Am 9.November wollen die Nazis wieder durch Essen-Borbeck marschieren und, wie schade, der Bochumer „Tortenprozess“ findet am kommenden Donnerstag nicht statt. Neuer Termin ist der 18.11.
Ich liebe Gerichtsveranstaltungen, die jede noch so irrsinnige Barbara-Salesch-Verhandlung toppen. Zum wiederholten Male die Fakten: Martin Buddich, Chef des Blogs bo-alternativ.de, hatte auf eine angekündigte Nazi-Demo mit einer Karikatur reagiert. Ein Comic-Männchen begrüßt die Rechten mit dem Spruch: „Kein Zuckerschlecken für Nazis“ und hält dabei eine Torte in der Hand. Irgendwas brennt auf der Torte, vermutlich eine Kerze oder Wunderkerze. Die Staatsanwaltschaft jedoch erkannte „eine als Torte geplante Bombe mit brennender Lunte“, womit klar war, dass es sich nur um einen Aufruf zur gefährlichen Körperverletzung handeln kann.
Offensichtlich muss bei denen ein Praktikant am Werk gewesen sein. Nur so lässt sich diese juristische Stümperei erklären. Bombenwürfe auf belebten Straßen, da geht es nicht um eine popelige Körperverletzung. Da geht es um Mord (§211, StGB) und um das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§308, 3 StGB).
Erstaunlicher noch ist die Beweisführung. Ich frage mich, über welche grandiosen Bildbearbeitungsprogramme die Juristen verfügen. Ich sehe eine Comic-Torte, sie aber können mit ein paar Mausklicks die tarnende Sahne beiseite wischen und die tödliche Bombe zutage fördern, woraus sie ihren Gewaltvorwurf konstruieren. Ich sollte demnächst mit Fotos im Internet vorsichtiger sein. Da lasse ich mich unbedarft in meiner Lieblingsjeans knipsen, die Jungs jagen mich durch den Computer, entdecken meinen mit einer Hose getarnten Pimmel, und schon bin ich dran wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses oder schlimmerer Sachen.
Die Torte als Mittel der Notwehr gegen das Nazipack ist wesentlich eleganter als mein jugendlicher Versuch, eine Versammlung der Republikaner zu sprengen. Ich rief damals in ihrem Treffpunkt, dem Dorfkrug an, fragte: „Sind bei Ihnen gleich die Reps?“ – „Ja. Warum?“ – „Ich wollte nur sagen: Bombe!“ Gut, ich saß dabei damals als freier Mitarbeiter einer Lokalzeitung in der Redaktion, als eine halbe Stunde später der Fotograf von Straßensperren, Bulleneinsatz und Terroranschlag berichtete. Nur, um das klarzustellen. Die Aktion ist hoffentlich verjährt und wird jugendlichem Leichtsinn zugeschlagen. Außerdem habe ich nichts angedroht. „Bombe“ war als Adjektiv gemeint, also, ich meine bombe, im Sinne von bombastisch. Scheiße, das Wort war damals noch gar nicht Jugendslang? Immerhin habe ich damals nicht über das selbst initiierte Ereignis geschrieben. Ich habe keinen Pfennig daran verdient.
So sollte man heute nicht mehr gegen unerwünschte Aufläufe vorgehen, nicht nur, weil heute Anrufe leicht zurück verfolgbar sind. Im Gegenteil: Als Normalbürger oder Normalempörter sieht man Naziaufmärsche viel zu selten, werden die doch hermetisch und weiträumig abgesperrt. Ich habe mir das einmal angetan, habe mich an einen Fotografen gehängt und als Journalist ausgegeben. (Mist, das ist noch nicht verjährt.)
Es war in Düsseldorf, kurze Einweisung der Polizei. Es gab eine rote Linie. Bis zum Polizeikordon, der die Demo einrahmte, garantierte man für meine Sicherheit, näher dran an den Nazis agierte die Presse auf eigene Gefahr, die angebliche Presse erst recht. Ein armseliges Häufchen bewegte sich am menschenleeren Rheinufer entlang. Zur Hälfte sah das Pack aus wie unterwegs zur Lederparty im Gayclub, zur anderen Hälfte schritt es damals schon dem geistigen Hartz IV entgegen. Man nutzte die immer wieder angeordneten Marschpausen, um aus dem tarnfarbenen VW-Bulli heraus Sprüche wie: „Hoch die na-ha-hationale Solidarität!“ zu skandieren. Parolenklau kann ich nicht leiden.
Höhepunkt war die Kundgebung vor dem Innenministerium. Auftritt einer sehr älteren Dame, die offensichtlich vormittags noch mal beim Friseur war für ihren Auftritt. Typ Gauleiterwitwe, die ein Kleid trug, das ursprünglich mal für Führers Geburtstag gedacht schien. Sie begrüßte die Meute mit den Worten: „Liebe junge Freunde. Ich freue mich sehr, dass Sie heute hier sind. Aber können Sie sich nicht mal etwas Ordentliches anziehen?“ Da musste ich, diesseits der roten Linie, doch schon leise lachen und der Regierungspräsident Jürgen Büssow neben mir auch.
