Hach, was war er schön. Der Netzsperren-Sommer 2009. Es formierte sich eine neue Bürgerrechtsbewegung, flankierend wuchs die Piratenpartei Deutschland um ein Vielfaches über sich hinaus. Alles war möglich, so schien es. Die Zeit war reif für eine neue Netzpolitik.
Nicht mehr im Verborgenen, dunklen Computerkellern, in Blogs und beim damals für viele noch unbekannten Kurznachrichtendienst Twitter. Erstmals schien es so, dass um die Politik dessen, was kaum jemand noch aus seinem Leben wegdenken kann – dem Internet – ernsthaft gestritten werden würde.
So jetzt ist es raus. Die Fußball-Weltmeisterschaft wird 2018 in Russland stattfinden und vier Jähre später sind die Emirate dran.
Die Fußball-Fans müssen sich nach der Brasilien-Tour 2014 im Jahr 2018 auf eine große Rundreise einstellen. WM-Ausrichter Russland ist groß und die Spielstätten weit über das Land verstreut. Wer sich einen Eindruck über die exzellenten Bahn- und Flugverbindungen verschaffen will, der kann 2014 schon mal zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi reisen.
Am besten gleich ein paar Flaschen Wodka mehr einpacken. Der hilft nicht nur gegen Kälte, sondern könnte auch helfen, den einen oder anderen Engpass vier Jahre später zu überbrücken. Der WM-Kick in Katar dürfte die trockenste aller Zeiten werden. Ich kann mir bildlich vorstellen was passiert, wenn in einer Bar einem englischen Hooligan ein Clausthaler vorgesetzt wird. Viele Spass.
Es war klar wie die SPD auf die Kritik am JMStV reagieren würde: Schnell soll eine neue Version nachgeschoben, das Werk verbessert werden. Das sagt Marc Jan Eumann, der Vorsitzende der SPD Medienkommission und Medien-Staatssekretär in NRW. Und nun springt ihm der Blogger Nico Lumma bei:
Worauf ich hinauswill: der Jugendmedienschutzstaatsvertrag sollte eine erneute Revision erfahren, die die Realitäten des Internet besser abbildet. Aber es sollte allen klar sein, daß ein derartiger Staatsvertrag immer auch einen Kompromiss darstellen wird.
Wie schön, dass die Partei nicht irrt – und wie peinlich, dass die Rechtfertigungsversuche so schön vorhersehbar sind.
Klar, es wird bald eine neue Version des JMStV geben. Und sie wird härter werden. Von Freiwilligkeit wird dann keine Rede mehr sein und die Sperren und Kontrollen werden serverseitig bei den Providern liegen. Aber auch dann wird sie Recht haben, die Partei. Wie könnte es auch anders sein?
Ferrostaal-Chef Jan Secher wollte die Korruptionsaffäre bis zum Jahresende hinter sich lassen. Der Plan wird nun wohl scheitern. Wegen einem Streit im Eigentümerkreis droht sich die Einigung mit der Staatsanwaltschaft München zu verzögern.
Eigentlich sollte der Bußgeldbescheid noch vor Weihnachten in der Essener Zentrale einflattern. Knapp 200 Millionen Euro soll der Konzern dafür zahlen, dass Mitarbeiter über Jahre hinweg massiv bestochen haben. Wie soll aber Ferrostaal die Zeche bezahlen? Wegen der Krise dürfte die Konzernkasse nicht so üppig gefüllt sein. Ich würde mal erwarten, dass die Eigentümer Geld nachschießen oder die Zeche direkt übernehmen. Ferrostaal kann die Strafe aus eigener Kraft wohl nicht begleichen.
Gefragt ist nun natürlich der frühere Mutterkonzern MAN, schließlich gehörte Ferrostaal in der Zeit der dubiosen Zahlungen noch zu diesem. Angeblich ist MAN auch zahlungswillig. Die Kohle sollte als Teil eines Gesamtdeals fließen, so sahen die Pläne aus. Diese sahen auch die Übernahme der bei MAN verbliebenen 30 Prozent durch IPIC vor. Die Scheichs würden damit alleiniger Eigentümer.
