Dieter Bohlen und Bomben über Engeland

Das Musiktheater in Gelsenkirchen spart die Zuschauer ein und will damit Kosten reduzieren. In Zukunft werden die Produktionen nur noch per Livestream ins Netz übertragen. Den Anfang macht die Produktion „Feeds. Hören TV“ mit der Premiere am 18. September.

Das stimmt natürlich nur zum Teil: Sparen muss man zwar, aber auf das Publikum soll vorerst nicht verzichtet werden. Das Internet spielt im MiR allerdings eine immer größere Rolle und jetzt wagt man sich an einen Livestream ins Netz. Ausgewählt wurde dafür das experimentelle Musiktheater des Komponisten Johannes Kreidler: „Herzlich Willkommen zu „Feeds. Hören TV“, dem Musiktheater der Medien! Mein Name ist Johannes Kreidler, ich bin Hörarbeiter, genau wie Sie, verehrte Damen und Herren, denn Hören ist Arbeit!“. Der Komponist ist auch der Moderator und führt durch eine TV Show in fünf Themen über das Hören in der Gesellschaft. Angela Merkel ist da und auch Dieter Bohlen plaudert gedankenlos drauflos. „Es ist eine Talkshow, in der es um das Hören allgemein geht, aber auch um Musik. Von der Renaissance bis zur Moderne kommen alle Medien vor“, sagt Kreidler, der einen „hohen Anteil an elektronischen Sounds verspricht“.

Der Berliner Komponist hat schon mit der Aktion „Product Placements“, bei der für ein 33sekündiges Stück 70.200 GEMA-Formulare ausgefüllt wurden, für große Aufmerksamkeit gesorgt. Für ihn stellt sich die Frage nach der Wertigkeit der Musik in immer neuen Spielarten.

Die Verwertung und die Urheberrechte spielen bei Feeds eine wichtige Rolle. In der Produktion wird zum Beispiel thematisiert, dass Stücke wie „Bomben auf Engeland“ oder das „Lied der Panzergruppe Kleist“ von Norbert Schultze noch unter der Lizenz der GEMA laufen. Der verstorbene Komponist hat in seinem Testament alle Tantiemen dem Deutschen Roten Kreuz vermacht und das funktioniert noch heute.

„Feeds.Hören TV“ hat satirische Momente und das Bühnenbild ist eine typische Studiolandschaft, inklusive der klassischen Studioband als Orchester. Das „zeitgenössische Musiktheater“ inszeniert Kreidler als den Ort, wo Aktion, Installation, Information, Live-Elektronik und Talk aufeinanderprallen. Bei der Vorstellung der Produktion sprachen die Verantwortlichen im Theater von Experimentierfreudigkeit, Diskursfähigkeit, elektronischen Medien und dem „neuen Musiktheater“. Der im Kanon fehlende Begriff der Interaktivität wurde bewusst ausgelassen, denn der Komponist will die Rezeptionsarbeit vorgeben und setzt auf Interpassivität. Ob von den sehr modern klingenden Ansprüchen beim Publikum etwas ankommt, werden die drei geplanten Vorstellungen zeigen. Die klassischen Besucher des Musiktheaters gelten als nicht sehr experimentierfreudig und neue Zuschauergruppen sind bisher die noch die Ausnahme.

Die Termine werden von der Kölner Kunsthochschule für Medien als Live-Stream ins Internet übertragen. Ein Bildregisseur steuert die vier aufzeichnenden Kameras, die auf der Bühne sichtbar sind und in den Ablauf eingebaut werden. Wer also keine Karten für die Premiere oder die weiteren Vorstellungen (25. Und 26. September) bekommt, der kann den Computer anschalten und sich füttern lassen (www.internetoper.de, www.nrw-kultur.de und www.khm.de). Das MiR würde in Zukunft gerne weitere Produktionen live ins Internet übertragen, aber die anfallenden Lizenzgebühren machen das zu einer kostspieligen Angelegenheit. Das ist unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht machbar und damit wären wir wieder beim Ausgangspunkt.

Apple Ipad: Du sollst nicht speichern!

