Platz für Kreative in Bochum

In ein altes Postgebäude in Bochum werden bald bis zu 100 Kreative einziehen – bis es einem Einkaufszentrum weichen muss.

Noch steht sie gegenüber dem Bochumer Rathaus: Die einstige Hauptpost der Stadt. 4000 Quadratmeter, von denen die meisten nicht mehr genutzt werden. Nur noch eine Postbankfiliale im Parterre erinnert an die alten Zeiten. Geht es nach dem Einkaufszentrumsbetreiber ECE, sind die Tage der alten Post gezählt. Es soll, wie der ganze Block, zu dem auch noch das Landgericht gehört, abgerissen werden. ECE will hier ein weiteres Einkaufszentrum errichten.

Aber bis es frühestens 2014 soweit sein wird, könnte sich das alte Postgebäude in eines der größten Künstlerhäuser Nordrhein-Westfalens verwandeln. Zwischennutzung heißt das Stichwort. Ist es in US-Städten wie New York durchaus üblich, leer stehende Immobilien zeitweilig und zu günstigen Preisen Künstlern, Galerien oder kleinen Agenturen zu überlassen, stößt die Idee in Deutschland noch immer auf Skepsis. Viele sorgen sich, dass sie das bunte Völkchen der Kreativen nicht mehr los werden, wenn es sich erst einmal in den Räumen niedergelassen hat.

Immobilienberater Bernd Albrecht, der unter anderem für ECE in Bochum arbeitet, war von der Idee, Künstler für ein paar Jahre Platz im Telekomgebäude einzuräumen, von Anfang an begeistert: „Die Verträge können in der ersten Januarhälfte in trockenen Tüchern sein.“ Albrecht ist sich sicher, dass das Modell der Zwischennutzung auch auf andere Projekte übertragen werden kann.

Entwickelt haben es für Bochum der IHK-Mann Rouven Beek und der Stadtplaner Dr. Arnold Voss. Sie wollen Kreative in der Bochumer Innenstadt binden. Beek: „Kreative wollen Cafés, Kneipen und brauchen den Nahverkehr. Das alles gibt es nur in der Innenstadt. Nur da können sie häufig die Mieten nicht bezahlen. Mit unserem Projekt wollen wir ihnen helfen, bezahlbare Räume zu finden.“

Um die fünf Euro Warmmiete soll die Quadratmetermiete in der alten Post kosten. Selbst für die meisten Existenzgründer bei Raumgrößen ab zehn Quadratmeter ein bezahlbarer Preis.

Doch Beek und Voss geht es nicht nur um die Kreativen und ihr wirtschaftliches Potential. Sie hoffen auf Synergieeffekte zwischen Künstlern, kreativen Jungunternehmern und den anderen Branchen in der Stadt. Bochum soll sich als Stadt der Kreativen auch gegenüber den großen Nachbarn Dortmund und Duisburg profilieren.

Bis zu hundert Kreative  können sich in der alten Post ansiedeln – und sollen auch in Bochum gehalten werden, wenn eines Tages die Bagger kommen. Beek will einen Förderverein gründen und bei den großen Immobilienbesitzern der Stadt nach weiteren Räumen suchen. Er will für die Stadt und die Kreativen eine langfristige Perspektive, kein spektakuläres Strohfeuer.

Mit der Ruhr2010 GmbH und ihrem für Kreativwirtschaft zuständigen Direktor Dieter Gorny hat in Bochum übrigens keiner gesprochen. Die hatten eigentlich vor, sich für preiswerte Räume für junge Kreative stark zu machen und versprachen die Förderung der Kreativwirtschaft. Gefördert hat man sich allerdings in erster Linie selbst: Gornys neues European Centre für Creative Economy (ECCE) hat für sich das Raumproblem gelöst: Man residiert nobel im gerade zum dritten Mal eröffneten U-Turm in Dortmund. Die klamme Revierstadt unterstützte die Ansiedlung von Gornys aus drei festen Mitarbeitern bestehenden Truppe großzügig mit über 400.000 Euro.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits ist der Welt am Sonntag

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NRW: Sprecher der LAG Bildung verlässt die Linkspartei

Ulrich Schröder war Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Bildung der Linkspartei in NRW. Am 31. 12. 2010 hat er die Partei verlassen. Der Grund: Die Zustimmung zum Steag-Deal und der Mangel an innerparteilicher Diskussionskultur. Wir dokumentieren hier den Brief, mit dem er seinen Austritt begründet:

