Es gibt Menschen, die sollten das bergmännische Arschleder besser vor dem Gesicht tragen, Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle etwa, und EU-Kommissar Günther Oettinger.
Was beide in der letzten Zeit geleistet haben, um die Zechen an der Ruhr vorzeitig absaufen zu lassen, kann allenfalls der Ruhr.2010 gefallen. Die Kohlefeinde sorgen nämlich für die in der Kulturhauptstadt vermisste Nachhaltigkeit. Ruhrtriennale und Extraschicht könnten bald schon neue Spielstätten beziehen, ehemalige Pütts für Ausstellungen, Oper und Kreativwirtschaft genutzt werden. Nur haben die Jungs die Rechnung ohne mich gemacht.
Unbestritten vorbei sind im Pott die goldenen Zeiten. Damals waren alle auf Zeche. Da war die Berufswahl für junge Menschen kein Problem. Die Mädels wurden irgendwas, und für Jungs galt: Wenn du was mit Tieren machen willst – ab auf Zeche zum Grubenpferd. Wenn du mehr mit Menschen arbeiten willst – ab auf Zeche, nach Schicht den Kumpels den Rücken schrubben. Und wenn du eine künstlerische Ader hast – ab auf Zeche, damit du mal auf vernünftige Gedanken kommst.
Als durchschnittlicher Kabarettist bist du heute auf mehr Schachtanlagen angefahren als je ein Bergmann zuvor. Bei mir waren es: Zollverein, Zollern, Minister Stein, Zeche Carl, Prinz Regent, Haard, Hansa, Prosper Haniel, Waltrop, Auguste Victoria und das Bergbaumuseum. Gut, letzteres zählt nicht, das ist ein umgebauter Schlachthof, und auf Auguste Victoria habe ich richtig malocht, übertage im Eisenlager. Gut, das war ein vierwöchiger Ferienjob. Aber immerhin bin ich auf dort Ehrenhauer.
Damit beginnt das Problem für Brüderle und Oettinger. Im Kleingedruckten des Ehrenhauerbriefs steht nämlich: „Diese Ehrung ist nicht mit Rechten, sondern nur mit Pflichten verbunden.“ Ich nehme so etwas ernst und fühle mich verpflichtet, am Kohlekompromiss festzuhalten, am vereinbarten Ausstieg im Jahr 2018.
Ganz Deutschland jubelt, wenn in Chile 33 Kumpels nach 69 Tagen gerettet werden, übersieht darüber aber total und gerne, dass in der Zeit in China rund tausend Bergleute ums Leben gekommen sind. Während der politisch Korrekte streng darauf achtet, dass unsere Nelken in Kolumbien ausschließlich von glücklichen Kindern gepflückt werden, interessiert das große Krepieren in China keine Sau. Mich schon. So sehe ich mich zur Notwehr gezwungen. Die Zechen an der Ruhr müssen gerettet werden.
Eigentlich gehört die RAG-Stiftung mir. Solange es im Ruhrbergbau gut lief, habe ich mich nicht weiter darum gekümmert. Jetzt scheint es an der Zeit, brisante Papiere aus dem Giftschrank zu holen. Bekanntlich haben 2007 die Alteigentümer ThyssenKrupp, E.ON, RWE und ArcelorMittal ihre Anteile an der Ruhrkohle für jeweils einen symbolischen Euro an die Stiftung abgetreten. Für sie ging die Rechnung auf, hofften sie doch, sich so um die immensen Ewigkeitskosten der Nachkohlezeit zu drücken. Durften sie das? Nein, denn ihnen lag ein wesentlich besseres Angebot vor. Per Einschreiben vom 30.12.2006 bot ich jedem Eigentümer fünf Euro für seinen Anteil am Unternehmen, also satte 400 Prozent mehr als der kniepige damalige RAG-Chef Werner Müller.
Mein Hinweisim Angebot: „Gerade in Hinblick auf die Interessen Ihrer Anteilseigner sollte man in heutigen Zeiten darauf bedacht sein, anvertrautes Vermögen nicht unter Wert zu verschleudern“, konnte durchaus als milde Drohung verstanden werden. Wer auf einen solch fetten Mehrgewinn ohne Not verzichtet, sieht sich schnell dem Verdacht der Untreue ausgeliefert. Man stelle sich nur vor, Manager eines Konzerns verscherbelten eine Unternehmenssparte für eine Milliarde, obwohl ein anderer Investor fünf Milliarden bietet. Sie säßen längst auf der Straße oder im Knast.
