Was macht eigentlich die Duisburger Polizei?

Was macht eigentlich die Duisburger Polizei?
Richtig: sie macht alles richtig. Eigentlich immer, und ganz besonders dann, wenn es drauf ankommt. Also auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr. Wird es wirklich wichtig, macht die Polizei es richtig. Dazu drei Beispiele aus der jüngeren und jüngsten Duisburger Vergangenheit.

10. Januar 2009: Gefahr erkannt – Gefahr gebannt. Ein voller Erfolg für die Duisburger Polizei. Mehr als zehntausend Menschen beteiligen sich an einer Demonstration gegen die israelische Militäroperation im Gazastreifen, zu der die islamistische Milli Görüs aufgerufen hatte. Als die Menge zwei israelische Fahnen gesehen hatte, die in die Fenster einer Privatwohnung am Rande der Demoroute gehängt waren, heizte sich die Stimmung enorm auf. Geistesgegenwärtig erkannte die Duisburger Polizei sogleich, dass hier Gefahr im Verzuge ist, und riss die Flaggen runter. Absolut gelungene Gefahrenabwehr: keinem Menschen ist irgendetwas zugestoßen, selbst die beiden weißen Stoffe mit dem blauen Davidstern kamen nur geringfügig zu Schaden. Bedenkt man, wie leicht sie hätten zu Brennmaterial an diesem kalten Wintertag werden können, muss man resümieren, dass die beiden Fahnen eigentlich die Hauptnutznießer dieser besonnenen Polizeiaktion waren. Dass dabei die Tür der Wohnung, die die Beamten aufbrechen mussten, ein wenig zu Schaden kam, war vor diesem Hintergrund zu verschmerzen, wie auch ein Universitätsprofessor der Juristerei in einem Gutachten feststellen konnte.

24. Juli 2010: Dass anderthalb Jahre später auf der Loveparade die Bilanz der Duisburger Polizei nicht in einem ganz so strahlenden Licht erscheinen konnte, ist weithin bekannt. Doch sie trifft, wie inzwischen längst von höherrangigen Behörden bestätigt, keinerlei Schuld an dieser Tragödie. Im Gegenteil: der damals amtierende kommissarische Polizeichef machte in seinem Einsatzbefehl sachkundig und detailliert deutlich, was bei dieser miserabel vorbereiteten Massenveranstaltung so alles passieren könne. Und wer weiß, was sonst nicht noch alles hätte passieren können, hätte die Duisburger Polizei nicht den Point of no Return ausgelöst, indem sie einen Rettungswagen in die Unterführung hatte passieren lassen – und mit ihm die an der Kulturveranstaltung interessierte Menschenmasse gleich mit. Niemand kann im Nachhinein sagen, dass ein Eintreten der Katastrophe zu einem späteren Zeitpunkt weniger Todesopfer gefordert hätte. Auch dass sich die Duisburger Polizei sogleich an die Aufklärung der Ereignisse gemacht hatte, obwohl sie nicht einmal dafür zuständig war, findet heutzutage auch kaum noch Beachtung. Fazit: irgendwie wusste man Bescheid; leider konnte dieses Wissen bei der Gefahrenabwehr nicht vollständig verwertet werden. Dennoch: die Polizei hatte alles richtig gemacht.

Ganz genau so liegt der Fall vom 28. November 2010: die Duisburger Polizei wusste genau, dass große Gefahr droht, konnte oder wollte dieses Wissen jedoch nicht verwerten, um nach dem deshalb eintretenden Schaden gegenüber der Presse zu erklären, dass „wir uns korrekt verhalten haben“. Der Reihe nach: am 18. November wurde der Sexualstraftäter Ricardo K. aus der JVA Werl entlassen, wo er in Sicherungsverwahrung einsaß. Daraufhin ließ er sich im Duisburger Stadtteil Homberg nieder – pikanterweise in direkter Nähe einer Grundschule und einer Kita. Der Duisburger Polizei war dieser Umstand lange im Voraus bekannt. Einige Tage nach K.´s Entlassung erklärte Duisburgs neue Polizeipräsidentin gegenüber der NRZ: „Wir haben uns auf diese Situation vorbereitet und arbeiten eng mit allen beteiligten Stellen zusammen, wie mit der Führungsaufsicht und dem Bewährungshelfer. Der Entlassene hat Auflagen bekommen und muss sich regelmäßig bei der Polizei melden. Diesen Auflagen kommt er bisher nach“.

Und weil sich K. so „kooperativ“ zeigte, stellte die Polizei seine Überwachung am 24.11. ein. Am 28.11. überfiel K. dann ein zehnjähriges Mädchen, das sich Gott sei Dank, obwohl er es am Hals gewürgt hatte, befreien und weglaufen konnte. Vorgestern, also am 06.12., zitierte „Spiegel Online“ aus polizeiinternen Unterlagen, die belegen, dass die Duisburger Polizei den 47-Jährigen für sehr gefährlich hielt. Sie erstellte ein „Personagramm“, das K. „eine starke antisoziale Störung“ sowie die Unfähigkeit bescheinigt, sich an die rechtlichen Normen der Gesellschaft zu halten. Wörtlich heißt es: „Er wird infolge seines Hanges zu erheblichen Straftaten für die Allgemeinheit als gefährlich eingestuft.“ Auch, dass nach Ansicht des Anstaltspsychologen eine Aussetzung der Sicherungsverwahrung nicht verantwortet werden konnte, lag der Duisburger Behörde vor. Mehrere Therapieversuche seien an der „Verweigerungshaltung“ des Häftlings gescheitert, gab der Psychologe zu Protokoll.

Auf diese Veröffentlichung angesprochen, erklärte der Pressesprecher der Duisburger Polizei gegenüber der Lokalpresse, dass „wir uns korrekt verhalten haben“. Die 24-stündige Observation sei personalaufwändig und könne mit den Persönlichkeitsrechten des Entlassenen in Konflikt geraten. Doch genau dies zu meistern, hatte die Polizeipräsidentin öffentlich zugesagt – nämlich „einerseits für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen und andererseits die Rückkehr des Mannes in ein straffreies Leben zu ermöglichen“.

Nachdem die Duisburger Polizei an dieser selbst definierten „Aufgabe“ gescheitert ist, lässt sich ihr Pressesprecher stets mit dem Hinweis vernehmen, dass „man eine Sicherungsverwahrung nicht auf der Straße nachstellen“ könne. Sehr geistreich. Drinnen ist etwas Anderes als draußen. Das dachten wir uns schon. Eine Frage muss aber zulässig sein: ist diese, sagen wir mal: unglückliche Bemerkung so zu verstehen, dass sich die Polizei außerstande sieht, die Bevölkerung vor einem potenziell gefährlichen Straftäter zu schützen. Die Frage muss deshalb gestellt werden, weil ein weiterer in Sicherungsverwahrung einsitzender Mehrfachtäter angekündigt hatte, sich nach seiner in Kürze anstehenden Entlassung ebenfalls in Duisburg niederzulassen.