Genossinnen und Genossen,

hiermit gebe ich meinen Austritt aus der Kaderpartei „Die Linke“ zum
31.12.2010 bekannt. […]

Anlass für meine Entscheidung ist die Aushebelung grundlegender
Mechanismen zur demokratischen Entscheidungsfindung in einer so
zentralen politischen Frage wie der regionalen Energiepolitik. So
zeugt die im Kreisverband Bochum auf keiner einzigen
Kreismitgliederversammlung im Vorfeld der Beschlussfassung im Stadtrat
diskutierte Übernahme des Evonik-Steag-Konzerns von einem
unentschuldbaren Mangel an innerparteilicher Demokratie. Es kann nicht
sein, dass der Ankauf von einem Unternehmensanteil von 51 Prozent an
einem maroden Energieunternehmen mit einem völlig veralteten
Kraftwerkspark samt Atomstromsparte sowie höchst fragwürdigen
Auslandsgeschäften unter Arbeitsbedingungen, die mit hiesigen
Standards gänzlich unvereinbar wären, von einer Handvoll
Ratsmandatsträger_innen an der Mitgliedschaft vorbei durchgestimmt
wird. Es ist mit jeglichem emanzipatorischem Anspruch einer sich als
linker politischer Alternative verstehenden Partei völlig unvereinbar,
wenn eine solche Entscheidung auf der Ebene der Mandatsträger_innen
getroffen wird und nicht das Gespräch mit der Basis gesucht wird,
sondern vielmehr mit einigen Abgeordneten der Landtagsfraktion, um
dann direkt an die Öffentlichkeit heranzutreten statt an eine
Kreismitgliederversammlung. Dies ist insbesondere ein Schlag ins
Gesicht jener Genoss_innen, deren Politikverständnis basisdemokratisch
geprägt ist. So führten beispielsweise Bündnis 90 / Die Grünen 1998
über das ökologisch unverantwortbare Braunkohletagebau-Projekt
„Garzweiler II“ eine breite Debatte in jedem einzelnen
NRW-Kreisverband – wenn auch mit dem knappen bedauerlichen Resultat
einer Entscheidung für einen Ausbau des Braunkohletagebaus und damit
für eine Weiterführung der damaligen rot-grünen Koalition.

Zudem scheinen die meisten an der Entscheidungsfindung in Sachen
Evonik-Steag-Übernahme beteiligten linken Landes- und
Kommunalpolitiker_innen weder die relevanten Passagen der
Landesverfassung NRW, noch die eigenen programmatischen Grundlagen zu
kennen oder diese bewusst zu ignorieren: „Großbetriebe der
Grundstoffindustrie und Unternehmen, die wegen ihrer monopolartigen
Stellung besondere Bedeutung haben, sollen in Gemeineigentum überführt
werden“, heißt es in Artikel 27 (1) der NRW-Verfassung, auf die sich
die Linke wiederholt in ihrem Landtagswahlprogramm bezogen hat. Somit
ist es nicht hinnehmbar, dass ein solcher Konzern wie Evonik-Steag für
einen horrenden Betrag von 649 Millionen Euro aufgekauft wird –
angeblich, um bedeutende Teile des Unternehmens wie die ökologisch
unverträglichsten Kraftwerke sowie die (relativ lukrative) Atomsparte
abzuwickeln. Wer für einen solchen Konzern mehr als einen Euro
bezahlt, hat weder den Kapitalismus durchschaut noch die ideologischen
Grundlagen einer Partei wie „Die Linke“ auch nur annähernd begriffen.
In einer Partei, in der sich die politische Ignoranz der eigenen
Ideale in derart rasanter Weise durchsetzt, wie die
Evonik-Steag-Übernahme zeigt, ist für Menschen, die den Glauben an die
eigenen ideologischen Grundwerte noch nicht verloren haben, kein Platz
mehr. Daher kehre ich der Kaderpartei „Die Linke“, die sich von
Grundsätzen innerparteilicher Demokratie sowie ihren eigenen
ideologischen Grundlagen innerhalb kürzester Zeit in erschreckendem
Umfang verabschiedet hat, hiermit unwiderruflich den Rücken.