Bis zum Jahresende sollte die Transaktion ursprünglich abgeschlossen werden. Das wird nun nicht klappen. Am Wochenende scheiterten Verhandlungen zwischen MAN und IPIC, jetzt soll ein Schlichterspruch Klarheit schaffen. Dass wird locker ein Jahr dauern, schätzen Juristen.
Die Lage bei Ferrostaal mit seinen 4400 Mitarbeitern wird damit nicht besser. Mit der ungeklärten Eigentümerfrage und dem offenen Verfahren wird es für Secher schwer, Vertrauen bei den Kunden zurückzugewinnen.
Als ich Anfang letzter Woche an dieser Stelle das Geständnis abgelegt hatte, so vor zehn, fünfzehn Jahren für den Euro geworben zu haben, bin ich von einigen Lesern dahingehend missverstanden worden, dass ich heute kein Euro-Befürworter mehr sei. Deshalb bitte ich um Nachsicht, dass ich mich selbst zitiere: „Die Folgen eines Scheiterns der Gemeinschaftswährung wären verheerend“, schrieb ich, gleichzeitig aber auch, dass „zu befürchten (steht), dass der Euro die nächsten beiden Jahre nicht überleben wird“. Diese Befürchtung ist in den letzten Tagen nicht kleiner geworden.
Inzwischen ist Irland unter den sog. Euro-Rettungsschirm geschlüpft. Doch auch dort ist mittel- und langfristig keinerlei Rettung zu erwarten. Denn zum einen steigt der Zins, den Irland am Kapitalmarkt zahlen muss, ungebremst weiter. Der „Spread“, also die Renditedifferenz zwischen 10-jährigen irischen Staatsanleihen und deutschen Bundesanleihen, bewegt sich Richtung 7 %, wobei zu berücksichtigen ist, dass inzwischen auch die deutschen Zinsen steigen, weil die Anleger sich um die auf Deutschland zukommenden Belastungen sorgen. Auch dieser Trend ist nicht ganz ungefährlich.
Unter dem „Euro-Rettungsschirm“ zahlt Irland einen Zinssatz von 5,8 %. Das ist weniger als die inzwischen knapp zehn Prozent, die auf dem freien Markt fällig werden, aber mehr als dieses Land auf absehbare Zeit bewältigen kann. Irland hat schon jetzt ein „Minuswachstum“ und deflationäre Tendenzen, und die Regierung musste ein rabiates Sparpaket auf den Weg bringen, was das BIP und die Preise weiter runterdrücken wird. Stellen Sie sich vor, Sie sind pleite und wissen, dass Ihr Einkommen in den nächsten Jahren kontinuierlich sinken wird. Und dann komme ich und biete Ihnen einen Freundschaftskredit mit läppischen 5,8 % Zinsen an.
Inzwischen gilt es als ausgemachte Sache, dass spätestens im Januar auch Portugal den „Rettungsschirm“ wird in Anspruch nehmen müssen. Die Spekulation hat sich längst Spanien vorgeknöpft, schon allein um auszutesten, wie viel all die Rettungsversprechen im Ernstfall wert sind, um in Erfahrung zu bringen, wo man eigentlich mit dem Euro dran ist. Dass damit nebenbei auch leicht Geld verdient werden kann, ist ein angenehmer Nebeneffekt, aber nicht die Wurzel des Problems. Ein europäischer Staat nach dem anderen wird im nächsten oder in den nächsten Jahren bankrott machen. Es steht nirgendwo geschrieben, dass nach Spanien, also nachdem die sog. PIGS-Staaten durch sind, Schluss sein muss.
Mitunter findet man „PIIGS“ auch mit zwei „i“ buchstabiert, womit dann auch noch Italien mit im Boot säße. Wie auch immer: für alle betroffenen Staaten gilt dasselbe wie für Irland. Durch das mit dem „Rettungspaket“ verbundene Spardiktat wird das Wachstum völlig abgewürgt und der Haushalt strukturell gegen die Wand gefahren. Brüderle hat schon recht, wenn er sagt, „der EU-Rettungsschirm sei eine temporäre Hilfe und kein dauerhaftes Transferinstrument“. Genau hier liegt das Problem. Brüderle sagte dies bei der Vorstellung des Buches „Rettet unser Geld“, das sein Parteifreund, der ehemalige BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel verfasst hat. „Er stimme nur in Teilen zu“, legte der Bundeswirtschaftsminister dar. Wir wissen nicht, in welchen Teilen. Henkel warnt in seiner Neuveröffentlichung vor dem „Totalausverkauf Deutschlands“. Die Bundesregierung setze mit ihrer milliardenteuren Beteiligung an der Rettungsaktion für Irland den Wohlstand der Republik aufs Spiel. Seit Beginn der Währungsunion glänze Deutschland als Zahlmeister, während andere Länder ungeniert kassierten.
