K-Wort benutzt: Gesine Lötzsch löst Kommunismusalarm aus

Gesine LoetzschSie hat es gesagt, genauer: sie wird es noch sagen. Aber geschrieben hat sie es schon, das K-Wort. Und sie ist immerhin die Vorsitzende der Partei Die Linke, die Gesine Lötzsch. Genauer: eine der beiden Vorsitzenden. Der andere ist Klaus Ernst und – aus einer ganzen Reihe von Gründen – irgendwie ein Problem. Aber die Gesine Lötzsch – nach Parteilogik das passende Gegenstück: weiblich, ostdeutsch, Reala – galt eigentlich immer als enorm vernünftig. Der Parteilogik folgend: irgendwie kein Problem. Und jetzt das! Lötzsch verwendet in einem Beitrag, den sie am Samstag auf der Konferenz „Wo bitte geht’s zum Kommunismus?“ das K-Wort, ohne gleichzeitig direkt darauf hinzuweisen, dass im Namen dieses K-Wortes schwerste Verbrechen begangen wurden – Massenmorde, der Archipel Gulag, die Berliner Mauer, eine chronische Unterversorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs, und im Tal der Ahnungslosen gab es nicht einmal Westfernsehen. 

Kein Wunder also, dass dieses K-Wort „Emotionen auslöst“, wie Bodo Ramelow das ausdrückt. Im Westen, versteht sich; und offenbar weiß die – wie gesagt: Ostdeutsche – Frau Lötzsch aus Berlin nicht, „welche Emotionen sie im Westen mit diesem Schlüsselbegriff auslöst“. Das vermutet jedenfalls der Vorsitzende der Linksfraktion Thüringens, der aus dem Westen stammt, obschon dieses neue Bundesland wie alle anderen neuen Bundesländer im Osten liegt. Kurzum: er weiß um der doch eher etwas negativ besetzten Emotionen, die mit dem schlimmen K-Wort insbesondere dort verbunden werden, wo schon seit der Ermordung Rosa Luxemburgs die Leute reflexartig Angst vor der Verstaatlichung ihres Kühlschranks bekamen. Zwar konnten damals nur ein paar reiche Leute in den USA einen Kühlschrank ihr eigen nennen, aber es gibt ja auch arme Leute, die gegen die Reichensteuer sind. Man weiß ja nie, vielleicht könnte sie einen doch irgendwann einmal stören, die Reichensteuer. Sicher ist sicher, und deshalb hätte Bodo Ramelow „das Wort Kommunismus nicht benutzt“.

Der Weg zum Kommunismus“ sei, so gab es der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Berliner Linkspartei Stefan Liebich verbindlich durch, „nicht Teil der Programmdebatte“. Sie wird die Linken in diesem Jahr nämlich verfolgen, und deshalb war es Liebich wichtig, einmal ganz klarzustellen, worüber geredet werden darf und worüber nicht. Zwar gab sein Kumpel, der jetzige Berliner Vorsitzende Klaus Lederer zu Protokoll, „Gesine Lötzsch bislang nicht als eine Vorsitzende erlebt (zu haben), die die Linke in eine kommunistische Partei umwandeln will“; doch Liebich hatte das jetzt gelesen. Und zwar auf Spiegel Online: „Programmdebatte: Linke-Chefin erklärt Kommunismus zum Ziel der Partei“. Da haben wir es! Das sind schon Profis. Nein, nicht die Vereinigung der Vorsitzenden aller möglichen Linken, sondern die Jungs von Spiegel Online. So macht man das.

Man knöpft sich Lötzschs Text vor, der in der Jungen Welt veröffentlicht wurde und dem bis dahin kein Mensch verständlicherweise auch nur die geringste Beachtung geschenkt hatte, sortiert ihn in freier Interpretation in die Programmdebatte der Linkspartei ein und stellt – noch freier interpretiert – fest: „Linke-Chefin erklärt Kommunismus zum Ziel der Partei.“ Immerhin hatte die Chefin bemerkt: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“ Damit steht die Überschrift: Linke will Kommunismus. Was wohl das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED zu dem Vorschlag gesagt hätte, sich auf den Weg zu machen und auszuprobieren? Egal, das K-Wort ist gesprochen, und Kommunismus ist Kommunismus. Allerdings erfahren wir von Gesine Lötzsch nicht so ganz genau, was das eigentlich ist, dieser Kommunismus. Typisch: der Kommunist ist gerissen und verschleiert seine Ziele. Ein kleiner Hinweis findet sich allerdings doch in ihrem Text: „Wenn Kommunismus das Gemeinschaftliche betont und der Liberalismus den einzelnen, dann wollte Rosa Luxemburg beides zugleich.“ So wollte es Otto Schily eigentlich auch; doch dem war immerhin klar, dass das irgendwie nicht gehen kann.

Gesine Lötzsch feiert Rosa Luxemburg, was insofern clever ist, als dass die ultralinke Szene ihre Helden braucht und sich mit Rosa Luxemburg gewiss die richtige ausgesucht hat. Bei Lötzsch wird aus Luxemburg eine „radikale demokratische Sozialistin und konsequente sozialistische Demokratin“, was gewiss zwei verschiedene Aspekte dieser herausragenden Persönlichkeit markieren soll, mit der sich „der sowjetische Parteikommunismus“ nicht „versöhnen“ konnte. Wir können nur erahnen, dass sich bei Gesine Lötzsch alles ganz ähnlich verhalten dürfte wie bei Rosa Luxemburg. Doch bei Spiegel Online hat man Anderes im Sinn. Man ruft ganz einfach mal den Alexander Dobrindt an, also den Generalsekretär der CSU, und fragt ihn, was er davon hält, dass Frau Lötzsch jetzt den Kommunismus zum Parteiziel der Linken erklärt habe. Und dann sagt der:  „Frau Lötzsch stellt sich außerhalb unserer Verfassung. Wer den Kommunismus zum Parteiziel erhebt, greift die freiheitlich demokratische Ordnung unseres Grundgesetzes an.“ Damit steht die Überschrift: „Kommunismus-Bekenntnis: CSU fordert Totalüberwachung der Linken“. Man füge den eigenen Recherche-Ergebnissen schnell noch eine profunde Analyse des Geschehenen hinzu: „Der Text war eine Steilvorlage für den politischen Gegner“, und fertig ist die Lauge.