Dr. Ulrich Schröder

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letzte Woche / diese Woche (KW1)

Frohes neues Jahr! Mir wurde letztes Jahr einmal zugetragen, meine letzte Reihe bei den Ruhrbaronen namens „3 für 7“ sei doch gut gewesen. Dieses Jahr mache ich dann bis auf weiteres einmal eine neue Kolumne.

Letztes Jahr erschien diese Kolumne immer dienstags. Dieses Jahr habe ich den Sonntag gewählt, weil er mir richtig erscheint und ich nicht in diese Werktags-Arbeitsplatz-Zielgruppe hineinschreiben mag. (Hat schon jemand die positiven Auswirkungen auf das Betriebsklima, das Bruttosozialprodukt, die Konsumfreude und die innere Sicherheit erforscht, dadurch dass sich die arbeitende Bevölkerung zwischendurch immer mal in Artikeln und Kommentarspalten echauffieren darf? Nein? Na, macht doch mal. Das Jahr ist noch lang!)

Letztes Jahr war (nicht nur) im Ruhrgebiet Kulturhauptstadtjahr. Da habe ich auch woanders für Sie potentiell Interessantes veröffentlicht, zum Beispiel hier. Lesen Sie doch noch einmal ein wenig davon, ist ja Sonntag! Dieses Jahr ändern sich die Themen, denn Kultur und Ruhr sind ja durch, wie sogar Stefan Laurin hier sagt.

Aber es soll hier neben einem Rückblick halt auch der Ausblick nicht fehlen und gewisse Kontinuitäten aufgezeigt werden. Zum Beispiel jetzt nicht, dass sich in der letzten Woche die Menschen viel über das Wetter unterhalten und dabei den Staat oder die Kommune um Hilfe angefleht haben und dies auch in der kommenden Woche tun werden. (Ich meine: Wofür würden Sie denn gerne (!) Steuern zahlen? Notieren Sie das doch bitte heute einmal auf einem Zettel. Und dann sage ich Ihnen, ob ich mit Ihnen hier noch leben möchte, wenn es bald mehr Volksabstimmungen und regionalistische Protestkultur in Deutschland gibt. Danke.) Nun, also Kontinuitäten auch in dem Sinne, dass Themen länger und anders verfolgt werden, als es die an Schlagzeilen und Klickzahlen orientierte extrem-journalistische Sau-durch-das-Dorf-treib-Maschine zu tun in der Lage ist.

Letzte Woche sah sich Hannelore Kraft als Leitbild gegen „Vermännlichung“? Und was sagt Renate Künast diese Woche dazu? Vielleicht fragt ja mal einer von dem Blatt nach, das hier diese nervende Dauerwerbung geschaltet hat. Ich wünsche mir und vor allem Ihnen hingegen einen angenehmen Sonntag!

Foto: Jens Kobler

Der Ruhrpilot

Hannelore Kraft
Hannelore Kraft

NRW: Kraft sieht sich als Vorbild gegen „Vermännlichung“…Welt

NRW II: Neujahrsansprache von Hannelore Kraft…Pottblog

Internet: Kurzer internationaler Jahresrückblick…Netzpolitik

Ruhrgebiet: Wo liegt Emschau?…Unruhr

Kultur: Bochum bekommt ein Konzerthaus…Welt

Kultur II: Linkschleudern, Leseschleudern…FAZ

Politik: Die verschmähte Liebe des Jörg Tauss…F!MBR

Verkehr: Das Handicap der Elektromobilität…Frontmotor

Internet: Was ich 2010 ungern zugebe…Blogbar

Zeitgeist: Ich fand das Alte Testament oft grausam und unerbittlich…Zoom

Die EstNische (10): Kaltes Wasser*

Wenn Tallinn Kulturhauptstadt wird, kann ich leider nicht kommen. Auch die Einführung des Euro heute Nacht verpasse ich. Andererseits, kenne ich das Gefühl mit Euro zu bezahlen. Und ich muss auch nicht auf jede Eröffnungsfeier einer europäischen Kulturhauptstadt. Was ich wirklich bedaure: Ich verpasse die Schwimmwettkämpfe von Pirita. Am kommenden Samstag werden sich Menschen in die eiskalte Ostsee stürzen. Der erste Höhepunkt des Kulturhauptstadtjahres. Und so etwas wie ein symbolischer Akt.

