Update: Bild am Sonntag: Mit einfachen Worten das Richtige sagen

Zwei deutsche Journalisten werden seit 42 Tagen vom Iran gefangen gehalten. Sie arbeiteten für die Bild am Sonntag. Heute hat sich deren Chefredakteur Walter Mayer an die Öffentlichkeit gewandt.

Die zwei Kollegen wollten im Iran über die Geschichte von Sakine Aschtiani recherchieren. Der Frau, die wegen Ehebruch zum Tod durch Steinigung verurteilt worden ist. Beide wurden vom iranischen Regime festgenommen. Der Vorwurf: Sie seien Spione.

So etwas machen Diktaturen gerne. Wer mehr wissen will, ist ein Agent. Ein guter Bürger glaubt, schweigt und fragt nicht nach.

In seinem Text in der heutigen Ausgabe der Bild am Sonntag legt der BamS-Chredakteur Walter Mayer den Fall noch einmal dar und erinnert an das Schicksal der beiden Kollegen. Er fordert ihre Freilassung. Und die des Sohnes und des Anwalts von Sakine Aschanti, die auch festgenommen wurden. Und dann, am Ende des Textes, findet Mayer ebenso einfache wie beeindruckende Wort zu den Journalisten und der von der Steinigung bedrohten Frau:

Kenner des Irans erklären, der Fall sei kompliziert. Es gehe um iranische Außen- und Innenpolitik, um rivalisierende Machtzentren, um Fanatiker und Gemäßigte, die sich gegenseitig blockieren, um Intrigen und Propaganda.
Mag alles sein. Im Grunde, davon bin ich überzeugt, geht es aber um ganz eindeutige Fragen. Darf man lieben, wen man liebt? Darf man leben, wie man will? Darf man sagen, was man denkt? Darf man nachfragen, wo man Ungerechtigkeit sieht?
Es geht um die Freiheit. Und Pressefreiheit ist der Gradmesser der Freiheit.

Mehr gibt es nicht zu sagen. Und besser kann man das kaum sagen.

Update:

Die BamS hat einen ausführlichen Artikel zu den Hintergründen der Festnahme veröffentlicht

Ein Grund für den Afghanistan-Krieg

Die Alliierten werden Afghanistan verlassen. Der Krieg ist nicht mehr zu gewinnen. Die Taliban haben gewonnen.

Wichtig scheint jetzt allen Beteiligten auf Alliierter Seite die Gesichtswahrung und nicht mehr die Durchsetzung militärischer und politischer Ziele. In ein paar Jahren soll die afghanischen Regierung auch die militärische Verantwortung übernehmen. Eine Bande korrupter Drogenhändler und Wahlfälscher – sie werden sich nicht lange halten können. Der Westen hatte in Afghanistan keine Partner, um das Land aufzubauen. Um eine Demokratie aufzubauen. Der Krieg war nicht zu gewinnen.

Die Taliban werden, kurz nach dem, Abzug der letzten alliierten Kampfeinheiten die Macht übernehmen.  Wer sich in den vergangenen Jahren dem Westen geöffnet hat, wird einen hohen Preis zahlen. Viele werden sterben und über die  Zukunft solcher Ideen wie Schulen für Mädchen müssen wir nicht mehr reden. Es wird dunkel werden in Afghanistan – noch dunkler.

Und die Niederlage des Westens wird vielen Lust auf mehr machen. Sie wird all die fundamentalistischen Kämpfer in ihrem Glauben bestärken, dass der Westen schwach und schlagbar ist. Der Krieg wird sich verlagern. In andere Länder und auch ein wenig mehr zu uns hin.

Denn bei allen Argumenten gegen den Krieg in Afghanistan , die hier auch schon ausführlich diskutiert wurden, hatte dieser Krieg eine Berechtigung: Gotteskrieger aus aller Welt kamen nach Afghanistan um gegen die Alliierten zu kämpfen. Und die Truppen der Alliierten verhalfen vielen dazu, Märtyrer zu werden. Sie lernten, dass der Westen nicht ganz so schwach ist, wie sie es erhofft haben. Sie lernten es durch Drohnen, Schnellfeuergewehre und  Daisy-Cutter.

