Spätestens als gestern Morgen in der WDR- Westzeit Wilfried Schmickler, dieser geniale, intelligente, böse und schnelle Kabarettist vergleichsweise lieb und harmlos daher kam, wusste ich, es wird Weihnachten, und da machst du nix. Geradezu triebhafte Friedfertigkeit macht sich breit, man selbst unternimmt auch keinen Schabernack mehr, um sich von diesem natürlich fiesen Hochamt des Konsums, von diesem Familienterror, von dieser geheuchelten Nächstenliebe abzusetzen.
Schmickler schmuste im Autoradio, als ich just jene Stelle passierte, an der in den Vorjahren immer ein Riesenplakat für die „Mega After X-mas-Party“ warb. Ich tobte regelmäßig ob dieser Kulturlosigkeit. Nicht, weil sich die Leute zu Weihnachten nicht bei schlimmer Musik Red-Bull-Drinks oder bunte Pillen in den Kopp hauen sollen, sondern weil diese Party stets am 25.Dezember stattfand. Bei solcher Doofheit hat man fast wieder Lust katholisch zu werden. Anscheinend hat es sich ausgeixt.
Stattdessen mühte sich unter der verwaisten Plakatwand eine Rentnerin verzweifelt mit ihrem Rollator durch den Schnee. Weihnachtlich und schmicklerisch milde betrachtete ich die Frau bei ihrem Extremsport und beschloss, mit dem Hersteller eines Rollators Kontakt aufzunehmen. Im Internet bat ein Produzent darum, direkt mit „Schwester Claudia“ Kontakt aufzunehmen. Ich schlug ihr per Mail vor, die imageschwachen Gehhilfen aufzupeppen durch coole PR. Angefixt von der Urbanatix-Show in der Jahrhunderthalle fragte ich an, ob man schon mal drüber nachgedacht habe, Downhilling mit den Geräten zu veranstalten oder ein paar Jungs mit dem Rollator in eine Halfpipe zu schicken. Schwester Claudia antwortete prompt und kurz: „Nein.“ Ich versuche es im neuen Jahr noch einmal bei einem anderen Hersteller. Vielleicht fordere ich auch einfach im Bundesverkehrsministerium eine Winterreifenpflicht für die Dinger.
Weihnachten ist nicht mehr das, was es mal war. Sogar Schnee gibt es mittlerweile zum Fest. Vor Jahren, in der Lokalredaktion, plante nie jemand vor für „the day after“, für den 27. Dezember, an dem auch irgendwas in der Zeitung stehen musste. Wir setzten auf Zimmerbrände und Familienstreit, der zwangsläufig entstehen musste, wenn latent aggressive Alkoholiker tagelang aufeinander hocken. Elektrische Baumkerzen und das Instrument des Platzverweises haben diese Hoffnung längst gekillt.
Nur einmal hatte ich als freier Mitarbeiter Glück. Allerdings sah ich dabei ziemlich blöd aus. Sagen wir mal so: Wenn du eine Bad-Taste-Party in Köln besuchst, solltest du wie alle anderen Gäste Sachen zum Wechseln dabei haben. Dass du mit deinem breit längsgestreiften Anzug (kupfer-braun-beige) nach zwei, drei Uhr unter lauter wieder normal Gekleideten wie der letzte Volldepp dastehst, kannst du noch verkraften. Aber wenn du am nächsten Tag in diesem Aufzug direkt in die Redaktion fährst, und dir dort, zum Glück am Telefon, erzählt wird, wie in einem an Merkwürdigkeiten nicht armen Hochhaus ein Bewohner des sechsten Stockwerks erst einen Dackel, dann die dazugehörige Dackelhalterin an seinem Fenster vorbeistürzen sah, machst du dir schon Gedanken um eine gewisse Würde und Ernsthaftigkeit, die selbst der Journalistenberuf verlangt.
Es fehlt an Themen. Den örtlichen Einzelhandel hast du schon am vierten Advent abtelefoniert, hast all die Krämerlügen über Umsätze und gefragte Last-Minute-Geschenke brav ins Blatt gehoben, wohl wissend, dass der Mann aus dem Haushaltswarengeschäft nur den Plunder erwähnt hat, den er dringend loswerden muss. Kommerz, alles Kommerz. Den Mann kannst du heute nicht mehr anrufen, der Media-Markt brüllt seine Topseller über die Homepage in die Welt.
Die Weihnachtsfeiern für Alleinstehende hast du auch schon vier- oder fünfmal beschrieben, da fällt dir nichts mehr zu ein. Stets die gleichen Gäste, die Packung „Schwarzer Krauser“, ein Paar Socken, nie Alkohol in den Geschenktüten. Nur die Kinder des Sozialarbeiters sind aus dem Alter raus, wo man zu Papas leidenschaftlichen, zeltlagererprobten Gitarrenspiel Weihnachtslieder singen will. Man fragt sich, ob die Veranstaltung nach Jahren noch stattfinden aus Mitleid mit den Wohnungslosen oder als Unterstützung des Lokaljournalisten, der seine Seiten füllen muss. Der WDR inszeniert mittlerweile in der Lokalzeit das Spiel mit den Weihnachtspäckchen für die zunehmend umstrittenen Tafeln lieber gleich selbst. Hoffnung setze ich auf die erste Weihnachtsfeier im Dortmunder Saufraum.
Seniorenheime sind in diesen Tagen ebenfalls beliebte Orte praktizierter und publizierter Mildtätigkeit. Letztes Jahr traf ich in einem Heim ein vor teils dementen, größtenteils gehfähigen Senioren musizierendes Damenterzett. Das Trio tastete sich auf gleich drei Keyboards unglaublich langsam durch die Lieder. Nur zwei, drei Beats pro Minute weniger, und sie hätten „Stille Nacht“ rückwärts gesungen. Auf jeder „Mega After X-mas Party“ wären sie der Brüller.
Die Hirten und Bischöfe tadeln pflichtbewusst die Kommerzialisierung des Festes, die evangelischen Kollegen richten wahrscheinlich einen Stuhlkreis dazu ein, aber auch ihnen fehlt irgendwie der Mumm. Vor Jahren unterbreitete ich ihnen, getarnt als satirischen Radiobeitrag, den Vorschlag, einfach „Weihnachten“, „Krippe“, „Engel“ und „Jesuskind“ sowohl bei der GEMA als auch beim Patentamt für diverse Warengruppen eintragen zu lassen, und anschließend die erbärmlichen Weihnachtsmärkte abzukassieren. Das könne Kapitalismus und Spiritualität versöhnen zum Wohle beider. Niemand reagierte.
Bei einem wüsten Krippenspiel, in dem eine Kneipe mit einem Sack winziger Styroporkügelchen, die per Adhäsion bis Ostern an den Biergläsern hafteten, mit Stroh und einem stinkenden Fisch gekonnt und übel zugerichtet wurde, ging es und einem Herodes, der die Knaben zwar auch zu sich kommen ließ, sie aber zu sehr mochte um sie zu töten, einen eiligen Geist und andere fertige Figuren. Die Kirche ignorierte nicht einmal, die Lokalzeitung schrieb nahezu empörungsfrei, nur Ingos Oma zuckte kurz, strich aber nicht einmal das Weihnachtsgeld.
Weihnachten, da machst du nix.