Die Ergebnisse der Meinungsumfragen zum Euro fallen uneinheitlich aus. Doch eine Mehrheit der Esten ist wohl für den Sortentausch – auch das ein symbolischer Akt. Nach der Unabhängigkeit hat sich die estnische Krone erst an die D-Mark gekettet, dann an den Euro, mit festem Umtauschkurs. Letztlich sind die kompakten Kronenscheine und Münzen eine ziemlich überflüssige, umständliche Ausgabe des Euros, die jetzt vom Markt genommen wird, bereinigt. Keine große Sache.

Der Sprung ins kalte Wasser der Eurowelt wird in der Neujahrsnacht also wenig spektakulär ausfallen. Es wird kaum Freudentänze geben um die neue Leitwährung, keine johlenden Verbrennungen alter Kronenbestände, keine enthemmten Glückstränen. Es ist überhaupt schwer zu sagen, ob die Esten stolz darauf sind, endlich zur angeknockten Eurozone zu gehören. Vermutlich sehen sie es umgekehrt: Finanzpolitisch ist Estland ein Vorzeigeland mit Sparkurs, liberalster Wirtschafts- und Steuerpolitik, einem abgewickelten Sozialstaat. Ich weiß nicht einmal, ob es in Estland noch Gewerkschaften gibt. Oder ob sie als sowjetische Okkupationsidee einfach abgeschafft wurden.

Vermutlich wird auch der Start in die Kulturhauptstadt ohne viel Überschwang begangen werden. Auch das hat seine Gründe. Etwa die Personalrochade im Organisationsbüro – der ehemalige Leiter der Kampagne wurde aus dem Amt geekelt, weil er als Deutscher mit dem schönen Namen Fritze wie ein deutscher Lehrer bezahlt wurde. Die Auswirkungen der Finanzkrise haben die geplante städtebauliche Hinwendung der Stadt zur Küste gehemmt. Doch der größte Hemmschuh der Kulturhauptstadt Tallinn sind die im März anstehenden Parlamentswahlen.

Tallinn, die größte Stadt und einzige Großstadt Estlands, wird von der Zentrumspartei unter Oberbürgermeister Edgar Savisaar regiert. In der Riigikogu, dem estnischen Parlament, stellen die Zentristen jedoch die Opposition. Programmatisch ist das kein Problem. Estlands Parteien tun sich inhaltlich nicht viel, außer das sie versuchen, sich in Nationalismus zu übertreffen und den Kontrahenten das Gegenteil vorzuwerfen. Der neuste Vorstoß auf dem patriotischen Spielfeld richtet sich nun gegen das Zentrum und Tallinns Bürgermeister.

Savisaar soll von russischer Seite Geld bekommen haben zur Finanzierung der anstehenden Zentrums-Wahlkampagne. Der Bürgermeister und ehemalige Ministerpräsident Estlands bestreitet den Geldeingang aus Russland nicht. Er behauptet aber, das Geld sei für den Bau einer orthodoxen Kirche in einem überwiegend russisch, weißrussisch und ukrainisch bewohnten Stadtteil.

Savisaars Gegnern geht es um den Platz auf der Nationalismus-Hitparade, Savisaar um Klientelpolitik, so oder so. Es lässt sich kaum sagen, ob ihm die Vorwürfe eher nützen oder schaden.

Das Zentrum ist in Tallinn nur deshalb stärkste politische Kraft, weil die russischstämmige Bevölkerung an  Kommunalwahlen teilnehmen darf. In der Hauptstadt leben rund 40 Prozent Russen, zwei Drittel sind staatenlos oder russische Staatsbürger aber sie haben kommunales Stimmrecht. Gute Beziehungen zu Russland zu haben, schadet der Tallinner Zentrumspartei also nicht, im Gegenteil.

Für die Kulturhauptstadt ist der Streit um Savisaar und das Verhältnis zur einstigen Besatzungsmacht kontraproduktiv. Viele estnisch eingestellte Spitzenkünstler, Estlands staatlicher Rundfunk und die staatliche Kulturpolitik sind nicht besonders an einem großartigen Erfolg der Kulturhauptstadt Tallinn interessiert – mindestens bis zum 6. März, den anstehenden Parlamentswahlen.

* 2010, Ruhrgebiet ist vorbei. Jetzt heißt es Tallinn 2011, Geschichten von der Küste. Und ich bin dabei. Mit Geschichten von der See, der Stadt und diesem überhaupt ziemlich seltsamen Land am nordöstlichen Rande Europas.