Gotteskrieger aus Deutschland, Frankreich, England, Saudi-Arabien, dem Jemen, Pakistan und vielen anderen Länder zog es in die afghanischen Berge. Dort führte der Westen seinen Krieg gegen sie – auf fremden Territorium. Das war – auch wenn es zynisch klingt – für uns in Europa und den USA ein Vorteil. Daheim war es weitgehend ruhig, das Schlachtfeld war weit weg.

Wenn der Westen Afghanistan verlassen haben wird, wird dieser Konflikt mit den Gotteskriegern nicht vorbei sein. Er begann vor dem letzten Krieg in Afghanistan und wird mit dem Rückzug nicht enden. Er wird nur an anderen Orten geführt werden. Nicht mehr in der Nähe des Flughafens von Kabul, sondern vielleicht in der Nähe des Flughafens Frankfurt. Oder in New York und London. Der Abzug der Alliierten aus Afghanistan ist nicht das Ende des Krieges. Es ist der Beginn einer neuen Phase des Krieges.  Über den  Satz von Struck, die Freiheit des Westens wird auch in Afghanistan verteidigt, kann mich sich gut lächerlich machen. Falsch ist er nicht.

„Anklickkästen“: Unergonomische Irreführung, um mehr Klicks zu generieren.

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Klick Dich doch endlich tot, Du blöde Sau!

so denken Online-Produktmanager im Geheimen. Der User soll so oft wie nur irgendwie erzwingbar klicken – außer bei Abofallen natürlich, da macht man es ihm leicht, Abzock-Angebote wahrzunehmen.

Mich nervt das ziemlich, da es unnötig Zeit kostet und mir zudem weh tut. Ich habe Probleme mit der Pfote von der dauernden Scheißklickerei. Auch die berüchtigten klickschindenden Foto- oder inzwischen auch Textstrecken („die 500 besten Chef-Witze“) erfordern normalerweise unbedingt einen Mausklick – nur selten tut es die weniger schmerzhafte Rechts-Taste auf dem Keyboard, obwohl die für die Werbeklicks genauso zählt.

Was aber mehr als auffällig ist: Es werden in letzter Zeit immer mehr überflüssige, extra mit der Maus (und natürlich nur mit der Maus, es muß ja gefälligst wehtun!!!) anzukreuzende Kästchen in irgendwelche Vorgänge eingebaut.

So beispielsweise bei jedem, aber wirklich jedem Online-Paketportodruck bei DHL Immer ist irgendwo ganz unauffällig ein Kästchen eingebaut „Ich habe die AGB von DHL gelesen, verstanden und akzeptiert“, das man mit der Maus anpeilen und ankreuzen muß. Ja Himmel! Reicht es denn nicht, die einmal zu lesen und zu akzeptieren? Muß man es jedesmal aufs Neue tun und das auch noch immer mit einem rechtsverbindlichen Mausklick bestätigen?

Na klar, denn ein Klick bedeutet mehr Werbeinnahmen: Jeder übersieht das Kästchen beim ersten Mal, es erscheint eine fehlermeldung, die Seite muß also neu geladen werden, wenn man Pech hat, muß man sogar etliche Eingaben (Paßwort etc.) neu machen -> mehr Seitenzugriffe und damit mehr Werbegeld. Denn Werbung ist heute auf Webseiten überall, selbst wenn man bereits Kunde ist und bereits beispielsweise eine Paketmarke kauft oder eine Bahnfahrkarte, soll man mit Zappel-Ads am liebsten noch aus dem Zahlvorgang herausgelockt werden, diesen abbrechen, um doch lieber etwas anderes zu kaufen!

Oder das da oben. Auf „Stimmen Sie den Nutzungsbedingungen der eBay Community zu“ klickt natürlich jeder auf „Ich bin einverstanden“. Das ist logisch, das ist ergonomisch. Aber das ist natürlich die Klickfalle: Man muß zuvor auch noch „Ich akzeptiere den Grundsatz zur Nutzung der Community.“ ankreuzen. Auch wenn den niemand kennen wird. (Er ist unter diesem Satz als Link versteckt). Das übersieht jeder, die Seite wird ein zweites Mal geladen -> mehr Werbeeinahmen.

