Offener Brief an den Bochumer Baurat

Zwischen Botanik und Urbanität. Der Bochumer Konzeptkünstler Matthias Schamp hat einen offenen Brief an den Bochumer Baurat Dr. Kratzsch geschrieben. Die Frage nach der öffentlichen Nutzung eines Brachgeländes wird gestellt. Auch geht es um Sommerflieder, schmalblättriges Weidenröschen, Jakobs-Greiskraut, kanadische Goldrute und Ackergauchheil. Das Zeugnis einer botanischen Leidenschaft. Der Brief in seinem vollständigen Wortlaut:

Offener Brief an Baurat Dr. Kratzsch wg. Einzäunung Brache neben Riffhalle, Bochum

Sehr geehrter Herr Dr. Kratzsch,

kürzlich hat die Stadt die zwischen Viktoriastraße und Bessemer Straße (neben der Riffhalle) gelegene Brache mit einem massiven Zaun unzugänglich gemacht. In der WAZ vom  31. Juli rechtfertigen Sie diese Maßnahme, die ich aus zweierlei Gründen für ein Ärgernis halte:

Zum einen hindert der Zaun völlig unnötigerweise die Bürger, das Gelände zu betreten und sich an seiner Pflanzen- und Tierwelt zu erfreuen.

Zum anderen ist er eine Geldverschwendung – für eine so klamme Kommune wie Bochum geradezu ein Schildbürgerstreich. Die dafür aufgewendete Summe (ich schätze zwischen 50 000 € und 100 000  €) ist im Grunde eine Verhöhnung jeder sozialen und kulturellen Initiative, die sich in den vergangenen Monaten wegen einer geringfügigen Summe an die Stadt gewandt hat und mit Hinweis auf die schlechte Haushaltslage abgewiesen wurde.

In dem genannten Artikel führen sie für die Maßnahme Gründe an, die ich für falsch oder wenig stichhaltig halte.

Sie verweisen auf eine Verschmutzung des Geländes. Dabei ist das Gelände vergleichsweise wenig verschmutzt – vermutlich weil eine Anfahrt nur öffentlich gut einsehbar über die Viktoriastraße erfolgt, so dass wildes Müllabladen riskant ist. Aber selbst wenn dem so wäre: Für die Summe, die der Zaun verschlungen hat, hätten in den nächsten 100 Jahren regelmäßig Säuberungen des Geländes durchgeführt werden können. Und auch ein Umkehrschluss sei erlaubt: Wenn man sämtliche ähnlich verschmutzte Stellen in Bochum derart weiträumig abriegelte, müsste man die Stadt dichtmachen.

Sie verweisen auf Drogenabhängige, die die Fläche genutzt haben. Tatsächlich liegen an einer nur schlecht zugänglichen Stelle Spritzen, wie sie sich z. B. auch im Kortum-, West- oder Stadtpark finden lassen. Doch durch die Abriegelung findet ja nicht weniger Drogenkonsum statt, sondern dieser wird lediglich an andere Stellen verlagert (und es bleibt zu hoffen, dass es sich dabei nicht um Hauseingänge oder Kinderspielplätze handelt). Wem das Los der Drogenabhängigen am Herzen liegt, der hätte die aufgewendete Summe besser der Drogenberatung zukommen lassen.

Das Betreten eines solchen Brachgeländes erfolgt eh auf eigene Gefahr. Insofern halte ich die Aussage „bei der Stadt liegt die Sicherungspflicht“ als Begründung für den Zaun für falsch, lasse mich aber gern eines Besseren belehren. Bitte nennen Sie mir in diesem Fall das entsprechende Regelwerk, das eine solche massive Baumaßnahme zwingend erforderlich macht.

Ihre Behauptung „Das Gelände wurde von Spaziergängern nicht genutzt“ ist falsch. Nicht nur ich bin regelmäßig alleine oder in Gesellschaft über das Gelände spaziert. Seit ich meinen Unmut über die Einzäunung öffentlich bekundet habe, haben sich bereits mehrere Bürger an mich gewandt, die ebenfalls den Erholungswert des Geländes für sich entdeckt hatten.