Noch widerspricht die Bundesregierung dem Sarrazin-Sympathisanten Henkel, doch letztlich nur halbherzig. Denn bei der Linie, die gegenwärtige Eurokrise mit kurzfristigen Rettungspakten und langfristig mit einer „Insolvenzordnung“ bewältigen zu wollen, handelt es sich – zurückhaltend formuliert – um eine große Illusion. Wenn gleichzeitig eine Transferunion, eine Wirtschaftsunion und damit letztlich auch eine politischen Union Europas entschieden abgelehnt wird, wird die Währungsunion nicht zu retten sein. Henkel verweist an dieser Stelle darauf, dass vor der Einführung des Euro die Welt doch auch halbwegs in Ordnung gewesen sei, dass also ein Auseinanderbrechen der Eurozone, wofür er offen plädiert, ein ökonomischer Segen sei – und zwar ohne größere politische Gefahren.
Henkel plädiert für zwei Eurozonen: eine harte, um Deutschland herum aufgestellte im „Kerneuropa“, und eine andere, in der sich die „Sünder“, die Weichwährungsländer am Mittelmeer versammeln. Ausdrücklich zählt er Frankreich – im übrigen nicht völlig zu Unrecht – zur weichen Zone. Es liegt auf der Hand, dass mit einem solchen Zwei-Eurozonen-Modell die Achse Paris-Berlin (früher Paris-Bonn) der Vergangenheit angehören würde. Im Grunde würde der gesamte politische Integrationsprozess rückgängig gemacht. Ganz abgesehen davon, dass sich mit der Stärke eines D-Mark-ähnlichen Nordeuro die deutschen Exportchancen verdüstern dürften, wären die politischen Folgen dieses Euro-Auseinanderbrechens dramatisch.
Die gegenwärtige Eurokrise verdeutlicht, dass Europa unausweichlich an einer Gabelung angelangt ist. Entweder es werden jetzt rasche und kräftige Schritte auf dem Weg zu einer ökonomischen und politischen Integration gegangen, oder Henkels Wunschszenario wird zunächst schleichend und dann mit einem großen Knall Wirklichkeit. Außenpolitisch hätten wir es auf dem Kontinent mit einer den meisten von uns nicht mehr bekannten Konstellation zu tun. Und innenpolitisch müssten sich nicht nur linke, sondern auch liberale Geister auf eine nachhaltig veränderte Atmosphäre einstellen.
Die Sache ist noch nicht entschieden, doch die Chancen für ein Überleben des Euro stehen nicht gut. Selbst die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua – selbstverständlich „überzeugt, dass der Euro eine große Zukunft hat“ – beschwichtigt, dass „„falls die Krise Spanien überflutet, dann bedeutet dies großen Ärger, aber auch nicht das Ende des Euro“, um dann anzumerken: „Eine Auflösung der Euro-Zone wäre politisch untragbar.“ Wenn sich diese Befürchtung inzwischen schon bis nach China herumgesprochen hat, sollte man sie im direkt betroffenen Gebiet ein wenig ernster nehmen.
Eine Währungsunion aus Deutschland, Benelux, Österreich und ein oder zwei skandinavischen Ländern plus der Schweiz als assoziiertem Mitglied. Grüezi, Bhüeti, Hoi und Moin, liebe Rechtspopulisten alle miteinander!
Warum alles in Sachen elektronischer Clubkultur dem derzeitigen Szene Mekka Berlin überlassen? Maik Olof, der sonst in der Wuppertaler Peter-Kowald-Gesellschaft wirkt, brachte eine die Techno-Avantgarde ins Dortmunder domicil. Denn was dort unter dem etwas konservativen Etikett „Internationale Jazztage“ rangiert, will das Neue und Besondere, das Etablierte weniger. „Wir präsentieren übers Jahr so viele große Namen , da können wir beim Festival ruhig andere Akzente setzen“ sagt domicil-Chef Waldo Riedl zum Konzept der Jazztage.