Und warum wollte ich überhaupt auf diese Ebay-Seite? Um die Ad-Choice-Werbung abzustellen. Doch dazu ein andermal.

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Der Ruhrpilot

Ruhrgebiet: Höhenflug der Grünen treibt Ruhr-SPD um…Der Westen

NRW: Unterwegs im Land der Kreativen…Welt

FZW: Streit geht weiter…Ruhr Nachrichten

WestLB: Investoren lehnen Komplettkauf  ab…Handelsblatt
Dortmund: Requiem für ein Stundenhotel…RP Online
Medien I: Wir sind in großer Sorge um zwei Kollegen…Bild
Medien II: Ernst Gerlach führt den Asso Verlag…Soester Anzeiger
Fußball: Das vollkommene Debakel des VfL Bochum…Dirk Schmidt
Film: Warten auf Godard…Freitag
Debatte: Land ohne Linke…Sprengsatz

Landesarchiv in Duisburg: „Wenn Sauerland das überstehen sollte, …“

Adolf Sauerland

„Wenn Sauerland das überstehen sollte, glaube ich nicht mehr an den Rechtsstaat.“ Dieser Satz hätte von mir sein können. Hätte er, tut er aber nicht. Und wenn ich dies gesagt hätte, was ich – wie gesagt – nicht habe, dann hätte ich mich mit dem, was der Duisburger Oberbürgermeister wohl kaum im Amt „überstehen“ könne, auf Sauerlands Rolle bei der Loveparade-Katastrophe bezogen. Und das wäre ungerecht gewesen – weniger gegenüber Adolf Sauerland, eher schon gegenüber dem Rechtsstaat. Denn, nur einmal angenommen, also rein hypothetisch, es wäre tatsächlich so gewesen, dass Sauerland nicht nur die politische Verantwortung für das Loveparade-Desaster trägt, sondern sich darüber hinaus auch noch persönlich schuldig gemacht hätte (wie gesagt: ein reines Gedankenspiel), dann bedeutet Rechtsstaat eben auch, dass Schuld bewiesen werden muss.

Konkret: die Staatsanwaltschaft müsste eine Dienstanweisung oder ein vergleichbares Schriftstück vorlegen, um zu beweisen, dass Sauerland Verwaltungsmitarbeiter angewiesen hat, sich über geltendes Recht hinwegzusetzen. Selbst unter der rein hypothetischen Annahme, dass Sauerland solch eine strafbare Handlung eventuell hätte begangen haben können, wäre fast sicher davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft nicht über ein derartiges Schriftstück verfügt. Erstens, weil die Staatsanwaltschaft Duisburg sicherheitshalber auch Wochen nach dem Schadensfall noch engagiert die Kriminalpolizei Köln von einer Razzia im Duisburger Rathaus abgebracht hatte. Und zweitens, weil Sauerlands „Regierungsstil“ das Mündliche eindeutig dem Schriftlichen vorzieht. Deshalb werde ich auch weiterhin an den Rechtssaat glauben, selbst wenn Sauerland die Ermittlungen in der Loveparade-Sache überstehen sollte.

Der Umstand, dass mir das Verhalten einer einzigen Staatsanwaltschaft unerklärlich erscheint, kann meinen Rechtsstaatsillusionen insgesamt nämlich noch nichts anhaben. Schließlich gibt es nicht nur die Staatsanwaltschaft in Duisburg, sondern auch die in Wuppertal. Das ist die Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für Korruption, was uns thematisch zum Landesarchiv NRW führt, das in Duisburg gebaut werden soll. Sie geht dem Verdacht auf Geheimnisverrat, Untreue und Betrug nach, weil im Januar 2007 ein privater Immobilieninvestor für fast vier Millionen das Grundstück erworben hatte, als nur Insidern das große Interesse des Landes daran bekannt sein konnte. Der Verkaufspreis, den die Firma kurze Zeit später beim Land NRW erzielen konnte, lag bei 21,6 Millionen. Der Verdacht, dass es Adolf Sauerland war, der 2007 dem Essener Unternehmen Kölbl Kruse vertrauliche Informationen über den künftigen Standort des Landesarchivs gegeben haben könnte, ist nicht ganz neu.