Das Gelände ist durch den niedrigen Bewuchs auf seiner Längsachse gut zu begehen. Es wachsen dort sehr schön u. a. Sommerflieder, schmalblättriges Weidenröschen, Jakobs-Greiskraut, kanadische Goldrute, Ackergauchheil, Nachtkerze, Königskerze, Johanniskraut, Neben typischen Pionierpflanzen für Ruderalflächen gibt es z. B. auch die blauflügelige Ödlandschrecke zu entdecken. Dies alles stellt in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt einen immensen Freizeitwert dar, der grundlos zunichte gemacht wurde.

Als Bochumer Bürger und botanisch interessierter Mensch habe ich den Ort gern für meine Erholung genutzt. Doch auch als Wissenschaftler habe ich mich – u. a. in Zusammenhang mit Lehraufträgen an der Bauhausuniversität Weimar sowie am architektonischen Institut der TU Berlin – mit innerstädtischen Brachflächen beschäftigt. So haben  im Fachbereich Bildende Kunst, in dem ich tätig war, Architekturstudenten der TU Berlin 2009 in einem Seminar zum Thema „Brache“ den Freizeitwert derartiger Flächen erforscht und sind zu dem Ergebnis gekommen, das dieser tatsächlich sehr hoch ist.

Bitte geben Sie mir Auskunft über die genauen Kosten von Zaun und Montage und wer für die Entscheidung verantwortlich ist. Außerdem fordere ich, das Tor in Zukunft geöffnet zu lassen. Gern stehe ich für eine Führung zur Verfügung, um die Schönheit des Geländes vor Augen zu führen. Grade jetzt sind die Brombeeren reif!

Mit freundlichen Grüßen, Matthias Schamp

KiK-Stiftung in der Kritik

Der Textildiscounter KiK hat ein Imageproblem: Lohndumping, der rüde Umgang mit Mitarbeitern und die Arbeitsbedingungen in Zuliefererbetrieben in Bangladesh brachten das Unternehmen in den vergangenen Monaten immer wieder in die Schlagzeilen. Nun engagiert sich KiK über eine Stiftung im Ruhrgebiet für Kinder aus sozial schwachen Familien.

Kai-Uwe Lindloff, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Help and Hope, mag es nicht mehr hören: „Wir sind nicht die KiK-Stiftung. Uns gibt es seit 2005 und wir helfen Kindern in der ganzen Welt mit zahlreichen Projekten. KiK ist nur eines unserer Partnerunternehmen.“ Dafür, dass Help and Hope bis vor wenigen Monaten sein Büro auf dem KiK-Gelände in Bönen hatte, gab es ganz praktische Gründe: Keine Mietzahlungen. Und dass das Stiftungskapital in Höhe von 150.000 Euro 2005 von KiK kam, habe für die tägliche Arbeit der Stiftung längst keine Bedeutung mehr. Lindloff: „Wir haben heute über 30 Partnerunternehmen, die uns unterstützen.“ Dass die Stiftung eine PR-Maßnahme des „Textildiskonters“ ist, bestreitet der Stiftungschef: „Ich kenne die Menschen von KiK und weiß, dass sie ehrlich und sehr engagiert hinter unseren Zielen stehen.“ Das sieht Folkert Küpers, Gewerkschaftssekretär für den Bereich Handel bei Verdi in NRW anders: „Die Stiftung ist eine PR-Maßnahre und soll vergessen machen, dass KiK nach Feststellung des Landesarbeitsgerichts in Hamm sittenwidrige Löhne zahlt.“ Küpers arbeitet daran, dass gegen KiK ein Strafverfahren wegen Lohnwuchers eingeleitet wird.

Help and Hope will jungen Menschen aus sozial schwachen Familien helfen. Durch die Arbeit der Stiftung sollen sie bei schulischen und persönlichen Problemen unterstützt werden. Ziel ist es, ihnen Selbstvertrauen zu geben und sie fit zu machen für die Zeit nach der Schule. Dabei seien die Kontakte zu den Partnerunternehmen sehr hilfreich: „Durch unsere Kontakte zu unseren Partnern können wir bei der Suche nach Lehrstellen behilflich sein. Wir können den Jugendlichen klar machen, was von ihnen erwartet wird und uns für sie bei den Firmen einsetzen.“ Dass KiK ein guter Ausbildungsbetrieb ist, weiß Lindloff aus nächster Nähe: Seine Tochter geht dort in die Kaufmannslehre.

Diese Karriere soll künftig auch Kindern aus sozial schwachen Familien aus Herne und Dortmund offen stehen. „Wir starten im Ruhrgebiet, wo die sozialen Problem am größten sind“, sagt Lindloff.

