Anmerkungen zum Bochumer Engelbertbrunnen anlässlich des 1. Mai

Markgraf Engelbert an seinem neuen Platz. Foto: CMP

Der Markgraf weint. Um den Bochumer Engelbertbrunnen steht es gegenwärtig nicht zum Besten. Der Grund: eine Commedia dell’arte aus dem Bochumer Tiefbauamt. Die bereits erworbene neue Brunnenpumptechnik ist so schwer, dass für ihre Installation ein 120-Tonnen-Kran benötigt wird. Zu schwer für die Statik des Platzes.

„So, ihr habt uns jetzt lange genug geärgert“, sagte der Ordnungshüter, der unter massiver Verstärkung Trappa, Walle und mich in die Minna verfrachtete. Unser Vergehen? Wir hatten am Engelbertbrunnen abgehangen, Sangria aus 5-Literpullen gesoffen und lauthals die gängigen Deutschpunkklassiker zum Besten gegeben. Das reichte damals schon aus, um eine Nacht im Polizeigewahrsam verbringen zu müssen. Hört sich grausam an, war aber eine geile Zeit. Man traf sich halt am Brunnen. Dafür musste man kein (Brunnen-)Punk sein. Der soziale Treffpunkt Engelbertbrunnen kreuzte viele Biographien der Bochumer Jugend. Der Stadt mag dieser Treffpunkt schon immer suspekt gewesen sein. Und das lange bevor es in Mode kam, Waschpulver in den Brunnen zu kippen und somit die Location mit Schaum zu fluten. So wunderte es nicht, dass der besagte Brunnen im Zuge der Umgestaltung des Platzes an der Kortumstraße einfach verschwand. Zwar hatten die Raumplaner versichert, der Brunnen käme zurück. Allein: Geglaubt hat es niemand. Schließlich hatte man für die Engelbertstatue bereits einen Platz schräg gegenüber dem alten Standort gefunden, allerdings ohne Brunnen. Der Verdacht stand im Raum, dass der unliebsame Jugendtreff nun endlich verschwinden, das billige Freiluftsaufen unterbunden und die letzten Jugendlichen in die teuren Kneipen des Kartells getrieben werden sollten. Sonderbare Zeichen warfen ihre Schatten voraus. Die Auguren schauten tief in die ausgeschabte Currywurstschale und sprachen: „Gentrifizierung hard as candy.“ – Zeit für einen kleinen Exkurs.

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Selig sind die Seligen, denn sie werden selig sein

Karol Wojtyla

“Selig – Was für ein schönes Wort”, titelt heute Bild Online; denn “heute wird Johannes Paul II. seliggesprochen”. Und los geht´s im Text: “150 000 Katholiken hielten in Rom Gebetswache für den letzten Papst. Unter ihnen die Nonne Marie, für die er ein Wunder bewirkt haben soll.”

Das Leben kann so schön sein! Am Freitag die Hochzeit des Jahres, am Samstag wird der BVB Meister, und heute wird dieser ganz liebe Papst aus Polen heilig, sorry: selig gesprochen. Egal: die Richtung stimmt, und: das Eine ist ja die Voraussetzung für das Andere.

Also: die Seligkeit ist Voraussetzung für die Heiligkeit, wenn Sie verstehen. Selig werden können Sie freilich auch nicht einfach mal so. Auch dies ist selbstverständlich an Voraussetzungen gebunden. Zunächst einmal müssen Sie – aber das ist ja klar wie Kloßbrühe – tot sein; sonst läuft schon mal gar nichts. Nur: Totsein – das kann natürlich jeder, reicht also nicht.

Von wegen: “Was macht eigentlich Onkel Heinz?” – “Gott hat ihn selig.” Das ist schlichte Volksfrömmigkeit. So einfach läuft das nicht. Richtig selig werden können Sie in Wirklichkeit nur, wenn Sie – zu Lebzeiten, versteht sich – etwas gebracht haben. Und zwar nicht nur “mein Haus, mein Auto, mein Pferd”, sondern auch ein bisschen was für andere Leute. Christlich denken! Zum Beispiel der Karl aus Polen, weiter in der Bildzeitung:

“So wie es die französische Nonne Marie Simon-Pierre (50) erleben durfte: Über Nacht sollen ihre schweren Parkinson-Beschwerden verschwunden sein, als sie und ihre Mitschwestern den verstorbenen Papst um Hilfe baten. Nach eingehender Prüfung hat der Vatikan keine Zweifel: ein Wunder! Die Voraussetzung für die Seligsprechung war somit erfüllt.”