Ja wo kommen wir denn hin, wenn der Nutzer elektronischer Gerätschaften über seine Daten einfach selbst bestimmen darf? Der Chic eines Ipads besteht doch gerade darin, daß damit nur offiziell lizensiertes, kostenpflichtiges Material einmalig konsumiert werden darf…

Bild„Typisch Windows-User, diese verklemmten Typen wollen doch unbedingt immer wissen, wo ihre Daten sind. Wie armselig. Dafür habe ich doch meinen Mac!“. So die Argumente der Apple-Jünger. Wenn dann plötzlich alle Daten weg sind, dann müssen sie aber prompt mit ihrem Mac in die Werkstatt.

Apple-Software oder ursprünglich für Macs entwickelte Software neigt daher auch auf Windows-Systemen dazu, ihre Daten in irgendwelche dem Benutzer verborgene Kanäle zu speichern. er wundert sich nur, warum ihm dauernd die Windows-Systempartition überläuft, obwohl er doch extra ein ganz anderes Verzeichnis zum Speichern vorgegeben hat.

So ist es auch bei Ipod, Ipad und Iphone: Gerade Fotos können noch über einen USB-Adapter aus der Kamera in den Ipod gezogen werden. Raus kommen sie aber nur noch über Itunes. Wie auch alles andere. Wenn überhaupt. Wo kämen wir denn auch hin, wenn der Käufer eines Musikstücks das einfach selbst auf andere Geräte kopieren könnte? Der soll gefälligst seine Kohle ablatzen und dann die Fresse halten, aus!

Blöd ist dies, wenn selbst Powerpoint-Präsentationen, die auf einem Ipad zugegeben ohnehin illegale Immigranten darstellen, nicht über USB-Sticks ausgetauscht werden können, sondern nur über Itunes. Das hat zur Folge, daß für jeden und jedes Ipod, Ipad oder Iphone ein Spiegelbild auf einem PC Mac bereitgehalten werden muß. Und das größere Problem, daß man das Gerät nicht mal eben an einem anderen PC Mac anschließen kann, um es zu laden – mit Strom oder Musik oder Powerpoint-Präsentationen -, weil dann von Apple Itunes automatisch alles gelöscht wird, was auf diesem PC Mac nicht gespeichert ist. Eine Software, um beispielsweise den PC Mac zuhause und den PC Mac im Büro auf denselben Datenstand zu bringen, gibt es nicht.

Wenn aber mal eine Firma mit vielen Tricks geschafft hat, dem Ipad-Käufer doch ein wenigstens minimales Speichermedium zu bieten und aus dem reinen Konsumartikel ein kreatives Arbeitsgerät zu machen, was macht Apple?

Na klar, Apple verbietet das Zusatzgerät!

§1 Du sollst nur einen Steve haben

§2 Du sollst nicht speichern!

Der überschätzte Stonebridge

Der lächelnde Stonebridge (www.peer-steinbrueck.de)

