„Ich will mich erinnern/ an alles, was man vergißt“ – Zu Leben und Werk Erich Frieds – anlässlich seines 90. Geburtstags gestern

Juni 1988: Erich Fried in Duisburg - Foto: Jörg Briese

Nachdem ich gestern sehr persönlich an Erich Fried hier bei den Ruhrbaronen erinnert habe, möchte ich heute gern vor allem sein lyrisches Werk aus literaturkritischer Sicht vorstellen.

August 1938 – ein Siebzehnjähriger aus Österreich, dessen Vater kurz zuvor an den Tritten eines Gestapo-Mannes gestorben war, flieht aus Wien nach England. In London angekommen erklärt der junge Mann vor dem Jüdischen Flüchtlingskomitee dennoch, er wolle „ein deutscher Dichter“ werden. Der couragierte Möchtegernschriftsteller, von dem hier die Rede ist, war niemand anderes als Erich Fried. Und seinen aus Not und Ambition geborenen Wunsch konnte er gegen viele Widerstände tatsächlich verwirklichen, allerdings später als erhofft. Denn erst in den 60er Jahren begannen die Leserinnen und Leser in Deutschland langsam, Erich Fried als politischen Lyriker und Sprachartisten wahrzunehmen und zu schätzen.
Um 1980 sah das alles dann ganz anders aus: Eine junge Fangemeinde verehrte Erich Fried geradezu als großen alten Mann der Literatur, als Poeten mit Guru-Qualitäten. An kaum einer Pin-Wand bundesdeutscher Wohngemeinschaftsküchen oder auf den Flugblättern linker Studenten fehlten die Gedankensplitter Erich Frieds: „Beim Nachdenken über Vorbilder// Die uns/ vorleben wollen// wie leicht/ das Sterben ist// Wenn sie uns/ vorsterben wollten// wie leicht/ wäre das Leben“. Oder: „Status quo// Wer will/ daß die Welt/ so bleibt/ wie sie ist/ der will nicht/ daß sie bleibt“. Neben den „Liebesgedichte(n)“ begründeten solch pointierte Denkhilfen und Sprüche den Ruf Erich Frieds als unbequemer Mahner, als sinnenfroher Weltweiser, ja als allgegenwärtiger Gutmensch schlechthin.

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letzte Woche / diese Woche (kw19)

Jetzt gehen diese Drohnen tatsächlich auf die Jagd nach einzelnen Menschen. Heya Safari! Die Weißen haben ein neues Schießgewehr! Ich weiß nicht wie Sie das sehen, aber dieses anscheinend uferlose Aufbrechen der Staatsgrenzen und Privatsphären, das Okkupieren von Territorien und Köpfen – finden Sie das gut oder was? Militärisch kann man ja nicht überall sein, dennoch schustern wir uns via Medienbestrahlung (und Geheimdienste) mal global mehr Konflikte, als wir bewältigen können. Bisschen überzogen, lieber Westen, hm? „Wieso überzogen?“, antwortet der Westen. „Ist halt wie im Supermarkt.“

Wahrscheinlich läuft das hier in der Gegend alles einfach unter „technischer Fortschritt“, aber de facto schustern die mit der größten Medienmacht doch nun einmal offensichtlich zusammen, wie wir die Welt sehen sollen, oder? Und weil hier „der Westen“ ist, erscheint uns das alles vollkommen plausibel. Und dann erscheint es so, als würden Staaten wie Russland, China, Indien, vielleicht Brasilien, immer vorsichtig „vermitteln“ müssen zwischen der „Wahrheit“ hier und der „Wahrheit“ der anderen. Indien meinte ja letzte Tage, sie würden da auch ein paar Leute in Pakistan kennen, die sie gerne liquidieren würden. Und Pakistan so sinngemäß als Antwort: „Nicht jeder darf, was die USA darf.“ Ich finde, die darf ganz schön viel. Und vielleicht hängt das damit zusammen, dass kaum jemand deren storytelling infrage stellt – oder nur selten.