Nachtrag: selbstverständlich ist es ein unhaltbarer Zustand, dass hochgefährliche Triebtäter entlassen werden und die Polizei zusehen muss, dass nichts passiert. Innenminister Jäger hat Recht, wenn er sagt, dass dieses Problem entstanden ist, weil der Bundesgesetzgeber zu lange untätig war. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte freilich auch richtig entschieden, dass es nicht angehen kann, Inhaftierten nachträglich eine Sicherungsverwahrung aufzubrummen. Wenn ein Gericht für Menschenrechte solch eine Praxis nicht für widerrechtlich erklärt, kann es sich auch gleich auflösen. Man denke daran, dass es auch in Europa Regime gibt, denen man für dieses rechtsstaatswidrige Instrument keinen Persilschein ausstellen möchte.

Der Deutsche Bundestag hat diese Angelegenheit letzte Woche in Ordnung gebracht und eine Neuregelung der Sicherungsverwahrung mit großer Mehrheit beschlossen. Die Möglichkeit einer Sicherungsverwahrung muss jetzt mit dem Strafurteil verkündet werden. Wichtig ist auch, dass Delikte ohne Gewaltanwendung wie Vermögensstraftaten jetzt nicht mehr Anlasstat für eine Sicherungsverwahrung sein können. Doch das neue Gesetz muss erst noch von den Ländern umgesetzt werden. Es kann also sein, dass der oben erwähnte, aus der Sicherungsverwahrung zu entlassende Mann nicht der einzige bleiben wird, den die Duisburger Polizei im Auge zu behalten haben wird. Ein Grund mehr, sich nicht mit den Einlassungen vom vermeintlich korrekten Verhalten zufrieden zu geben.

Stop The Bomb!

Das Bündnis „Stop The Bomb“ hat für den kommenden Samstag in Düsseldorf zu einer Demonstration gegen die dem iranischen Staat gehörende Ascotec GmbH aufgerufen.

Für das Bündnis „Stop The Bomb!“ steht fest. Der Iran arbeitet an der Atombombe. Auch die dem Iran gehörende Asotec GmbH mit Sitz in Düsseldorf soll an den Bombenplänen des Regimes beteiligt sein. So steht es im Demoaufruf von „Stop The Bomb!“:

In der Islamischen Republik Iran herrscht ein menschenverachtendes Regime, das Oppositionelle, nationale und religiöse Minderheiten, Frauen und Homosexuelle verfolgt und ermordet Das iranische Regime unterstützt den islamistischen Terror weltweit, leugnet den Holocaust und geht brutal gegen die Freiheitsbewegung im Land vor, die unter Lebensgefahr für Freiheit und Demokratie kämpft. Trotz verschärfter internationaler Sanktionen betreibt das iranische Regime unbeirrt sein Nuklearprogramm weiter, wähnt sich als Speerspitze einer globalen islamischen Revolution und hetzt unentwegt gegen Israel.

(…)

Mit einem jährlichen Umsatz von 650 Millionen Euro (Stand 2008) ist Ascotec innerhalb der letzten Jahre zu einem der wichtigsten Eckpfeiler des iranischen Handels in Europa geworden. Nach Aussagen des NCRI (National Council of Resistance of Iran) verfügt Ascotec über Kontakte zum iranischen Verteidigungsministerium und nimmt bei der Beschaffung von militärischen Gütern für das iranische Regime eine wesentliche Rolle ein.

(…)

Düsseldorf ist nun bereits seit Jahren ein sicherer Hafen des iranischen Regimes. Zu lange wurde weggeschaut, es ist an der Zeit, Ascotec auch in Deutschland zu sanktionieren und der Regimefirma die Räumlichkeiten auf der Terstegeenstraße in Düsseldorf-Stockum aufzukündigen.

Kundgebung: 11. Dezember um 13 Uhr – Burgplatz Düsseldorf

Muss Assange befreit werden?

Heute Morgen hat der Dortmunder Ralf Grönke die Facebook-Gruppe „Free Julian Assange“ gegründet. Sie ist überflüssig.

Die Gruppe rockt: Innerhalb weniger Stunden hat sie fast 500 Mitglieder. Sie setzen sich für die Befreiung des Wikileaks-Boss Julian Assange ein. Wir sollten auf die Gruppe aufmerksam machen, was hiermit geschehen ist.

Assange muss allerdings nicht befreit werden. Assange wurde wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung festgenommen und wird wahrscheinlich nach Schweden ausgeliefert. Sowohl Groß Britannien als auch Schweden sind Staaten, in denen man von einem fairen und rechtsstaatlich korrektem Verfahren ausgehen kann. Und mehr auf mehr als einen fairen Prozess hat kein Angeklagter ein Anrecht.

Ist Assange unschuldig, wird er freigesprochen. Ist er es nicht, wird er verurteilt. Die Wahrheit wird hoffentlich am Ende des Prozesses stehen. Befreien muss ihn niemand.

VEB Steag

Ein Stadtwerkekonsortium will die Evonik-Tochter Steag kaufen. Es entsteht ein neuer volkseigener Betrieb.

Wann sind sich schon einmal CDU, SPD und Grüne einig? Am vergangenen Mittwoch zum Beispiel, bei einer von der FDP zum Steag-Verkauf beantragten aktuellen Stunde. SPD-Innenminister Ralf Jäger, die Grüne Daniela Schneckenburger und Hendrik Wüst von der CDU: Alle waren sie fasziniert von der Möglichkeit der Übernahme der Evonik-Tochter Steag durch ein Konsortium der Stadtwerke der Städte Bochum, Dinslaken, Dortmund, Duisburg, Essen und Oberhausen. Ein neuer Energiekonzern soll in NRW entstehen, der das Potential haben soll, die Marktmacht von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW zu brechen und den Stadtwerken zu neuen wirtschaftlichen Perspektiven verhelfen soll.

Nur in Nuancen unterschied man sich. Schneckenburger plädierte dafür, die Atom-Sparte von Steag zu veräußern, die für die Castor-Transporte nach Ahaus zuständig ist, und Wüst wünschte sich die Beteiligung eines im Bieterverfahren bereits ausgeschiedenen Unternehmens aus NRW.