Da inzwischen auch CDU-Generalsekretär Gröhe angefangen hat zu toben, ist auch Frank-Walter Steinmeier, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, über das Stöckchen, das ihm die Abteilung Antikommunismus hingehalten hat, gesprungen. Das Hamburger Abendblatt ließ er wissen, dass er sich „an den Kopf“ fasse, dass Lötzsch „zurück zum Kommunismus“ wolle, also „dorthin, wo wir Unfreiheit und Misswirtschaft 70 Jahre regieren sahen“. Angeblich rief er die Führung der Linkspartei zu einer raschen Klärung auf. Wen bitte? Wörtlich sagte er dem Abendblatt, er sei „gespannt, wie sich die anderen Führungsfiguren der Linken dazu äußern würden“. Ja, das ist aufregend. Oder sagen wir: es wäre aufregend, wenn Spiegel Online nicht längst des Dramas dritten Akt aufgeführt hätte: die Reue. „Die Linke ist linkssozialistisch, wir sind und werden keine kommunistische Partei. Und ich werde auch kein Mitglied der kommunistischen Plattform“, erklärte die gescholtene Parteiführerin. Klare Abgrenzung vom Kommunismus, und überhaupt habe sie das K-Wort nur deshalb benutzt, weil es im Titel der Veranstaltung am 8. Mai auftaucht. Und wenn man sie fragt, warum es die Linkenvorsitzende überhaupt für nötig erachtet, mit der DKP-Chefin und einer Ex-RAF-Frau zu diskutieren, erklärt sie, sei es ihr „Ansporn, im Publikum auch diejenigen für die Linke zu gewinnen, die unsere Partei für zu angepasst halten„. Entsprechende Vorbehalte gegen die Linke gäbe es nämlich im „linksextremen Milieu“.

Ach so ist das also. Wobei wir jetzt schon wieder nicht wissen, ob Gesine Lötzsch die Linkspartei dem linksextremen Milieu anpassen möchte oder aber das Milieu an die Partei. Vermutlich wird es ein offener Dialog; man wird es ja schon sehen. Immerhin kommt Lötzsch mit konkreten Ansätzen einer „revolutionären Realpolitik“ im Sinne Rosa Luxemburgs, selbstverständlich auf der Höhe der Zeit: energetische Gebäudesanierung, CO2-freie Städte, Verlagerung des Transports auf die Schiene. „Heißt das neuerdings Kommunismus?“ spottet die taz. Wenn das die ultralinken Straßenkämpfer vom Schwarzen Block auch lesen, hat Lötzsch am Samstag auf der Konferenz schon wieder ein Problem. Sie will dazu auffordern, „für einen Richtungswechsel der Bundespolitik zu kämpfen“ – so heißt es im Text. Vermutlich ahnt sie nicht, um noch einmal Ramelow zu zitieren, „welche Emotionen sie im Westen mit diesem Schlüsselbegriff auslöst“. Mit diesem R-Wort: Richtungswechsel. Da fährt die Szene aber voll überhaupt nicht drauf ab. Es müssen schon die K-Wörter sein: Kommunismus, Klassenkampf, Kackbratze. Mal sehen, ob sie das checken wird, die Gesine …

Der Ruhrpilot

Ruhrgebiet: …wird zu Megacity…Schweizer Fernsehen

Ruhr2010: Der große Rock’n’Roll-Schwindel…Welt

NRW: Zehn-Punkte-Plan im Dioxin-Skandal…Der Westen

Duisburg: Loveparade-Opfer erschrocken über sich selbst…Der Westen

Dortmund: Pfusch am U-Turm ist unübersehbar…Der Westen

Dortmund II: Feiern feiern unter Polizeischutz…Ruhr Nachrichten

Bochum: Nazis werden dreister…Bo Alternativ

Online: Pirat wirbt Holocaustleugner…Isis

Blogs: Gestiegenes Interesse an der Bloggerin des Jahres…Kaffee bei mir?

Blogs II: Erst mal abwarten…Blogbar

Recht: Ablaufdatum für Musik und Filme…Law Blog

Weiter Wahnsinn wagen

Intendant Arne Nobel zieht Bilanz/Foto: Chantal Stauder

Wer noch immer glaubt, in Bochum gebe es keine Künstler, wird im Falle des Bochumer Rottstr5-Theaters eines Besseren belehrt. Das hat kürzlich auch die Sparkasse Bochum eingesehen. Die Sparkassenstiftung gewährt dem Off-Theater erst- und einmalig eine Projektförderungssumme in Höhe von 25.000 Euro. Die neue Spielzeit steht unter dem Motto Kulturhauptstraße Rott 2011 und widmet sich im kommenden Jahr den Nibelungen. Nach 16 Monaten Wagnis zieht Arne Nobel, Intendant des Rottstr5-Theaters, im Interview Bilanz.

Stand das letzte Jahr noch im Zeichen Trojas, knüpft sich die Rottstraße mit den Nibelungen in den kommenden Monaten die ganz großen Themen vor. Die WG-Probleme von Lieschen Müller überlassen sie lieber dem Stadttheater. Zu den Nibelungen ist monatlich eine Premiere geplant. Den Auftakt beginnt das Theater mit Superheld Siegfried. Brauchen wir heute noch Helden? Eine Antwort sollte bis März gefunden werden, denn dann widmet sich Regisseur Hans Dreher auch schon Siegfrieds Tod. Außerdem wird ein Trauerspiel von Hebbel zu sehen sein. Fürs Frühjahr ist darüber hinaus unter dem Titel Die Nibelungen lesen eine 24-Stunden-Non-Stop-Lesung geplant. Dazu ruft das Rottstr5-Theater Bochumer Autoren, Journalisten und Schulklassen auf, kurze Texte oder Gedichte zu verfassen und diese bei der Lesung selbst vorzutragen. Interessierte hauen in die Tasten und schicken ihre Texte per E-Mail an: mail@rottstr5-theater.de

6 Schuss, 6 Monologe

Wer nicht so lange warten möchte, kann sich bei der Premiere von Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ (Regie: Oliver Paolo Thomas) am 22. Januar davon überzeugen, ob die Hölle wirklich die Anderen sind. Unter der Moderation der Heiligen Drei Könige (Arne Nobel, Hans Dreher und Felix Lampert) findet zudem am Donnerstag um 19.30 Uhr eine visuell unterstützte „innerdeutsche Aufarbeitung“ der Vergangenheit des ehemaligen „Elitesoldaten“ Dreher statt. Zu Beginn der Woche wurde der vorläufig letzte Jahrgang für die Bundeswehr eingezogen, vielleicht auch deshalb überträgt Einslive Plan B am 6. Januar die Aufarbeitung der Militärgeschichte des Regisseurs Hans Dreher beim Three-Kings-Jukebox-Bingo im Bochumer Rottstr5-Theater.