Deshalb ist es also völlig legitim, die jeweils aktuellen „großen Erzählungen“ speziell Krieg führender Staaten infrage zu stellen. Das tun manche dann auch, indem sie Gegengeschichten entwerfen. Die müssen ja gar nicht stimmen, das ist nicht der Punkt, und insofern brauchen uns da die Medien auch nicht über die Psyche von Verschwörungstheoretikern aufklären. Diese Gegengeschichten müssen hauptsächlich da sein, damit klar ist, dass die hegemoniale Seite auch nur Geschichten erzählt. Vorschlag: Wir glauben dann einfach keine Geschichte, lassen uns aber auch nicht zu sehr damit beschäftigen, was denn nun wahr sein könnte – denn so etwas klärt sich höchstens hinterher, wann immer das sein mag. Und dagegen wird dann eine neue Saga gestrickt. Das ist bitter, aber besser als immer so tun müssen, als glaube man das alles und sei womöglich noch dafür, oder nicht?

Einfache Bilder aber sind populär, das findet sich nicht nur auf dieser Seite hier permanent, sondern auch immer wieder im Mediengeschehen. Wie bedingungslos zum Beispiel die Jungle World hinter allen Territorialverletzungen der letzten Zeit steht und sogar mehr Kriegspropaganda betreibt als die taz und sich dabei offensichtlich rechts von der Bundesregierung befindet. Erstaunlich konsequent! Das zeigt einerseits, wie gut das in Deutschland immer klappt, dass für jedes Grüppchen ein Clübchen gebaut wird, das letztlich gut zu aggressiver Außenpolitik und funky Konsumentendasein passt (der Rest ist eh Image, ne?). Das zeigt aber auch, dass diese Clübchen einfach für jeden Gegner von irgendwem eine Anlaufstelle bieten. Islam-Gegner hierhin, Israelfeinde da lang, bitte. Ja, es gibt auch eine eurozentrische Ecke im sogenannten linken Bereich. Und ja, Feministinnen müssen nicht für Israel sein, wir arbeiten noch dran. Veganer eher gen pro-Islam, bitte. Fahrradfreunde? Können ja den deutschen Einfluss auf Japan und China stärken. Wow! Das ist eine starke, bunte Gesellschaft! Wir sind halt die Borg, um es in einem Star Trek Terminus auszudrücken. (Und die Kids glauben auch noch, sie seien irgendwie in Opposition dazu. Euromayday? Geiles Ding!)

Aber ich will tolerant sein. Wir machen das ja alle nicht bewusst. Kümmern uns um aussterbende Tierarten, machen aber jede andere Kultur platt. Verballern pausenlos Strom beim Protest gegen die hiesige Energiepolitik. Argumentieren permanent gegen Lebensentwürfe, die keine oder wenig Abhängigkeit der einzelnen von Konzernen bedeuten würden. Wünschen uns eigentlich wahrscheinlich an Schüppe, Herd oder Gewehr zurück, weil damals noch klarer war, wem man zu gehorchen hatte, was? Oder sind das heutzutage einfach Rechner, Rechner und Rechner? Immer diese Widersprüche! Kann ein Mensch nicht einfach 40 Stunden für die Gesellschaft (na, die hier, ne, wat sons?) arbeiten und ansonsten noch ein bisschen zeigen, dass er oder sie voll einverstanden ist, aber natürlich Details kritisch gegenüber steht – und ansonsten Freizeit haben? Nein. Das geht hier nicht. Sie können nämlich bestimmte Dinge nicht (tun). Andere können das. Und deshalb helfen Sie, die umzubringen. So als Arbeitskraft, Konsument und Quasi-Privatmensch. Sie verstehen die anderen auch gar nicht. Das sind für Sie Primitive. Da reden Sie eher mit ihrem Haustier, Quatsch: Computer. Gut, Sie jetzt genau sind nicht so? Sorry. War nicht persönlich gemeint. Wir kennen uns ja auch gar nicht. Warum eigentlich nicht? Tja. Da müssen wir uns doch bestimmt mal virtuell vernetzen und jedeR einzelne fett Konsumpropaganda global rausbrezeln, hm? Dann klappt das auch schneller mit dem weltweiten Gleichschritt der sogenannten Individualisten. Machen wir doch mal nächste Woche wieder richtig feste, hm? Einfach mal so, für unsere extrem bunte Kultur. Die einzig wahre, ne? Pff!