Gut 620 Millionen  sollen die sechs Stadtwerke in einem ersten Schritt für 51 Prozent der Steag Anteile bezahlen. In wenigen Jahren, noch vor dem geplanten Börsengang, müssen sie die restlichen 49 Prozent übernehmen. Insgesamt ein Geschäft in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Und weil weder die Städte noch die Stadtwerke über die nötigen Mittel verfügen, wird es komplett über Kredite finanziert. 30 Prozent davon werden die Stadtwerke aufnehmen müssen, 70 Prozent die von ihnen zu gründende Vorschaltgesellschaft.

Die Begeisterung über die Fraktionen hinweg verwundert. Denn die Steag ist nicht irgendein Unternehmen: Es ist, und man würde erwarten, dass die Grünen damit Probleme hätten, vor allem ein Betreiber und Entwickler von Kohlekraftwerken. Neun Steinkohle- und zwei Raffineriekraftwerke besitzt die Steag in Deutschland.

Im Ausland besitzt sie drei Kraftwerke in der Türkei, Kolumbien und auf den Philippinen.  Ein internationales Engagement von Stadtwerken auf drei Kontinenten? Das müsste zumindest bei der Union für Stirnrunzeln sorgen, und das tut es auch. Nicht bei Hendrik Wüst, aber bei Klaus Franz. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bochumer Rat soll bald über den Kauf der Steag Anteile durch die Stadtwerke entscheiden und fühlt sich dabei nicht wohl: „Ich habe noch viele Fragen und sehe es nicht als klassische kommunale Aufgabe an, dass wir Kraftwerke auf den Philippinen betreiben. “ Stadtwerke sind für die Daseinsvorsorge da und sollten sich nicht auf den internationalen Energiemärkten tummeln. „Das Risiko, das Geld der Bürger zu verzocken, ist zu hoch.“

Das sah im Landtag der FDP-Abgeordnete Dietmar Brockes ähnlich. Brockes bezweifelte, dass ausgerechnet die wirtschaftlich schwachen und hochverschuldeten Ruhrgebietsstädte die Steag kaufen sollten: „Es ist ein wirtschaftliches Abenteuer, wenn sechs Stadtwerke, deren Städte gemeinsam 10 Milliarden Euro Schulden haben, ein internationales Energieunternehmen übernehmen.“ Alles werde zu 100 Prozent auf Pump finanziert: „Jeder Häuslebauer weiß, dass das nicht gut gehen kann.“

Bei den Stadtwerken sieht man das anders. In Hintergrundgesprächen wird der Steag-Kauf als Chance bezeichnet, die man sich nicht entgehen lassen kann. Die Stadtwerke hätten zusammen mehr Kunden als Eon und RWE, würden allerdings fast nur als Stromhändler auftauchen. Nur ein Zehntel der deutschen Strommenge produzieren die Stadtwerke. Der Kauf der Steag würde diesen Anteil schlagartig verdoppeln.

Es soll ein Unternehmen der kommunalen Familie entstehen: Mit Arbeitsplätzen im Ruhrgebiet und einer starken regionalen Verankerung. Das Geld, das im Ausland erwirtschaftet wird, soll in die Modernisierung des Kraftwerkparks fließen. Die alten Kohlekraftwerke will man nach und nach durch moderne Gaskraftwerke ersetzen. Die Macht der großen Stromkonzerne soll gebrochen werden. Das Fernwärmegeschäft der Steag  soll mit dem der Stadtwerke gebündelt werden. Ein leistungsstarkes Fernwärmenetz soll so große Teile des Reviers versorgen.

Dass der künftige Konkurrent RWE die zur Erneuerung anstehenden Lieferverträge für sechs Kraftwerke ganz oder teilweise nicht verlängern könnte, stört nicht. Ein Stadtwerker zur Welt am Sonntag: „Dann nutzen wir den Strom selbst. Für uns ist das nicht wichtig. Ohne die RWE-Verpflichtung können wir schneller mit dem Umbau des Kraftwerkparks beginnen.

Geld spielt keine Rolle. Alles, so versichern die Mitglieder des Stadtwerkekonsortiums, sei durchgerechnet worden. Das Angebot spiegele das Ergebnis eines Worst-Case-Szenarios wider, in dem auch die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke durch die Bundesregierung längst eingepreist seien. Und die Kreditfinanzierung? Problemlos. „Bei den günstigen Zinsen würden wir das Geld auch am Kapitalmarkt aufnehmen, wenn wir es hätten, denn eine Investition in unsere Unternehmen bringt eine deutlich höhere Rendite als die Zinskosten der Kredite.“

Man plane auch nicht weit in die Zukunft, denn die Energiemärkte seien im Umbruch. Aber die kommenden 20 Jahre könne man überschauen.

Nicht alle teilen diese Euphorie. Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI bezweifelt, dass man die Entwicklung der Energiemärkte über die kommenden 20 Jahre einschätzen kann: „Klar ist eigentlich nur die demographische Entwicklung. Wir haben aber beispielsweise keine langfristige Energiepolitik in Deutschland: Die eine Regierung steigt aus der Kernergie aus, die nächste verlängert die Laufzeiten und die Opposition kündigt für den Fall, dass sie an die Regierung kommt, wieder den Atomausstieg an.“ Zudem gäbe es zahlreiche ungelöste Zielkonflikte: „Die Industrie und die Verbraucher wollen günstigen Strom, er soll aber möglichst aus regenerativen Energien ohne Co2 Belastung hergestellt werden. Das passt nicht zusammen.“

Der Steag-Kauf durch die Stadtwerke sei riskant und der Nutzen für den Verbraucher ungewiss: „Wenn es künftig fünf statt vier große Konzerne gibt, wird das kaum die Preise verändern.“ Schmidt hält eine Öffnung des deutschen Strommarktes für ausländische Anbieter für effektiver: „Wir brauchen mehr grenzübergreifende Leitungen zu unseren Nachbarn. Dann sorgen Stromimporte für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Markt.