Da kommen sie aus ihren Nischen hervor, etwa der DJ „DNMK“ vom Essener Goethebunker oder ein Sven Swift vom Bochumer Error Broadcast. Demonstriert wird, dass sich in Genres wie Dubstep oder Garage die Bassdrum über das stoische Vierermetrum zu erheben weiß. Mit Snare-Gewittern und zuweilen verpackt in psychedelische Samples entsteht sowas wie – Swing! Aus Wien nach Dortmund gereist ist Dorian Concept, um weitere Kreise zu schließen, wenn er über die verfrickelten Elektrobeats aus dem Mini-Netbook live auf dem Synthesizer improvisiert. Da ist wohl das gemeinsame Wiener Blut mit dem legendären Joe Zawinul im Spiel. Wer zaubert die wärmsten, durchgestyltesten Sounds aus den Tasten?
„No Blah Blah“ verbreitet die Jazzwerkruhr-Initiative – und setzt bei der aktiven Pflege einer lebendigen Jazzkultur direkt vor der Haustür an. Dank hervorragendem künstlerischen Niveau ist die Ausstrahlung der vielen realisierten Kooperationen innerhalb der freien Szene längst international. Also begegneten sich auf der Bühne im großen Saal junge Talente von Hamburg bis München, aber auch aus Polen, Frankreich, Belgien und der Slowakei. Die im Vorjahr gegründete „Jazz plays Europe“-Werkstatt setzt hier das Begonnene logisch fort. Nadin Deventer, Geschäftsführerin von Jazzwerk Ruhr weiß jedoch zurzeit nicht so recht, wie es mit der Initiative weiter gehen soll. Das größte Manko ist eine fehlende Planungssicherheit, da die notwendige finanzielle Unterstützung vom Land NRW immer nur – und das sehr kurzfristig – für ein Jahr bewilligt wird. Nadin Deventer: „Die Kulturhauptstadt geht, wir bleiben. Aber es ist schwierig, unter solchen Vorzeichen etwas für eine nachhaltige Sicherung zu tun.
Auch sonst widerspiegeln sich aktuelle Trends in Dortmund: Die Schweizer Band Rusconi stellt das überstrapazierte Klaviertrioformat mal eben in den Kontext der berühmten Gitarren-Noise-Band. Wenn sich beim Flügel auf der Bühne auch nicht für jedes Stück die Stimmungen manipulieren lassen, wie es bei den Sonic Youth Gitarren fast für jeden neuen Song praktiziert wird, so überzeugt bei den Schweizern umso mehr die „verschlankte“ und damit umso mehr auf die Lyrik der Songs fokussierte Tonsprache.
Auf dem „WOMAD“-Festival für Weltmusik kaufte sich der Perkussionspieler Nick Mulvey einen Satz schweizerischer „Hang“-Trommeln. Das beschert dem Spiel des Portico-Quartetts gleichsam frische, wie feinfühlig abgedämpfte Farben. Mit wenigen Tönen lassen sich auf diesen Metallelementen Verbindungen bis hin zu mixolydischen oder dorischen Modi kreieren. Das klingt manchmal wie karibische Steeldrum, offenbart dann aber doch mehr Tiefe und viel mehr sphärischen Obertonreichtum. Sie tut wohl, diese bewegliche, leichtfüßige Musik der Londoner. Aber sie laufen auch Gefahr, in der Falle von zu einseitig aufgetragener Süßlichkeit zu landen. Mehr kompositorischer Wagemut und eine stärkere Auseinandersetzung mit exotischen Stilen – und alles wäre perfekt!