Peer Steinbrück ist ein Faszinosum. Der frühere NRW-Ministerpräsident hat noch niemals in seinem Leben eine Wahl gewonnen. Der steife Genosse hat keinerlei größeren Erfolge als Politiker vorzuweisen. Und dennoch gilt der stieselige Norddeutsche gerade den Berliner Hauptstadtjournalisten als „Hottest possible SPD-Kanzlerkandidat in Town“. Warum nur?
Vielleicht liegt es daran, dass Finanzminister in ihrem Zahlenwerk von den Medien schnell das Etikett seriös und weise erhalten. Dabei ist  Steinbrück gnadenlos überbewertet. Der gelernte Kofferträger von 70er-SPD-Spitzenpolitikern wie Hans Matthöfer ist eigentlich der klassische Beamtentyp: dröge, schlecht gelaunt und mit einem Humor, der selten wirklich lustig ist. Jetzt hat Steinbrück wie so viele überreife Alt-Sozialdemokraten ein Buch geschrieben. „Unterm Strich“ ist offenbar ein 500-Seiten-Vehikel für Stone, irgendeine Art von politischem Comeback zu schaffen. Eine willkommener Anlass für ihn, in der WAZ die Gier der Reichen, in der Rheinischen Post Merkels Krisenmanagment und im ZDF die exzessive Staatsverschuldung zu kritisieren. Gähn.
In den oberflächlichen Mainstream-Media-Porträts über Steinbrück werden gerne seine drei Jahre als Regierungschef in Düsseldorf tot geschwiegen. Und dies mit gutem Grund. Als der frühere Kieler Landesminister 2002 die Nachfolge des nach Berlin entflohenen Ex-Genossen Wolfgang Clement antreten durfte, passierte politisch nichts mehr im bevölkerungsreichsten Bundesland. „Klarer Kurs. Konzentration der Kräfte“, hieß Steinbrücks damalige Regierungserklärung. Drin stand wenig. Als Verdienst bleibt einzig, dass er den wahnwitzigen Clement-Transrapid stoppte und dem Land so eine Milliarden-Pleite ersparte.
Steinbrück, als langjähriger Staatsdiener mit tausend Aktenvermerken und Regierungsvorlagen gewaschen, präsentierte dann noch mit „Roland Kotz äh Koch“ (Angela Merkel) einen Waschzettel für den Subventionsabbau. Gähn. Ansonsten glänzte das gebürtige Nordlicht mit nervenden Seemanns-Sprachbildern „Klarer Kurs, Klarschiff, usw“. 2005 wurde er in NRW abgewählt. Ihm gelang doch das Kunststück, die jahrzehntelange sozialdemokratische Hochburg NRW krachend und haushoch gegen einen nuschelnden CDU-Arbeiterführer namens Jürgen Rüttgers zu verlieren.
Lustiger Tiefpunkt seiner damaligen Wahlkampagne: In Bottrop wurde Peer von einem Pferd angekotzt, wie damals die „taz“ schrieb. Ein vierjähriger Hafflinger Wallach, eigens auf „Michel Peer“ getauft, wurde nervös, als er den Ministerpräsident sah. Beruhigend streichelte Steinbrück das Pferd. Aber der Klepper hat keinen Lust auf Wahlkampf. „Michel Peer“ scheute und bockte. Das Pferd spuckte und speite. Die Umstehenden guckten verdattert auf den Ministerpräsidenten. Fotografen wurden angewiesen, keine Fotos von dem mit Pferdekotze besudelten Steinbrück zu schießen.
Nach seinem Scheitern in Düsseldorf machte Steinbrück rüber nach Berlin. Fast Forward. Auch in der Hauptstadt scheiterte er. Aber wiederum blieb Steinbrück ein Faszinosum: Nach vier Jahren großer Koalition mit Steinbrück als Bundesfinanzminister holte die SPD ihr schlechtestes deutschlandweites Ergebnis seit der Nazi-Reichstagswahl vom Frühjahr 1933. Dennoch galt Steinbrück weiterhin als weiser, kluger Finanzfachmann, der die große Krise wie ein Westentaschen-Helmut-Schmidt allein bewältigt haben will. Von diesem Ruf zehrt Steinbrück bis heute. Er gilt als möglicher Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2013. Steinbrück hat jetzt in Interviews gesagt, er strebe kein Amt mehr an. Hoffen wir, dass er klaren Kurs hält und keine Pferde kotzen.

Die Estnische (5): Kranke Holzhäuser*

Kassisaba ist der Katzenschwanz Tallinns, das Stadtviertel drückt sich an Altstadtring und Bahndamm. Morgens und abends erklingt ein lyrischer Tusch. Die Fanfare kommt von Band auf einem alten Stadttor und markiert Sonnenauf- und Sonnenuntergang. Leider wird die Zeit zwischen den Klängen kürzer. Fürchte ab Ende November ertönt die Fanfare, Sonne geht auf, kurz darauf wieder Fanfare, Sonne verschwindet und dann fünf Monate Schweigen. Noch ist es nicht so schlimm, aber der Winter naht unausweichlich wie der Tod. Brrr.

Laut unserer Maklerin ist Kassisaba ein tolles Viertel, hier würde sie auch gerne wohnen, sagte sie; – wenn sie nicht zuviel Geld hätte, ein zu dickes Auto, zu viele Sorgen um ihre Kinder oder um sich selbst. Aber es ist hübsch hier mit den gepflegten Holzhäusern, fast dörflichen Straßen, dem kleinen Park, der britischen Botschaft, dem Tante-Emma-Laden und einem Alkoholnahversorger namens „9-22“ im Souterrain, in den ich mich aber nicht hinein traue.

