Tortenprozess: Staatsanwaltschaft will weiter machen

Gestern hat die Staatsanwaltschaft Bochum den Tortenprozess gegen Martin Budich, den Betreiber des Blogs Bo-Alternativ, verloren. Heute hat sie angekündigt, in Revision gehen zu wollen.

Der Sachverhalt: Auf  dem Blog Bo-Alternativ wurde 2008 im Rahmen eines Artikel gegen eine NPD-Demo die auch diesen Text zierenden Comic aus dem Spiel Super-Bomberman veröffentlicht. Für die Bochumer Staatsanwaltschaft stellte der kleine Tortencomic eine Aufforderung zur Gewalt da. Gestern war der vierte Prozess um den Comic – die Staatsanwaltschaft hat ihn verloren. Heute hat sie via WAZ angekündigt, in Revision gehen zu wollen. So sieht also eine Beamten-Beschäftigungstherapie aus. Ich hätte da noch eine Alternative zu bieten: Wenn die Mitarbeiter der Bochumer Staatsanwaltschaft nicht wissen, was sie in  ihrer Arbeitszeit machen sollen, können sie gerne bei mir vorbeischauen. Mein Keller könnte mal aufgeräumt werden. Zur Belohnung gibt es auch ein Mettbrötchen.

Wer kennt schon noch Puppies?

Downsizing. Das Jahr ist praktisch zuende. Ich miste alte Datenbestände aus. Und verfüge das wenig Wichtige jetzt alles verschlüsselt in die Cloud.

Im Prinzip will ich vogelfrei werden mit den Daten. Naja: Jedenfalls frei wie ein Vogel. Wikileaks Chefoperator Julian Assange soll ja auch mit einem Macbook Air und einem Satellitenhandy ganz schön weit gekommen sein.

So downgesized bin ich noch nicht. Immerhin sind mir in den letzten Tagen zwei Aktenvernichter verreckt. Einer ist heißgelaufen. Und der andere hat sich das Mahlwerk an Pappe ausgebissen. Naja. Billigware von Schlecker und Conrads halt.

Jedenfalls hab ich grad eine CD mit meinem allerersten selbstgemachten Werbefilmchen wiederentdeckt.


Es geht um ein Männerwaschmittel namens Puppies.

Klassische Waschmittelwerbung. Nur eben für Jungs, für Puppies. Eine Parodie.

Der Clip ist ziemlich genau zehn Jahre alt.

Wir hatten damals einen Videografiekurs im Essener ETEC belegt. Das war voll Premiere für uns. Mit After Effects. Dozent Harald Paumer, und die Lernkurve war steil.

Wir haben den Clip auf der anderen Seite des Ruhrschleichweges, gegenüber vom E-Tech, in einem Waschsalon weggefilmt. Der Waschsalon war uns gnädig.

Also, das waren: Thomas Kittel, Bianca Knüfer, Wolf Lauenroth, Birgit Sieckmann und ich. So steht’s auch im Abspann.

Danach sind wir unsere Wege gegangen.

Ich wüßte jetzt mal gern, was aus den KollegInnen geworden ist. BTW: Meine Strompost-Adresse ist etwa hier im Impressum zu finden.

„Ihr verstrahlt unsere Bevölkerung“

Warnschild am radioaktiv verseuchten Fluss Techa bei Majak, dem Zielort deutscher Castortransporte

Der russische Umwelt-Aktivist Vladimir Slivyak klagt an: Weil Deutschland nach mehr als 50 Jahren Atomenergie seinen nuklearen Schrott immer noch nicht lagern kann, transportiert die deutsche Atomindustrie ihren radioaktiven Müll  nach Russland.

Nun sollen 951 Brennelemente aus dem nordrhein-westfälischen Zwischenlager Ahaus in drei Castor-Transporten nach Russland gebracht werden. Dagegen protestieren Umweltaktivisten, Bürger, Parteien und Verbände am Sonntagmorgen in Ahaus.

Herr Slivyak, möglicherweise soll deutscher Atommüll von Ahaus ins russische Majak transportiert werden. Wie sieht es in der zentralrussischen Gegend aus?

Vladimir Slivyak: Die Stadt ist für Deutsche unvorstellbar. Hier wurde zu Sowjetzeiten Plutonium für das russische Atomwaffenprojekt hergestellt – damals fand sich die geheime Stadt auf keiner Karte. Viele Unfälle haben die Gegend verstrahlt. Heute wird dort der Atomschrott der ganzen Welt verarbeitet. Eine Mauer mit elektronischen Zäunen wie etwa an der ehemaligen DDR-Grenze umgibt die Stadt. Ohne spezielle Zulassung darf sie niemand betreten, es sei denn man besticht die Wachleute. Die gesamte Gegend ist etwa so verstrahlt wie die Tschernobyl-Region.

Warum?

In Majak landet der Atom-Schrott der gesamten Welt. Die veraltete Aufbereitungsanlage lässt ihr radioaktives Wasser in den Fluss ab, der erst 240 Kilometer später in einen See mündet. Und überall an den Ufern leben Menschen. Sie haben dort ihr Haus, die meisten sind arm und bauen auf den verseuchten Feldern ihr Gemüse an. Fast jeder leidet dort unter der Strahlung. Die Menschen haben Leukämie und verschiedene Krebsarten, auch die Kinder. Es gibt keine Gesunden in Majak.