Fotos: sodahead.com, „Die Sklavenjäger“ von Jürgen Goslar von cinema.de und Szenenfoto aus „Ein Schluck Erde“ nach Heinrich Böll von theater-wir.de (könnte auch mal wieder aufgeführt werden)

„Wenn am nächsten Sonntag …“ – sozialdemokratische Phantasien

“Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären …”, dann haben wir es, weil ja am nächsten Sonntag keine sind, mit dem Beginn einer Frage zu tun, nämlich der Sonntagsfrage. Die fragt dann bekanntlich, weil es sich ja um mehrere handelt („Bundestagswahlen“), genau genommen um zwei, wenn sie denn am nächsten Sonntag wären, nicht etwa danach, wem wir unsere Erststimme gäben, genau unsere Erststimmen, weil es sich ja bei uns um mehrere handelt, genau genommen um mehr als sechzig Millionen Wahlberechtigte, sondern – keine Sorge:

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Einladung zum Nibelungen-Marathon

Magdalena Helmig in dem Diskurs-Musical Siegfried Superheld. Foto: Sascha Kerklau

Im Rahmen des Nibelungenprojektes startet das Rottstr5Theater in Kooperation mit der Literarischen Gesellschaft Bochum am 21. Mai ab 12 Uhr eine 24stündige Marathon-Lesung. Wer mitmachen will, kann sich jetzt melden.

Viele Geschichten gibt es über die sagenumwobenen Nibelungen zu erzählen. Ihr Zug führte die Krieger aus Worms auch durch Bochum (Dahlhausen), schließlich hielten sie im Haus Laer Rast. All das ist lange her. Im Jahr 2011 begibt sich das Rottstr5Theater auf eine Spurensuche. Viele Bühnenstücke wurden dazu konzipiert, einige davon sind bereits inszeniert. Am Ende des Jahres wird es zu einer Gesamtaufführung des Bochumer Ringes kommen.

Im Laufe des Lese-Marathons stellt Werner Streletz sein Auftragswerk für das Nibelungenprojekt vor. Gegen 20 Uhr liest das gesamte Personal des Rottstr5Theaters den Nibelungentext von Friedrich Hebbel. Und auch für das leibliche Wohl ist gesorgt: Ein opulentes Burgunnen Buffet steht bereit.

Felix Lampert und Arne Nobel (v.l.) in Siegfrieds Tod. Foto: Birgit Hupfeld

Hagen & Co. – 24 Stunden Nonstop. Dazu sind alle Interessierten herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Schickt uns eure Textvorschläge und Terminwünsche an die unten genannte Email-Adresse. Doch das Angebot geht über das Vortragen hinaus. Werdet selbst kreativ und tragt am 21. Mai in „einem der coolsten Off-Theater Deutschlands (Stefan Keim)“ euren eigenen Text vor. „Auf dass der Nornen Weisheit wohl erschalle: Werde nun, was werden solle.“ (Hans Dreher)

Kontakt: mail@rottstr5-theater.de

Stichwort: Nibelungen-Marathon

 

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Datteln: Wer zahlt bestimmt?

Datteln IV Foto: Robin "Bibo" Patzwaldt

Die Waltroper Grünen in einem Gastbeitrag über das Gutachten zum Kraftwerk Datteln:

Je nachdem welche Institution/ Partei usw. ein Gutachten zum bundesweiten Skandalkraftwerk in Auftrag gab und bezahlte, konnte anscheinend auf die von ihm erhofften Ergebnisse zählen. Und so auch jetzt geschehen, denn der „unabhängige“ Gutachter Kment wurde vom Energieversorger Eon beauftragt und bezahlt. Dies geschah  auf politischen Druck von rot/grün, die, man kann es kaum glauben, genau diesen Gutachter auswählten. So wundert uns das jetzt veröffentlichte Ergebnis nicht.