In der Idylle aus Läden, Stadthäusern, Sowjetbauten und Apartmentblöcken vermodern allerdings auch Holzhäuser in wilden Gärten. Abends klettern Obdachlose in die Bruchbauten. Stellen Joghurt ins Fenster oder ein Radio, bis die Besitzer mit Latten und Brettern anrücken, um ihre morschen Besitztümer für den Winter zu verrammeln. Holzhäuser sind wie kranke Tiere. Fehlt eine Glasscheibe, ein Rost vor dem Kellerfenster, wird das Haus verwohnt, dann verschwindet es Stück für Stück in Rucksäcken von Männern mit Brechstangen.

Unser Haus hat dünne Wände, für Brechstangen ist es zu neu und massiv. Die Haustür hat einen Code, der Hof eine automatische Pforte, die auch nicht verhinderte, dass in unserem betagten Auto seit gestern das Radio fehlt. Das Nachbarhaus wurde aus blassgrün angemaltem Holz gebaut, auf dem achteckigen Turm steckt ein Messingkreuz, durch das ein Querbalken geschlagen ist; es sieht aus wie ein schlichtes Eiskristall unterm Mikroskop, ein Vorbote.

An diesem  Stammsitz der estnischen orthodoxen Kirche sprechen sie französisch und englisch. Metropol Stephanus stammt aus dem Kongo, ein Sohn zypriotischer Flüchtlinge. Als Kongo unabhängig wurde, flüchteten die Zyprioten nach Belgien, Stephanus studierte in Brüssel, arbeitet für französische orthodoxe Gemeinden, von denen ich noch nie etwas gehört hatte, bis er den Ruf nach Tallinn erhielt. Eine französische Nonne besorgt dem Metropol von Tallinn den Haushalt, kauft ein mit einer Tasche von Super U und einem kleinen grünen Fiat mit französischem Kennzeichen.

Der Chauffeur der estnischen Kirche – die wie das ganze Estland einen langen Kampf um ihre Unabhängigkeit von Moskau, hier den Moskoviter Patriarchen, führt –  hat lockiges langes graues Haar und sieht aus wie ein orthodoxer Usbeke. Er trägt bestickte Westen, auch mal Umhänge. Wenn er allein im Auto sitzt, hört er düstere Musik von Bands, deren Namen sich mit Runenbuchstaben schreiben. Die schwarze französische Limousine fährt er mit einer Umsichtigkeit, mit der er auch die Einfahrt im Auge hat, damit nur niemand die Brechstange ansetzt. Vor dem Winter.

* 2010, Ruhrgebiet ist bald vorüber. Das nächste große Ding heisst Tallinn 2011, Geschichten von der See. Und ich bin dabei. Mit Geschichten von der See, der Stadt und diesem überhaupt ziemlich seltsamen Land am nordöstlichen Rande Europas.

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Politisches Marketing: Ruhr.2010, Duisburg, Loveparade

Loveparade 2010

Marketing ist alles. Auch dann, wenn das angepriesene Produkt gar nicht vorweisbar ist? Von unserem Gastautor Reinhard Matern.

Typische Metropolen wie New York, London, Paris haben nicht nur viele Einwohner, sie ziehen nicht bloß Wirtschaft, Kultur und Touristen an. Die Städte wurden und werden auch gestaltet. Metropolen waren und sind eigenständige politische Räume. Als Metropoleregion gelten hingegen Verflechtungsgebiete mit wenigstens einer Metropole. Typische Beispiele für solche Regionen sind Tokyo-Yokohama, Berlin-Brandenburg. Im Ruhrgebiet ist man auf die Idee gekommen, dass es auch anders geht. Im Vorfeld und Rahmen der Events zur europäischen Kulturhauptstadt ist aus dem Ballungsraum eine Metropole geworden, die auch ohne eigenständigen politischen Raum auskommt.