Warum leben die Menschen noch dort?

Weil es dort sehr günstig ist, sie können es sich nicht leisten umzuziehen und wurden in der Region geboren. Die meisten von ihnen arbeiten für die Atomindustrie. Die russische Regierung hat zwar inzwischen Umsiedelungen für die Menschen am Fluss beschlossen, aber die Gelder kommen nicht in Majak an, sie versickern in korrupten Ämtern. Und so essen die Menschen dort weiter verstrahltes Gemüse und leben in einer radioaktiven Welt.

Kamen deutsche Politiker oder Ingenieure schon einmal nach Majak?

"Eine menschliche Tragödie" - der russische Aktivist Vladimir Slivyak in Gorleben

Die Deutschen schauen weg. Es ist eine menschliche Tragödie. Es ist eine Scham, dass die russische Regierung dies erlaubt und unglaublich, dass Deutschland die Transporte dorthin erlaubt. Beide sind verantwortlich. Niemand kann so tun als wüsste er nicht was da hinten passiert. Es waren schon viele Journalisten vor Ort, jeder kann wissen wie verheerend die nuklearen Mülltransporte für die russische Bevölkerung sind.

Wie hat die russische Bevölkerung von den möglichen Castortransporten nach Majak erfahren?

Sie hat es aus deutschen Medien erfahren – die russischen schweigen darüber. Selbst wenn Journalisten bei der russischen Regierung anfragen, erhalten sie keine Antwort. Erst wenn der strahlende Müll rollt wird es öffentlich. Aber unsere geheimen Quellen im Ministerium sagen uns, dass selbst die Amerikaner Druck machen, die deutschen Castoren schnell rollen zu lassen. Denn wenn sich der deutsche Transport verzögert, müssen die Amerikaner mit ihrem Schrott länger warten. Es gibt nur ein spezielles Schiff, das den Müll transportieren kann. Viele Länder wollen ihren gefährlichen Müll bei uns abladen.

Wie reagiert die russische Bevölkerung darauf?

Laut einer Gallup-Umfrage sind 97 Prozent der Russen dagegen, Atommüll zu importieren. Und sie setzen ihre Hoffnung auf Deutschland. Es war eine gute Entscheidung, die Laufzeit der Atomkraftwerke zu begrenzen. Schade, dass sie jetzt wieder verlängert wurde – denn dann geht der Gifttransport weiter. Und drüben sterben die Menschen. Atomenergie ist nicht ohne menschliche Opfer zu haben. Irgendjemand muss immer dafür bezahlen. Wir müssen diese Verrücktheit stoppen.

Bizarrstadt Duisburg: Rassistenthesen im Lehmbruckmuseum

Gerade scheint sich der Mantel der Verdrängung über die sterbende Eisenhüttenstadt im Ruhrdelta zu legen. Loveparade: 21 Tote und über 500 Verletzte, eine Stadt-Schranze, die dafür immerhin eine Ketchupdusche erhielt. Jetzt legt sich ein neues Rhizom über die Stadt: Der Spaltpilz. Rassistenthetiker Sarrazin soll im Lehmbruckmuseum lesen. Und im Immigrantenstadtteil Hochfeld heben sie an, obdachlose Sinti und Roma zu vertreiben.

Duisburg: Kantpark
Im Kantpark (mit Lehmbruckmuseum im Hintergrund) Sculptuur "3" (1973) by Alf Lechner in Duisburg/Germany

Lagebild Duisburg. Gestern. Donnerstag. 16.45 Uhr.

Das Riesenrad am Ende der Fußgängerzone läuft auf Test. Noch eine Viertelstunde, dann wird der Weihnachtsmarkt eröffnet. Alles läuft nach Plan.

Oben auf dem Rad kann man in die Chefzimmer des Rathauses sehen. Kein Licht in den Fenstern. Keine Verantwortung.

Im Nettomarkt, achtzig Meter vom Riesenrad klauen die Kids Süßigkeiten, dreissig Meter die Schlange vor der Kasse. Die Kids, zur Rede gestellt: Ich hab doch kein Geld. Und dann schnell verpisst. Alles läuft nach Plan.

Schnell zum Lehmbruckmusem. 400 Meter. In den Junkiepark. Der Bauhausbau in vollem Licht. Hier strunzt die Stadt und das mit Recht.

Es ist schon festzustellen, daß der wunderschöne Bau unter der Ägide von Direktor Raimund Stecker Resonanz erfuhr.

Vom Claim von einst, da redet keiner mehr:

Zentrum von Kleinskulpturen sollte das Museum werden.

Weil sich die Stadt bescheiden wollte: Keine Asche für Großankäufe.

Jetzt, wo Asche nur noch Phantasie ist, muß Stecker klappern.

Und kommt auf dumme Gedanken, des Agenda settings willen.

Beispielsweise wollte er den Lehmbruckpark, in dem Skulpturen leben, Kunst, die auch die Nacht kennt, mit einem Zaun umranken.