Auch in der Landesregierung gibt es skeptische Stimmen. Auch wenn man den Einstieg der Stadtwerke befürwortet – einen starken Partner an ihrer Seite würde man gerne sehen. Umweltminister Johannes Remmel:

„Wir halten auch die Beteiligung eines finanzstarken und international erfahrenen Privatinvestors als Partner der Stadtwerke für überlegenswert – gerade mit Blick auf das Auslandsgeschäft und die Risikominimierung.“

Das könnte zum Beispiel die Rethmann-Gruppe sein, die bereits aus dem Wettbewerb um die Steag ausgeschieden ist. Auch in Finanzkreisen wird ein Einstieg von Rethmann befürwortet: „Die Kommunen hoffen auf weitere Einnahmen durch die Steag, aber die Kreditkosten werden die Dividende aufzehren.“ Ein starker privater Partner sei auch notwendig, um den Umbau des Kraftwerkparks und die hochrentierlichen Investitionen ins Auslandsgeschäft zu ermöglichen. Das Finanzkonzept der Stadtwerke sei zu optimistisch. „Irgendwann einmal werden die Zinsen wieder steigen – und dann wird es für die Stadtwerke schwierig werden.“ Das sei kein Problem der kommenden ein bis zwei Jahre. Aber zu dem Zeitpunkt, wo die Stadtwerke die restlichen 49 Steag-Prozent kaufen und finanzieren müssen, könnte es soweit sein. Und dann würden harte Zeiten für die klammen Kommunen im Revier anbrechen.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag

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Der Ruhrpilot

Adolf Sauerland

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Gefühle: Verliebt, verlobt, verheiratet…Denkfabrik

Fußball: Schalke bejubelt Gruppensieg…Spiegel

Letters from Ireland IV

Irland steckt in einer tiefen Krise. Nicht nur wirtschaftlich geht es bergab, auch politisch steht das Land an der Abbruchkante. Der seit vielen Jahren in Nordrhein-Westfalen lebende Ire Hugh Murphy reist in seine Heimat zurück und schreibt über das, was er sieht. Hier ist der vierte Brief unseres Gastautors.

“Hello there,

The weather has now joined in the rush to distract the Irish from brooding about the EU-IMF bailout deal. The coldest November/December for 25 years hit Dublin city (appropriately) and the eastern coast areas with a temperature drop to near minus ten. Snow accumulated everywhere. Passes in the Dublin mountains and schools were closed and questions were asked in parliament. In the senate actually.

A senator called to a house in darkness and when she was let in she found a family who had been without food or electricity for two days because they had had to pay their mortgage instalment. “The IMF and the ECB protect the elite of Europe and this family was the reality facing us as a consequence,” she announced to the almost empty chamber. “The bail out deal must be renegotiated,” she demanded.

The theme was taken up in the Dail (the other House). Again it was a woman TD (member of parliament) who made the point, “now that an election is in the offing Ministers and other Members are retiring in droves. They will get huge pensions and golden handshakes. But a man who has worked 47 years on a building site will be lucky to get 30 euro a month from the Construction Industry Federation.”

It is such crass contrasts in Irish society that turn people away from politics and why their despair of a change is so profound. There is no ‘Moses’ in sight. The bad weather and the on-rushing Christmas ruckus are lousy Golden Calves, but they’ll do for now. There is always a seeming-Moses lurking in Dublin 4 or 6, which are the areas of south Dublin city where the well-off and ‘intellectuals’ live. The likes of Vincent Brown and Finton O’Toole know nothing but they can explain everything. Finton O’Toole is a columnist and the author of “Stern critic of Irish politics”; Vincent Browne is a political pundit with his own TV show.

Suppose there was a real movement, let’s just call it that and not a revolution, in Ireland, what might it look like? Suppose the Irish government took a page from the Icelanders book and refused to take responsibility for the bankers debts? Yes! Renege on the September 08 promise to guarantee them! Immoral? Yes! Justifiable? Every country tears up treaties when national interests are at stake and surely the bail out is and will be a threat to Irish national interests for a generation!

Or is it all shadow boxing? In the not too distant future will a clown jump out of a box, maybe still with Cowan’s face, and announce an end to the crisis? Dreams? Of course! But that’s the state of mind in Ireland today! Some wish the clown will be Michael O’Leary, the highly successful boss of Ryanair!

If an Irish government choose to go down that road, even if it means pulling the plug on the Euro, they would and should pay the debts that occurred through their own excesses. Then the Irish debt becomes manageable. Pensions do not have to be double that of the UK. Rates get paid; water is paid for; many pensioners get by without free travel.

Impose a reasonable wage cap for civil servants, especially at the top, and politicians; lock up as many developers as you can lay hands on and you’d be making a good start. The biggest task of course, would be to attract enough intelligent, honest and capable people into politics to see off the present lot of cement heads and their self-serving culture.

What was it again what Garret Fitzgerald Fine Gael politician and one time Taoiseach (prime minister) said about Oliver Flannigan (flamboyant politician who used his position to get ‘jobs for the boys’.)?

Politics is not about jobbery, said Garret. Garret knows nothing about politics, said Oliver. Seemingly Oliver is alive and well in Irish politics.

Hugh Murphy”

Nachtrag: Die irische Regierung hat heute das umfassende Sparprogramm beschlossen. Viele Ökonomen sehen die Zukunft Irlands durch die immensen Einsparungen gefährdet, wie Spiegel Online trefflich zusammenfasst.

Vorherige Briefe:

Letters from Ireland I

Letters from Ireland II

Letters from Ireland III

Gerz´ Straßen gehen weiter

Das Kulturhauptstadtprojekt 2-3 Sraßen des Künstlers Jochen Gerz wird trotz aller Probleme weitergeführt.

Im Züricher Stadtteil Hottingen  ist die Welt noch in Ordnung. Man blickt auf den Zürichsee, der Weg ins Theater oder ins Museum ist nicht weit und viele der renovierten Altbauten liegen in großzügigen Grünanlagen. Hier wollte Rudolf Jörg-Fromm weg. Zumindest einmal raus wollte der 69jährigen Rentner aus seinem ruhigen und wohlgeordneten Leben. Und als er im vergangenen Jahr eine kleine Meldung in der Neuen Züricher Zeitung über das Kulturhauptstadtprojekt 2 – 3 Straßen des Künstlers Jochen Gerz las, wusste er sofort: „Da will ich mitmachen.“

Gerz suchte nach Menschen, die für ein Jahr im Ruhrgebiet wohnen wollten. Die Kaltmiete sollte ihnen erlassen werden. Die 78 Wohnungen standen ohnehin leer. Dafür sollten sie jeden Tag einen Text schreiben. Anonym und in eine spezielles Programm, dass den Zugriff auf die einmal geschrieben Texte nicht mehr erlaubt. Die Texte sollten zu einem Buch zusammengestellt werden sollten. Mehr nicht.

Zur Auswahl standen Siedlungen in Duisburg-Hochfeld, der Dortmunder Nordstadt und ein Hochhaus direkt neben dem Mülheimer Hauptbahnhof.