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letzte Woche / diese Woche (kw18)

Das war ja mal ein originelles Aprilwetter, oder? In Essen hat es meines Wissens nach nur einmal gehagelt, und es gab auch… keinen Schnee, nicht wahr? Tja. Aber wer will sich da beschweren?! Apropos: Letzte Woche habe ich mich darüber beschwert, dass sich immer so viele Leute beschweren, aber kaum auf der Straße. Und ich habe mich gefragt, ob das eher alles so eine Art virtuelle Protestkultur ist, eine demonstrierte, aber nicht wirklich so gemeinte. Siehe in dem Zusammenhang einen leicht polemischen Kommentar hier.

Das wurde nicht gut verstanden, das von letzter Woche. War auch viel auf einmal. Und bei so einer wöchentlichen Kolumne muss man ja dann auch nicht mehr reinpacken wollen zu meinen müssen – 😉 – als andere zu ihrem täglichen oder stündlichen oder minütlichen Diskurs- oder Informations- und Stromverbrauchsscherflein. Jedenfalls hatte ich über Ostern noch einmal „Dantons Tod“ von Georg Büchner gelesen – was für mich sowohl zum gerne einmal „Revolutionär“ betitelten Jesus passte, aber auch wohl von der Aussage dieses weißrussischen Präsidenten (?) beeinflusst war, der meinte, Demokratie sei die widerlichste Staatsform die es gibt. (Quelle? Weiß ich grad nicht.) Und Sie? Robespierre-Fan? Mit allen Konsequenzen? Danton-Fan? Gar nicht? Jedenfalls rumorte diese Frage von letzter Woche noch in mir herum und ich mochte weder die ungelesenen Capote („The Grass Harp“) noch Dickens („Great Expectations“) anrühren – trotz sommerlichen Wetters. Also ab in eines dieser Bücherkaufhäuser. Na, und da kam dann halt die Originalausgabe von „Brave New World“ auf mich zu. Und jetzt zitiere ich mal viel, denn dieser Totalitarismus-Prophet hat ja schon 1931 bzw. 1946 (im Vorwort zu diesem Buch seines jüngeren Selbst) schon alles gesagt in Bezug auf Brot und Spiele in der modernen Gesellschaft – wogegen er übrigens nie wirklich war. Und er hat sich ja später dann auch einem anderen Thema der letzten Woche, Gesellschaftsveränderung durch Drogen, persönlich zugewandt, zu PID kam er nicht mehr. Also los und ab in die Zeit zwischen den Weltkriegen.

Aus der Einführung von David Bradshaw: In 1928, when the first Five Year Plan was inaugurated in Russia, Huxley had written, “to the Bolshevist idealist, Utopia is indistinguishable from a Ford factory”, but the events of 1931 persuaded him to adopt a different perspective. Huxley asserted that stability was the “primate and the ultimate need” if civilization was to survive the present crisis. (…) As he put it, “It may be that circumstances will compel the humanist to resort to scientific propaganda, just as they may compel the liberal to resort to dictatorship. Any form of order is better than chaos.” In Huxleys eigenen Worten von 1946: It is probable that all the world’s governments will be more or less completely totalitarian even before the harnessing of atomic energy; that they will be totalitarian during and after the harnessing seems almost certain. Only a large scale popular movement towards decentralization and selfhelp can arrest the present tendency towards statism.” Aber Huxley gibt auch Tipps, wie dieser vor allem auf Sicherheit bedachte Totalitarismus all dieser Staaten aussehen müsste: A really efficient totalitarian state would be one in which the all-powerful executive of political bosses and their army of managers control a population of slaves who do not have to be coerced, because they love their servitude. Wie das? The love of servitude cannot be established except as the result of a deep personal revolution in human minds and bodies. To bring about that revolution we require, among others, the following discoveries and inventions. (Jetzt kann ich mal nicht an mich halten und kommentiere ein wenig dazwischen.) First, a greatly improved technique of suggestion – through infant conditioning and, later, with the aid of drugs, such as scopolamine. In meiner Kindheit gab es noch Leute, die – wegen ihren Kindern – keinen Fernseher zuhause hatten. Gute Frage, ob diese als Erwachsene deshalb jetzt keine glücklichen Sklaven sind. Rabeneltern?!?? Second, a fully developed science of human differences, enabling government managers to assign any given individual to his or her proper place in the social and economic hierarchy. Hierzu wie auch zum folgenden möchte ich diese(n) Artikel empfehlen. Third (since reality, however utopian, is something from which people feel the need of taking pretty frequent holidays), a substitute for alcohol and the other narcotics, something at once less harmful and more pleasure-giving than gin or heroin. And fourth (but this would be a long-term project, which would take generations of totalitarian control to bring to a successful conclusion), a foolproof system of eugenics, designed to standardize the human product and so to facilitate the task of the managers. Liebes glückliches Humankapital, schönen Feiertag!