Natürlich alles Bullshit, die Idee, der Kantpark ist nicht der Vondelpark, von dem Promogeschnetz redet keiner mehr.

Jetzt ist der Hype vom Dienst:

Stecker läßt Sarrazin auftreten. Im Rahmen von Integration und dissendierenden Thesen soll das laufen.

Zu Kunst soll das gehören. Aber – es ist natürlich der Spaltpilz. Rassisten werden sich bemüßigt fühlen. Läuft alles nach Plan?

Drei Kilometer weiter. Wo die Armut wohnt. Ein Parkplatz gegenüber einer Moschee auf der Wanheimer Straße in Hochfeld.

Da stehen ab vier Uhr morgens Männer rum. Das ist ein Arbeitsstrich für Tagelöhner.

Poliere holen die in Kombis und SUVs für den Bau ab. Für drei Euro Stundenlohn. Viele sind illegal, Sinti oder Rom, da kann man nicht verhandeln. Alles läuft nach Plan.

Aber der Plan ist auch Vertreibung.

Arme hacken auf noch Ärmere, und die Stadt Duisburg ist arm.

Sie hat schon mal Sinti und Roma vertrieben, im letzten Jahr, in einem anderen Stadtteil.

Man hat sich den Mob zunutze gemacht, es wurden Stimmen aus der Nachbarschaft laut. Sehr laut. Alles läuft nach Plan.

Duisburg am Niederrhein, Deutsche Durchschnittsrassisten befördern den Lauf der Welt. Alles läuft nach Plan.

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Duisburg-Walsum: die Posse um den Platz geht weiter

Foto: Zwingenberg / Bernis-Blog

In der Posse um die Umbenennung eines Platzes in Duisburg-Walsum wurde am Donnerstag ein weiteres Kapitel geschrieben. Es muss nicht unbedingt das letzte sein.

Wie berichtet, hatte sich die Bezirksvertretung des ehemals selbständigen Stadtteils im Duisburger Norden fraktionsübergreifend darauf verständigt, ihren Rathausvorplatz in „Schalom-Platz“ umzubenennen. Nachdem jedoch der dortige „Heimatverein“ mit dem Hinweis, es gäbe bereits genug Naziopfer-Gedenkstätten, gegen dieses Vorhaben protestiert hatte, beeilten sich die Fraktionen von CDU und SPD, den entsprechenden Antrag von der Tagesordnung des Vorstadt-Parlaments zu nehmen. Kurz darauf bemühte sich der Walsumer CDU-Fraktionschef, eine von ihm auf einer Karnevalssitzung gestellte Suggestivfrage als Volksbefragung zum Thema umzudeuten.

Am Donnerstag, den 18. November, haben sich nach Angaben der WAZ-Stadtteilredaktion die Fraktionsvorsitzenden in der Bezirksvertretung Walsum als Kompromiss auf den Namen „Platz der gemeinsamen Erinnerung“ geeinigt. Damit solle sowohl der jüdischen wie auch der nichtjüdischen Opfer des Nazi-Regimes gedacht werden, aber auch – und wie man annehmen muss: vor allem – der auf der Arbeit umgekommenen Bergleute. Dieser Kompromiss nimmt der ganzen Sache nichts von ihrer Peinlichkeit.

Es kann nicht darum gehen, die einen Toten gegen die anderen auszuspielen. Aller Toten zu gedenken ist ein Fundament jeglicher Kultur. Nur: wo Aller gedacht wird, am gleichen Ort und zur gleichen Zeit, und bei Gedenkveranstaltungen vermutlich auch noch von den gleichen Anwesenden, da wird eigentlich – wenn wir ehrlich sind – niemandem gedacht. Man denkt allenfalls an Vorstadtpolitiker, wie sie in der Bredouille auf einen Namen wie den „Platz der gemeinsamen Erinnerung“ gekommen sein mögen. Einmalig auf der Welt, eine einmalige Peinlichkeit!

Man kann tatsächlich davon ausgehen, dass es vielen Walsumern lieber gewesen wäre, man hätte es bei der Erinnerung an die verstorbenen Bergleute belassen und den Platz in Barbaraplatz umbenannt. Nichts wäre dagegen vorzutragen gewesen, den Kumpeln, die bei der schweren Arbeit ihr Leben gelassen hatten, eine besondere Ehre zu erweisen. Man hätte sich so äußerst fragwürdige Einlassungen wie jener, dass es bereits genug Naziopfer-Gedenkstätten gäbe, guten Gewissens schenken können. Und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass im Verhältnis zur deutschen Geschichte etwas nicht stimmt – wenn man sich geäußert hätte, bevor der Vorschlag „Schalom-Platz“ auf dem Tisch lag.

Wenn jedoch bei einem sensiblen Thema wie dem Holocaust einmal eine Einigung erzielt wurde, dann muss man zum interfraktionellen Beschluss auch dann stehen, wenn dieser dem ein oder anderen nicht passt. Wenn aber, wie kürzlich in Walsum geschehen, Alles vorbereitet war, sogar der Termin zur Namenseinweihung schon feststand, und dann noch kurz vor Toresschluss die Absage kommt, dann tut man dem Ansehen seines Ortes keinen Gefallen. Wenn dann Michael Rubinstein, der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, meint, dass „es einige Leute zu geben (scheint), die mit einem Schalom-Platz Probleme haben“, dann hat er nichts gegen Nicht-Juden, dann hat er einfach nur Recht.