Jörg-Fromm zog es nach Mülheim.  Nach einem Jahr zieht er Bilanz: „Es hat sich sehr gelohnt, bei 2-3 Straßen mitzumachen. Das Ruhrgebiet hat ein sehr großes kulturelles Angebot und hier ist noch sehr viel Engagement bei den Menschen. In Zürich ist vieles fest gefügt, da ist viel weniger Bewegung.“

Von den Problemen des Ruhrgebiets wusste er, dass der Strukturwandel hier zur Lebensform wurde auch. Er fand das alles spannend und Begann sich für Mülheim zu engagieren: Er arbeitete an einem ökologischen Einkaufsführer für Mülheim mit und zeigte Besuchern aus der Schweiz die kulturellen Höhepunkte des Ruhrgebiets wie das Ruhr-Museum und das Folkwang in Essen, die Jahrhunderthalle und in Bochum oder das Dortmunder U.

Es hat ihm Spaß gemacht im Ruhrgebiet, nur eines hat er vermisst. Einen funktionierenden Nahverkehr: „Wir haben das Auto schon vor Jahrzehnten abgeschafft, weil der Nahverkehr in Zürich sehr gut organisiert ist. Im Ruhrgebiet ist es leider nicht so gut.“

Leute wie Rudolf Jörg-Fromm hat sich Jochen Gerz für sein Projekt gewünscht. Der Konzeptkünstler suchte nicht nach Künstlern, die Teil eines Kunstwerks sein wollten, sondern nach neugierigen offenen Menschen: „ Kreativität ist kein Privileg von Künstlern und kein Reservat. Die ganze Gesellschaft darf

kreativ sein. 2-3 Straßen hat keine Künstler gesucht und keine eingeladen. Eine bunte Mischung von Menschen mit vielen Berufen wollte an diesem Experiment teilnehmen. Viele kamen von weither und wollen im Ruhrgebiet bleiben und sich hier niederlassen.“

Zum Beispiel Sebastian Kleff. Der kam später zu dem Projekt  dazu, weil andere Teilnehmer abgesprungen waren. Er selbst sieht sich als Künstler ohne Werk, wohnte mal in Berlin, Wien oder Dresden und nutzte seine Wohnung gemeinsam mit seinem Mitbewohner für Ausstellungen. Und weil Gerz keine Ausstellungen in der Ausstellung wollte, nannten sie die ein „Begehbares Magazin“ – wie in einer Zeitschrift konnte man Geschichten und Bilder von Menschen aus dem Hochhaus betrachten. Für Kleff war es ein gutes Jahr und er wird in der Gegend bleiben. Wenn nicht im Ruhrgebiet, dann in Düsseldorf. So genau weiß er das auch nicht– man wird es sehen. Seine Erfahrungen mit den traditionellen Mitbewohnern sind gemischt: „Wir haben mit einigen für unser Magazin zusammen  gearbeitet und es war toll, was für spannenden Geschichten sie erzählen konnten, wie gerne sich mitgemacht haben.“ Als es auf einer Ausstellungseröffnung mal zu laut gefeiert wurde, stand allerdings auch  ein weniger kunstsinniger Nachbar mit einem Messer vor der Tür, um sein Recht auf Nachtruhe durchzusetzen.

Gerz hat sich für sein Projekt Problemquartiere ausgesucht. Sicher, in den Szenevierteln in Bochum, Dortmund und Essen hätten die Anwohner begeisterter mitgemacht – aber auch der Reiz des Experiments wäre geringer gewesen. Und bei ihren Projekten mussten sich die Teilnehmer mit ihren Nachbarn auseinandersetzen. Zu Abstrakt durften die Ideen da nicht sein. Aber mit einer Fahrradwerkstatt wurden die Herzen der Kinder in der Nordstadt schnell erobert. Begeistert lernten sie ihre Räder selbst zu reparieren. Auch Bilder mit ihren Lieblingsfarben im Hausflur oder die Tauschwirtschaft, bei der jeder aus dem Haus Gegenstände die er nicht mehr benötigte, etwas gegen etwas anderes tauschen konnte, kamen gut an.

Gerz ist zufrieden: „2-3 Straßen hat am 1.1.2010 begonnen und dauert ein Jahr lang. Es ist das längste Projekt der Kulturhauptstadt. Die Frage ob die Erwartungen erfüllt wurden, sollte

den Städte gestellt werden: Ich will die Straßen verändern und ein Kompliment wäre es , wenn die Vermieter 2011 weiter machen wollen. Und da wir darüber verhandeln und die Idee von den beteiligten Städten kommt, scheinen sie die Frage positiv zu beantworten.“

In Dortmund und Duisburg geht es weiter, werden den Teilnehmern Wohnungen zu geringeren Mieten angeboten – in Mülheim ist das noch nicht entschieden.

In Mülheim gab es allerdings auch die meisten Konflikte zwischen Gerz und den Teilnehmern. Es kam schon im März zu einem Schreibstreik, in einem eigenen Blog gingen die Unzufriedenen vor allem mit Jochen Gerz hart ins Gericht. Das Projekt sei  nicht transparent, man wisse nicht, was Gerz erwarte und die Kommunikation zwischen dem Künstler und den Teilnehmern sei miserabel. In Krisensitzungen gab es schmerzhafte Diskussionen. Dort rät Gerz den Teilnehmern bis zum Ende des Projekts ihre Arbeit nicht zu reflektieren. In einem Mitschnitt eines solches Gesprächs, dass den Ruhrbaronen vorliegt, wirft er den Unzufriedenen vor, Kontakt zu den Medien aufgenommen zu haben: „Ihr habt eine Attitude, die könnt ihr der Lokalzeitung verkaufen, aber ihr tut euch keinen Gefallen in Bezug auf Euer eigenes Leben“

Einer der von Gerz gescholteten ist Jan-Paul Laarmann. In seiner Zeit im Hochhaus in Mülheim hat er sich nicht nur mit Gerz gestritten, sondern auch noch die Literaturzeitschrift Richtungsding gegründet, zwei Ausgaben von ihr herausgebracht  und Lesungen organisiert.

Laarmann fand das Jahr im Gerz-Projekt spannend, wirft dem Künstler jedoch vor, die Potentiale der Beteiligten nicht genutzt zu haben und immer wieder autoritär aufgetreten zu sein. „Wir hätten viel mehr machen können, aber viele waren mit dem Auftreten von Gerz sehr unzufrieden. Unsere Ideen wurden auch oft blockiert.“

Hört man sich den Mitschnitt der Diskussionen mit Gerz und den Bewohnern an, wirkt Gerz allerdings nicht autoritär sondern nur ungeheuer genervt.