In Herne eröffnet Help and Hope am 28. August seinen „Kidstreff“ in Herne. In Dortmund soll im Stadtteil Scharnhorst ein ganzes Help and Hope-Haus entstehen. Vorbild dafür ist die Jugendhilfeeinrichtung Arche in Berlin, der Kai-Uwe Lindloff lange vorstand. Ziel beider Eichrichtungen: Die Kids fit für den Arbeitsmarkt machen.

In Dortmund hielt sich die Freude über die Help and Hope Stiftung in Grenzen. Vor allem Sozialdemokraten, Grüne und Kirchenvertreter stießen sich daran, dass eine Stiftung für Kinder aus sozial schwachen Familien von Unternehmen wie KiK getragen wird, deren Angestellte aufgrund der Niedriglöhne nahezu automatisch zur betreuten Zielgruppe gehören.

Stiftungschef Lindloff kennt diese Kritik und nimmt sie ernst: „KiK steht unter Druck, und ich glaube, das Unternehmen hat die Botschaft verstanden. Die können doch gar nicht anders als sich zu ändern.“ Im Übrigen sei er dafür, dass jeder von seiner Arbeit vernünftig leben können muss. Für KiK-Mitarbeiter keine Selbstverständlichkeit.

Abgeschossen: Kneipe muß wegen WDR-Gier nach 17 Jahren ihren Namen ändern

Tatort totDer WDR Köln ist bekannt für teure Prozesse mit millionenschweren Streitwerten um Namensrechte. Jetzt hat es eine beliebte und dennoch nicht vermögende Musikkneipe in Übach-Palenberg erwischt.

Wer selbst viel Geld verdient, in einem Jahr mehr als andere im ganzen Leben, bekommt dennoch nie genug.

Über Jahrzehnte gehen die Prozesse des WDR Köln um Namensrechte, einer der bekanntesten ging darum, einem Journalisten seine beruflichen und privaten E-Mails (erfolgreich) streitig zu machen. Doch mit massenweise als Marken eingetragenen Allgemeinbegriffen, ob nun Maus oder Monitor (nur die Tastatur scheint noch nicht auf den Kölner Sender reserviert zu sein), steht jeder Computerbenutzer bereits mit einem Bein im Gefängnis.

Was nicht im Internet steht, sondern nur in irgendwelchen kleinen Städchen, ist den geldgierigen Juristen des Senders oft entgangen. War ihnen bislang auch nicht so wichtig.

Doch nun ist die Musikkneipe „Tatort“ in Übach-Palenberg zum ebensolchen geworden: Der WDR Köln schießt nun scharf – einen „Tatort“ darf es nur im Fernsehen geben, aber nicht mehr in Übach-Palenberg. Auch eine Intervention des Bürgermeisters erbrachte nichts. Die Kneipe kann sich ja gefälligst nach dem Ort „Übach-Palenberger“ nennen. Da war „Outbaix“ noch besser, der neue Name, bei dem man extra überprüft hat, daß es ihn in Google noch nicht gibt – aber der WDR hat sich sicher trotzdem längst den Namen reserviert.

„Einige 1000 Euro“ wird die Umbenennung kosten. Viel für so eine Kneipe. Zumachen wäre wahrscheinlich billiger.

Um unsere Polizei vor Geldforderungen aus Köln zu schützen, wird nun auch darüber nachgedacht, statt „Tatort“ zukünftig „Lokation der Gewalteinwirkung“ als Umschreibung in den Polizeiakten zu benutzen…

Lyssenko lebt

Lenin-Ordensträger Lyssenkos Lehre lebt – in der Flora verworfen, in der Fauna bestätigt. Von unserem Gastautoren Ronald Milewski.

Am 20. November 1976 starb Trofim Denissowitsch Lyssenko, sowjetischer Agronom und Biologe, siebenfacher Träger des Leninordens, von Stalin gefördert, von Chruschtschow verjagt. Verjagt wegen zahlreicher Missernten, die ihm angelastet wurden, wegen Forschungsergebnissen, die der Fälschung bezichtigt wurden, und wegen seiner Lehre, des Lyssenkoismus, einer späten Form des Lamarckismus. Dieser zur Folge können Erbeigenschaften durch Umweltbedingungen bestimmt in der Lebenszeit erworbene Eigenschaften vererbt werden. Lyssenko, der einer ukrainischen Bauersfamilie entstammte und erfolglos antrat, die Ernährungsprobleme der frischgebackenen Sowjetrepubliken durch nachhaltige Zuchterfolge an Getreidesorten zu lösen, musste mit ansehen, wie 1934 ausgerechnet ein Kolchosbauer wegen der grassierenden Hungersnöte Schüsse auf den Leichnam Lenins abgab. Sein Forschungsansatz wurde später vor allen Dingen im Westen als ideologisch motiviert verurteilt. Für die Verbannung von Kritikern in Straflager soll er zumindest mitverantwortlich gewesen sein.