Vom 7. bis zum 9. Januar findet das Revolver-Wochenende unter dem Motto „6 Schuss. 6 Monologe.“ statt. Am ersten Abend sind Richard III. und Nach Troja (Heimkehr) zu sehen: Zwei Kriegshelden, die gleichzeitig auch Opfer sind. Am Samstag folgt das Duett aus S.-Requiem für Sylvia Plath und Werther, zwei traurige Briefe- und Gedichteschreiber. Diese werden am Sonntag von den Utopisten abgelöst. Der eine träumt den Traum eines lächerlichen Menschen und der andere genießt Wodka in Dublin. Mit der neuen Spielzeit kehrt auch Cosmic Baseball zurück in die Rottstraße.

Es folgen 15 Fragen zur Finanzspritze, Kulturhauptstraße Rott 2011 und dem Traum vom freien Theater:

"Es klappt alles, das ist der größte Erfolg." / Foto: Chantal Stauder

Wie fällt euer Fazit für das Jahr 2010 aus? Kann man sagen, dass es ein erfolgreiches Jahr für euch war?

Unfassbar erfolgreich. Wir haben es geschafft, jeden Monat mindestens eine Premiere zu veranstalten. Wir sind unglaublich gewachsen was das Personal angeht. Die Crew hat sich vergrößert. Bei der Weihnachtsfeier zum Beispiel, die wir in diesem Jahr veranstaltet haben, sagte die Hälfte ab und wir saßen trotzdem mit mehr als 20 Personen da, die man alle sehr lieb gewonnen hat. Es gibt Geschichten und Verbindungen zu mehr als 20 Menschen, was auch ein persönlicher Erfolg ist. Der Laden trägt sich selbst, von den Zuschauerzahlen her. Alle Kritiken zu allen Stücken, die man gemacht hat zeigen, es ist nichts gefloppt, was unfassbar ist. Natürlich sind wir auch stolz auf die Nennung zum Theater des Jahres in verschiedenen Zeitungen. Wenn man bedenkt, dass wir vor einem Jahr noch ein Geheimtipp waren und jetzt überregional solch eine Resonanz erhalten, wird es schwer, die Erfolge noch zu toppen. Wir bekommen viele Anfragen von außerhalb, was toll ist. Der große Erfolg ist, dass anscheinend alles klappt. Wir haben unsere Ideen verwirklicht. Zum Beispiel Carsten Marc Pfeffer für vier Tage zu uns einzuladen, damit er über den Probenprozess bloggt. Und herausgekommen ist ein unglaublich toller Text. Auch, dass wir nach über 13 Jahren wieder mit Björn Geske zusammen arbeiten. Und das Tollste ist, der Laden macht auch noch Spaß! Vor allem unser Kinder- und Jugendtheater. Es klappt alles, das ist der größte Erfolg.

Welche besonderen Momente gab es für euch im letzten Jahr?

Jede Premiere war richtig schön, so dass man merkte, dass man es wieder mal geschafft hat. Ganz besonders Räuber Hotzenplotz. Und das ist jetzt keine Koketterie. Niemand musste zum Dienst eingeteilt werden. Alle waren da und haben geguckt, was die wundervollen Truffaldinos (Anm.: Jugendclub des Rottstr5-Theaters) auf die Bühne gebracht haben. Traurig war, das Konzert von Bad Boy Boogiez verpasst zu haben, weil ich krank war.

Was hat es mit dem Slogan „Kulturhauptstraße Rott 2011“ auf sich?

Ich war enttäuscht von der Kulturhauptstadt.2010 und habe überlegt, was fand ich gut, was kann man besser machen, was sollte öfter stattfinden, was war schön? Das war der Gedanke, natürlich mit einem Augenzwinkern. Es war nur überraschend, dass sich daraus direkt Kooperationen entwickeln und jeder eine Idee hat, was man machen könnte, um den Mächtigen zu beweisen, dass man nicht Milliarden ausgeben muss. Wir schaffen was Eigenes, was Nachhaltiges. Dazu ist genug Potential in der Rottstraße und in Bochum vorhanden.

"Wir haben keine Angst mehr vorm Scheitern." / Foto: Chantal Stauder

Was kannst du über die Subventionen seitens der Bochumer Sparkasse verraten?

Wir haben uns beworben und mit Herrn Townsend gesprochen, der einen Ausgabenstopp von der Stadt auferlegt bekommen hatte. Wir haben ihn nach Möglichkeiten der Förderung gefragt. Er hat uns dann auf die Sparkassen Stiftung hingewiesen. Dort haben wir dann ganz normal einen Förderungsantrag gestellt. Sie haben uns gewogen und für schwer genug befunden, wofür wir sehr dankbar sind. Wir haben viele angesprochen. Die Stadtwerke sind nun Werbepartner und der Intershop, der für mich die zweite große Kulturinstitution in Bochum ist. Lobo (Anm.: Friedhelm „Lobo“ Kerskis) vom Shop unterstützt uns also auch.

Euer Wunsch vom letzten Jahr nach finanzieller Förderung wurde erfüllt, was steht nun auf der Wishlist?