Er wollte keine Künstler – und bekam doch viele in sein Projekt, die genau die Teilnahme an 2-3 Strassen als Möglichkeit sahen, ihrem eigenen Künstlerdasein Schwung zu geben. Es gab Auszüge von Unzufriedenen Teilnehmern und immer wieder lange Diskussionen und Briefwechsel. Aber das gehörte wohl dazu. Gerz hatte keinen fertigen Plan, als er antrat: „ Ich mache keine Arbeit, die ich kann – der Zweifel, die Sorge das was nicht richtig ist, ist immer mit dabei. Sonst würde man besser auf der Tribüne sitzen und zuschauen – das tun wir nicht, wir spielen.“

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PISA: Lernen in den Zeiten der Botox-Bildung

Hurra, die neue PISA-Studie ist da. Die Freude im Land kennt keine Grenzen, weil die deutschen Schüler endlich die usbekische Konkurrenz in der Kategorie „Textaufgaben mit Zahlen über hundert“ abgehängt haben. Oppositionell und traditionell wird dann noch bemängelt, dass die Situation von migrationsgeschädigten Kindern in der Republik mal wieder unter aller Sau sei, was aber in der Selbstbejubelungsorgie vergessen werde. Kein Mensch kommt auf die Idee, mal nachzufragen, warum man sich von der OECD vorschreiben lässt, was Bildung ist, ein durch Rankingpunkte vermeintlich objektiver Wert nämlich. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist ein ökonomisches Bündnis, das folglich Bildung der Wirtschaft unterordnet. Das ist so, als würde der Vatikan Sterne vergeben für die neuesten Hardcorepornos, weil man sich dort bekanntlich gerne dem Thema  Liebe widmet. Wobei man vergisst, dass ein Unterschied besteht zwischen Eros und Caritas, den man eigentlich leicht erkennen könnte. Schließlich leben Senioren im Caritas-Heim und nicht im Eros-Center. Aber die OECD macht nicht nur auf Bildung. Sie hat auch schon festgestellt, im internationalen Vergleich sei der deutsche Hatz IV- Empfänger vollkommen überbezahlt. Andere sagen, eher das Gegenteil stimme. Vielen kinderreichen Hartz IV- Familien im Osten fehle zum Beispiel das Geld für Neuanschaffungen, etwa für eine größere Tiefkühltruhe.

Was auch bitter fehlt, ist eine PISA-Studie für die Hochschullandschaft, genauer: für das dortige Spitzenpersonal. Man darf annehmen, bei den Textaufgaben bis 500 Euro pro Semester würde diese Peer Group grandios scheitern. Was der Schule die PISA-Studie, ist der Universität bekanntlich der Bologna-Prozess, so eine Art Hartz IV der Bildung. Bologna sorgte für die angeblich bitter nötige Straffung der Hochschulstrukturen, wie vor Jahresfrist noch der WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz einsam jubelte.

Ob diese Botox-Bildung allein für eine Teilnahmegarantie an Pflichtveranstaltungen sorgt, für einen Treppensitzplatz im Hörsaal, für die Bezahlbarkeit von Studienkrediten oder die Erreichbarkeit von möglichst vielen Creditpoints in möglichst wenigen Semestern bei gleichzeitigem Auslandsaufenthalt, den sicheren Übergang vom Bachelor- in den Masterstudiengang oder die erkennbare Verwendung der idiotischen Studiengebühren, ist nicht hinreichend erforscht. Nach dieser Logik wäre das Problem des Gesundheitssystems jedenfalls schnell gelöst, wenn man in diesem Land in einer Handvoll Feldlazaretten in straffen Strukturen nur das behandelte, was der Wirtschaft dient.

Dummerweise boxte der sich ansonsten stetig durchs eigene Blatt grinsende Chefredakteur ziemlich allein auf das faule Studentenpack ein. Da gruschelten sich Politiker von Annette Schavan bis Andreas Pinkwart schon längst an die Studierenden ran, als bewürben sie sich um den imaginären Titel der Miss bzw. des Mister Studien-VZ, freilich ohne Willen ernsthaft etwas bei den Studiengebühren zu ändern.

Dann passierte die Landtagswahl in NRW, und damit ging der Stern der Dortmunder Universitätsrektorin Prof. Ursula Gather auf. Sie ist nebenher Vorsitzende der NRW-Rektorenkonferenz. In dieser Funktion hat es sich, kaum droht die Abschaffung der Studiengebühren, mittlerweile ausgegruschelt. Die Frau ist Mathematikerin und gerade dabei, das Thema ihrer Dissertation per Selbstversuch mit Leben zu füllen. Damals ging es um die „Ausreißeranfälligkeit von Wahrscheinlichkeitsverteilungen“.

Man muss wissen, bis vor drei Jahren war die Technische Universität nur Universität. Mit Einführung des neuen Labels tröstete man etwa die bundesweit anerkannten Gerontologen mit dem Tipp, sie könnten auch an einer technikfixierten Uni ihren Platz finden, indem sie etwa erforschten, wie Senioren so klarkommen mit dem, was die richtigen Wissenschaftler nebenan im Labor entwickelten.

Neulich war die Rektorin strunzstolz im Lokalblatt abgelichtet. Da weihte sie mit einem anderen grinsenden Akademiker eine rotierende TU-Leuchtschrift auf dem Dach des Matheturms ein und frohlockte entfesselt angesichts dieses Logos: „Über 85.000 Fahrzeuge pro Tag fahren allein auf der B1 an der TU vorbei, es wird bis in die Stadt zu sehen sein – und das jeden Tag!“ Das ist ein bisschen wie ein niederbayrischer Dorfbürgermeister, der dem berühmten Zuchtbullen der Gemeinde ein beleuchtetes Denkmal spendiert, das von der Autobahn aus zu sehen ist, und hofft auf diese Weise den Manager eines taurinhaltigen Energydrinks anzulocken, der umgehend in Dorf Millionen investiert. Immerhin, wenn es um Firlefanz geht, scheint und der Dortmunder Universität Geld vorhanden zu sein.