Rüttgers und Sauerland beim Spatenstich fürs Landesarchiv (Screenshot WDR)

Neu ist jedoch, dass dem WDR jetzt ein Brief vorliegt, in dem die Firma Kölbl Kruse ausdrücklich auf den Sauerland verweist, um den Verkäufer von ihrer deutlich besseren Offerte davon zu überzeugen, das Geschäft nicht mit dem Land abzuschließen: „Herr Sauerland selbst riet uns zu einem kurzfristigen Notartermin“. Nun muss auch nicht jede Behauptung einer Immobilienfirma in einem Brief an einen Geschäftspartner immer gänzlich den Tatsachen entsprechen. Insofern beweist auch dieses Schriftstück für sich genommen noch nicht viel. Nur: es wäre das „missing link“ in der ansonsten äußerst dubiosen Affäre um das NRW-Landesarchiv. Irgendjemand aus dem kleinen Kreis, der im Januar 2007 in der NRW-Staatskanzlei von der Entscheidung für Duisburg wusste, muss geplaudert haben. Kölbl Kruse nennt im Brief Adolf Sauerland. Jürgen Zurheide kommt in seinem WDR-Beitrag zu dem Ergebnis: „Das, was wir hier vorliegen haben, ist leider so dicht, dass wir davon ausgehen müssen, dass es stimmt.“ Deshalb rechnet Zurheide damit, dass die Ermittlungen der Wuppertaler Staatsanwaltschaft, die sich bislang  gegen Unbekannt richten, demnächst gegen Sauerland als Beschuldigten geführt werden.

Allerdings – wir kennen dies aus einem anderen Verfahren – geht auch die Staatsanwaltschaft Wuppertal davon aus, dass es noch Monate dauern kann, bis sich der Verdacht der Korruption und des Betrugs hinreichend belegen lässt. Und unter Verweis auf diese Ermittlungen – auch dies kennen wir aus dem anderen Verfahren – ist Sauerland nicht bereit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. „Wenn Sauerland das überstehen sollte, glaube ich nicht mehr an den Rechtsstaat“, sagte Hans Glassl der Nachrichtenagentur dpa. Glassl ist ein Privatdetektiv, der in diesem Fall für einen Makler ermittelt hat, der sich um drei Millionen Euro Provision betrogen fühlt. Der Schaden für den Steuerzahler sei zehnmal so hoch, meint Glassl. „Da ist soviel schief gelaufen. Das kann alles gar nicht wahr sein.“ Der Detektiv hat seine Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Wuppertal weitergegeben. Sie ermittelt inzwischen gegen einige Beschuldigte, verschweigt aber deren Namen. Auch das gehört zum Rechtsstaat. Auch darauf hat Adolf Sauerland ein Recht. Zu Recht.

Kunst aus Kenias Slums

Ab Montag gibt es eine interessante Ausstellung: der Simama e.V. stellt die Arbeiten kenianischer Künstler im Hinterhaus in Essen aus. Der Verein unterstützt junge KünstlerInnen in den Slums von Nairobi mit dem Projekt „Mukuru Arts and Crafts„. Es hilft arbeitslosen Jugendlichen, indem ihnen eine kostenlose Ausbildung im handwerklichen oder künstlerischen Bereich angeboten wird.
Eingeläutet wird die Ausstellung  am Montag den 22. November ab
18 Uhr mit einer Vernissage. Am Donnerstag erwartet die Besucher dann eine umfangreiche Fotodokumentation der sozialen Arbeit des Simama e.V. Krönender Abschluss  ist die Soli-Party am Samstag, bei der jeder 5 EUR zugunsten der Projekte in Kenia zahlt.

Das musikalische live Repertoire auf der Party ist bunt: HipHop, Reggae, Techno. Mit dabei sind Plattenreiter.Eu (Hip-Hop), Tarnstrand & Jibbel Jay (live Session), die Djs Cutoon (Supacool/Hotel Shanghai), TurboTim (Templebar) und Hitsmasher (Beatplantation).  Los geht’s um 20 Uhr.