Der Wunsch ist teilweise erfüllt worden. Wir hatten die Befürchtung, eine Förderung könnte korrumpieren. Aber die Summe ist nicht so hoch, deswegen glaube ich nicht, dass es da eine Gefahr gibt. Wir werden uns unseren fröhlichen Anarchismus bewahren. Die Produktionsbedingungen werden im Grunde gleich bleiben. Die Summe ist eher eine Überlebensrettung. Ich wünsche mir, dass wir das Niveau halten und die Stücke für die Nibelungen so machen können, wie wir uns das vorstellen. Und, dass wir uns nicht untreu werden. Ein Zuschauer sagte zu mir, wir sollten weiterhin so demütig bleiben, aber den Kopf höher tragen.

Welche Erfahrungen nehmt ihr aus dem Jahr für 2011 mit?

Dass man Montage freimachen muss, was natürlich nicht immer klappt. Dass man genau diesen ganzen Wahnsinn weiterhin wagen muss. Dass wir unsere Ideen weiterhin verfolgen sollten. Wir nehmen auch unheimlich viel Selbstbewusstsein mit. Wir haben keine Angst mehr vorm Scheitern.

Welche Stücke sind am besten besucht?

Fight Club, das ist anscheinend irgendwie Kult. Da gehen die Leute auch mehrfach rein. Aber insgesamt pendelt es sich alles so zwischen 20 und 30 Leuten ein. Zum Beispiel bei der letzten Werther-Vorstellung, da wurden die Hälfte der Reservierungen wegen des Schneesturms abgesagt und plötzlich stehen um kurz nach 19 Uhr schon 15 Leute da.

Welche Inszenierung würdest du jemandem empfehlen, der noch nie im Rottstr5-Theater war?

Das kommt immer darauf an, wem ich das empfehlen soll. Jemandem, der nicht oft ins Theater geht würde ich Fight Club empfehlen. Wer gerne ins Theater geht, sollte sich Fräulein Julie ansehen.

Warum sollte man gerade euer Theater unterstützen?

Weil wir ehrlich und authentisch sind. Weil wir es alleine auf die Beine gestellt haben. Weil jeder, der kommt sieht, dass wir versuchen, die Welt damit ein wenig besser und schöner zu machen. Und weil es funktioniert und wir die Kohle nicht für irgendeinen Technikscheiß ausgeben, sondern nur für das Nötigste und immer nur, um weiterzumachen.

Schlingensief sagte der Neuen Zürcher Zeitung im Juli 2010 im Interview: „Die meisten Intendanten heute sind so kleine, zarte Pflänzchen, die ihr Programm mixen – ein Stück für die Oma, ein anderes für den Opa, für die Jugend ein wenig Hip-Hop oder Punkrock und für die Kinder Trallala. Ich finde aber, dass man das Theater auf diese Weise einfach nicht ernst nimmt, auch wenn man damit Zuschauerzahlen erzielt.“ Macht man das Theater in seiner Grundexistenz auf diese Weise wirklich platt?

Ja, ich habe den Verdacht, dass sich da abgeschafft wird. Wenn du ein starker Intendant bist, wie Peymann (Anm.: Claus Peymann übernahm 1979 die Intendanz am Schauspielhaus Bochum) oder Steckel (Anm.: Frank-Patrick Steckel übernahm die Intendanz ab 1986), dann können sich Kulturdezernenten dich nicht mehr leisten. Jemanden wie Schlingensief zu engagieren, Gott hab ihn selig, jemanden, der immer Position bezieht, das ist auch für Kulturverantwortliche schwierig. Haußmann (Anm.: Leander Haußmann übernahm 1995) hat mal gesagt, ein Stadttheater darf sich für nichts zu schade sein.

Muss Theater kommunizierbar bleiben?

Auf jeden Fall. Theater ist Kommunikation. Das ehrlichste und direkteste Medium. Es kann jederzeit etwas passieren. Die Vorstellung kann unterbrochen werden. Es ist auch toll, wenn Schauspieler abends miteinander sprechen. Das ist ja meine Hoffnung. Statt, dass man ständig etwas vorgesetzt bekommt, wie im Fernsehen. Das Theater ist uralt als der Aufstand der Menschen gegen die Götter. Ich hoffe, dass es eine Rückbesinnung ist, dass Menschen mehr Lust haben darauf. Es ist große Kommunikation, da gibt es die großen Themen.

Ist freies Theater Utopie, stirbt es aus oder ist das nur sein Ruf?

Ich glaube nicht, dass es ausstirbt. Die Frage ist, was man als freies Theater bezeichnet. Weder freies, noch kleines Stadttheater stirbt aus. Die großen Stadttheater sind zu teuer mit ihrem Apparat und nicht schnell genug. Es wird immer mehr freie Truppen und Theater geben. Wir entwickeln uns wieder zu dem fahrenden Volk, das wir einst waren. Bei staatlich subventioniertem Theater besteht die Gefahr, dass es langweilig wird. Da passiert vorher einfach viel zu viel, anstatt einfach Theater zu machen und die Künstler was Tolles produzieren zu lassen. Das kann man eher in der freien Szene machen. Natürlich sind die Leute enttäuscht, die in den 80er und 90er Jahren angefangen haben, die wurden zunächst viel subventioniert. Aber es gibt noch genug Irre, die diese Sehnsucht, diesen Zwang empfinden, sich auszudrücken, vor allem in unserer überdigitalisierten Welt.

Was war deine beständigste Motivation, freies Theater zu machen?

Die Freiheit.

Was motiviert dich weiterzumachen, wenn du mal zweifelst?

Die Verantwortung, die ich für die anderen trage. Mitarbeiter, Schauspieler, Assistenten, die ohne Kohle ihre Freizeit opfern, um Theater zu machen. Ja, die Verantwortung, das gut hinzukriegen und natürlich der Zuspruch des Publikums, wie ich glaube jeder Künstler. Außerdem ist es wie eine Sucht.

Wem möchtest du an dieser Stelle unbedingt einmal Danke sagen?

Bochum. Und meiner Crew.