Und noch etwas: es hat nichts damit zu tun, die einen Toten gegen die anderen auszuspielen, wenn man sich vor Augen hält, dass ein Grubenunglück schon etwas Anderes ist als ein Völkermord. Eine Banalität. Wem bei einer Meldung über verunglückte Kumpel in China oder Chile der Holocaust in den Sinn kommt, tickt nicht richtig. Da ist kein Platz für eine „gemeinsame Erinnerung“. Es ist etwas völlig Anderes. Die nach Auschwitz verschleppten Walsumer Juden waren keine „besseren Menschen“ als die Jungs, die im Bergwerk geblieben sind. Wir müssen uns vor Augen halten, dass eine Gaskammer etwas Anderes ist als Grubengas. Den Toten kann es egal sein. Wenn wir da Blödsinn erzählen und schließlich selbst denken, haben wir das Problem.

„Auschwitz“ ist auch nicht etwas besonders „Heiliges“; Auschwitz war etwas besonders Schreckliches. Es ist schwer, dies mit anderen Grausamkeiten, die Menschen Menschen angetan haben und antun, vergleichen zu wollen. Dennoch: manchmal kann man es tun, manchmal muss man es tun: das absolute Grauen als Maßstab nehmen zur Beurteilung von Scheußlichkeiten, die Menschen offenbar nicht müde werden zu begehen. Srebrenica, Ruanda, Darfur – na sicher: es heißt nicht, deutsche Schuld zu schmälern, wenn in Zusammenhang mit diesen Orten des Schreckens auch Auschwitz genannt wird. Man kann, darf und muss den Holocaust vergleichen. Mit anderen Völkermorden, nicht mit Grubenunglücken.

Das ist alles so banal. Dass es dennoch geschrieben werden muss, ist peinlich. Ärgerlich. Mit Bedacht: auch schlimm. Am 30. November entscheidet die Bezirksvertretung Walsum in einer Sondersitzung. Liebe Leute, meine sehr verehrten Damen und Herren, macht Euch bitte nicht lächerlich! Ich komme jetzt schon aus dem Fremdschämen nicht mehr raus. Ich hätte es nicht nötig, ich kenne Euch nicht, und doch … – tut mir bitte, tut Euch den Gefallen: nennt ihn Barbaraplatz, lasst es beim Kometenplatz, Friedensplatz – sehr gern, muss aber nicht. Schalomplatz ist ja wohl gegessen. Macht, was Ihr wollt! Nur bitte, lasst das mit dem „Platz der gemeinsamen Erinnerung“! Strengt Eure Karnevalsköpfe bitte noch einmal eine Viertelstunde ein wenig an! Lest vielleicht diesen Text noch einmal! Oder stellt Euch einfach nur vor, in welcher „gemeinsamen Erinnerung“ Ihr verbleibt, wenn Ihr Euch wirklich nicht entblöden solltet, diese Peinlichkeit durchzuziehen.

Der Ruhrpilot

Blogs: Bericht vom Tortenprozess…Bo Alternativ

Blogs II: Freispruch für Martin Budich…Pottblog

Blog III: Bomberman, die 4….Law Blog

Opel: …wird in eine AG umgewandelt…FAZ

Dortmund: Betriebszeit-Verlängerung für Flughafen beschlossen…Ruhr Nachrichten

Dortmund II: Kraft hält sich bei Flughafenstreit noch raus…Der Westen

Dortmund III: Wirbel um FZW…Ruhr Nachrichten

Essen: Steag-Kauf soll Stadtwerke-Erlös nicht schmälern…Der Westen

Bochum: Der BO-Kulturkalender war prall gefüllt…Der Westen

StreetView: Wer wird StreetView Irrer?…Blogbar

Internet: Axel E. Fischer erklärt Vermummungsverbot…Netzpolitik

Jamie Lee Bowie

Endlich, seit gestern Nacht kann man endlich der Nachbarin untern Rock, respektive in den Vorgarten linsen, streetview ist online und funktioniert sogar.

Schon verdammt spannend, was man dort zu sehen bekommt, na ja, oder auch nicht. Spannender ist, was man nicht sehen kann oder sehen können soll. Aktuell ist es DAS Thema, wie gut google es auf die Kette bekommt, dem Ruf nach Privatsphäre und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte nachzukommen und Gesichter und Fassaden zu verpixeln. Mir kann das egal sein, mein darkroom geht nach hinten raus.

Allgemein wird stark angezweifelt, daß google das vernünftig hinbekommt, auch weil man ebenso allgemein annimmt, daß sie es gar nicht hinbekommen wollen, sondern planen, irgendwann mit den Daten Schindluder zu treiben. Ok, kann passieren, auch wenn ich mich frage wie man mit bis zu zwei Jahre alten Bildern etwas anstellen will in einer Zeit, in der sich Fische beschweren, daß die Zeitung in die sie gewickelt werden von gestern und somit hoffnungslos veraltet ist.