Dem Vorgehen stehen Defizite gegenüber, die dem Bemühen diametral entgegenstehen. Das Ruhrgebiet war in der Zeit von Kohle und Stahl eine hochgradig politisierte Region. Die Mitgliedschaft und das Engagement in einer Partei, nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend in der SPD, gehörte zum Alltag der Menschen. Die Einflussmöglichkeiten reichten jedoch nur bis zu den jeweiligen Stadt- und Gemeindegrenzen. Das Leben gestaltete sich primär im Ortsteil. Privater Hort war der Schrebergarten, die Laube. Die Region ist bis heute kein politischer Raum. Eine Identifikation mit dem Ruhrgebiet fehlt. Die Region ist drei verschiedenen Bezirksregierungen zugeordnet, die allesamt außerhalb des Ruhrgebiets liegen: in Düsseldorf, Münster und Arnsberg. Diese noch aus preussischer Zeit (1816) stammenden unterschiedlichen Zuständigkeiten haben eine Metropolenbildung wirksam unterbunden.

2003 formulierten acht Großstädte Ziele für eine Kooperation: im ‘Stadtregionalen Kontrakt’. Inzwischen gelten diese Ziele als Grundlage aller Städte und Gemeinden, die im Regionalverband Ruhr, dem Zweckverband der Kommunen, vertreten sind. Doch beschränken sich diese Vorgaben auf Flächenplanungen und ein Standortmarketing. Seit Herbst 2009 obliegt dem Zweckverband die Koordinierung der Flächennutzungspläne als hoheitliche Aufgabe. Für die Schaffung eines gemeinsamen Regierungsbezirks, obwohl seit den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts immer wieder darüber diskutiert wurde, war und ist bis heute keine Einigung aller Beteiligten zu erzielen. Die notwendige Verwaltungsreform beträfe nicht bloß die Region, sondern ganz Nordrhein-Westfalen. Ebenso gibt es derzeit keine Pläne, dem Regionalverband der Kommunen weitere hoheitliche Aufgaben der verschiedenen Bezirksregierungen zukommen zu lassen. Anstatt dem Ruhrgebiet die geeigneten Rahmenbedingungen bereitzustellen, um eine Entwicklung zur Metropole zu ermöglichen, eine, die dem gesamten Bundesland neue Impulse geben könnte, gefällt man sich darin, die Region faktisch als Provinz zu erhalten.

Die regionale Moibilität ist rückständig. Der Nahverkehr, der die überlasteten ‘Stadtautobahnen’ A40 und A42 wirksam entlasten könnte, lässt Fahrten innerhalb des Ruhrgebiets unter Umständen länger dauern als eine Zugfahrt nach Frankfurt. Jede Großstadt hat ihre eigene Verkehrsgesellschaft, die Fahrpläne sind schlecht abgestimmt, nicht bloß untereinander, auch mit der Deutschen Bahn. Der Nahverkehr befördert nur 11% des regionalen Personenverkehrs. In Berlin sind es gut 25%. Während der Vorbereitungen zum Jahr der Kulturhauptstadt, eingedenk der erhofften auswärtigen Besucher, sah man sich genötigt, übergangsweise den Eindruck von regionaler Mobiltät vermitteln zu müssen und investierte punktuell in den Nahverkehr. Eine Lösung des strukturellen Problems sähe anders aus. Die zur Verfügung stehenden Verkehrsverbindungen werden den Einwohnern und der regional notwenigen wirtschaftlichen Entwicklung kaum gerecht.