Gute Vorsätze

Ich weiß nicht: ist das tatsächlich so oder kommt mir das nur so vor? Ich meine: das ist doch an und für sich nichts Neues, dass am 31. Dezember ein Kalenderjahr aufhört und am 1. Januar ein neues beginnt. Und zwar ohne Pause, in der Silvesternacht, begleitet von einer Riesenknallerei. Um die bösen Geister zu vertreiben. Doch diese halten sich tapfer, verdammt tapfer. Neu ist auch nicht, dass die Menschen aus diesem Anlass, nämlich aus Anlass des Jahreswechsels, sich gute Vorsätze vorzunehmen pflegen, die sie im neuen Jahr – vermutlich wegen der bösen Geister – nicht umzusetzen vermögen.

Neu ist aber, doch vermutlich kommt mir das nur so vor, dass dieses Mal so eine Riesen Geschiss darum gemacht wird. Ja, um besagte gute Vorsätze. Der Spiegel hatte ihnen diese Woche Titelblatt und Titelstory gewidmet, aber auch alle möglichen Tageszeitungen haben dieses enorm spannende Thema für sich entdeckt. Im Fokus der Betrachtungen steht dabei die Fragestellung: wie kommt es bloß, dass aus den unheimlich guten Vorsätzen in aller Regel nichts wird. Außer beim Focus: „Ja, ich schaffe es!“ Optimismus pur, man merkt: Spiegel-Leser wissen mehr, Focus-Leser wollen mehr, doch das Leben ist und bleibt ein Jammertal – auch im neuen Jahr.

Denn der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach. Verdammt, wie kann das nur? Überhaupt: „gute Vorsätze“ – wenn ich das schon höre. Macht man sich eigentlich klar, was das überhaupt ist, ein Vorsatz? „In der Psychologie“, lesen wir bei Wikipedia, „ist ein Vorsatz eine Absicht, in einer bestimmten Situation ein bestimmtes Verhalten auszuführen.“ Ja toll – „in einer bestimmten Situation“, spätestens wenn es draußen knallt, ist sie da, die „bestimmte Situation“. Schöne Scheiße, dann muss man nämlich ran. Meine verehrten Herren, die Situation ist da, pflegte Adenauer zu sagen, und Kohl, sein selbsternannter Enkel griff dieses Zitat häufig und gern auf. Die Situation ist da, damit war nun wirklich nicht zu rechnen: ein neues Jahr.

„Im deutschen Strafrecht“, ebenfalls Wikipedia, „beschreibt Vorsatz (dolus) den wesentlichen Teil des inneren Tatbestandsmerkmals. Im Groben stellt er den Tatentschluss dar.“ Herr Richter, damit ist erwiesen: der Angeklagte hat ganz klar vorsätzlich gehandelt. Wobei es sich in diesem Fall naheliegenderweise nicht um einen sog. guten Vorsatz gehandelt haben dürfte. Womit wir bei der nächsten Frage wären: was – in Gottes Namen – ist eigentlich „gut“? Wohlbemerkt: es muss schon etwas sein, das nicht nur gut ist, sondern so gut, dass man nicht überstürzt damit anfängt, sondern das Vorhaben, äh: den Vorsatz seiner Realisierung erst zu einem genau datierten Zeitpunkt in Kraft treten lässt.

Morgen, morgen, nur nicht heute – sagen alle faulen Leute. Mit dieser Weisheit bin ich aufgewachsen, und soweit ich es übersehen kann, hat es mir nicht geschadet. Zum Beispiel auch deshalb, weil mir dieser Sinnspruch ein wenig dabei hilft, einem Wesensmerkmal der hier erörterten guten Vorsätze auf die Schliche zu kommen. Sagen wir mal: ihrem Doppelcharakter. Denn es scheint ziemlich klar zu sein, dass wenn man einen Vorsatz fasst, der sozusagen mit einer Zeitschaltuhr ausgelöst wird, muss er zwei Bedingungen erfüllen, die in sich nicht ganz widerspruchsfrei sind: einerseits gut, andererseits trotzdem scheiße. So weit die Theorie. In der empirischen Überprüfung halten sämtliche mir bekannten Neujahrsvorsätze diesen Definitionsbedingungen eisern stand.