Wenn es jedoch um die finanziellen Nöte von Studierenden geht, fehlt jedes Verständnis. Die Studiengebühr abzuschaffen, so erklärte Gather im Namen ihrer Rektorenkonferenz, sei falsch. Aha. Denn es kämen zusätzliche Belastungen auf die Hochschulen zu, etwa durch den Wegfall der Wehrpflicht oder den doppelten Abiturjahrgang 2013/14. Es ist wunderbar, wie hier Studierende in Geiselhaft genommen werden für ein Problem, das sie nicht verursacht haben. Unverschämt ist aber, wie hier ein Satz Wahrheit behauptet, nur weil er sprachlich korrekt ist wie die berühmte Aussage: „Farblose grüne Ideen schlafen zornig.“  Gather hätte einfach sagen können: „Hey Frau Kraft, ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber wir brauchen da etwas mehr Geld.“

Dieses Beharren auf den Studiengebühren ist typisch für Verwaltungen. Was man hat, das hat man. – Den Soli wahrscheinlich, bis der Osten endgültig entvölkert ist. Man wundert sich, dass wir nicht heute noch das Notopfer Berlin auf unsere Briefe kleben müssen. Rumsitzen in durchstrukturierten Verwaltungen sorgt offensichtlich zu Ängsten vor Änderungen. Leute wie Ursula Gather sollten sich keinen Abreißkalender ins Büro hängen. Täglich eine andere Zahl sehen zu müssen, das könnte zu schweren psychischen Störungen führen.

Die Verteidigung der Studiengebühren zeigt auch, wie weit die Rektoren von ihren Studierenden entfernt sind. 500 Euro im Semester sind viel Zeit, die dem Studium fehlen, etwa drei Arbeitsstunden pro Woche, im Copyshop oder an der Tankstelle, Zeit in der man lernen oder zum Chillen  an einem rotierenden Uni-Logo vorbeifahren könnte. Was Studis mit Finanzhintergrund sicher auch weidlich tun. Natürlich gibt es für Studiengebühren kein vernünftiges Argument, solange man für den Schulbesuch ab Klasse elf nicht auch abkassiert und die Azubis dazu nötigt, dem Chef wieder Lehrgeld abzudrücken.

Glücklicherweise musste ich vor langer Zeit nur diese erbärmlichen Sozialgebühren entrichten. Das machte mich so sauer, dass ich versuchte das Geld wieder reinzuholen, indem ich mir in der Cafeteria die Taschen kiloweise mit Würfelzucker vollstopfte und in der Mensa minderwertiges Besteck klaute. Irgendwann rechnete ich mal nach, nach wie viel Zentnern Zucker ich mit der Uni quitt gewesen wäre.

Eine herablassende Haltung gegenüber Studierenden ist nicht neu. Ein Akademischer Rat prüfte uns Erstsemester, Literaturwissenschaftler, damals mit einem Fragebogen, der nur dazu dienen konnte, unsere Minderwertigkeit zu offenbaren. Fachfragen, bei denen der letzte PISA-Versager laut lachen würde („Erklären Sie den Unterschied zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit!“ – Antwort: „Obwohl Opa gern und ausführlich vom Krieg erzählte, dauerte dieser nach Angaben von Historikern doch noch länger.“), wurden getoppt durch das Ausforschen von Privatem. Der Dozent wollte wissen, wofür wir mehr Geld ausgäben, für a) Schallplatten, b) Bücher, c) Kino und Ausgehen. Ich teilte die Rubrik mit einem senkrechten Strich, fügte die Kategorien d) Miete, e) Nahrung, f) Kleidung hinzu, kreuzte alle drei an und verachtete den Mann seither.  Zum Glück trug er nur Verantwortung dafür seine Schnürsenkel ordentlich zu binden.

Das ist heute anders. Schuld an der miserablen Ausstattung von Forschung und Lehre ist niemand, außer der Uni an und für sich. Jedenfalls nicht die Politik. Die hat das neue Hochschulfreiheits-Gesetz geschaffen. Dadurch entscheiden Unis sogar über ihr eigenes Geld. Diese Freiheit kennt auch der Wellensittich in seinem Käfig, der jeden Morgen frei entscheiden kann: Kack ich heute von der Schaukel oder kack ich heute doch lieber von der Sitzstange?

Wenn das mal jemand Prof. Ursula Gather erklären könnte.

BvB-Fans unter Geißböcken

Mitten im Herzen von Köln-Ehrenfeld steht in einer Seitenstraße eine unscheinbare Eckkneipe. An jedem Wochenende wird das »Klimbim« zum Zufluchtsort für BVB-Fans aus Köln und Umgebung. Die Kneipe ist der Geburtsort des ersten BVB-Fanklubs in Köln. Von unserem Gastautor Dominik Drutschmann.

Fußball macht einsam. Alleine mit einem Pils in der Hand auf der Couch zu sitzen und Fußball zu schauen, ist nicht schön. Während die »La Ola« im Stadion ihre Runden dreht, wird man sich der Einsamkeit bewusst: Niemand ist da, mit dem man über Fußball philosophieren kann. Keiner der die Hasstiraden auf den Schiedsrichter abnickt.

Gerade als Fan von Borussia Dortmund braucht man das Kollektiv, die Glaubensgemeinschaft. Das kennt man so aus der Heimat: An Spieltagen regiert in Dortmund König Fußball. Schon vormittags schwappen schwarz-gelbe Wogen über den Westenhellweg.

Einsam wird es erst, wenn man aus diesem Wohlfühlkosmos heraustritt. Wenn man nicht mehr im Dunstkreis des Lieblingsvereins wohnt. So schwer erträglich diese Einsamkeit in fußballfreien Zonen wie Kiel oder Traunstein sein mag, besonders schlimm wird sie ironischerweise in fussballverrückten Städten wie Köln. Denn die Domstadt hat ihren eigenen Verein. In jeder Kneipe hängt mindestens ein Schal. Hennes, dieser komische Hund mit den Hörnern, schaut dumpf von tausenden Wappen, Fahnen und Aufklebern. Der FC ist ähnlich dominant wie der Karneval in Köln – man muss ihn nicht mögen, aber man kommt auch nicht um ihn herum.

Inmitten dieser Geißbock-Dominanz ist die Kneipe »Klimbim« eine schwarz-gelbe Oase. Die Entstehung dieses 80-Quadratmeter-Fleckchens Ruhrgebiet im Rheinland war purer Zufall. Marvin Derksen, einer der Gründer des Fanklubs »Schwarz-Gelbe DOmborussen«, erzählt, wie er im März dieses Jahres zufällig in die fast leere Kneipe stolperte: »Ich habe dem Wirt ein Angebot gemacht: Wenn Du hier das Dortmund-Spiel zeigst, komm ich gleich mit fünf Leuten vorbei – und die haben alle Durst.«

Vukoman Zarkovic musste nicht lange überlegen. Wolf, wie ihn hier alle nennen, kommt ursprünglich aus Montenegro und betreibt das »Klimbim« seit sieben Jahren. Zuletzt lief die Kneipe  schlecht. Vielleicht liegt es an der ruhigen Lage. Vielleicht an der Kneipe selbst. Ehrenfeld ist das Szene-Viertel Kölns. Öffnet man die Tür des »Klimbim« fallen einem sogar als Dortmunder nur zwei Worte ein: Gelsenkirchener Barock. Die dunkle Holztheke dominiert, die Decken sind niedrig und mit Balken durchzogen. Kurz: die Kneipe ist ein bisschen schäbig und wäre am Dortmunder Borsigplatz besser aufgehoben.