However… wie die meisten, oder sind wir doch mal ehrlich, wie alle, habe ich mich auch mal in meiner Nachbarschaft umgesehen, weiter geht das Interesse der meisten sowieso nicht, warum auch? Und tatsächlich, genau die Leute, die man schon seit Jahren nicht hat leiden können sind genau die, die ihre Hütte haben verpixeln lassen. Machen wir uns allerdings nix vor, daß Verhalten dieses Leute ist richtig, ein Dienst am ästhetischen Empfinden, deren Kabacken sind eine Beleidigung für das Auge. Schade eigentlich, daß die Nummer mit der Verpixlerei nicht auch in der Realität funktioniert. Aber ich schweife, wie so oft, wie so immer, ab. Wie gut bekommt google es also hin, dem Wunsch nach Anonymität nachzukommen?


Größere Kartenansicht

Wenn man mich fragt, dann bekommen sie es gut hin, sehr gut, vielleicht sogar ein wenig zu gut, jedenfalls die automatische Gesichtserkennung. Ok, ich war mir nie so ganz sicher, wen sie da eigentlich auf die Fassade des Intershop gepinselt haben, Jamie Lee Curtis oder ist es doch eher David Bowie… schade irgendwie, daß mir, basierend auf diesem Bildmaterial, niemand bei der Beantwortung wird helfen können, die Persönlichkeitsrechte von Jamie Lee Bowie oder David Curtis sind jedenfalls bestens gewahrt.

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Über die Szene des Ruhrgebiets

www.pottspotting.deBerlin, Hamburg oder Köln – das sind eindeutig Szenestädte. Das Ruhrgebiet kann da nicht mithalten. Um jungen Kreativen aus  dem Ruhrgebiet dennoch eine Plattform zu geben, haben Sven Stienen und Sven Neidig aus Bochum das Internet-Blog Pottspotting.de gegründet. Wir haben die Beiden getroffen und mit ihnen über das kreative Potenzial und den Sinn von RUHR.2010 gesprochen.

Was ist Pottspotting?

Stienen: Pottspotting ist ein Internet-Blog, auf dem wir gute Orte im Ruhrgebiet sammeln und vorstellen. Zu den Orten haben sich mittlerweile auch gute Initiativen und gute Leute gesellt. Wir machen das nicht nur an Orten fest, sondern berichten auch etwa über Künstler, Kollektive und Musiker. Alles, was uns auffällt und was wir gut finden.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Neidig: Wir haben ziemlich lange darüber gesprochen, ob das Ruhrgebiet eine Metropole ist, auch in Bezug auf die Kulturhauptstadt. Da kam dann auch oft der Vergleich mit Städten wie Berlin auf, wo das mit der Kultur ja scheinbar anders läuft. Und die Idee war, dass wir raus gehen und selbst gucken, was es denn hier alles gibt in der „Metropole“ und ob es nicht doch viel schöner ist, als man gemeinhin denkt. Zum anderen haben wir uns gedacht, immer nur theoretisch über Sachen zu quatschen, bringt ja auch nicht so viel – also muss man irgendwo anfangen und versuchen, irgendetwas zu bewegen.

Was hat euch in diesem halben Jahr Pottspotting am Ruhrgebiet am meisten überrascht?

Sven Stienen und Sven Neidig. Foto: C. HahnStienen: Wir hätten nie gedacht, dass hier wirklich so viel passiert und dass auch so coole Sachen passieren. Im Moment herrscht hier eine Aufbruchstimmung – wir merken das immer wieder in Gesprächen mit Kreativen und Kulturschaffenden, dass die Leute alle voll Bock haben. Die wollen was machen, die wollen was bewegen und das war echt unerwartet.

Neidig: Was mich teilweise überrascht hat, ist, wie viel unternehmerisches Denken da ist und das in einer sehr positiven Art und Weise. Wir haben zum Beispiel ein Feature mit jemandem aus Recklinghausen gemacht, der hat sein Leben lang auf dem Skateboard gestanden und auch in einem entsprechenden Laden gearbeitet. Irgendwann war in dem Laden keine Stelle mehr für ihn da. Jetzt hat er seinen eigenen Laden aufgemacht. Er ist zwar noch relativ jung, aber er hat es jetzt erstmal geschafft und ist Ladenbesitzer.

Es gibt das schöne Schlagwort von der Metropole Ruhr…

Stienen: Das findet bei uns nicht statt. Man wird nicht zur Metropole, indem man nur immer lauter ruft, man sei eine. Zum anderen fehlt eine kritische Masse an Leuten. Man sieht, dass gute Kulturveranstaltungen im Ruhrgebiet immer wieder große Probleme haben, weil das Publikum einfach fehlt. Dann fehlt vielleicht auch das Zusammengehörigkeitsgefühl. Um in so einer Liga konkurrieren zu können, müsste das Ruhrgebiet eine Stadt sein. Jede einzelne Stadt für sich hat nicht das Zeug dazu, eine Metropole zu sein. Aber alle zusammen schon – dazu müssten die Städte erst einmal zusammenwachsen von der Mentalität und vom Denken her, von der Infrastruktur.

Glaubt ihr, dass das Ruhrgebiet mitten im Wandel steckt – vom Kohlenpott zum kreativen Pott?