Adresse: Rellinghauser Str. 10, 45127 Essen (zwischen Hbf und RWE-Turm, durch die Hof-Einfahrt von „Honnête“)

Öffnungszeiten: Dienstag – Donnerstag, 16 – 21 Uhr

„Meine Mutter suchte die Wahrheit“

In seinem Zimmer hat Dennis nur das Nötigste. Ein Bett, eine kleine Kommode und einen Schreibtisch. Die Wände sind in gelben und grünen Pastelltönen gestrichen. Es gibt weder Bilder noch Fotos. Außer eines. Direkt über dem Bett. Dort hängt ein Bild aus Metall an einem kleinen Nagel. Es zeigt eine junge Frau im Seitenprofil mit langen Haaren und einer brennenden Kerze. Dieses Bild gehörte der russischen Journalistin Nadezhda Chaikova. Seiner Mutter.

Dennis setzt sich auf sein Bett. Er hat kurze leicht gelockte Haare, trägt weite Jeans und einen blauen Kapuzenpullover. Er nimmt einen Schluck aus einer Plastikfalsche. Dann blickt er auf den Boden und fängt an zu erzählen. „Sie war auf der Suche nach der Wahrheit. Mitten im Krieg. Sie ist nach Tschetschenien gefahren, um über die Geschehnisse von dort zu berichten. Von ihrem Blickwinkel. Dabei hatte sie Kontakt mit sehr gefährlichen Leuten. Ein Mal hat sie schlechtes Glück gehabt und ist nicht zurückgekommen.“

Seine Mutter schreibt damals für die russische Wochenzeitung „Obshchaya Gazeta“. Zwischen 1994 und 1996 fährt sie regelmäßig nach Tschetschenien, um über den Krieg mit Russland zu berichten. Sie will wissen, was die Menschen in der Kaukasusrepublik bewegt. Dafür spricht sie mit beiden Seiten. Sie trifft sich mit tschetschenischen Rebellen und interviewt russische Sicherheitskräfte. „Meine Mutter hat sehr intensiv gearbeitet. Sie war immer weg und hat mich bei Freunden gelassen. Aber ich wusste nie wo sie ist oder was passiert. Niemand hat mir was gesagt. Manchmal bin ich im Kindergarten bis spät nachts geblieben. Ganz alleine.“

Seine Verwandten kümmern sich zwar um ihn, aber oft ist Dennis auf sich selbst gestellt. Sein syrischer Vater lebt zu dieser Zeit nicht mehr in Moskau, sondern wieder in seiner Heimat. Trotz der großen Belastung macht er seiner Mutter keinen Vorwurf. „Ich war nie sauer. Ich wollte nur wissen, wieso sie nicht da ist. Und ich habe bis heute keine Antwort auf die Frage.“

Wenn seine Mutter von ihren Reisen zurückkommt, ist die Freude groß. Daran kann Dennis sich noch gut erinnern. Doch irgendwann gibt es kein Wiedersehen mehr. Seine Mutter geht immer größere Risiken ein. Sie arbeitet verdeckt, kleidet sich wie eine Tschetschenin. Offenbar gelingt es ihr brisantes Videomaterial zu sammeln, das die russischen Truppen schwer belastet. Es soll den Überfall des russischen Militärs auf das tschetschenische Dorf Samashki zeigen. Im Frühjahr 1996, kurz nach den Aufnahmen, wird Nadezhda Chaikova entführt und ermordet. Das Video verschwindet. Damals ist Dennis sechs Jahre alt.