Auch die Wirtschaftsförderung ist primär lokal angesiedelt. Seit 2007 ergänzt eine aus dem Zweckverband entstandene Einrichtung die separaten, in Konkurrenz ausgetragenen Bemühungen der Städte und Gemeinden. In dieser Kooperation hat man ‘Kompetenzfelder’ der ansässigen Wirtschaft ausgewählt, sowohl Branchen-Cluster als auch Branchen-Konzentrationen, um die Region im nationalen und internationalen Vergleich zu positionieren. Die Cluster Energie, Logistik und Chemie werden von der ansässigen Großindustrie dominiert. Die Gesundheitswirtschaft besteht primär aus den Kliniken in der Region, die in hoher Konzentration vorzufinden sind. Zusätzlich geförderte Zweige stehen überwiegend in einem direkten Zusammenhang mit den neu entstandenen Technologie- und Wissenschaftszentren. Mit diesem ‘Kompetenzfeldmarketing’ erhofft man sich den Ausbau von Clusterbildungen und ein weiteres Fortschreiten der Konzentrationen. Es ist schon einmal geschehen, dass sich die Wirtschaft im Ruhrgebiet zu sehr an den Großbetrieben orientiert hat. Der Mittelstand war schwach und einseitig auf die herrschende Kohle- und Stahlindustrie bezogen, wie in der ‘Regionalkunde’ des Verbandes betont wird. In einer politischen Diskussion hätte die Frage nach dem Mittelstand öffentlich aufgeworfen werden können und auch müssen.

Das Fehlen einer regionalen Politik hat jüngst zu einer kaum ermessbaren Katastrophe beigetragen. In Duisburg sind durch die Loveparade vom 24. Juli 2010 einundzwanzig Menschen zu Tode gekommen und über fünfhundert zum Teil schwer verletzt worden. Der Plan, die Loveparade im Jahr der europäischen Kulturhauptstadt und im Zusammenhang mit der Kampagne ‘Metropole Ruhr’ in Duisburg stattfinden zu lassen, hat zu einem Sicherheitskonzept geführt, das den ungeeigneten Bedingungen angepasst worden ist. Sowohl die Ruhr.2010 GmbH, Betreiber der Kampagne ‘Metropole Ruhr’, als auch die ehemalige Landesregierung haben auf eine Durchführung gedrungen. Für die Sicherheit zu sorgen, lag fraglos bei der Duisburger Genehmigungsbehörde und dem privaten Veranstalter: Diese Verantwortung ist ihnen nicht zu nehmen. Zu den Rahmenbedingungen der Loveparade gehörte jedoch auch ein von außen produziertes Drängen. Fritz Pleitgen sah sich als Geschäftführer der Ruhr.2010 GmbH veranlasst, seine moralische Mitschuld öffentlich (ZDF, 29.07.10) einzugestehen. Eine regionale Planung der Loveparade hätte völlig anders verlaufen können: Duisburg wäre aufgrund der ungeeigneten Bedingungen als Ausrichtungsort kaum in Betracht gezogen worden, unabhängig von einem lokal herrschenden Ehrgeiz. Alternativen hätte es in der Region gegeben.

Das Ruhrgebiet benötigt sowohl für die weitere Entwicklung als auch zur Vermeidung zukünftiger Katastrophen einen politischen Raum. Ohne ein gemeinsames politisches Planen und Gestalten würde die Region ein in sich zerrissener Ballungsraum bleiben, der den gestellten Aufgaben nicht gerecht wird. Die Frage nach einer Metropole ist hingegen nachrangig. Zwei Wege, eine regionale Politik betreiben zu können, sind bislang angedacht worden: 1. Eine Verwaltungreform, die das gesamte Bundesland beträfe, 2. die Überantwortung von Aufgaben und Ressourcen der verschiedenen Bezirksregierungen auf den Regionalverband. Der zweite Weg ist unter den derzeitigen Bedingungen leichter zu beschreiten. Auf diesem Weg wäre allerdings zu erörtern, ob die neu zu schaffende politische Institution nicht einer gesonderten politischen Legitimität durch die Bürger der Region bedarf. Als Kommunalverband besonderer Art wäre eine solche Möglichkeit durchaus gegeben. Das Versammlungsgremium des Regionalvebandes nennt sich bereits ‘Ruhrparlament’. Warum nicht ein echtes Parlament entstehen lassen?

Der Text ist aus der aktuellen Ausgabe des  politischen Kulturmagazins Gazette.