Neidig: Also wirtschaftlich ist es auf gar keinen Fall noch der Kohlenpott. Von der ökonomischen Basis her musste man sich völlig umorientieren. Das mit der Mentalität ist eine andere Sache. Zu einer Metropole gehört auch ein gewisses Selbstbewusstsein der Bewohner. Nach dem Motto „ich wohne in der Stadt und die hat einen Weltruf und man gehört halt dazu“. Und hier ist die Selbstwahrnehmung eher „wir sind irgendwie am Rand und nicht wirklich wichtig“. Tendenziell denkt man sich hier eher alles klein.

Stienen: Ich glaube, das setzt sich auch auf allen Ebenen fort. Hier wird viel Geld und Energie in Hochkulturprojekte investiert, um das fehlende Selbstbewusstsein aufzupolieren. Man schmückt sich lieber mit großen Leuchtturmprojekten, statt auf die eigenen Potenziale zu setzen, weil einfach das Selbstbewusstsein fehlt.

In ein paar Wochen ist die Kulturhauptstadt vorbei. Was glaubt ihr, was bleibt übrig?

In wenigen Wochen ist das Kulturhauptstadt-Jahr vorbei. Foto: C.HahnStienen: Wir glauben, dass die Kulturhauptstadt an sich viele schöne Projekte und viele schöne Events hatte, aber nachhaltig sind doch eher die Sachen, die ins Kulturhauptstadtprogramm vielleicht nur durch Zufall reingerutscht sind. Gerade die Leute, die von der Kulturhauptstadt enttäuscht waren und gesagt haben „warum werden wir nicht gefördert, wenn endlich mal Geld da ist?“ – gerade diese Leute haben aus Trotz in diesem Jahr unheimlich viel Initiative gezeigt. Diese Projekte sind die wirkliche positive Errungenschaft der Kulturhauptstadt. Das sind die Leute, die auch 2011, 2012 und 2013 weitermachen. Ich glaube, dass da ziemlich viel passieren wird und dass sich in der freien Szene jetzt super viel entwickeln wird.

Aber kann man denn Kreativität wirklich subventionieren und damit auch irgendwo erzwingen?

Neidig: Kreativität kann man nicht erzwingen. Menschen sind kreativ. Meiner Meinung nach muss man kreative Menschen lassen, die brauchen Freiraum. Und das heißt im Zweifelsfall 20 m² Leerstand irgendwo, wo man nicht sofort wieder raus geräumt wird. Wo man nicht so viel Miete zahlen muss, wo man nicht sofort Ärger kriegt, wenn man nicht vorschriftsmäßig einen Wasseranschluss hat oder sonstige Sachen. Das ist eigentlich nicht sehr viel, ist aber für Verwaltungen oft schwierig zu machen. Städte haben gerne Ordnung, aber der Aufwand, der betrieben wird, um ein Kreativquartier künstlich zu erzeugen, ist schon sehr hoch. Ich denke mit ähnlichem oder weniger Ressourcenaufwand könnte man auch Freiräume schaffen, in die man nicht eingreift und die von allein wachsen und sich entwickeln.

Stienen: Gerade dieser Versuch, von oben etwas zu installieren wie ein Kreativquartier, funktioniert nicht. Diese Viertel entstehen, wenn bestimmte Faktoren zusammentreffen. Die Kreativen gehen dorthin, wo es günstig ist, wo sie sich wohlfühlen und wo man sie machen lässt. Es geht nicht immer nur um Subventionen, sondern darum, einfach mal etwas zuzulassen. Und das ist das, was wir mit Pottspotting versuchen: wir dokumentieren und versuchen nicht, irgendwelche Meinungen zu machen. Wir wollen aufzeigen, was hier passiert – sei es, dass etwas gut funktioniert hat oder dass etwas schief gelaufen ist.

Berlin ist für viele die Szene-Stadt schlechthin. Haben wir auch eine Szene?

Stienen: Das Ruhrgebiet hat auch eine Szene, nur die ist sehr klein und sehr auf die einzelnen Städte bezogen. Dortmund hat eine Dortmunder Szene, Essen hat eine Essener Szene, Bochum hat eine Bochumer Szene. Mittlerweile fängt es so langsam an, dass die Leute auch mal in die Nachbarstädte fahren. Es fehlt noch die Masse, um diese Stadtgrenzen zu überwinden. In Berlin, Hamburg oder Köln ist das Ganze schon größer. Das ist die kritische Masse, die man braucht, um andere Leute anzuziehen. Also im Moment ist das Ruhrgebiet auch noch nicht so ein Anreiz für Leute von außerhalb, hierhin zu kommen.

Was machen Hamburg und Berlin besser als wir? Ist es das Image, das eine gewisse Eigendynamik mit sich bringt?

Neidig: Man sieht es ja schon am ganz konkreten Beispiel der Mode. Man ist in solchen Metropolen einfach ein bisschen mutiger. Das fängt schon in Köln an, wenn man dort mit der Straßenbahn fährt, sieht man Leute, die einfach ein bisschen gestylter und cooler sind, als die, die einem hier so begegnen. Das ist einfach ein gewisses Selbstvertrauen, was da mitläuft.