Grafisches Element: Von gold-speculator.com

Kampf gegen Israel – differenzierter gesehen


Wichtig ist es, gerade in der Politik, die Dinge differenziert zu betrachten. Am besten: differenzierter. Insbesondere, wenn sich die Sachlage ein wenig komplizierter darstellt, kommt es ganz wesentlich darauf an, die Dinge differenzierter zu sehen. Nehmen wir – nur mal so als Beispiel: Israel. Ganz kompliziert. Wenn Sie da nicht höllisch aufpassen …

Angenommen, Ihnen ist danach, Israel zu boykottieren. Also den Kauf israelischer Produkte. Kein Problem, können Sie machen. Aber, und jetzt kommt´s: die Begründung muss stimmen! Wenn Sie also beim nächsten Mal im Supermarkt statt der Jaffa-Orangen die Apfelsinen aus Spanien nehmen, ist das so weit absolut in Ordnung … wenn Sie dieses kritische Verbraucherverhalten differenziert begründen können.
Klare Sache: Sie weisen die Kassiererin auf Ihre fortschrittlichen, antiimperialistischen und humanistischen Motive hin, und machen darauf aufmerksam, dass Sie jegliches Wiederaufleben des alten Antisemitismus richtiggehend anwidert. Sollte die Kassiererin wegen der der kapitalistischen Ausbeutung geschuldeten Arbeitshetze oder wegen ihres defizitären sozialistischen Bewusstseins nicht das rechte Interesse an Ihren Erläuterungen zeigen, kein Problem: Hauptsache bei den Zionisten kommt die Botschaft an.

Und die, also die Zionisten, bekommen so etwas ganz genau mit. Davon können Sie mal ausgehen! Ihr Bestreben, die Existenz Israels zu beenden, oder sagen wir besser: Palästina zu befreien, ist ihm nämlich ein Dorn im Auge,

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Der Ruhrpilot

Fußball: Der BvB ist  Meister…Pottblog

Fußball II: Ganz Dortmund feiert…Ruhr Nachrichten

Bochum: Schwere Vorwürfe gegen den DGB…Ruhr Nachrichten

Bochum II: Terrorspur führt nach Bochum…Der Westen

Essen: Professor der Uni Duisburg-Essen kritisiert die Minijob-Regelung…Der Westen

Essen II: Mexiko will „Ruhrpott TKilla“ von Comedian Onkel Reinhold den Hahn abdrehen…Der Westen

Musikvideo-Ausstellung: Kulturpessimismus? Nicht mit uns!…taz

Reise: Acapulco…Zoom

Facebook: Antisemitismus bei der Linkspartei…Solinger Boote

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Empire State of Mind

 

Herr Green (Daniel Stock), Karl Rossmann (Dimitrij Schaad) und Herr Pollunder (Manfred Böll). / Foto: Thomas Aurin

Moderne Bilder oben, Kafkas Worte unten. Der Applaus nach der „Amerika“-Premiere im Bochumer Schauspielhaus war lang anhaltend und in seiner Intensität konstant. Standing Ovations oder Buh-Rufe gab es keine. In zweieinhalb Stunden ohne Pause brachte Jan Klata das unvollendete Werk Franz Kafkas, das ursprünglich den Titel „Der Verschollene“ trug, auf die Bühne des Bochumer Schauspielhauses. Klata illustrierte den Text dabei reichhaltig, indem er die klischeehafte Ästhetik eines Amerikas ausgiebig zitierte, wie es sich in den vergangenen Jahrzehnten in die Köpfe seiner Beobachter gebrannt hat. Was blieb, war ein beeindruckender, aber nicht unbedingt einzigartiger Remix von Popkultur und gesellschaftlichen Klischees – durchzogen von Kafkas entlarvendem Geist.