Der Ruhrpilot

Dortmund: Rat soll Nazi-Aufmärsche stoppen…Der Westen

Hochtief: Spanischer Bauriese greift nach Hochtief…Welt

Hochtief II: Spaniens geläuterter Baulöwe…FAZ

Ruhrgebiet: Tönnes soll beim Ruhrverband über Datteln entscheiden…RP Online

Ruhrgebiet II: Kaste grüner Politik-Profiteure auf dem Vormarsch…Dirk Schmidt

Ruhr2010: Hurra, wir machen etwas Großes!…Zeit

Ruhr2010 II: Revier-Slang erstrahlt in neuem Licht…Der Westen

Dortmund II: Sondersitzung fürs FZW…Ruhr Nachrichten

Essen:…besiegt Düsseldorf im Standortwettbewerb…Der Westen

Recht: Urheberrechtsradikalisierung auf EU-Ebene stoppen…Netzpolitik

Party: „Ausgehbefehl“…Kochplattenteller

Schulden sind Scheisse

Schulden sind das asozialste, das es gibt. Schulden sorgen dafür, dass Geld von den Armen, von den Werktätigen, von den Familien und Benachteiligten zu den Banken und Reichen umverteilt wird.

Früher kamen Schuldenmacher in den Schuldturm, heute nennen sie sich sozial. Bah.

Ich mache hier mal eine einfache Rechnung auf.

Von meinem Einkommen gehen 40 Prozent sowieso weg. Bevor ich davon einen Cent gesehen habe. Vom Rest gehen 19 Prozent als Mehrwertsteuer an den Staat.

Von 100 Euro die ich verdiene, landen also bei mir nur knapp 48 Euro. Davon muss ich Miete zahlen und Strom, etc – in meinem Fall an eine kommunale Baugenossenschaft und eine kommunale Stromfirma.

Am Ende bleiben mir so vielleicht von meinen 100 verdienten Euro nur 20 Euro übrig für Essen und Kleidung. Also nicht nur für mich, sondern auch für meine Frau und meine beiden Kinder.

Der Rest ist für den Staat.

Ich will mich nicht beklagen, damit wir  uns richtig verstehen. Ich bekomme für meine 80 Euro grob vereinfacht Schulen, Straßen und die Polizei und auch die armen Menschen bekommen was ab, damit sie Leben können. Das finde ich sozial vertretbar und in Ordnung.

Wenn jetzt aber der Staat immer mehr Schulden macht, muss er von meinen 80 Euro nicht nur wie gewollt Schulen, Straßen und Polizisten bezahlen und den armen Menschen was geben, sondern er muss auch die Banken und reichen Leute bezahlen, die ihm das Geld geliehen haben. Der Staat muss nämlich Zinsen bezahlen.

Je mehr Schulden der Staat und die Gemeinden machen, umso mehr Geld geht von meinen 80 Euro für Zinsen und Tilgungen drauf. Das ist doch verständlich, oder?

Es wird also Geld von mir nicht umverteilt zu armen Menschen und eingesetzt für Schulen, Straßen und Polizisten, sondern mein Geld wird Banken und reichen Menschen gegeben, damit die Gewinne mit ihren Krediten machen oder ihre Staatsanleihen verzinst kriegen.

Wenn der Staat nun noch mehr Schulden macht, ist die Konsequenz doch ganz einfach und für jeden zu verstehen: entweder muss ich von meinen 100 Euro bald 90 Euro abgeben. Oder aber die armen Leute bekommen noch weniger Geld von mir und die Schulen und Straßen werden noch schlechter und es gibt immer weniger Polizisten.

Weil nämlich von dem Geld, das ich verdiene und das ich dem Staat gebe, nicht mehr die armen Leute, die Schulen, die Straßen und die Polizei bezahlt werden, sondern die Banken und reichen Leute, die dem Staat noch mehr Geld für die Schulden geliehen haben.

Lasst Euch das mal durch den Kopf gehen. Schulden sind fucking unsozial.

Wie hoch ist eigentlich der Gewinn, den die Deutsche Bank mit den Staatsschulden von NRW macht?

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Schulden sind gut

In ihrer ersten Regierungserklärung hat sich die neue NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von der Politik des Bundes und fast aller Bundesländer distanziert. Nordrhein-Westfalen geht unter Rot-Grün eigene Wege. Während Schwarz-Gelb in Berlin ein dickes Sparpaket schnürt, weitet das bevölkerungsreichste Bundesland seine Nettoneuverschuldung um 35 Prozent aus. Das ist riskant, aber angebracht.