Aktuell stehen die Zeichen tief im Westen auf Rehabilitation des Stalingünstlings: Frühkindliche Erlebnisse von Vernachlässigung, körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch wirken laut Forschungsteams an der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich drei Generationen lang. Entsprechende Ergebnisse haben die Forscherteams unlängst in der Zeitschrift „Biological Psychiatry“ veröffentlicht. Die ForscherInnen behaupten, dass traumatische Erlebnisse in Kindheit und Jugend nicht nur zu Verhaltensauffälligkeiten bei der betroffenen Person sondern auch bei deren Nachkommen führen. Wirkmechanismus seien dabei nicht Mutationen auf den Genen sondern die durch Umwelteinflüsse erzeugte Methylierung, die die Aktivität von Genen beeinflusst bzw. Gene, günstigstenfalls solche mit ungünstigem Effekt, ganz abschaltet. Auf diesem Weg prägen den Forschungsergebnissen zur Folge soziale Faktoren aber auch körperliche Aktivität den Genpool . Karma, ein wenig anders als gewohnt, aber immerhin naturwissenschaftlich belegt.

Hatten Lamarck und Lyssenko somit doch Recht mit ihrer Lehre von der Vererbung erworbener Eigenschaften? Immerhin werden die bahnbrechenden Forschungsergebnisse eines Cyril Burt, der mit seinen Untersuchungen an Zwillingspaaren parallel zu Lyssenko auf westlicher Seite eindrücklich die Vererblichkeit von Intelligenz und Persönlichkeitszügen belegte und dafür 1946 zu Beginn des Kalten Krieges in den Adelsstand erhoben wurde, spätestens seit seinem Tod 1971 gleichfalls der Fälschung bezichtigt. Alles Ideologie oder was – egal ob diesseits oder jenseits des Eisernen Vorhangs? Auf jeden Fall eine typische Auseinandersetzung in der Moderne, geprägt durch ein Denken, das nur entweder oder, schwarz oder weiß, hopp oder topp kennt.

Ganz anders geriert sich nun Forschung in der Postmoderne. Deren Credo prägt ein wohltuendes sowohl als auch: Gene beeinflussen und können vererblich beeinflusst werden. Dabei helfen schon frische Luft, körperliche Bewegung und eine veränderte Kost. Das Zauberwort heißt Epigenetik. Der SPIEGEL widmete diesem Forschungszweig in der Biologie immerhin seine Titelgeschichte in der Ausgabe 32/2010. Die Argumente folgen neuesten Forschungsergebnissen und lauten:

– Der Lebensstil verändert die Biologie.

– Äußere Einflüsse können Gene chemisch verändern.

– Neben dem Inhalt der Gene trägt das Erbgut eine übergeordnete Ebene von Informationen.

– Die epigenetischen (auf den Genen liegenden und durch Erfahrung beeinflussbaren) Mechanismen steuern das Verhalten der Gene.

– Babys, die von der Mutter (!) liebevoll gestreichelt wurden, sind als Erwachsene gegen Stress gefeit.

– Menschen, die meditieren, verändern die Architektur ihres Gehirns. Heimkinder, die in eine Adoptionsfamilie kommen, blühen auf.

– Eineiige Zwillinge können in ihrem Verhalten grundverschieden sein.

– Epigenetische Informationen werden von den Zellen sogar auf die Tochterzellen weitergegeben – der Körper hat ein Gedächtnis.

– Das Körpergedächtnis kann allerdings verblassen. Epigenetische Inschriften sind löschbar.

