterfei des Entertainers, dazu eine Schlagzeile, dass er sehr krank sei und dass es ihm sehr schlecht gehe.
Das machen nur die Beine von Dolores“ war Peter Alexanders erste Single. 1951 erschienen, ganz so alt bin ich nun auch wieder nicht. Doch auch in meiner (*1957) Generation kennt eigentlich jeder diesen Evergreen. Jedenfalls seine Melodie. „Das machen nur die Beine von Dolores, dass die Senores …“ – weiter schaffte ich den Text beim besten Willen nicht. Gut, dass mich meine Frau begleitete: „…die Senores nicht schlafen geh’n.“ Na bitte, geht doch. 

An dieser Stelle muss auf einen Umstand aufmerksam gemacht werden, der den Unter-Dreißigjährigen nicht stets so gegenwärtig ist. Bis Mitte der 80er Jahre waren nur drei Fernsehprogramme zu empfangen, und da die Dritten Programme der ARD-Anstalten ein Schattendasein führten, eigentlich nur das Erste und das ZDF. Das Farbfernsehen wurde in der Bundesrepublik Deutschland 1967 eingeführt; wir hatten – wie die meisten Leute – erst Mitte der 70er Jahre eins. Die Peter Alexander Show startete bereits 1969 im ZDF.
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viele Peter Alexander Shows ich mir bis Mitte der 70er Jahre reingezogen hatte. In schwarz-weiß, versteht sich. Als wir dann endlich eine Farbglotze bekamen, ließ mein Interesse an dieser Form der Fernsehunterhaltung deutlich nach, auch weil ich altersbedingt länger aus dem Haus bleiben durfte. Aber so im Alter von elf bis vierzehn, in meinem Fall 1969 bis 1972. Das war jetzt nicht so schlecht, wie sich das Jüngere vorstellen mögen: die ganze Familie saß vor der kleinen Schwarz-Weiß-Kiste; irgendwie war das schön.
Zudem: was hätte man auch sonst machen sollen? Die Eltern hatten nicht ständig Lust auf einen Spieleabend oder so etwas, und ich musste auf  jeden Fall hätte die Peter Alexander Show sehen. Das wäre ja furchtbar gewesen, in die Schule zu gehen und nicht mitreden zu können. Die Peter Alexander Show wurde von bis zu 38 Millionen Zuschauern allein in Westdeutschland gesehen, also fast zwei Dritteln der Gesamtbevölkerung. 38 Millionen, unter den zehn- bis vierzehnjährigen Kindern geschätzte 98 Prozent. Selbstausgrenzung, nein Danke! 

Außerdem war der wirklich klasse, der Peter Alexander. Als wir dann so zwölf bis sechzehn waren, sind wir ins Kino gegangen und haben uns seine Pennälerfilme angesehen. Da hatten uns die Eltern nicht zu gezwungen. Es war immer recht voll, die Filme waren allesamt Kassenschlager.
Na sicher, Peter Alexander war ein Biedermann, ein „Heile-Welt-Apostel“, Österreicher mit einem Küss-die-Hand-Charme. Aber er war auch ein äußerst vielseitiger Unterhaltungskünstler. Auch menschlich ein Typ, gegen den nichts vorzutragen wäre. Wir haben uns aus gutem Grund angewöhnt, sympathische Leute, die sich der seichten Unterhaltung verschrieben haben, unsympathisch zu finden. Ich hatte Peter Alexander gegenüber niemals so empfunden. Es gab und gibt keinen Grund.
Er wisse, sagte „Peter der Große“ einmal, „dass Millionen von Menschen gerne mal die Augen schließen, um einfach nur zu träumen.“ Daran schloss er die rhetorische Frage an: „Ist das nicht unser gutes Recht?“ 

Am Samstag starb Peter Alexander im Alter von 84 Jahren in seiner Geburtsstadt Wien.