Grubenklang.reloaded ist ein aktuelles „Ruhr 2010-Projekt“, bei dem sich gestandene Improvisatoren aus der Region wie Theo Jörgendsmann, Frank Gratkowski oder Dieter Manderscheid wieder zusammen gefunden haben Unter der Leitung von Georg Graewe ist hier nicht zuletzt ein Stück musikalischer Industriekultur entstanden. „Industrial Folk“ nennt es Bandleader Georg Graewe. Sängerin Almut Kühne bot zum Finale einen unter die Haut gehenden Vortrag, der so ganz variabel zwischen subtiler Laut-Abstraktion, expressionistischen Anklängen und raffiniert ins Spiel kommendem Folk changierte. Drum herum zauberte die „Grubenklang“-Formation eine Umgebung, die vor allem die Aura von Reife verströmte. Mal braust der ganze Klangkörper im atonalen Tutti auf, dann stürzen sich einzelne Spieler in solistische Duelle. Die haben in den vergangenen Monaten viel (und intensiv) zusammengespielt. Das hört man!
Was ist das für ein Magazin, das mit Goethes Faust Kreditverbriefung erklärt und dessen Name sich nur mithilfe der griechischen Antike und Douglas Adams verstehen lässt? Eine vierköpfige Redaktion in Sindelfingen gibt seit vergangenem Jahr die Zeitschrift agora42 mit Titeln wie „Schulden und Sühne“ heraus – ein Magazin für Philosophie, Ökonomie und Leben. Bonus-Track: Zehn Fragen an den Chefredakteur Frank Augustin über Verantwortung, Finanzen und fehlende Werbeanzeigen.
Auf dem deutschen Zeitungsmarkt konkurrieren im weltweiten Vergleich die meisten Titel um potentielle Leser. Zudem besitzen 90 Prozent der Haushalte kein Zeitungsabonnement. Einer solchen Ausgangslage zum Trotz gründete das junge Quartett im vergangenen Jahr das Magazin agora42. Allein auf die Substanz ihres Konzeptes vertrauend ließen sie sich nicht vom viel beschworenen „Magazinsterben“ oder der Wirtschaftskrise abschrecken. Stattdessen begann das Team auf einem der größten und härtest umkämpften Zeitungsmärkte der Welt, unerschrocken über philosophische und makroökonomische Themen zu schreiben.
Fast drohte Verzweiflung, als sowohl in Sindelfingen als auch in Böblingen alle Postfilialen Betriebsversammlung hatten und sich die Auslieferung der aktuellen Ausgabe um einen Tag verzögerte. In der vierköpfigen Redaktion hat man ein feines Gespür für Themen, was auch die Leser zu wissen scheinen. Das Team, bestehend aus Frank Augustin, Patricia Nitzsche, Wolfram Bernhardt und Nazim Cetin, will zeigen, wie viele Verknüpfungen zwischen Ökonomie und Philosophie im Alltag möglich sind. Die Autoren sind der Ansicht, die Welt sei komplex und werde nicht von RTL dargestellt.
Attische Demokratie und Douglas Adams
Schon allein der Name des Magazins ist klärungsbedürftig. Das altgriechische Wort ἀγορά (Muttersprachler und Bildungsphilister betonen die dritte Silbe) bezeichnete in der griechischen Antike einen zentral gelegenen Versammlungs- oder auch Marktplatz. Hier hatten die freien griechischen Bürger die Möglichkeit, sich zusammenzufinden, um regen Austausch über politische, philosophische und juristische Themen zu betreiben. Die Agora war der Platz, an dem intellektuelle Diskurse entstanden. Die Zahl 42 stellt eine Anspielung auf Douglas Adams Kultbuch „Per Anhalter durch die Galaxis“ dar. Ein von Außerirdischen erbauter Super-Computer mit dem viel versprechenden Namen „Deep Thought“ spuckt auf die Frage aller Fragen nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest die kryptische Antwort „42“ aus.