Still dachte ich mir: Wenn du jünger wärst und politischer Analphabet, würdest du hier mit marschieren. Es gibt doch wohl nichts Geileres, als mit so einem Jammerhaufen Samstag für Samstag eine Großstadt lahmzulegen. So viel Effekt mit so geringem Einsatz erzielst du nicht mit Graffiti, dem Rumkratzen auf S-Bahn-Scheiben und auch nicht als Fußballhooligan. Und abends kannst du dir zufrieden mit Billigalk ein paar von deinen wenigen Resthirnzellen wegballern.
Es nervt aber, ständig auf den nächsten Naziaufmarsch reagieren zu müssen. Vielleicht will ich samstags mal einfach nur zuhause ein gutes Buch lesen, die Wand angucken oder meine Ruhe haben. Vielleicht will ich nicht ständig als Künstler von irgendeinem DGB-Vorsitzenden moralisch zur Mitwirkung auf eiskalter Bühne verpflichtet werden und nachher mitbekommen, wie der dem letzten Ordner und dessen Ehefrau dankt, aber die Musiker vergisst, die sich die klammen Finger an der Gitarre wund gespielt haben. Vielleicht will ich mich nicht von irgendwelchen Nazis zwingen lassen, sie jedes zweite Wochenende auch öffentlich scheiße zu finden.
Reflexhafte Demos von Antifaschisten und Antirassisten haben sich überholt. Wir sollten es vielleicht am 9.November in Essen mal mit einer Neuinterpretation der „Free Hugs Campaign“ versuchen, mit den Gratis-Umarmungen, im entsprechenden Retro-Outfit, mit Scheitel und Bärtchen. (Mein Foto entstand absichtlich im scheußlichen 70-er-Jahre-Badezimmer, um jedem Vorwurf der Verherrlichung durch Armseligkeit zu begegnen.) Verblüffte oder peinlich berührte Nazis wären mir eine große Freude. Alternativ werfe ich auch gerne Unterwäsche und kreische.
Als gastfreundlicher Mensch wollte ich den Nazis bei ihrer letzten Demo vor meiner Wohnung derart festlich zurecht gemacht einen netten Empfang bereiten, ihnen winken und ein freundliches “Willkommen!” zurufen. Ich bekam dann doch Zweifel. Entweder sie nehmen mein Outfit ernst und rennen mir die Tür ein oder sie verstehen die Satire und treten sie ein. Beides keine gute Perspektive fürs Wochenende. Im letzten Moment merkte ich, dass es die Antinazi-Demo war, die an meinem Wohnzimmer vorbei zog.
Beim Ruf nach der „nahahationalen Solidarität“ kam mir der Gedanke, es nicht mit Gegenparolen zu versuchen, sondern mit dem Urheberrecht. Storch Heinar ist der viel zu schüchterne Versuch, Symbolen der Rechten zu begegnen. Nicht ironisch brechen, kaufen muss man das Zeug. Die sichtbaren Buchstaben der Marke Lonsdale, jenes „NSDA“, schützen lassen. „Deutschland den Deutschen“, „Ausländer raus“, alle denkbaren, straffreien Abwandlungen des Hakenkreuzes und anderen Müll beim Patentamt eintragen lassen. Sobald es rudimentär musikalisch wird, das Zeug bei der GEMA anmelden. Anschließend bei jeder Demo Lizenzgebühren kassieren und notfalls Abmahnungen rausschicken. Glaubt mir, selbst Hirnlose kann man zur Not immer noch an der Geldbörse erwischen.
Mein Traum bleibt die aktive Förderung des internationalen Rassismus. Jede Nation, vermeintliche Rasse, ethnische Großkotzgruppe beansprucht für sich die Nummer Eins. Vizeweltmeisterschaft wird vielleicht im Fußball noch gefeiert, bei Blut und Genen ist der Zweite schon der erste Verlierer. Oder hat jemand jemals gehört, dass ein Nazi grölt: „Deutschland, Deutschland, über alles, ok, außer Amerika“? Die Heinrich-Böll-Stiftung könnte den Rassisten-Worldcup fördern, irgendwo im entvölkerten Mecklenburg-Vorpommern. Die Teams, Faschisten, Rassisten und unbedingt auch religiös Größenwahnsinnige, könnten offen gegeneinander antreten, unter selbstbestimmten Regeln. Gruppenphase, Zwischenrunde, Halbfinale, Finale. Mit Wetten ließe sich eine Menge Kohle machen. Ich würde blind auf das Finale setzen „Ostdeutschland gegen Taliban“. Ich fürchte aber, dieser „Clash of Civilizations“ fällt aus. Es wird sich einfach kein Sponsor finden. Ich hätte doch einfach nur gerne mal ein ruhiges Wochenende.