Dem damaligen RAG-Chef Werner Müller bot ich in aller Freundschaft eine Weiterbeschäftigung an: „Ich möchte Ihnen versichern, dass ich Ihre Politik, im engeren Sinne Geschäftspolitik, nahezu vollkommen stütze. Sie haben gerade zu dem öffentlichen Geschrei um eine vermeintlich zu hohe Subventionierung des deutschen Bergbaus die richtigen Worte und den richtigen Ton getroffen. Da merkt man den Musiker.“
Weiter hieß es: „Ich hoffe, Sie auch für eine Mitarbeit der alternativ von mir zu gründenden Stiftung gewinnen zu können. Nur mit Ihrer Klarsicht wird auch der Börsengang zu bewerkstelligen sein. Nur über das scheußliche BVB-Trikot sollten wir bald Einigung erzielen.“ Der letzte Satz bezog sich auf das grauenhafte Sponsorenlogo auf den Trikots, jenen obskuren Würfel mit Fragezeichen.
In einem wesentlichen Punkt unterschied sich mein Konzept von Müllers Ideen. „So sollte der Bergbau m.E. möglichst lange weitergeführt werden. Das senkt die Ewigkeitskosten und erhöht die Planungssicherheit. Sie werden rasch verstehen, dass Kosten, die ein laufender Bergbau verursacht, Betriebskosten sind und eben keine Ewigkeitskosten. Jeder Euro, der so etwa der Wasserhaltung eines laufenden Betriebes dient, entfällt bei den Ewigkeitskosten nach Stilllegung.“ Je kürzer die Ewigkeit, desto billiger wird sie.
Werner Müller hielt sich bedeckt, Arcelor-Boss Lakshmi Mittal ebenfalls. Für die anderen Angeschriebenen, Ekkehard Schulz (ThyssenKrupp), Harry Roels (RWE) und Wulf Bernotat (E.ON), war die Festtagsruhe schlagartig vorbei. Sie setzten umgehend ihre Juristen in Marsch. Zehn Tage später, am 9.Januar 2007, starteten sie ihre Abwehrschlacht. Schriftlich teilten die E.ON-Juristen mit: „Die Aktionäre haben ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, die RAG-Aktien unter bestimmten Voraussetzungen zu einem symbolischen Preis an eine Stiftung zu veräußern. Dadurch soll der RAG eine Zukunft als integrierter Industriekonzern ermöglicht werden. Eine Zukunftssicherung der RAG setzt insbesondere das fortdauernde Engagement der öffentlichen Hand als Subventionsgeber voraus, mit der auch das Erwerbskonzept abzustimmen ist. Eine freie Veräußerung an Dritte kommt damit nicht in Frage.“
Das lange Zitat ist leider notwendig. Denn abgesehen davon, dass es eben darum ging, den Aktionären mein bis dahin unbekanntes Angebot zu unterbreiten, was der verdammte Job dieser Manager gewesen wäre, hat die Absage einen brisanten Schönheitsfehler: Die Briefe der Unternehmen waren völlig identisch. Alle drei Konzerne argumentierten unübersehbar exakt gleich, antworteten bis auf den Punkt wortgleich. (RWE wählte einen anderen Schlusssatz: „Ihr Angebot müssen wir daher ablehnen.“). Hier haben sich also Konzerne zum Schaden ihrer Aktionäre zu einem Kartell zusammen geschlossen, um ein ungeliebtes Angebot auszubremsen. Somit scheint das gesamte Konstrukt der RAG-Stiftung fraglich.
Bevor Stümper wie Oettinger und Brüderle alles vermasseln und die IGBCE hilflos in Kundgebungsfolklore verfällt, melde ich mich zurück. Die für die Übernahme bei der Sparkasse Dortmund angelegten Sparbücher liegen unberührt im Schreibtisch. Zu den fünf Euro dürften sich satte Zinsen im zweistelligen Centbereich gesellen. Es liegt mir nichts an einem aufwendigen Kartellverfahren. Mir liegt alles an der Zukunft der Kumpels. Ich bin gesprächsbereit. In diesem Sinne: Glück auf! – Oder, wie es moderne Manager in Englisch formulieren: luck up!