Seine russischen Verwandten sind mit der Situation vollkommen überfordert. „Als sie gestorben ist, hat meine Familie mir gar nichts davon erzählt. Weil sie das selber emotional nicht hantieren konnten, mir zu erzählen, dass meine Mutter tot ist.“ Aber auch ohne Worte versteht Dennis, dass seine Mutter nicht mehr lebt. „Ich habe einfach gefühlt, dass sie tot ist…ich habe sie vermisst.“   Am Tag ihrer Beerdigung ist die öffentliche Anteilnahme groß. Im Zentrum von Moskau sind die Straßen voller Menschen. Alle nehmen Abschied von der jungen Journalistin. Außer ihr Sohn Dennis. Er ist nicht dabei. Die Verwandten schweigen beharrlich. Der verpasste Abschied beschäftigt ihn bis heute. Erst ein Jahr später, als er bei seinem Vater in Syrien lebt, sagt der ihm die Wahrheit. „Die Verwandten von meiner Mutter haben nichts gesagt und er hatte Angst. Wie soll ich meinem Sohn das erklären? Ich kann mich erinnern, dass ich fast nicht geweint habe. Ich hab’ gesagt, ich wusste das schon lange. Aber ich wollte das dir nicht erzählen, weil ich Angst hatte, dass du traurig wirst.“

Zwei Jahre bleibt Dennis bei seiner syrischen Familie. Für ihn eine besonders schöne und wichtige Zeit. „Ich habe gute weibliche Vorbilder in meinem Leben gehabt. In Syrien. Die Schwestern von meinem Vater waren immer für mich da. Statt meiner Mutter.“ Später lebt er wieder in Russland und zieht 1999 mit seinem Vater nach Schweden, der dort als Dolmetscher arbeitet.  Heute spricht Dennis fünf Sprachen. Eine Muttersprache kennt er nicht. Wie er denkt und träumt hängt immer davon ab, wo er sich gerade aufhält. In seiner Freizeit treibt er Kampfsport und beschäftigt sich mit der Malerei. Plötzlich steht er auf und zieht eine große Mappe unter dem Bett hervor. „Hier sind einige meiner Zeichnungen“. Er klappt die Mappe auf und legt ein Bild auf den Laminatboden. Es zeigt einen Mann mit einem Schnurrbart, der ein Mikrophon in der Hand hält. Der Blick ist starr. Aus seinem Mund läuft Blut. „Das Blut könnte symbolisch für seine Nachricht stehen. Aber eigentlich ist es besser, wenn ich nicht erkläre, was ich male. Dann verliert es an Wirkung. Der Betrachter soll es deuten.“

Neben dem Malen und dem Sport ist der Zugang zum Internet für ihn sehr wichtig. Dort kommuniziert er mit seinen Freunden in Schweden und verfolgt, was in den Medien passiert. Denn auch vierzehn Jahre nach dem Tod seiner Mutter riskieren viele Journalistinnen und Journalisten in Russland immer noch ihr Leben. 2006 wird Anna Politkowskaja vor ihrer Wohnung erschossen. 2009 wird Natalja Estemirowa entführt und ermordet. Und Anfang des Monats wird der Journalist Oleg Kaschin brutal zusammengeschlagen. „Ich denke, dass sie sehr mutig sind. Aber es gibt keine Wahrheit im Krieg. Es gibt keine Wahrheiten da. Die Sachen sind, wie sie sind. Im Krieg. Die Leute, die im Krieg sterben, sind nicht die Leute, die vom Krieg profitieren. Die Versteckten hinter den Kulissen retten ihre Ärsche immer.“

Auch im Fall seiner Mutter gibt es bis heute keine Wahrheit. Der Mord wurde nie aufgeklärt. „Meine Mutter hat eine kleine Notiz hinterlassen, dass wenn ihr was passiert, dass wir nicht die tschetschenischen Rebellen beschuldigen sollen, sondern den russischen Geheimdienst. Darüber kann man viel spekulieren. Also beide Seiten hatten genug Motive. Vielleicht waren es doch die Rebellen. Keine Ahnung.“  Dennis möchte wissen, wer seine Mutter umgebracht hat. Aber er will nicht, dass dieser Wunsch sein Leben bestimmt. Denn auch das Wissen um die Wahrheit könnte ihm seine Mutter nicht zurückbringen. „Für meine Mutter wäre es wichtiger gewesen, dass es keine Kriege mehr gibt, als dass ihr Mörder gefunden wird. Das wäre in ihrem Sinne. Dass es endlich Frieden gibt.“

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