Stienen: Aber auch da spielt die Menge der Leute wieder eine wichtige Rolle. Ich glaube nicht, dass das in Berlin von den Voraussetzungen her anders ist: Das Ordnungsamt macht da genauso Läden zu wie hier. Es gibt da aber auch Beispiele, dass politische Entscheidungen dazu führen, dass man einen Kiez sich einfach entwickeln lässt. In Berlin sind aber auch einfach viel mehr Leute, die Szene entwickelt sich dort viel schneller, Bars, Clubs und Galerien öffnen und schließen in einem schnelleren Rhythmus, da kommen die Behörden nicht immer nach. Auf der anderen Seite hat die Szene dort aber auch eine stärkere Tradition, da haben sich in der Wendezeit Strukturen etabliert, die bis heute eine gewisse Beständigkeit behalten haben, und so etwas fehlt im Ruhrgebiet. Hier fängt das gerade an, hier ist die Off-Szene eine kleine, aufblühende Geschichte. Die Überpräsenz der Regulierungen macht es aber schwer, solche Sachen dauerhaft zu machen. Wenn du hier irgendwas machst, dann steht das Ordnungsamt mit dem Zollstock daneben. Wenn das so läuft, kann aber nichts entstehen. Wo Kreativität und Kunst aufblühen sollen, da kann man nicht immer alles genau abmessen.

Bürgerlich, bürgerlicher, am bürgerlichsten – über das Volk und seine nach ihm benannten Parteien

DER SPIEGEL, Heft 46 / 2010

Nicht die CDU und nicht einmal ihre Vorsitzende, Frau Merkel, wollen erkennen, meint Heribert Prantl, dass „die eigentliche, die bürgerlichste aller bürgerlichen Parteien inzwischen die Grünen sind.“ Das könnte daran liegen, meine ich, dass sie – also die CDU und ihre Vorsitzende – am liebsten selbst „die eigentliche, die bürgerlichste aller bürgerlichen Parteien“ wären. Dass die FDP eine bürgerliche Partei ist und im Rahmen einer bürgerlichen Koalition ein Garant für das Bürgerliche in der bürgerlichen Regierung ist, wer wollte das bezweifeln? 

Nur: in der heutigen Zeit reicht das nicht mehr. Bürgerlich – das ist ja irgendwie Jede und Jeder. Spieglein, Spieglein an der Wand – wer ist der, die oder das Bürgerlichste im ganzen Land? Doch diese Frage ist längst beantwortet. Prantl weiß es, und wenn der Ressortleiter Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung etwas weiß, dann hat das schon etwas zu bedeuten – z.B. für all die Anderen, die noch mehr zu wissen haben als ihre Leser, die qua Werbeslogan ohnehin schon mehr wissen. Richtig: die Rede ist vom „Spiegel“, der in dieser Woche die „Bürgerlichsten aller Bürgerlichen“ auf die Titelseite stellt. 

Die „Spiegel“-Titelseite, charmant gestaltet im heilserwartungsvollen Stil aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, wie wir ihn gegenwärtig nur noch von der MLPD oder den Zeugen Jehovas kennen. Die gleiche Chose – allerdings in Grün: oben scheinen hell- und dunkelgrüne Strahler den Schriftzug „Die neue deutsche Volkspartei“ zu projizieren. Darunter Renate Künast, die die rechte Sozialisten-Faust ballt, und Jürgen Trittin, der rechte und linke Hand umklammert, was einen an das Logo der SED denken lassen soll. Darunter wiederum Demonstranten, die gegen „Stuttgart 21“ und gegen Atomkraft demonstrieren: offensichtlich „bürgerliche“ Menschen, die ihre Pappplakate und Fäuste in die Luft recken. Ganz unten dann die Frage: „Was taugen die Grünen?“ 

Nicht viel, wie wir in der Titelgeschichte erfahren. Dort heißt es, die Grünen stünden für „Normalität, jedenfalls in den bürgerlichen Vierteln, aus denen die Grünen ihre Anhänger rekrutieren“. Das hört sich freilich nicht ganz so locker an. Aber auf jeden Fall „profitieren die Grünen heute vom Konformitätsdruck der bürgerlichen Mittelschicht“, weshalb sie ja – man denke an die Titelseite – jetzt „die neue deutsche Volkspartei“ sind. Wir merken uns: wir sind das Volk, wir sind bürgerlich, woraus zwingend folgt, dass demzufolge das Volk bürgerlich ist. Volkspartei zu sein bedeutet, bürgerlich zu sein, weshalb verständlicherweise auch Sigmar Gabriel darauf besteht, dass die SPD ebenfalls bürgerlich ist. 

Ob denn Sozialdemokraten keine Bürger seien, fragt der Parteichef so rhetorisch wie empört, wenn sich die schwarz-gelbe wieder einmal eine „bürgerliche“ Koalition nennt. Da kann, wie kürzlich auf dem Parteitag, Frau Merkel ihre Leute auffordern, „die Herausforderungen einer veränderten Welt anzunehmen und bürgerliche Politik neu zu begründen“. Wenn mit der CDU die neue Zeit zieht, dann mit der SPD schon mal erst recht. Wenn die Konservativen anfangen, „die Herausforderungen einer veränderten Welt anzunehmen“, bitte sehr, dann sind die Sozialdemokraten eben jetzt auch „bürgerlich“. Das wäre ja noch schöner! 