Lesen Sie doch einfach mal, was die Leute sich so zum neuen Jahr alles vornehmen! Googeln Sie mit dem Begriff „Neujahrsvorsätze“! Immer wieder werden Sie finden, dass irgendwelche Leute mit dem Rauchen aufhören wollen. Kein Wunder, dass es um die, wie man heute sagt, Nachhaltigkeit dieser Vorsätze nicht besonders gut bestellt ist. In der Silvesternacht, Punkt 24 Uhr, also Neujahr Null Uhr, fange ich an zu Rauchen. In dem Moment, in dem die Anderen die Lunte des Böllers anzünden, stecke ich mir meine erste Zigarette an. Das wäre doch mal was! More Fun, Partytime – im neuen Jahr fängt mein Leben erst richtig an. Die blöden Böllerer lassen es krachen. So. Und ich jetzt endlich auch.

Ein Beispiel. Aber immerhin: damit ist das Rätsel, warum aus den angeblich so guten Vorsätzen meistens nichts wird, im Kern gelöst. Es liegt an den Vorsätzen. Und, wie sieht es aus? Haben Sie sich inzwischen einmal sachkundig gemacht, welche Neujahrsvorsätze so bei den Leuten kursieren? Okay, ich sage es Ihnen: eine Spaßbremse nach der anderen. Alle zusammengenommen: der perfekte Plan für ein absolut freudloses, möglicherweise zu allem Überfluss auch noch quälend langes Leben. Ich nehme an, dass die Leute sich genau deshalb in der Silvesternacht noch einmal, noch ein einziges Mal so richtig die Kante geben. Ein letztes Mal, bevor es mit dem richtig guten Leben verdammter Ernst wird.

Wie auch immer: der Fall ist klar. Entweder man verzichtet darauf, sich mit diesen angeblich guten Vorsätzen lächerlich zu machen. Wobei das Lächerliche darin besteht, dass man ihnen nicht gerecht wird, und nicht etwa darin, dass die Vorsätze für sich genommen schon lächerlich genug sind. Lächerlich! Oder – und das scheint mir die Antwort auf alle diesbezüglichen Fragen zu sein, sozusagen des Rätsels Lösung – man fasst Vorsätze, die erstens recht leicht umzusetzen sind, und zweitens – viel wichtiger – auf die man so richtig Bock hat. Seien Sie Sie selbst. Lassen Sie einfach mal so richtig die Sau raus! Das Leben ist kurz genug.

Ihnen wird schon etwas einfallen, wonach Ihnen schon immer mal der Sinn gestanden hat. Oder nicht? Ist es schon so schlimm? Ein paar Vorschläge gefällig? Also wohlbemerkt: nur Vorschläge. Gut zusammengestellte Neujahrsvorsätze wollen freilich individuell ausgerichtet sein. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Also, wie sieht es aus? Rauchen Sie wenigstens? Finden Sie nicht auch, dass es an der Zeit wäre, endlich mal wieder fremdzugehen. So richtig saftiger Sex – wäre doch mal was. Oder, also und / oder: einfach mal das Konto überziehen, bis die Schwarte kracht. Und warum lassen Sie sich nicht mal häufiger eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen? Die Anderen machen es doch schließlich auch. Und, und, und …

Das Leben könnte so schön sein. Also: machen Sie etwas draus! Die Gelegenheit ist günstig. Ein neues Jahr beginnt. Sie leben nur einmal. Fangen Sie also endlich damit an!

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Guten Rutsch…

Das Jahr ist fast zu Ende. Zeit, Euch allen einen guten Rutsch zu wünschen. Und natürlich auch, dass im kommenden Jahr alle, aber auch wirklich alle Eure Wünsche in Erfüllung gehen. Vielen Dank, dass Ihr hier immer mal wieder vorbei geschaut habt. Das hat uns sehr gefreut. Im nächsten Jahr machen wir weiter. Morgen sicher mit einer schmalen Katerausgabe. Aber dann geben wir wieder Gas….

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Ruhrgebiet: Weitere Details für das 4. BarCamp im Pott…Pottblog

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Dortmund: Neonazis marschieren an Silvester…Der Westen

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Essen II: An Wirtschaftsförderer Georg Arens scheiden sich in die Geister…Der Westen

Umland: Die unseriösesten Manager Berlins…Frontmotor

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Internet III: QuerVideo – Ein eigenes Video-Angebot…Querblog

Ausblick: Zwanzigelf kann kommen…2.0

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