Kontroverse Meinungen, überraschende Perspektiven
Der Chefredakteur des Magazins, Frank Augustin, studierte Geschichte und Philosophie in Stuttgart und arbeitete vor seiner Tätigkeit für agora42 für das Journal für Philosophie „der blaue reiter“. Augustin sorgt dafür, dass die trockenen Theorieanteile auch für Nicht-Ökonomen und –Philosophen verständlich werden. „In der Ökonomie geht es nicht nur um bloße Zahlen, sondern auch um Philosophie. Gerade die Wirtschaftskrise hat gezeigt, dass Theorie-Modelle an ihre Grenzen geraten können. Denn der Mensch handelt nicht immer klug und rational. Es ist wichtig, umzudenken, und auch ein neues Menschenbild zu entwickeln.“ Der 40-Jährige sagt, er wolle nicht über Chancengleichheit sprechen, wenn die Grundkoordinaten falsch sind. Nazim Cetin, der Herausgeber des Magazins, sprach im vergangenen Jahr beim Philosophischen Café im Hegel-Haus Stuttgart zum Thema „Philosophie und Psychologie der Finanzmärkte“. Wolfram Bernhardt studierte International Business Administration an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt. Eigentlich arbeitet er als Unternehmensberater bei der Kürn Cetin Capital AG. Auf die Idee zu agora42 sei die Gruppe gekommen, als man erkannte, dass Großbritannien mit „The Economist“ etwas habe, das in Deutschland noch fehlen würde, so Bernhardt. Er hofft, das Magazin werde auch in fünf Jahren noch kontroverse Meinungen und überraschende Perspektiven präsentieren und aktiv an der öffentlichen Meinungsbildung teilnehmen.
Kein binäres Entweder-Oder
Neben Vorreitern wie dem Glocalist Magazine und der Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik (zfwu) ist agora42 das vierte Magazin für Wirtschaftsethik, das auf dem deutschen Markt erhältlich ist. Im Einstiegsteil des Magazins werden immer die wichtigsten Grundannahmen des jeweiligen Magazinthemas in Essayform erklärt, damit auch Fachfremde einen Zugang zum diskutierten Themenfeld des Hefts möglich ist. Weil die Macher komplexe Sachverhalte nicht auf simple Schlagzeilen reduzieren wollen, gibt es zum Ausgleich der Bleiwüste ein entzerrtes und lesefreundliches Layout. Wer die Welt jedoch gerne auf ein binäres Entweder-Oder reduziert, dem ist von diesem Magazin abzuraten. Einfache Antworten werden in den Beiträgen nicht gegeben. Jedes Heft steht unter einem bestimmten Hauptthema, dem Interviews oder Artikel von Gastautoren zur Seite gestellt werden. Die aktuelle Ausgabe des Magazins trägt den Titel „Krieg light“.
Nicht werbetauglich, weil zu kritisch?
Im Magazin finden sich kaum Werbeanzeigen. Vielen potentiellen Werbekunden seien die Inhalte von agora42 zu kritisch, so die Redaktion. Deswegen laute ihr Urteil meist: nicht werbetauglich. Gefördert, etwa durch Stiftungen, wird das Printmedium bisher nicht. Die Zeitschrift der DESA GmbH, erscheint in zweimonatigem Rhythmus bundesweit mit einer Auflage von 10.000 Stück. Für die nächste Ausgabe ist ein Interview mit Günter Wallraff, dem zum Teil umstrittenen Urvater der Sozialreportage, angekündigt – Norbert Blüm hatte kurzfristig abgesagt. Kritisches und Humoristisches kommt im Magazin nicht zu kurz, sondern wird stattdessen kombiniert. So erfährt der Leser in der Rubrik „Gedankenspiele“, dass dem US-Agrarkonzern Monsanto nicht nur 90 Prozent aller genmanipulierten Pflanzen gehören, nein, Monsanto habe nun sogar ein Patent auf zwölf Sexualstellungen angemeldet. In einer Kolumne erklärt Elke Hoff, die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP, welche Vorteile eine Freiwilligenarmee gegenüber der Wehrpflicht biete.
Ich -Ausgeburt des Marktes?
Thematisch widmete sich die Redaktion in einer der vergangenen Ausgaben schon dem „Ich – Ausgeburt des Marktes?“ oder beackerte Fragestellungen zur „Vernunft“. Politisch wollen sich die Macher mit ihrem Magazin jedoch nicht einordnen lassen. Nur in einem Punkt beziehen sie dann doch Stellung: „Wir sind mit der Volkswirtschaftslehre, die zum großen Teil von der Profitmaximierungslogik der BWL dominiert wird, nicht einverstanden.“ Die Frage danach, wie der Mensch der Ökonomie am meisten nutzen könne, sei ebenso zentral wie bedenklich geworden. Ökonomische Argumente werden ihrer Ansicht nach oftmals vorschnell ins Feld geführt, um andere Theorien auszuhebeln und ihren Deutungsansprüchen das Wasser abzugraben.