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Der Ruhrpilot

Duisburg: SPD-Kandidatur in Duisburg kostet 800 Euro…Der Westen

NRW: Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung…RP Online

NRW II: CDU verliert in einem Jahr 9000 Mitglieder…RP Online

Ruhrgebiet: Klima-Expo als neues Großprojekt…Der Westen

Essen: Empörung über OB Paß in Debatte um Kritik an Alter Synagoge…Der Westen

Bochum: Der Ton wird härter bei Opel…Der Westen

Dortmund:…droht eine neue Haushaltssperre…Der Westen

Dortmund II: BVB-Meisterfeier wird eine zehnstündige Party…Ruhr Nachrichten

Duisburg: Gerangel um Loveparade-Gutachten…Der Westen

ProNRW: Randale bei Neonazi-Feier…BNR

Reminder: Ruhrbarone Lesung

Rottstr5-Theater/Foto:Chantal Stauder

Jetzt wird es ernst: Am kommenden Mittwoch, es ist der 11. Mai, lesen ein paar von uns im Rottstr.5 Theater in Bochum.

Los geht alles  um 19:00 Uhr. Wir werden nervös sein. Nein, nicht die Jungs von der Wattenscheider Schule. Die sind cool. Auch nicht Martin Kaysh. Der ist Profi. Aber Markus, David und ich haben schon Lampenfieber. Und ich hab noch gar keinen passenden Text. Egal. Nachher gehen wir alle in den Intershop Bier trinken.

Es werden lesen:

Die Wattenscheider Schule, Bastian Schlange und Patrick Joswig:
Was sie lesen, ist noch nicht klar. Vielleicht was mit Männerkäse oder Pornobrillen

Martin Kaysh:
Wir denken, er trägt was Komisches und vermutlich auch Beleidigendes vor.

Stefan Laurin:
Weiß noch nicht was lesen  wird und ist verzweifelt…

Markus Franz:
Der Berliner Ex-Ruhri ist aus den USA zurück – war dort drei Jahre Attache an der deutschen Botschaft und musste diplomatisch schweigen. Nun liest er ganz undiplomatisch aus seinen verdammten Erlebnissen vor.

David Schraven:
Der WAZ-Mann und frühere Ruhrbaron bringt eine bislang unveröffentlichte Story aus dem Abschaum des Ruhrgebietes mit.

 

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Liveblog zu den Planungen der schwarz-gelben Meisterfeier von Borussia Dortmund

Zur geplanten Meisterfeierlichkeiten von Borussia Dortmund (BVB) findet heute um 14:09 Uhr im Dortmunder Rathaus eine Pressekonferenz statt, in der die Organisatoren Details bekanntgeben wollen.

Von der Pressekonferenz aus wird das Pottblog von Jens Matheuszik, so die Technik funktioniert, mit einem Live-Blog berichten.

Über diesen Link geht es direkt zum Live-Blogging, welches ab ca. 14:00 Uhr starten soll.

Vom Dichter geküsst – Über Liebeslyrik und den Unterschied zwischen Alltag und Text. Eine Erinnerung an Erich Fried, der am 6. Mai 90 Jahre alt geworden wäre

Erich Fried im Juni 1988 im Theater an der Ruhr, Mülheim
Erich Fried, Juni 1988, im Theater an der Ruhr, Mülheim - Foto: Jörg Briese

Malteserstraße 7, Duisburg-Duissern, im Sommer 1988 wohnen Erich Fried und Hildegard, eine junge Begleiterin, für ein paar Tage bei mir und meiner Freundin Katrin in einer unserer direkt nebeneinander liegenden Genossenschaftswohnungen. Fried hatte sich gewünscht, nicht in einem Hotel logieren zu müssen, sondern bei „lieben Menschen“ zu wohnen, und über solche nachdenkend, fielen wir uns damals natürlich gleich selbst ein.

Es war Katrins kleine Wohnung, die wir Fried für seine Lesungen im Ruhrgebiet als Basislager zur Verfügung stellten, während wir nebenan zusammenrückten. Katrin war erst zwei Jahre zuvor – nach einem Westbesuch bei ihrer Großmutter in Oberhausen – nicht ins DDR-Elternhaus zurückgekehrt. Erich Fried wird sich in diesen Tagen gelegentlich wundern über uns als ungleiches Paar: den Ex-Spartakus-Studenten und seine eher nebenbei aus der DDR getürmte propere Freundin, eine Hebamme von Beruf, die dem einst DDR-kritischen, aber -solidarischen Linken bei der Austreibung der allerletzten Illusionen über „drüben“ behilflich war.

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