Einzig die Linkspartei hält stramm Kurs: bürgerlich ist böse. Schluss der Debatte. Und weil alles, was nicht Linkspartei ist, irgendwie bürgerlich ist, ist es auch – gut mitgedacht! – irgendwie böse. Abgesehen von den bürgerlichen Freiheitsrechten, die wiederum irgendwie gut sind – zumindest so lange, wie eine Regierungsbeteiligung nicht in Sicht ist. Deshalb macht die Linke in Ostdeutschland auch nicht so viel Bohei um „bürgerliche Freiheitsrechte“ und so; denn dort ist sie ja Volkspartei. Wir haben gelernt: eine Volkspartei ist qua definitione bürgerlich. Weil ja, wie Sie sich erinnern, das Volk selbst, bürgerlich ist. Was soll es denn auch sonst sein?! 

Zugegeben: wenn alle bürgerlich sind, macht es irgendwie auch keinen Spaß. Genau genommen wird es überhaupt erst möglich, bürgerlich zu sein, wenn es Leute oder Sachen oder Ideen gibt, die eben nicht bürgerlich sind. Aus dem schönsten Konformitätsdruck könnte gar nichts werden, wenn alle, wirklich alle, „so sind wie wir“. Ein Festival der Liebe, gab einst Jürgen Marcus zum Besten, solle unser Leben sein. „Und alle, die so sind wie wir, die laden wir gern ein.“ Und alle Anderen eben nicht. Das ist ja gerade der Clou an der ganzen Angelegenheit. Wer – bitteschön – ist nicht bürgerlich? Jetzt einmal abgesehen von den Leuten von der Linkspartei … 

Richtig: Hartz-IV-Empfänger und so Leute. Die sind nicht bürgerlich. Dafür aber auch uninteressant, womit die soziologische Betrachtung des bzw. der Nicht-Bürgerlichen auch schon durchgenudelt wäre. Deutlich interessanter ist der politologische Blick auf Bürgerliche und Nicht-Bürgerliche. Klar zu erkennen auf Demonstrationen – gegen AKWs, Nazis und all so´n Mist. Die, die mit dem Stadtrat, dem Bürgermeister, dem Pastor und dem Gewerkschaftsboss gehen, sind die Bürgerlichen. Die Anderen, die etwas offensiver an diese Kämpfe herangehen – im bürgerlichen Sprachgebrauch: Krawallmacher, Chaoten oder so – sind es eben nicht. Also: nicht bürgerlich. Politologie einfach, Soziologie uninteressant – historisch betrachtet wird die Sache leider unnötig kompliziert. Deshalb stellen wir uns jetzt einmal ganz dumm und fragen uns, wer oder was der Bürger eigentlich ist. Denn so, wie es ohne Anschau kein „anschaulich“ gibt, gibt es ohne Bürger auch kein „bürgerlich“. Logisch. 

Schauen wir uns das also auf Wikipedia an: da haben wir einmal das Bürgertum, die Klasse der Bourgeois, also die Bourgeoisie, die sich als besitzende Klasse gesellschaftliche Produktion privat aneignet. Das ist gemein, ziemlich bürgerlich und irgendwie auch nicht gerecht. Dann haben wir aber auch noch – neben dem Bourgeois – den Citoyen, also den Bürger, der „die bürgerlichen Ehrenrechte” (Rechte und Befugnisse) genießt, wie z.B. das aktive oder das passive Wahlrecht. Den Staatsbürger eben. Beide, also Bourgeois und Citoyen, können freilich in ein und derselben Person vorkommen, müssen es aber nicht. Und in den allermeisten Fällen tun sie es auch nicht. Die meisten Staatsbürger besitzen nämlich gar keine Produktionsmittel. Und wenn doch: wie viele Aktien muss man eigentlich besitzen, um als Angehöriger der bürgerlichen Klasse gelten zu dürfen? 

Und überhaupt. Wenn Alle, oder sagen wir mal: fast Alle, jetzt bürgerlich sind, haben wir dann eine klassenlose Gesellschaft, also – man wagt es gar nicht zu fragen: leben wir dann – sozusagen jetzt schon – im Kommunismus? Das könnte ja sein. Wenn vor zwanzig Jahren der Tante Frieda oder dem Onkel Herrmann erzählt worden wäre, dass die Grünen heute Volkspartei sind, und dass der Trittin vielleicht Bundeskanzler werden könnte, da wären die zusammen gezuckt und hätten diese Frage ohne zu zögern mit einem Ja beantwortet. Die wussten allerdings damals auch noch nicht, wie chic sich die Grünen anziehen können. Claudia Roth meint, „bürgerlich“ sei, wenn man „wohlerzogen“ ist. So ähnlich hatten sich das Tante Frieda und Onkel Herrmann auch gedacht. 

So dreimal, manchmal auch viermal im Jahr gingen die Beiden auswärts essen. Geburtstag, Hochzeitstag und so – da musste Tante Frieda nicht kochen. Da hatte man sich etwas gegönnt. Gute bürgerliche Küche.