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Der Ruhrpilot

Blogger: Aufgepumptes Strichmännchen…Bo Alternativ

Ruhr2010: „Den Reichtum Europas zeigen“…Wiener Zeitung

Dioxin: NRW veröffentlicht Stempelnummern…RP Online

NRW: Leichter Anstieg der Arbeitslosenzahlen…RP Online

Ruhrgebiet: Interview mit von der Beck und Tönnes…Pottblog

Dortmund: Kay Voges zieht sein Resümee nach 100 Tagen…Der Westen

Duisburg: Gewalt im Nahverkehr an der Tagesordnung?…Der Westen

Essen: Zeitenwende für Oper und Philharmonie…Der Westen

Internet: Vorträge zum Urheberrecht…Netzpolitik

Studie: Ungleichheit in Deutschland nimmt rasant zu…Zoom

Kultur: Ich mag Beuys und Beuys mag mich…Mimi Müller

Nachhaltigkeit bei der Ruhr.2010 – Die Schilder stehen noch

Die Ruhr.2010 hört nicht einfach auf, nur weil das Jahr zu Ende  ist. Dann müsste auch Schröders Agenda 2010 seit Neujahr Geschichte sein. Die Kulturhauptstadt setzt auf Nachhaltigkeit.  Angeblich kamen 10,5 Millionen Besucher. Das klingt gut. Aber selbst das spanische Provinzstädtchen Santiago de Compostela hatte im letzten Jahr 9,2 Millionen Gäste. Gut, da war 1 Papst dabei. An die Ruhr reisten immerhin gleich zwei Bundespräsidenten. Letztlich müssen die Ruhr.2010-Besucherzahlen enttäuschen. Denn in einer Umfrage aus dem Jahr 2008 gaben 69 Prozent der Bundesbürger an, „sicher“ oder „vielleicht“ die Kulturhauptstadt zu besuchen. Das wären immerhin 55 Millionen gewesen. Rückblickend blieb dann doch viel Luft nach oben.

Anlass für das gestern Abend eigens gegründete Callcenter Ruhr.2011, einmal nachzufragen mit Forsa-Methoden. Mit ungebeten Anrufen zur Abendbrotzeit. Warum die Menschen fernblieben und wie man sie 2011 vielleicht doch noch im Zuge der Nachhaltigkeit hierher locken kann. Erste Stadt: Osnabrück. Gut eine Stunde vom Ruhrgebiet entfernt und mit Kultur nicht allzu arg gesegnet.

Callcenter:  „Schüling von der Kulturhauptstadt Ruhr.2011. Haben Sie davon schon mal etwas gehört?“

Herr H.: „Sie wollen mir sicher etwas verkaufen?“

– „Nein, nur nachfragen.“

– „Davon habe ich gehört, auch davon im Fernsehen gesehen.“

– „Viele Bundesbürger hatten vorher die Absicht bekundet zur Kulturhauptstadt zu kommen. Sie waren auch nicht da?“

– „Nein, wir waren auch nicht da.“

– „Gibt es gute Gründe dafür?“

– „Da gibt es eigentlich keine Gründe. Wir hatten auch die guten Vorsätze. Wir haben aus gesundheitlichen Gründen die Fahrt nicht auf uns genommen.“

– „Wir sind ja nachhaltig. Wir haben die Hinweisschilder alle stehen gelassen, die Museen auch. Wir wollen im März das Still-Leben auf der Autobahn wiederholen, aber dieses Mal nicht mit den blöden Tischen, sondern mit Autos, 60 Kilometer Dauerstau. Wäre das was für Sie?“

– „Daran würden wir sicher nicht teilnehmen.  Wir hören sehr häufig von… weil wir Cousins und Cousinen in Gelsenkirchen haben. Die jüngste Tochter wohnt in Düsseldorf, so dass wir den Raum mehrmals jährlich wahrnehmen.“

. Fazit: Unentschuldigtes Fehlen. Immerhin ist der Mann schuldbewusst. Wenn man ihn in einen typischen A40-Stau lotsen könnte, würde er den Raum noch intensiver wahrnehmen als ihm lieb ist.

Nächster Umfrageteilnehmer. Herr A., unwirsch. Es ist 19.18 Uhr:

A: „Um diese Zeit rufen mich fremde Leute nicht mehr an!!“ (aufgelegt)

Fazit: Freunde wohl auch nicht.

Der freundliche Herr K. tritt gleich die Vorwärtsverteidigung an.

Herr K: „Ich hatte nicht gesagt, dass ich kommen würde.“

– „Nicht schlimm. Wir arbeiten nachhaltig. Wir reißen die Revierkulisse jetzt nicht ab, nur weil das Jahr vorbei ist. Sie können auch 2011 kommen.“

– „Man hat ja das ein oder andere auf Arte gesehen, aber ich war hier so eingebunden…“

– „Wir haben 60 Millionen fürs Programm rausgehauen, 150 Millionen für neue Museen. Nachher kommen wieder Klagen, von wegen Steuerverschwendung. Daran sind dann aber eigentlich die Leute schuld, die einfach weggeblieben sind.“

– „Ja, da können Sie doch nichts dafür.“

– „Wir wiederholen auch dieses Still-Leben auf der A40. Dieses Mal mit Autos.

– „Autos? Das klingt skurril“

– „Skurril? Ich bitte Sie, Tische auf der Autobahn sind skurril. Wir wollen am 20. März die Autobahn komplett zustauen. Ich hätte da einen Platz für Sie. Ab 13 Uhr, Auffahrt Bochum-Stahlhausen Richtung Essen.“

– „Im Moment… ich weiß noch nicht.“

– „Wir wollen die Strecke komplett dichtmachen, von Dortmund bis Duisburg.“

– „Duisburg, da habe ich gemischte Gefühle. Der Sohn meines besten Freundes ist da auch umgekommen.“

– „Oh, dann ist Duisburg kein gutes Thema. Aber wir arbeiten daran, diesen Oberbürgermeister loszuwerden.“

– „Ja, vielen Dank. Man möchte nicht darüber nachdenken.“

Fazit: Die Toten der Loveparade sind wirklich nachhaltig tot. Sauerland aus dem Amt zu entfernen, wäre mal ein wichtiges nachhaltiges Projekt.

Die nächsten Versuche führen nach Sachsen-Anhalt. Ins Land der Frühaufsteher. Immerhin war die Ruhr.2010 auch ein hervorragendes Angebot an die Ossis, den Westen einmal zu erkunden. Denn kulturell unterscheidet sich der Pott wenig von Orten wie Bitterfeld oder – Dessau.