Im Grunde setzt Genossin Kraft mit rund zehnjähriger Verspätung um, was die sozialdemokratischen Modernisierer von Blair bis Schröder einst versprachen: einen vorsorgenden Sozialstaat, der Bürgern bildet und sie so unabhängig von Almosen des Staates werden lässt. Doch während die SPD-geführten Regierungen im letzten Jahrzehnt nur halbherzig in Schulen investierten und noch dazu dramatisch bei sozialen Hilfen kürzten, macht NRW jetzt ernst. Die Studiengebühren an Rhein und Ruhr werden abgeschafft, Gemeinschaftsschulen eingeführt, die Kita wird gratis. Das kostet. Und kann die Gemeinschaft am Ende doch billiger kommen. Allein ein Kind unter dem Schutz des Jugendamtes kostet die Kommunen Zehntausende im Jahr. Das gewagte Düsseldorfer Kalkül sieht vor, irgendwann weniger für Jugendhilfe und Gefängnisse ausgeben zu müssen. Wenn dann auch noch die Einnahmen durch Vermögenssteuer und höhere Spitzensteuersätze vergrößert werden ist der Staat wieder stark.

Ob Krafts Plan langfristig aufgeht ist unklar. Es gibt keine historische Parallele. Sicher ist aber, dass die Spar-Rezepte ihrer Vorgänger allesamt gescheitert sind. Steinbrück, Clement und Rüttgers haben gekürzt und am Ende mehr ausgeben müssen. Vielleicht wird NRW mit Krafts gewagtem Konzept wieder einmal zum Testlabor für den Bund.

„Atomkraft – Nein danke“ – Volksabstimmung gegen die Berliner Merkelpackung

Verraten und verkauft sind all die, die an den Atomausstieg geglaubt haben: Angela Merkel hat zugunsten der Atomlobby einen Deal durchgemogelt, der die jahrzehntelangen Bestrebungen, Atomenergie aus Deutschland zu verbannen, hintergangen hat und sich auch in zukünftigen Regierungen nicht mehr anullieren läßt. Doch es formiert sich Widerstand.

BildLange haben wir ihn nicht mehr gesehen, den netten „Nein Danke“-Aufkleber. Aus der Anti-Atom-Bewegung und der Anti-Atomraketen-Bewegung wurden die „Grünen“, die heute schon zum verschnarchten Establishment gezählt werden, über das man nicht mehr berichten darf.

Es wurden dann auch irgendwann in Deutschland keine neuen Atomkraftwerke mehr gebaut. Aber die alten laufen nicht nur bei den Russen und Tschechen weiter, sondern auch bei uns. Sie sind sicherlich ein kleines bißchen sicherer. Aber reicht das?

Aber immerhin: Sie sollten bald abgeschaltet werden. Das hatte Rot-Grün durchgesetzt.

Schwarz-Gelb ist auch dieser Meinung – mit Ausnahme des „bald“. Außer, wenn man ein paar Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende – auf jeden Fall länger als eine Kanzlerschaft – als „bald“ betrachtet.

Daß eine ehemalige Kernphysikerin und eine wie das Radioaktivitäts-Symbol schwarz-atomgelbe Regierung („Atomstrom ist Yello“…) eine in diesem Punkt gefährliche Mischung sind, das ahnte man. Daß diese Regierung so frech sein könnte, den mühsam erkämpften Atomausstieg einfach wieder zu kippen, hielt doch nicht jeder für möglich.

Doch besteht kein Grund, die Fline in den Kernreaktor zu werfen: Protest ist machbar, auch noch Jahrzehnte nach Atomprotest und Friedenskette. Plutonium hat eine Halbwertszeit von über 24.000 Jahren, Widerstand gegen eine strahlende Zukunft auch! Und die bayrische kleine Schwester der CDU durfte ja bereits feststellen, wozu „Umfallen“ führt und daß sich die Bürger das vielleicht doch nicht bieten lassen.

.ausgestrahlt koordiniert alle Aktionen gegen Atomenergie und bei Campact kann man einen Appell gegen Merkels Atompläne unterzeichnen – über 107.000 haben dies bereits getan.

Hier finden sich dagegen einige todsichere Argumente für Atomstrom!