Für den Bochumer Kulturdezernenten Michael Townsend war das Kulturhauptstadtjahr 2010 ein „Durchlauferhitzer“ für Kulturinstitutionen. Im Haus der Geschichte des Ruhrgebiets zog er Bilanz für Bochum. Dabei ging er offensiv mit der kritischen Berichterstattung diverser Medien und der dort kommunizierten Skepsis um. Der Kulturdezernent räumte ein, dass es insgesamt Verbesserungen bedürfe, was die Kommunikation zwischen den einzelnen Beteiligten und die Kommunikation mit der Stadt betrifft. Lob erhielten vor allem die kreativen Köpfe Bochums.
„Machen wir uns nichts vor. Wir haben hier keine Puppenstuben-Altstadt. Aber wir haben die Kunst und die Kultur.“ Townsends persönliche Bilanz für Bochum als Begleiter und Gestalter fällt ambivalent aus: Große Teile der Bevölkerung – nicht nur Bildungsbürger – seien eingebunden und beteiligt gewesen. Nachhaltigkeit sei zwar nicht direkt durch die Kulturhauptstadt, jedoch in ihrer Peripherie entstanden. Für die Zukunft wünscht er sich Bochum als Bildungszentrum mit hochwertiger Kultur und einer eigenen kreativen Szene. Die Stadt habe enormes Potential und gute Aussichten auf ein Alleinstellungsmerkmal.
Sofern man nicht überambitioniert sei, könne man insgesamt zufrieden sein. Mit 25 Projekten Bochumer Institutionen sei man im Ruhrgebiet federführend gewesen. Dazu zitierte Townsend aus einem WAZ-Artikel („Bochum, die Kulturhauptstadt im Revier“) von Jürgen Böbers-Süßmann, in welchem dieser darauf verwies, dass an drei Tagen zum Teil über 80 Termine angeboten wurden und zu dem Urteil kam: Bochum ist die Kulturhauptstadt im Revier. Townsend lobte den Tenor des Zurufs. Schon vorab habe sich in Bochum ein kulturlastig orientiertes Bild geboten. Er fragt, ob eine Stadt dieser Größenordnung solch ein Kulturangebot benötigt und findet: Ja. Immerhin sei Bochum das größte Bildungszentrum der Region.
Trotz Kürzungen des Kulturbudgets um 18 Prozent war es gelungen, ein funktionierendes Konzept zu entwickeln. Townsend räumt ein: Nachdem die Haushaltsbilanz der Stadt vorlag, habe man keine Handhabe mehr im Bereich der freien Projektförderung gehabt. Mit 9 Millionen Euro Förderung konnte man immerhin das Fortbestehen vorhandener Kultureinrichtungen sichern, trotz konkreter Schließungsdiskussionen. Zurzeit verhandelt die Stadt Bochum die Übernahme der Jahrhunderthalle vom Land. Man sei bestrebt, einen möglichst risikofreien Vertrag für die Stadt auszuhandeln. Ansonsten würde man künftig nicht mehr mitbestimmen können, was in der Jahrhunderthalle passiert. Außerdem könnten die daran hängenden Projekte nicht realisiert werden.
Kreativität von Unten
Besonders für die freie Szene gab es viel Zuspruch. Diese sei in Bochum außerordentlich spannend. Riesiges Lob erntete das Rottstr5-Theater. Viele wollen wissen, wie es mit dem Viertel um die Rottstraße weitergeht und ob die Stadt daran beteiligt sein wird. Auf Nachfrage gerät Kulturdezernent Townsend ins Schwärmen: „Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, dahin zu gehen. Da geht die Post ab. Der Chef nimmt Ihnen das Geld ab, spielt drei Stunden, verkauft Ihnen in der Pause Bier und brät Ihnen `ne Bratwurst und geht dann wieder auf die Bühne. Da zahlen Sie zehn Euro und kriegen Fantastisches geboten.“ Gerne würde man es in die institutionelle Förderung aufnehmen. Leider könne man das Theater seitens der Stadt nicht fördern. Die Summe, die das Off-Theater von der Sparkassenstiftung erhält, reiche lediglich, damit es nicht schließen muss. Deswegen hofft er, dass noch mehr finanzielle Förderung dieser Art dazukommen wird. Er ist sich jedoch sicher, in keiner anderen Stadt wäre ein Erfolg der freien Szene wie in Bochum möglich. Denn hier gebe es insgesamt eine große Faszination für Theater. Besonders junge Leute könnten sich hier für Theater begeistern.
Townsend freute sich auch über die Nennung des Ehrenfelds in der Zeitschrift Prinz als das Viertel für Kreative. Er ist sich sicher, die Außenwahrnehmung des Ruhrgebiets ändert sich: „Manche gehen immer noch davon aus, dass hier Briketts durch die Luft fliegen. Dass sich daran etwas ändert, haben wir auch solch identitätsstiftenden Projekten wie den Schachtzeichen oder der Extraschicht zu verdanken.“ Aber auch für die Wahrnehmung Bochums stellt er einen Wandel fest. „Mit Anselm Weber sind wir wieder wer“, findet Townsend. Was die interkulturelle Kultur betrifft, ist der derzeitige Intendant des Bochumer Schauspielhauses für ihn wegweisend. Das zeige vor allem die Rezeption im Großfeuilleton. Als Beispiel nannte er Mahir Günsirays Faust-Inszenierung.
Europäisches Versprechen
Der Platz des europäischen Versprechens dagegen ist für so manchen eine eher peinliche Angelegenheit. Das offen angelegte Projekt wurde von der Stadt anfinanziert und scheint nun im Sande zu verlaufen. Townsend erklärt, die ursprünglichen Kosten hätten sich bereits verdreifacht, nicht zuletzt, weil die Materialwahl auf armenischen Granit gefallen war. Der Steinlieferant ist mittlerweile insolvent. Zumindest baulich werde das Projekt abgeschlossen. Die geplante Lichtinstallation wird von den Stadtwerken Bochum finanziert. Wegen des Armenien-Granits war es zwischen der Stadt und der lokalen Handwerksinnung zu Streitigkeiten gekommen. Die Innung warf der Stadt vor, sie habe den Auftrag ohne Ausschreibung an einen persönlichen Wunschlieferanten des Künstlers Jochen Gerz gegeben. Klaus Bielfeld, Obermeister der Bildhauer- und Steinmetz-Innung Bochum, kritisierte das Vorgehen als fiesen Filz und sagte, Bochumer Betriebe hätten das Material für einen deutlich geringeren Preis geliefert.
Kulturtourismus als Metropolenchance?
Für die kommende Dekade setzt er auf Kulturtourismus und Kreativquartiere. Townsend warnt jedoch, man dürfe Kreativwirtschaft nicht überbewerten. Die Thesen Richard Floridas (Toleranz, Technologie und Talent) seien zwar längst Allgemeingut geworden, dennoch sei Kreativwirtschaft nicht die Lösung für alles. Man arbeite derzeit intensiv an der Weiterentwicklung des Bereichs um Prinz-Regent und die Zeche, die sich seit 30 Jahren ohne Subventionen hält. Das Viertel, in dem auch das Musik-Label ROOF Records ansässig ist, soll neben dem Ehrenfeld und dem Viktoriaviertel ebenfalls ein eigenes Kreativquartier werden. Dazu müsse man die Ansprüche realistisch halten und Experten für fundierte Ausarbeitungen Zeit lassen. Dennoch plädiert der Kulturdezernent für gewachsene Strukturen und die daraus entstehenden Synergien. Er wünscht sich „konstruktiven Wettbewerb, um Konzepte für Exzellenz voranzutreiben.“