Wenn Wolf hinter der Theke steht und von den Anfängen erzählt, erinnert er mit seiner imposanten Erscheinung und der Lockenpracht ein wenig an eine brünette Ausführung des alten BVB-Haudegens Michael Schulz. Zwischen den Zeilen hört man heraus, wie glücklich er ist, dass die BVB-Jungs in seine Kneipe gestolpert sind. Bei Spitzenspielen gegen Schalke oder Bayern stehen bisweilen 100 BVB-Fans dicht aneinandergedrängt. Das Kölsch fließt in Strömen – und das Geld in die Kassen.

Die Entwicklung der Kneipe zum Mekka für alle BVB-Fans in und um Köln verlief rasend schnell. Im April schauten noch eine Handvoll Leuten das Spiel gegen Bremen. Zu Beginn dieser Saison beim Spiel gegen Kaiserslautern mischte sich unter die gut 60 anwesenden Gäste auch Schauspieler und BVB-Edelfan Joachim Król.

Offensichtlich haben die Macher des Fanklubs um Derksen einen Nerv getroffen. Sascha Köhler, der einzige im Bunde, der aus dem Ruhrgebiet stammt, war schon früh vom Erfolg überzeugt, das Potential war da. »An Spieltagen trifft man im Zug nach Dortmund über 300 Fans aus Köln«, sagt Köhler.

Der Aufbau der Fankneipe aber bedeutete viel Arbeit – Nackenschläge inklusive: Die Dortmunder Fanabteilung antworteten auf eine erste Anfrage lapidar mit dem Vorschlag, man solle sich gemeinsam eine Sky-Box besorgen, um die Spiele im Pay-TV privat zu schauen.

Doch die Macher der »DOmborussen« hatten anderes im Sinn: Die Stimmung von der Südtribüne sollte in die kleine Eckkneipe in Ehrenfeld übertragen werden. Dazu wurden als erstes die privaten Sammlungen angezapft: Mittlerweile schmücken drei Fahnen, sechs Schals und unzählige kleine BVB-Accessoires die Wände und Decken der Kneipe.

Jetzt musste die frohe Kunde der neuen BVB-Stätte nur noch unters Volk gebracht werden. Derksen druckte Flugblätter und hing sie an der Uni aus. Andere kontaktierten über soziale Netzwerke wie Facebook oder Studivz die potentiellen BVB-Fans in und um Köln. Es lief gut an, doch die Sommerpause machte den Betreibern Sorgen. »Wir haben zu einem ungünstigen Zeitpunkt angefangen. Die Saison war in den letzten Zügen und dann stand erst einmal die WM an.«

Ihre Sorge sollte unbegründet bleiben: Zum ersten Pflichtspiel der aktuellen Saison gegen Wacker Burghausen war das »Klimbim« mit 50 Fans gut besucht. Gradmesser sollte das Spiel gegen Schalke am vierten Spieltag sein. »Wolf wurde ein wenig nervös, was ja auch verständlich ist. Wir hatten seiner Kneipe mittlerweile unseren schwarz-gelben Stempel aufgedrückt. Jetzt musste sich sein Entgegenkommen auch auszahlen«, sagt Rafael Narloch, ein weiterer »Domborussen»-Gründer der ersten Stunde.

Und wie es sich bezahlt machte: Beim Spiel gegen den Intimfeind platze das »Klimbim« aus allen Nähten. Wer nicht mindestens eine Stunde vor Spielbeginn da war, der kam erst gar nicht mehr durch die Tür. Schon hundert Meter vor der Kneipe vernahm man die schwarz-gelben Schlachtrufe der Südtribüne.

Seitdem ist das »Klimbim« weiter gewachsen. Der Innenraum wurde an die neuen Anforderungen angepasst: Der Kickertisch und ein Großteil der Bestuhlung steht eingemottet im Keller.  Die teils aggressive Werbung ist nicht mehr nötig; stetig wächst die Fangemeinde des »Klimbim« – die Mundpropaganda ist beachtlich.

Das Ziel, die Stimmung der Südtribüne in die kleine Kneipe in Köln-Ehrenfeld zu übertragen, scheint gelungen. Lange vor Anpfiff ist die Kneipe gut gefüllt. BVB-Lieder trällern aus den Boxen. Kaum einer, der nicht wenigstens ein schwarz-gelbes Stück Stoff am Leibe trägt.

Mittendrin stehen die Gründer des Fanklubs und sind zurecht stolz auf das Erreichte. Nicht nur die Liebe zur Borussia eint den bunt zusammengewürfelten Haufen: Obwohl der Großteil der Fanklub-Macher aus dem Rheinland stammt, tragen sie den Ruhrpott im Herzen. »Ich steh einfach auf die Region. Das Direkte, diese teils schnoddrige Art. Das ist doch einfach nur geil«, sagt Derksen.

Eine einleuchtende Erklärung, warum sie als Rheinländer nicht mit dem FC-Virus infiziert wurden, bleibt aus. Die Faszination der Menschen aus dem Ruhrgebiet für ihren Klub, wird genannt. Das Fansein an sich sei anders: »Beim FC geht es irgendwie auch immer um Karneval, um das Beisammensein. In Dortmund dreht sich alles um den Fußball«, sagt Köhler. Eine These, der FC-Fans sicherlich widersprechen würden. Aber so ist das mit dem Fandasein: Es bleibt eine subjektive Angelegenheit, die Frage nach dem Warum kann letztlich selten geklärt werden.

Klar aber ist, dass in Köln Ehrenfeld für viele BVB-Fans aus dem Rheinland und Exil-Dortmunder ein kleines Stückchen Heimat herangewachsen ist – durch das große Engagement Einzelner und den Wohlwollen eines Wirtes, der seine Felle davonschwimmen sah.

Und auch wenn das Heimatgefühl nur für die 90 Minuten jede Woche anhält: Im »Klimbim« lässt  sich vortrefflich über Fußball palavern. Bei den eklatanten Fehlentscheidungen des Schiris sind sich auch alle einig. Und nicht selten schwappt die Laola-Welle von der Südtribüne direkt in die kleine Kneipe in Köln Ehrenfeld.

Adresse Klimbim: Gutenbergstraße 66, 50823 Köln-Ehrenfeld

Fanklub: www.schwarz-gelbe-dom-borussen.de