Während Lyssenko sich mehr für die Flora interessierte, beziehen sich diese Erkenntnisse auf die Fauna und könnten – ernst genommen – unmittelbar Auswirkungen auf Psychotherapie, Schul- und Bildungspolitik haben. Die Züricher Forschungsergebnisse wurden indes an Mäusen gewonnen. In typischer Weise traumatisierte, nämlich über einen definierten Zeitraum unvorhersehbar von ihrer Mutter (!) getrennte Jungmäuse entwickeln im Erwachsenenalter deutliche Verhaltensänderungen in Richtung depressiver Hilflosigkeit respektive Verlust der Impulskontrolle. Das eigentlich überraschende Ergebnis der Studie ist jedoch, dass die Tiere ihre Verhaltensstörungen an ihre Nachkommen vererben. Stress, so zeigen die Forschungsergebnisse verändern das so genannte Methylierungsprofil bestimmter Gene im Gehirn und in den Spermien männlicher Mäuse.
„Die Symptome, welche die gestörten Mäuse zeigten, sind auch in Borderline- und Depressions-Patienten sehr prominent vorhanden“, sagt Isabelle Mansuy, die Leiterin der Arbeitsgruppen an den Züricher Forschungsinstituten.

„Was tun?“ könnte man nun mit Lenin fragen. Isabelle Mansuy möchte die Untersuchung an Mäusen auf Menschen ausdehnen, um an Hand von „Gewebeproben von Personen und ihren Nachkommen mögliche Methylisierungskandidaten unter den Genen herauszufinden“. Sie ist sich sicher, auch im menschlichen Gewebe Methylierungen zu finden, Methylgruppen bestehend aus einem Kohlenstoff- und drei Wasserstoff-Atomen – angehängt an spezifische Gene.

Zu befürchten ist, dass sich auf dieses Forschungsvorhaben nun – komfortabel ausgestattet mit Forschungsgeldern – Heerscharen und Generationen von ForscherInnen stürzen, die alsbald den Ausgangspunkt in der Erkenntnis der Herstellbarkeit von Methylierung durch Umwelteinflüsse vergessen und in herkömmlicher Interpunktion des gewohnten Denkens in Ursache und Wirkung ebendiese methylierten Gene zum Verursacher von Depression, Borderline-Störung und Intelligenz-Defiziten erklären – also einmal mehr beim physiologischen Pol andocken.

„Was tun!“ könnte dagegen frei nach Sloterdijk und seiner aktuellen Programmatik vom sich übenden Menschen ein Forschungs-Credo lauten, das seinen Schwerpunkt auf die Erforschung derjenigen Lebensweisen legt, die die ungünstige Programmierung wieder aufheben oder gar nicht erst aufkommen lassen. In Anlehnung an eine Marxsche Feuerbach-These könnte die Maxime lauten: „Die Physiologen haben die (Mikro-)Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an,
sie zu verändern.“

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Die Estnische (2): Stahlhausen plus See

2010, Ruhrgebiet ist bald vorüber. Das nächste große Ding heißt Tallinn 2011, Geschichten von der See. Und ich bin dabei. Mit Geschichten von der See, der Stadt und diesem überhaupt ziemlich seltsamen Land am nordöstlichen Rande Europas.

Für Arvo Pärt eine Party zu veranstalten, ist so ähnlich wie mit Wolfgang Schäuble zu kiffen. Es passt nicht.

Doch der große Komponist des kleinen Volkes wird 75. Also gibt es in Tallinn, Paide und Rakvere einen Monat lang ein Fest zu Ehren des berühmten Tonmeisters, dessen Werk man vielleicht so beschreiben kann: Man muss schon Björk sein oder aus Estland, um Pärts Musik als heiter zu empfinden. Für alle andere ist es sehr schweres Zeug. Gut, aber schwer.

Gestern sahen wir „In Principio„. Ein neogregorianisches  anschwellendes Stück für Sänger und Chor, Orgel und Orchester – Soli und Mehrstimmiges auf Latein, feine harmonische Brüche, schwere Akkorde, plötzlich schmettert der Chor aus dem Oberrang. Die Bühne ist eine schiefe Ebene bestreut mit Birkenmulch und viel Platz für Prinzipielles: Frau und Mann, 0 und 1, Feuer und Wasser, Kartoffelknollen und Zerstörung. Die kargen Klänge Pärts haben es leider etwas schwer gegen  jede Menge Projektionen und Laserstrahlen auf der Bühne. Trotzdem standing ovations – wie zuhause.