Frau R: „Erstens sind wir viele hundert Kilometer entfernt, zweitens sind wir beide Rentner. Und bei dem Wetter ins Auto setzen, und eine eventuell verstopfte Autobahn zu erwischen, nein danke.“

– „Wir haben nicht nur im Winter Kultur gemacht…“

„Ich habe einen sehr heißen Draht nach Gelsenkirchen. Mit dem Kumpel schreibe ich schon ewig per Computer. Alles was sich dort tut, kriege ich mitgeteilt. Der schickt mir Fotos, von den Wanderungen, von allem, was sich da abspielt.“

– „Wenn wir einen Reisebus in Ihre Gegend schicken, im Sommer, würden Sie dann vielleicht kommen?“

– „Kommt auf unsere Gesundheit an, die ist zur Zeit ziemlich angeschlagen. Das ist mehr als eine Grippe. Das wäre eine Strapaze, die wäre sehr gut zu überlegen.“

Fazit: Vorsicht. Offensichtlich alte Stasi-Seilschaft in den Westen. Weiß über alles Bescheid. Auch über ominöse Wanderungen. Krötenwanderungen? Linken-Nacktwanderungen auf Halden? Wählerwanderungen? Auf keinen Fall einladen.

Offensichtlich deutlich jünger ist die nächste Befragte, ebenfalls Dessau.

Frau F.: „Wollen Sie jetzt Werbung machen?“

– „Das haben wir nicht nötig. Da sind wir selbstbewusst. Wir hatten Millionen an Steuergeldern zur Verfügung, da muss man keine Werbung machen. Sie haben nichts gehört, etwa von der Loveparade?“

– „Das interessiert mich weniger.“

– „Oder vom Still-Leben, als die Leute auf der Autobahn rumgesessen haben?“

– „Gehört habe ich. Aber das interessiert mich nicht. Ich suche mir meine Angebote selber raus. Schönen Abend noch.“

Fazit: Offensichtlich hat nicht einmal die Super Illu hat über das Duisburg-Massaker berichtet. Kein Ostdeutscher unter den Toten. War ein Fehler. Und das mit dem selber raussuchen, das durften die früher doch auch nicht.

Interessierter erscheint der nächste Umfrageteilnehmer. Er. hat „grob“ von der Kulturhauptstadt gehört.

Callcenter: „Sind wir zu weit weg für Sie?“

Herr O.: „Ja, auch, auch.“

– „Auch?! Spricht mehr gegen uns?“

–  „Ja… nee… was heißt jetzt gegen Sie?“

– „Sie können offen reden, die Umfrage ist anonym.“

– „Das Ruhrgebiet kennen wir jetzt nicht so. Es steht aber nicht so für Attraktivität, dass wir uns das touristisch reinziehen würden.“

Auch die Vorstellung des Still-Lebens reloaded fruchtet nicht:

O.: „Wenn Sie den Weg durch die A 2 nehmen, und haben da einen Künstler, der einen Stau anbietet, haben aber schon die ganze Zeit im Stau gestanden und sind froh, dass Sie daraus sind, nee, das ist dann nicht so das Thema. Kann man so nicht sagen.

– „Dessau bietet also genug Kultur?“

– „Kann man so nicht sagen.“

Fazit: Keine Ahnung, aber seine Vorurteile pflegen. Soll die höllische Innenstadt von Dessau genießen. Hätte man das Still-Leben als kollektives Schlangestehen verkauft, wären wahrscheinlich busseweise Menschen gekommen aus dem Land der Frühaufsteher.

Zurück nach NRW, in die Berge, wo schon das Krähen des Hahns als Event durchgeht. In die Stadt, von der es heißt, sie sei schlimmer als Verlieren. Nach Siegen. Eine Stunde bis Dortmund. Frau K., sehr rege, mit englischem Akzent.

Frau K.: „Wir sind aber im Auslandsgebiet, in Siegen.“

– „Das war aber die Europäische Kulturhauptstadt und sollte sogar Menschen aus Stuttgart ansprechen. Na gut, die haben im Moment andere Attraktionen.“

– „Oh, Glasgow war auch mal Kulturhauptstadt. It was a good support for us.  Mein Mann ist Däne mit schwedischem Hintergrund, und ich komme aus Schottland.“

– „Da sind Sie mit dem Hintergrund ideale Ansprechpartner.“

– „Jetzt bekomme ich ein schlechtes Gewissen.“

– „Wir wollten damit auch Werbung machen für das Ruhrgebiet.“

– „In Siegen gab es auch ein langes Kulturwochenende. Wahnsinnig viele Leute haben da gesehen, dass Siegen gar nicht so hässlich ist.“

– „Zum Glück war es nicht in Hagen.“

– „Oh, Hagen hat eine sehr gute Oper…“

– „Dann wäre der Day of Song was für Sie gewesen. There was a big concert  in Gelsenkirchen, in the football stadium, with about 60 000 participants…“

– „Ich mag solche Großveranstaltungen nicht. Neulich waren wir  in Olpe beim Kammerorchester Sankt Petersburg mit einem tollen Flügelhornspieler. Ich kannte ihn nicht, er soll aber sehr berühmt sein.“

Fazit: Der Mann mit dem Flügelhorn heißt Sergej Nakariakow, ist wirklich toll. Wenn mal ein toller Usbeke im Muttental Nasenflöte spielt, melden wir uns. Der englische Akzent war schottisch.

Zusammenfassung: Entweder haben die Menschen in der Vorab-Umfrage gelogen, um nicht als Kulturbanausen da zustehen, oder die Umfrage war von Forsa. Aus Interesse wird keiner kommen. Mitleid und Schuldbewusstsein könnten zur Reise ins Ruhrgebiet motivieren. Für Duisburg bleibt die Nische des Trauertourismus.