 

Der 16-jährige Karl Rossmann wird von den Eltern verstoßen und nach Amerika geschickt. Rossmann scheitert in der neuen Welt schuldlos. Permanent ist der junge Rossmann Last, Unrecht und Härte ausgesetzt. Rührend in der Wirkung, tragisch in der Konsequenz. Er begreift weder das Leben noch, was ihm zustößt. Er begreift es nicht, weil es einfach nicht zu begreifen ist. Rossmann reiht sich ein in die Riege der bürgerlichen Individuen, die ihre eigene Vernichtung in masochistischer Weise inszenieren.

Come to where the Flavour is…

Klata gilt als einer der profiliertesten polnischen Regisseure und markiert mit seiner Inszenierung den Moment, in welchem der dem Leben ausgesetzte Mensch selbstreflexiv wird. Er inszeniert hier mithilfe der dramaturgischen Unterstützung von Olaf Kröck den Roman eines Mannes, der eine ausgeprägte Liebe für Untergänge hatte. Kafka schrieb die ersten sieben Kapitel der Geschichte in einem viermonatigen produktiven Rausch. Wie kein Zweiter beschrieb Kafka, der Freund der Söhne und der Untergänge, die Dramatik eines Wachkomas, das nichts als Enge und Ich-Dramatik bereithält. Es ist ein wuchernder Alptraum einer Lebenswirklichkeit, die sich rapide wandelt und in der jeder Keim eines Ausbruchsversuchs auf den Boden eines alles verschlingenden Treibsands gesät und somit von vornherein verloren ist. Diese Realität kann nicht mit Mitteln überwunden werden, die in ihr zur Verfügung stehen. Denn Ausbruch und Entkommen sind nicht vorgesehen.

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Reminder: Euromayday 2011

Stand ja schon alles hier. Nur mal zur Erinnerung: Morgen, am 1. Mai,  findet der Euromayday in Dortmund statt und am U-Turm werde ich dann zum Thema Kreativwirtschaft interviewt. Bin ein wenig nervös. Vor vielen Leuten reden ist nicht so mein Ding. Hier noch einmal eine Überblick von den Euromayday-Machern:

Morgen findet in Dortmund der zweite Euromayday Ruhr statt. Ab 14:00 Uhr zieht die politische Parade vom Nordmarkt in Dortmund aus in die Innenstadt über den Wall, vereint sich am Dortmunder U mit der Demonstration „Trommeln gegen Nazis“ und endet ab 18 Uhr im Westpark.

Über 30 Gruppen aus dem Ruhrgebiet vom Kulturzentrum Langer August, über den Bochumer AStA, dem Dortmunder Antifa-Bündnis bis zur ver.di Jugend NRW rufen zum Euromayday auf.

Der EuroMayDay ist eine offene Parade, die die zunehmende Prekarität im Ruhrgebiet in den Mittelpunkt und thematisiert die Selbstorganisation von Kunst-, Lebens- und Arbeitsformen. Alle Menschen – außer Nazis – sind eingeladen, ihre Prekarisierungserfahrungen, Aneignungskämpfe, Ideen und Forderungen einzubringen. Dies geschieht bei der Aktionsform Euromayday als Parade mit Kostümen, Sprechblasen-Schildern, Theater, Tänzen, DJs/DJanes… .

Die Parade wird dabei von drei Soundsystems begleitet;
– einem gemeinsamen Wagen mit Unterstützung des Dortmunder Clubs LeGrand
– der beliebten Oberhausener Party-Kollektiv Beatplantation
– die Bochumer Eventagentur FeelVergnügen.

Zu Beginn, zum Ende des Euromayday Ruhr und an drei Stopps werden vom zentralen Lautsprecherwagen/Soundsystem aus Interviews mit verschiedenen politischen, kulturellen und sozialen Gruppen geführt, die dabei ihre Kritiken und Forderungen äußern.