Tatsächlich fand die Aufführung in vertrauter Umgebung statt: eine Fabrik, Schiffswerft, an vielen Stellen verwildert, zerfallen. Doch es wird weiter gearbeitet im postsowjetischen Ambie nte. Suchscheinwerfer, Mauern, Natodraht schirmen es von der Außenwelt ab. An provisorischen Stegen liegen Segelyachten im einstigen U-Boot-Hafen der Stadt.

Mit Geschichten von der See wird sich Tallinn im kommenden Jahr an den ganzen Kontinent wenden. Die europäische Kulturhauptstadt setzt auf ihren Hafen, das Meer. Und hier ist wirklich viel zu tun. Nebenan wird gerade der alte Flughafen für Wasserflugzeuge aufgemöbelt. Im kommenden Jahr bekommt das maritime Museum hier den großen Auftritt. Das ganze sieht ein bisschen aus wie Stahlhausen plus See.

Auch hier gab es zur Kulturhauptstadt noch größere Pläne. Die Stadt sollte sich zur Ostsee öffnen. Nicht nur mit Geschichten, Konzerthallen, Museumshangar und anderer Software, sondern mit einem Meeresboulevard zum Flanieren. Die Pläne verschwanden in der Schublade; Finanzkrise. Und so wird 2011 wohl ein bisschen wie Ruhr 2010, wenn es gut war: Industriekultur (maritim), Zwischennutzungen, Entdeckungen an Unorten. Und dazu: das Meer.

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Zwischenraum: Ausstellungsfläche in Bochum

In der Bochumer Innenstadt besitzt die Stadt einen leerstehenden Ausstellungsraum. Eigentlich schade – mit dem könnte man doch mehr anfangen als ein paar Poster ins Fenster zu hängen.

Eine große Schaufensterfront zum Südring hin – das ist doch mal was. Unser heutiges Angebot zur Zwischennutzung liegt Mitten in der Bochumer Innenstadt und war einmal Teil eines sich edel gebenden, australisch angehauchten Restaurants. Aber Koala-Burger und Schnabeltier-Spieße fanden wohl nicht allzu viele Anhänger. Heute wird ein Teil der Ex-Braterei von Gravis genutzt, der andere Teil steht leer. 220 Quadratmeter Fläche hat der Laden. Er könnte als Ausstellungsraum oder Showroom für Modekram genutzt werden. Auch Live-Perfomances sind möglich. Wer sich einmal vor Publikum nackt in mit Mayonaise eingeschmierten Kunstoffplanen wälzen möchte kann das hier tun: Das Lokal verfügt über zwei Duschen. Übrigens: Das Bermudadreieck ist gleich nebenan. Die Stadttochter EGR tut sich mit der Vermarktung schwer. Im Moment hängen nur ein paar Poster im Schaufenster. Obwohl die Miete laut Aushang mit 16 Euro den Quadratmeter billig ist, will keiner rein. Für Leerstand ist der Raum allerdings zu schön. Angebote für eine Zwischennutzung nimmt die EGR entgegen.

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Jochen Malmsheimers ungeliebte Wahrheiten

Der Kabarettist Jochen Malmsheimer hat mit einem Grußwort zur Eröffnung des Zeltfestivals Ruhr Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz gegen sich aufgebracht. Dabei hat er nur die Wahrheit gesagt.

Entegegen der landläufigen Meinung ist Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz nicht die nette „Otti“, als die sie sich in der Öffentlichkeit gerne darstellt. Unter vielen Mitarbeitern des Rathauses genießt sie den Ruf Beratungsresistenz mit Kommunikationsunfähigkeit auf das Trefflichste zu verbinden. Was sie nicht mag ist Kritik, und die gab es bei der Eröffnung des Zeltfestivals Ruhr von dem Kabarettisten Jochen Malmsheimer reichlich. Klar dass sich Scholz nicht entblödete sich bei den Veranstaltern zu beschweren. Dabei hatte der nur gesagt was eigentlich fast alle denke die ich kenne – und das gar nicht lustig sondern voller Grimm: Das die Stadt ihr nichtvorhandenes Geld für ein überflüssiges Konzerthaus raushauen will, dass Millionen aus Blödheit einfach verschlampt worden sind (Natürlich ohne Konsequenzen für irgendwen) und dass der Platz der Europäischen Versprechens einfach nur Bauernfängferei ist. Das alles kann man in den Ruhr Nachrichten nachlesen. Dort ist das Grußwort von Jochen Malmsheimer in Teile dokumentiert. Für jedes einzelne Wort gebührt ihm Dank.