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Der Ruhrpilot

Reemrenreh von Bogomir Ecker, Foto: Roman Mensing / EMSCHERKUNST.2010

Ruhrgebiet: Die Flussbereinigung…Zeit

Medien: Wer hat das Zeug zum Schimi?…Bild

Medien II: ARD-Vorsitzende Piel will Geburtsfehler des Internets beseitigen…Netzpolitik

NRW: Laumann fordert Bund zur Hilfe für Kommunen auf…RP Online

NRW II: Auch die NRW-FDP setzt auf Westerwelle…RP Online

Ruhrgebiet II: Kuball erleuchtet das Revier…RP Online

Ruhr2010: 2-3 Strassen..Mimi Müller

Dortmund: Hopfen und Malz, der Pott erhalt’s…Spiegel

Essen: …spart – und die Essener sagen wo…Der Westen

Essen II: Bahn und Baufirmen streiten um Millionen…Der Westen

Duisburg: Türkische Buchmesse lockte 30.000 Besucher…Der Westen

Duisburg II: Ausstellung zu jüdischer Geschichte…Der Westen

Gladbeck: Hitlergruß in Gladbecker Feuerwehr…Indymedia

Wirtschaft: Vorschau auf 2011…Weissgarnix

Immobilien: Die feinsten Ecken im Revier…Der Westen

Internet: Bloggerin des Jahres wählen…Kaffee bei mir?

Handy: Jens testet Mozart…Pottblog

Eigene Stärken bewusst machen, sich helfen und was sonst noch wichtig ist

Geht nicht, gibts nicht“, hat sie gesagt. Eine Heimwerkerweisheit, die ich nicht nur schon immer für unzutreffend gehalten habe, sondern auch – ich will es mal so sagen: für nicht besonders geistreich, dafür aber für ziemlich lästig. „Wohlergehen und Wohlstand ­ das heißt nicht nur ,mehr haben`, sondern auch ,besser leben`. Dafür brauchen wir Sie: die Menschen, die etwas besser machen wollen, die sagen: Geht nicht, gibts nicht“, sprach die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache. Und auch dies: „Deutschland ist so erfolgreich, weil Sie Tag für Tag Ihre Arbeit machen. Sie sind früh morgens auf den Beinen.“ Ja, ich weiß, ist schon okay – da braucht sich niemand drüber aufzuregen. Über die Neujahrsansprache letztes Jahr hatte sich Claudia Roth „entrüstet“ – okay, ich weiß: auch so etwas soll vorkommen. Sie ahnen nicht warum. Angela Merkel hatte nämlich von einer „Sanierung der Staatsfinanzen“ gesprochen, aber ein „Schuldenvermehrungsgesetz“, so Frau Roth, durch den Bundesrat „gepeitscht“. Starkes Stück, nicht wahr?

Dieses Jahr ist es ruhig geblieben um der Kanzlerin warme Worte. Bislang jedenfalls. Dabei … – Schuldenvermehrung und so, diesmal hätte Claudia Roth eigentlich allen Grund, sich zu echauffieren. Merkel hatte nämlich auch gesagt, … – tun Sie mir bitte den Gefallen und sagen es der Roth nicht! Also, Merkel sagte: „Der Euro ist die Grundlage unseres Wohlstands. Deutschland braucht Europa und unsere gemeinsame Währung. Für unser eigenes Wohlergehen wie auch, um weltweit große Aufgaben zu bewältigen.“ Mehr nicht, jedenfalls nicht zum Euro. Aber immerhin. Nicht, dass die Roth das hört! Man könnte ja – böswillig interpretiert – da eventuell herauslesen … Und die meisten Nachrichtenredaktionen haben genau dies herausgelesen. Gut, dass sie nicht auch gesagt hat: „Gute Freunde sind da, um zu helfen, wenn es einer braucht“. Andererseits: gute Freunde, sich einfach mal Helfen, also Solidarität und so …

Das wäre doch eigentlich etwas für die Claudia Roth. Nun ja, egal, das wäre wahrscheinlich doch etwas zu riskant gewesen. Die Merkel regiert ja nicht allein für die Roth, wenn man sich nicht einmal bei der so ganz sicher sein kann. Jedenfalls hat sie wahrscheinlich gut daran getan, es nicht zu sagen. Dafür hat es aber jemand anders gesagt. Ja, das mit den guten Freunden. In Bezug auf den Euro, ja sicher, in Hinblick auf Griechenland. Was dachten Sie denn?! „Gute Freunde sind da, um zu helfen, wenn es einer braucht“ – Chinas Ministerpräsident Jiabao hat es gesagt. „Für viele angeschlagene Staaten scheint das Reich der Mitte der letzte Rettungsanker zu sein“, schreibt Ralf Heß bei heise.de. „Für die Volksrepublik ist der Zeitpunkt gekommen, jetzt die in jahrelanger Arbeit erwirtschaftete Dividende einzufahren. Die Freundschaftsbekundungen Jiabaos gegenüber den angeschlagenen EU-Staaten dagegen sind wohl kaum mehr als eine diplomatische Floskel, mit der den Staatschefs dieser Länder der Kaufvertrag über Europa schmackhaft gemacht werden soll.“

Aber gut, was soll uns groß interessieren, was der chinesische Regierungschef so von sich gibt? Schließlich haben wir selbst ja auch eine tolle Regierungschefin. Und die hat jetzt gesagt, in besagter Neujahrsansprache: „Gemeinsam haben wir Enormes geleistet. Wir haben erfahren, was möglich ist. Das ist wichtig, denn wir Deutschen sind uns unserer Stärken selbst nicht immer bewusst.“ Das ist diese typisch deutsche Art: ständig an der eigenen Nation herummäkeln. Machen wir uns also unsere eigenen Stärken bewusst! So wie jetzt z.B. der Cicero mit seinem Januar-Titel: „Vorbild Deutschland. Was die anderen an uns bewundern.“ So geht es doch auch. Sicher, das Titelbild ist Geschmackssache. Und auch die Story direkt darunter: „Welthandel in Gefahr: Chinas Angriff auf die Wirtschaftsordnung“. Aber so ist es nun einmal, da kann man nichts machen – außer natürlich: sich gemeinsam mit der Kanzlerin auf die deutschen Stärken besinnen.

