Zwischen Botanik und Urbanität. Der Bochumer Konzeptkünstler Matthias Schamp hat einen offenen Brief an den Bochumer Baurat Dr. Kratzsch geschrieben. Die Frage nach der öffentlichen Nutzung eines Brachgeländes wird gestellt. Auch geht es um Sommerflieder, schmalblättriges Weidenröschen, Jakobs-Greiskraut, kanadische Goldrute und Ackergauchheil. Das Zeugnis einer botanischen Leidenschaft. Der Brief in seinem vollständigen Wortlaut:
Offener Brief an Baurat Dr. Kratzsch wg. Einzäunung Brache neben Riffhalle, Bochum
Sehr geehrter Herr Dr. Kratzsch,
kürzlich hat die Stadt die zwischen Viktoriastraße und Bessemer Straße (neben der Riffhalle) gelegene Brache mit einem massiven Zaun unzugänglich gemacht. In der WAZ vom 31. Juli rechtfertigen Sie diese Maßnahme, die ich aus zweierlei Gründen für ein Ärgernis halte:
Zum einen hindert der Zaun völlig unnötigerweise die Bürger, das Gelände zu betreten und sich an seiner Pflanzen- und Tierwelt zu erfreuen.
Zum anderen ist er eine Geldverschwendung – für eine so klamme Kommune wie Bochum geradezu ein Schildbürgerstreich. Die dafür aufgewendete Summe (ich schätze zwischen 50 000 € und 100 000 €) ist im Grunde eine Verhöhnung jeder sozialen und kulturellen Initiative, die sich in den vergangenen Monaten wegen einer geringfügigen Summe an die Stadt gewandt hat und mit Hinweis auf die schlechte Haushaltslage abgewiesen wurde.
In dem genannten Artikel führen sie für die Maßnahme Gründe an, die ich für falsch oder wenig stichhaltig halte.
Sie verweisen auf eine Verschmutzung des Geländes. Dabei ist das Gelände vergleichsweise wenig verschmutzt – vermutlich weil eine Anfahrt nur öffentlich gut einsehbar über die Viktoriastraße erfolgt, so dass wildes Müllabladen riskant ist. Aber selbst wenn dem so wäre: Für die Summe, die der Zaun verschlungen hat, hätten in den nächsten 100 Jahren regelmäßig Säuberungen des Geländes durchgeführt werden können. Und auch ein Umkehrschluss sei erlaubt: Wenn man sämtliche ähnlich verschmutzte Stellen in Bochum derart weiträumig abriegelte, müsste man die Stadt dichtmachen.
Sie verweisen auf Drogenabhängige, die die Fläche genutzt haben. Tatsächlich liegen an einer nur schlecht zugänglichen Stelle Spritzen, wie sie sich z. B. auch im Kortum-, West- oder Stadtpark finden lassen. Doch durch die Abriegelung findet ja nicht weniger Drogenkonsum statt, sondern dieser wird lediglich an andere Stellen verlagert (und es bleibt zu hoffen, dass es sich dabei nicht um Hauseingänge oder Kinderspielplätze handelt). Wem das Los der Drogenabhängigen am Herzen liegt, der hätte die aufgewendete Summe besser der Drogenberatung zukommen lassen.
Das Betreten eines solchen Brachgeländes erfolgt eh auf eigene Gefahr. Insofern halte ich die Aussage „bei der Stadt liegt die Sicherungspflicht“ als Begründung für den Zaun für falsch, lasse mich aber gern eines Besseren belehren. Bitte nennen Sie mir in diesem Fall das entsprechende Regelwerk, das eine solche massive Baumaßnahme zwingend erforderlich macht.
Ihre Behauptung „Das Gelände wurde von Spaziergängern nicht genutzt“ ist falsch. Nicht nur ich bin regelmäßig alleine oder in Gesellschaft über das Gelände spaziert. Seit ich meinen Unmut über die Einzäunung öffentlich bekundet habe, haben sich bereits mehrere Bürger an mich gewandt, die ebenfalls den Erholungswert des Geländes für sich entdeckt hatten.
Das Gelände ist durch den niedrigen Bewuchs auf seiner Längsachse gut zu begehen. Es wachsen dort sehr schön u. a. Sommerflieder, schmalblättriges Weidenröschen, Jakobs-Greiskraut, kanadische Goldrute, Ackergauchheil, Nachtkerze, Königskerze, Johanniskraut, Neben typischen Pionierpflanzen für Ruderalflächen gibt es z. B. auch die blauflügelige Ödlandschrecke zu entdecken. Dies alles stellt in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt einen immensen Freizeitwert dar, der grundlos zunichte gemacht wurde.
Als Bochumer Bürger und botanisch interessierter Mensch habe ich den Ort gern für meine Erholung genutzt. Doch auch als Wissenschaftler habe ich mich – u. a. in Zusammenhang mit Lehraufträgen an der Bauhausuniversität Weimar sowie am architektonischen Institut der TU Berlin – mit innerstädtischen Brachflächen beschäftigt. So haben im Fachbereich Bildende Kunst, in dem ich tätig war, Architekturstudenten der TU Berlin 2009 in einem Seminar zum Thema „Brache“ den Freizeitwert derartiger Flächen erforscht und sind zu dem Ergebnis gekommen, das dieser tatsächlich sehr hoch ist.
Bitte geben Sie mir Auskunft über die genauen Kosten von Zaun und Montage und wer für die Entscheidung verantwortlich ist. Außerdem fordere ich, das Tor in Zukunft geöffnet zu lassen. Gern stehe ich für eine Führung zur Verfügung, um die Schönheit des Geländes vor Augen zu führen. Grade jetzt sind die Brombeeren reif!
Mit freundlichen Grüßen, Matthias Schamp