Es folgt das Interview mit dem Chefredakteur des Magazins, Frank Augustin:
Welches Konzept liegt dem Magazin zugrunde?
agora42 ist ein Magazin für Ökonomie und Philosophie. Es geht darum, das „große Ganze“ unserer durch und durch ökonomisch bestimmten Gesellschaft in den Blick zu nehmen, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge sichtbar zu machen. Wir bemühen uns darum, diese Zusammenhänge anhand einfacher Beispiele verständlich zu machen. Wichtige wirtschaftliche Begriffe werden in vom Text gesonderten Layoutelementen („Infoboxen“) erläutert.
Welche Zielgruppe wollen Sie mit ihrem Heft ansprechen und wer liest es tatsächlich?
Im Gegensatz zum üblichen Vorgehen haben wir uns nicht an einer Zielgruppe orientiert. Wir machen einfach das, was uns notwendig und richtig erscheint. Entsprechend sind die Leser der agora42 nicht einzuordnen; es sind Menschen, die die Zeit, in der sie leben, verstehen wollen – auf der Höhe der Zeit sein wollen.
Gab es eine Marktlücke für ein Magazin wie Ihres?
Wir halten es da mit Henry Ford, der sagte: „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt ,schnellere Pferde’“. Anders gesagt: Wir machen die Marktlücke auf.
Was unterscheidet agora42 von Magazinen wie „The Economist“?
Nun, da ist zunächst die Höhe der Druckauflage zu nennen, welche die unsrige (noch) um 1.410.000 Exemplare übersteigt. Davon abgesehen verwenden wir besseres Papier und haben das bessere Layout. Und, nicht zuletzt, bezüglich der inhaltlichen Ausrichtung: In der agora42 geht es, viel mehr als im Economist, um die Vermittlung von Grundwissen – es wird also erst die Möglichkeit geschaffen, den Economist richtig zu verstehen.
Rentiert sich ein solches Projekt finanziell?
Josef Ackermann wird auf der nächsten Bilanzpressekonferenz ausführlich darüber berichten.
Trägt man als Redakteur eines Magazins mit wirtschaftsethischen Inhalten eine besondere Verantwortung?
Begriffe wie „ethisch“ sind inhaltsleer geworden. Mit Ethik lässt sich heute noch die größte Ausbeutung bemänteln. Uns geht es darum, erst wieder die Grundlagen dafür zu schaffen, sinnvoll über Ethik, über richtiges und falsches Handeln sprechen zu können.
Lässt sich gesellschaftliche Wirklichkeit durch die Beschäftigung mit philosophischen Fragen verändern? Reicht es aus, die Welt anders „zu sehen“, um realen Wandel zu bewirken? Und: Welchen Beitrag leisten Sie in dieser Hinsicht mit Ihrem Magazin?
Die „Wirklichkeit“ ist ja nichts an sich Existierendes. Was wirklich ist, wird dadurch wirklich, dass an eine bestimmte Wirklichkeit geglaubt wird. So existieren beispielsweise die „Marktgesetze“ nur deshalb, weil Menschen an solche „Gesetze“ glauben und sich dementsprechend verhalten. Insofern ist die Sichtweise gerade das Entscheidende. Darum geht es in der agora42.
Steckt in jedem Mensch auch ein „homo oeconomicus“?
Gegenfrage: was ist der Mensch? Warum sollen wir versuchen, uns krampfhaft eine Definition des Menschen aus den Fingern zu saugen? So wenig, wie er nur ein Wirtschaftsmensch ist, ist er durch eine andere Definition festzulegen. Wir sollten uns mehr darum kümmern, endlich die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen herbeizuführen.
Was bedeutet Ihnen das Projekt persönlich?
Kein Kommentar. Wir dürfen unsere Lebenspartner nicht eifersüchtig machen.
Sind Ihren potentiellen Werbekunden die Inhalte des Magazins wirklich zu kritisch, betreiben Sie zu wenig/keine Werbekunden-Akquise oder woran liegt es, dass man in Ihrem Magazin so wenig Werbung findet?
Bei dieser Einschätzung handelt es sich nicht um unsere eigene Einschätzung, sondern um jene einiger Fachleute. Aber die agora42 ist ja ein noch junges Magazin, es kann sich also auch um einen Vorwand handeln – man setzt lieber auf „Bewährtes“ und wartet ab.
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