James MacDonald hat diesen Cicero-Artikel über die Chinesen geschrieben. Der steht aber (noch) nicht online; er heißt: „Der Kampf um Rohstoffe“. Ein Historiker, überhaupt ein ulkiger Kerl, dieser MacDonald. Vor drei Wochen war in der FAZ über ihn zu erfahren, dass er Staatsschulden offenbar für „gar nicht so übel“ hält. Der Schuldenstaat sei die Wiege der modernen Demokratie, behauptet er. Kredit zu geben, privat oder öffentlich, sei stets Ausdruck von Lebensfreude und wirtschaftlichem Optimismus: Würden nämlich die Schuldner nicht glauben, dass die Rendite auf das geborgte Geld größer wäre als die Kosten von Zins und Tilgung, würden sie auf den Kredit verzichten. Auch die Gläubiger müssten darauf vertrauen, dass das Einkommen des Schuldenstaats in der Zukunft wächst. Wirklich ulkig: wirtschaftlicher Optimismus und Lebensfreude in einem Atemzug zu nennen! Und überhaupt: wenn Schuldenstaaten die Wiege, und nicht nur die, sondern überhaupt Kennzeichen der modernen Demokratien wären, müssten Überschussländer doch Diktaturen sein. Ansichten hat dieser Mann!

Beim Aufstieg zur ökonomischen und militärischen Großmacht gefährde China jetzt die Grundpfeiler der internationalen Wirtschaftsordnung, weil es den freien Handel und überhaupt den Zugang zu Rohstoffen behindere, schreibt MacDonald in der aktuellen Ausgabe des Cicero: „Mit großer Eile hat China in Afrika, Zentralasien und Lateinamerika Konzessionen ausgehandelt und Vermögenswerte gekauft, um seine Versorgung mit Erdöl, Metallen und Nahrungsmitteln zu sichern. In Afrika werden die Konzessionen bereits von chinesischen Soldaten bewacht.“ Na sowas! Da hatte Joseph Nye nicht zuletzt im Hinblick auf die chinesische Afrikapolitik den politikwissenschaftlichen Begriff der Soft Power geprägt, und dann schalten die Chinesen einfach mal so um auf Hard Power. Und zwar nicht nur in Afrika. China, um noch einmal James MacDonald zu zitieren, „hat seine Fähigkeit demonstriert, Satelliten mit bodengestützten Raketen zu bedrohen, hat eine landgestützte Flugabwehr-Trägerrakete entwickelt, die die US-Navy daran hindern soll, ihre traditionelle Rolle als Schutzmacht anderer ostasiatischer Länder zu erfüllen; und die Hochseeflotte wächst rasch, die Chinas Militärmacht in weit entfernte Regionen tragen soll“.

„Chinas Welt – Was will die neue Supermacht?“ titelt heute der Spiegel. Eine berechtigte Frage; denn „so wie es sich jetzt abzeichnet, wird es eine multipolare Welt so wenig geben wie eine unipolare. Es wird wieder eine Ost-West-Konfrontation geben, in der nur nicht mehr die UdSSR, sondern China die Rolle des Gegenspielers der USA übernommen hat. Die bipolare Welt 2.0.“ So zu lesen in Zettels Raum. Heimlich, still und leise baue China globale Machtpositionen auf, heißt es dort, „wie ein Schachspieler“. So mag es gewesen sein, wenn man rückblickend die letzten gut vierzig Jahre seit Kiesingers legendärem „Ich sage nur China, China, China“ betrachtet. Inzwischen aber ist China, will man im Bild bleiben, zum Blitzschach übergegangen. Von Soft Power, von Langsamkeit, gar von Heimlichkeit kann inzwischen keine Rede mehr sein. Es sei denn, man zählte diese Form von Heimlichkeit mit dazu: „Seltene Erden – China hält Exportquote künftig geheim“. Die Frankfurter Rundschau meldete am Freitag: „Das staatliche ,China Securities Journal` berief sich bei seinem Bericht am Freitag auf nicht genannte Regierungskreise. Üblicherweise veröffentlicht das Handelsministerium die Ausfuhrquoten der begehrten High-Tech-Rohstoffe zwei Mal im Jahr. Die Regierung will die Ausfuhr in der ersten Jahreshälfte 2011 um 35 Prozent drosseln.“  

Dazu muss man wissen, dass es sich bei den Seltenen Erden um die strategischen Rohstoffe überhaupt handelt. In zahlreichen Hightech-Bereichen werden Seltene Erden gebraucht, wobei China 97 Prozent der Weltproduktion innehat. Die USA beabsichtigen China wegen der Exportrestriktionen – in Bezug auf diese strategischen Metalle – vor der Welthandelsorganisation WTO zu verklagen. Nur zu! Kleine Zusatzinformation: der Weltmonopolist China benötigt selbst mehr Seltene Erden als die gesamte Produktionsmenge. Kurzum: der High-Tech-Branche steht weltweit eine dramatische Rohstoffkrise ins Haus. Die Volksrepublik hat hier – ganz unabhängig von ihrer Globalstrategie – alle Trümpfe in der Hand. Unterdessen arbeitet die chinesische Zentralbank daran, ihre Währung als globale Reservewährung aufzubauen – dies tatsächlich mit der strategischen Ruhe eines Schachspielers. Heute erreicht uns die Meldung, wonach China eine Möglichkeit entwickelt haben will, Plutonium und Uran aus abgebrannten Brennstoffen zu gewinnen.

Ein deutscher Europapolitiker hat kürzlich darauf hingewiesen, dass es seit langem nicht mehr um G7 oder G20 gehe. Vielmehr gehe es um G2 oder G3. „Entweder wird Europa der Dritte im Bunde mit China und den USA oder Peking und Washington entscheiden ohne uns„, sagte der EU-Kommissar für Energie. Unglaublich: es ist Günther Oettinger. Ob er dies inzwischen seiner Parteifreundin hat klarmachen können? Wie sagte sie es noch so treffend in ihrer Neujahrsansprache, unser aller Kanzlerin? „Wir haben erfahren, was möglich ist. Das ist wichtig, denn wir Deutschen sind uns unserer Stärken selbst nicht immer bewusst.“ Nun ja, und falls es mit dem Selbstbewusstsein demnächst mal wieder richtig bergab gehen sollte, immer dran denken: „Gute Freunde sind da, um zu helfen, wenn es einer braucht.“